Naziangriff & Saufen mit Nazis? Ein öffentlicher Diskurs zwischen besetzten Häusern.

BesetzerInnenZeitung, Nr. 1 vom 22.08.1990

– aus der BesetzerInnen Zeitung Nr. 1, vom 22. August 1990 –

Pfarrstraße: Wir haben die Schnauze voll!

BesetzerInnenZeitung, Nr. 1 vom 22.08.1990
BesetzerInnenZeitung, Nr. 1 vom 22.08.1990

Die Pfarrstraße ist uns allen ja seit längerem bekannt durch eine Vielzahl von Schoten, die sie sich bisher dort geleistet haben (Magistratsauftritt, Einzelverhandlungsbereitschaft, Kommunikation mit Faschos). Für uns und hoffentlich für alle ist klar, dass es weder Einzelverhandlungen, noch Kommunikation mit Faschos (saufen, Nichtangriffspakte) geben darf, weil es einem linken Selbstverständnis widerspricht und das Häuserbündnis gefährdet.

Für alle, die es noch nicht wissen: Es ist auch möglich, direkt aus der Pfarrstraße und nicht aus der Weitlingstraße angegriffen zu werden.

Angriff auf die Jessner Straße 41
Mittwoch (15.8.90), 1.00 Uhr nachts, wurde das Jessica-Proll-Haus von 6 Faschos mit Leuchtspurmunition angegriffen. Als wir begannen uns zu verteidigen, flüchteten die Faschos über den Traveplatz.
Wir nahmen die Verfolgung mit dem Auto auf, konnten sie aber nicht mehr finden und fuhren direkt in die Mainzer Straße. Anschließend begaben wir uns auf den Weg in die Pfarrstraße, um die Leute dort zu warnen. Dort bot sich uns ein entsetzliches Bild. Vor der Kneipe sahen wir 2 Bier in ihren hohlen Kopf schüttende Faschos und gingen zur Theke, um zu erzählen, was abgegangen ist. Dort erfuhren wir, dass an diesem Tag ein Treffen mit Lichtenberger Faschos, Besetzern (natürlich aus der Pfarrstraße) und Leuten vom Bezirksamt statt¬gefunden hat. Sämtliche Anwesenden betonten, wie wichtig es sei, mit Faschos zu labern und gingen auf den Angriff gar nicht ein. Außerdem sagte man uns, dass eine halbe Stunde vorher 6 Faschos aus der Pfarrstraße Richtung Friedrichshain gezogen sind. Offensichtlich hält man es in der Pfarrstraße nicht einmal für nötig, verbündete Häuser zu warnen! Die Jessner 41 ist ein abseitsstehendes Haus und leider nur etwa 4oo Meter von der Pfarrstraße entfernt, soweit, wie zum nächsten befreundeten besetzten Haus. Uns reicht´s!!! Wir fühlen uns von der Pfarrstraße bedroht! Wäre es nicht besser, wenn sie ein Bündnis mit der ihnen politisch anscheinend näherstehenden Weitlingstraße schließen?!

Entschließt Euch endlich!!!
KEIN FUßBREIT DEM FASCHISMUS
gez.: einige BesetzerInnen der Jessner Straße 41

– aus der BesetzerInnen Zeitung Nr. 3, vom 5. September 1990 –

Stellungnahme der Pfarrstraße zu dem Artikel der Jessenerstrasse in der BesetzerInnenZeitung Nr. 1 vom 22. August 1990

BesetzerInnenZeitung Nr. 3/90
BesetzerInnenZeitung Nr. 3/90

Zuallererst: Dass ihr nach dem Fascho-Angriff total sauer ward ist völlig
klar, da gibt’s nichts zu entschuldigen. Dass Leute mit den Faschos sitzen ge¬blieben sind, nachdem klar war, dass die Jessner angegriffen worden ist, ist nur peinlich sonst nichts. Danach ist sehr viel Selbstkritik geübt worden und inzwischen ist wohl auch der/dem Letzten klar, dass sowohl die Gespräche mit den Faschos, als auch die fehlende Solidarität absolut daneben waren, so etwas wird nicht mehr vorkommen.

Ein paar Anmerkungen dazu, wie es gekommen ist.
In der Pfarrstraße sind fünf Häuser besetzt. Dies bedeutet ein Haufen unterschiedlicher Leute mit der gleichen Menge an unterschiedlichen Meinungen.
Viele von uns haben/hatten keine politische Erfahrung – Hausbesetzungen eingeschlossen.

Wir sind aufgrund unserer „besonderen“ geographischen Loge von Anfang an sehr stark mit der Fascho-Problematik konfrontiert worden und leider ist es hier in Lichtenberg, als nächste Nachbarn einer Fascho- Hochburg ein wenig einsam. Von der vielbeschworenen Solidarität haben wir bisher nicht viel ge¬merkt. Das hat bei uns sicher nicht zu dem Gefühl beigetragen, sich auf andere Häuser verlassen zu können.

All dies hat zu der Illusion geführt, durch Gespräche etwas erreichen zu können. Es war eine Illusion – das haben wir gelernt und das müsst ihr auch jetzt akzeptieren.

Ähnlich verhält es sich mit der Position der Pfarrstraße zu gemeinsamen Verhandlungen und zu dem B-Rat. Es gab sehr kontroverse Meinungen und anfangs war es schwer zu sagen, welche Position die Pfarrstraße einnehmen würde. Die Widerstände gegen gemeinsame Verhandlungen resultierten hauptsächlich daraus, dass viele Leute schlecht oder gar nicht informiert waren. Dies hat sich geändert nachdem einige aus der Straße vehemente Aufklärungsarbeit geleistet haben, in den Gremien mitarbeiten etc. Im letzten Straßengremium gab es keine Stimme mehr gegen den B-Rat und das Verhandlungsgremium.

Dies wäre schneller gegangen, wenn Leute wie Ihr, die ihr schon wesentlich länger in euern Häusern seid, mal vorbeigekommen wären und euch informiert hättet. Warum seid Ihr nicht vor dem Artikel zu uns gekommen um zu erfahren was zum Henker hier los ist?
Vielleicht wäre uns dann der ganze Stress erspart geblieben. Mit euren verbalen Gummiknüppeln erzeugt Ihr nur mehr Missverständnisse und Vorurteile und drängt Leute in eine ganz bestimmte Ecke, anstatt zu informieren und Erfahrungen weiterzugeben.
Allein mit „linkem Selbstverständnis“ kommen wir nicht weiter, da müsst Ihr uns erst einmal erklären was das sein soll. Mit Informieren, guten Argumenten und Unterstützung können wir hingegen sehr viel anfangen.

Die Pfarrstraße