Kurt Noack

VOM TOD EINES SOZIALDEMOKRATISCHEN ANTIFASCHISTEN

Nach der Machtübertragung an die Nazis kommt es unter Leitung der Hohen Neundorfer Sozialdemokraten Otto Scharfscherdt zum Aufbau einer Widerstandsgruppe. Wahrscheinlich Ende 1933/1934 wird Kontakt zur Widerstandsgruppe um den ehemaligen Major der preußischen Schutzpolizei Karl Heinrich aufgenommen, die sich aus Mitgliedern des 1933 verbotenen „Reichsbanners“, einer überparteilichen Republikschutztruppe, zusammensetzte. Damit umfaßt die Widerstandsgruppe „Nordbahn“ u.a. die Ortschaften Hammer, Liebenwalde, Hohen Neuendorf, Bergfelde Birkenwerder, und reicht bis nach Ladeburg bei Bernau und in den Norden Berlins hinein. Zur Leitung der Gruppe gehören neben Otto Scharfschwerdt, Hermann Schlimmer (Berlin), Erich Hahn (Birkenwerder), Erich Wienig (Birkenwerder) und Kurt Noack (Hohen Neuendorf).

1937 zerschlagen die Nazis die Widerstandsgruppe. 40 Aktivisten wird der Prozeß gemacht. Kurt Noack erhält eine 2 1/2 Jährige Zuchthausstrafe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, die er im Zuchthaus Brandenburg absitzt. Nach seine Entlassung beteiligt er sich weiter am Widerstand in Hohen Neuendorf und nahm eine wichtige Rolle bei der Selbstbefreiung seines Heimatortes am 20./21. April 1945 ein.

Unmittelbar nach der Befreiung durch die Roten Armee gründet sich in Hohen Neuendorf eine neue SPD-Ortsgruppe, deren Vorsitzender Kurt Noack wird. Er wirkt in Kommissionen wie dem im Antifa-Ausschuß oder der Bodenreform-Kommisssion. Doch schon im August 1945, in folge von Querälen zwischen KPD und SPD, gerät Kurt Noack ins Blickfeld der sowjetischen Administration.

Als im März 1946 die Vereinigung von KPD und SPD vorbereitet wird, weigert sich Kurt Noack dieser Vereinigung zuzustimmen.

Am 03. Dezember 1948 tritt Kurt Noack seinen letzten Leidensweg an. Sein Enkel Heinz Noack erinnert sich:
„… Leute von der GPU sind am jenen Abend gekommen und haben ihn abgeholt mit der Begründung, sie brauchten eine Aussage von ihm. Er solle seine Sachen nehmen und meiner Großmutter wurde gesagt er solle etwas warmes zum anziehen mitnehmen. Es wurde eine Wohnungsdurchsuchung vorgenommen und sie wollten auch Papiere, Kassen und alles was ihnen Suspekt war sehen. An diesem Abend, als die Leute noch im Haus waren, kam Ernst Noack (Sohn von Kurt Noack), der in Reinickendorf wohnte, um seine Eltern zu besuchen. Er hatte unter anderem zufällig ein Exemplar der Westzeitung Telegraf dabei. Allein aus dem Grund, daß er eine solche Zeitung in die damals sowjetische besetzte Zone eingeführt hatte, war das schon eine Straftat. Darüber hinaus wurde ihm gesagt, er solle mitkommen und die Aussagen von meinem Großvater bestätigen und dann könne er wieder nach Hause gehen. Meine Großmutter ist dann auch mitgekommen. Damals war diese Stelle, wo er dann zum Verhör gebracht wurde, gegenüber der Grundschule, ich glaube es war die Berliner Straße. Da war unten ein Büro des Politbüro oder so etwas ähnliches und da hat er zuerst gesessen. Und da war die Großmutter zuerst auch dabei und hat ihren Kurt aber nicht mehr gesehen. Und da hat ein Beamter dann gesagt, sie solle doch nach Hause gehen. Er käme Heute nicht mehr wieder.

Kurt und Ernst Noack sind dann nach Sachsenhausen gekommen. Kurt Noack wurde nach Sibirien irgendwo am Baikalsee verschleppt und Ernst Noack kam nach Bautzen. Nach welchem Zeitraum sie verschleppt wurden und aus welchen Grund sie getrennt wurden kann ich nicht sagen. Es ist mir auch nicht bekannt ob ein Gerichtsverfahren oder eine Verurteilung stattgefunden hat. Ernst Noack kam 1956 aus Bautzen zurück.

Später ist ein Herr gekommen, den ich nicht namentlich kenne und auch nicht sagen kann wann er gekommen ist. Der hatte einen Art Spickzettel dabei, den man sich als Häftling untereinander in den Gefängnissen zusteckte, wenn einer Entlassen wurde. Der hatte auf dem Papier den Namen und die Adresse und ist dann nach Hohen Neuendorf zu meiner Großmutter gekommen und hat gesagt das Herr Kurt Noack dort verstorben ist. Er ist wahrscheinlich durch die schwere Zwangsarbeit, er war immerhin schon 70 Jahre (1884 geboren), verstorben. Was das für ein Lager war und welche Zwangsarbeit dort verrichtet wurde kann ich nicht sagen…“

Die späte Heimkehr des Robert Zeiler

– ERLEBNISBERICHT, ERSCHIENEN IN DER DDR-ZEITSCHRIFT „ANTIFASCHGISTISCHER WIDERSTANDSKÄMPFER“ NR. 12/89 –

Das es immer wieder dazu kam das die Sowjetische Besatzungsmacht wahllos unschuldige Inhaftierte, belegt der Erlebnisbericht des Berliner Robert Zeiler, der in Nummer 12/89 der Zeitschrift „Antifaschgistischer Widerstandskämpfer“ veröffentlicht wurde:

„…Der Tag der Selbstbefreiung der Häftlinge vom Konzenrationslager Buchenwald (KL BU), am II. April 1945, bleibt jedem unvergessen, der diesen Tag miterlebt hat. Die ersten vom Norden einrückenden Amerikaner, Panzer des Generals Patton, Soldaten der vordersten Linie, hatten weinen müssen, als sie die großen Leichenhaufen von verhungerten Menschen sahen, die vom Tag und Nacht im Einsatz befindlichen Krematorium nicht „verarbeitet“ werden konnten. Ich habe selbst, als Häftling Nr. 19999, viele von kampferprobten Frontsoldaten durch das Lager, speziell zum Krematorium geführt. Der bestialische Leichengeruch und der Geschmack der schwelenden Hügel von altem Schuhwerk verfolgt einen manchmal heute noch. Mein Stiefbruder Harald Hochhaus und ich waren mit der Begründung in „Schutzhaft“, am 11. März 1944, genommen worden:

1. Widerstand gegen die Anordnungen der Gestapo;
2. Begünstigung des Judentums;
3. Staatsfeindliches Verhalten. Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu wollen, hatten wir das große Glück, bald in eine „Prominenten-Baracke“ zu kommen (Block 38). Die Hilfe von einigen Lagerkameraden hatte uns das Überleben ermöglicht.

Am 19. März 1945 fuhren mein Bruder und ich, eine junge Frau aus Weimar (Marianne Schuch) mit einem Auto, ausgestattet mit entsprechenden Papieren und Dokumenten, in englischer, französischer und russischer Sprache, nach Theresienstadt, um aus dem dortigen KZ überlebende Verwandte und Bekannte nach Weimar zu bringen. So konnten wir unsere Mutter, Frl. Schuch ihren Vater und noch jemand dort abholen. Es hat zwar Schwierigkeiten mit dem dortigen russischen Major gegeben, wegen der dort herrschenden Typhusgefahr, er hat uns aber fahren lassen. Nach diesem gelungenen Experiment entwickelte sich der Plan, die Heimfahrt (Repatriierung) der Berliner und Brandenburgischen ehemaligen Häftlinge zu organisieren. Aus allen Ländern erschienen Reisebusse, um die Kameraden in ihre jeweilige Heimat zurückzubringen. Aus Belgien, Frankreich, Holland, Norwegen, Polen, Tschechoslowakei u. v. a. Mit entsprechenden Reisedokumenten versehen, wurden außer meinem Bruder und mir der Kamerad Georg Krausz (ehem. Redakteur der „Roten Fahne“, mit russischen Sprachkenntnissen) und der Kamerad Georg Rittmann, den wir aus einem Berliner Sammellager kannten, auf große Fahrt geschickt. Walter Bartel war zwar etwas skeptisch, ob unser Plan gelingen würde, aber das hat uns nicht abgehalten. Am 25. Mai 1945 ging es los. In Raguhn, bei Dessau, haben wir übernachtet. Nach dem Übersetzen des Wagens über eine Pontonbrücke warnte uns noch ein russischer Offizier, die Autobahn zu nehmen, weil die meisten Brücken gesprengt waren. Nach einem Stop von russischen Soldaten wurden wir in ein Quartier gebracht, wo man unsere mitgeführten Lebensmittel (für unsere überlebenden Verwandten in Berlin gedacht) beschlagnahmte, aber jede Menge „Kwaß“ anböte. Wir fuhren weiter bis nach Potsdam, wo wir an der „Kaiser-Wilhelm-Briicke“, die zerstört war und nur eine russische Pontonbrücke die Überfahrt ermöglichte, zur Straße „Am kleinen Wannsee“ kamen, wo unser Onkel und Tante wohnten.

An der Auffahrt vor und nach der Pontonbrücke streikte unser Auto. Ein russischer Jeep und ein „Ford-Eifel“ (rot-blau gespritzt) mit dem russischen NKDW-Offizier von Potsdam an Bord, der sich unsere Reisedokumente geben ließ, stoppte uns: wir waren Internierte der sowjetischen Besatzungsmacht. Wir kamen in den berühmten „Cäcilienhof“, wurden an verschiedenen Enden der Gänge untergebracht. Wir wurden gut verpflegt, bekamen zu Essen, Trinken und soweit wir wollten, zu Rauchen. Aber wir konnten nicht mehr miteinander sprechen und unsere Gedanken austauschen. Von dort hätten wir ja noch fliehen können, aber von unserer Unschuld überzeugt, als ehemalige KL Bu-Häftlinge, kamen wir gar nicht auf diesen Gedanken. Später haben wir erst erfahren, was es mit unserer Verlegung in die „Villa Ingelheim“, des ehemaligen Prinz Eitel-Friedrich, auf sich hatte: Auf Cäcilienhof wurde die historische Besprechung der drei Alliierten vorbereitet, um über das weitere Schicksal Deutschlands zu beraten!

Erst bei den Verhören in der „Villa Ingelheim“ wurde uns bewußt, warum man uns festgenommen hatte. Ein russischer Major:
1. Kamerad Georg Krausz wurde gefragt: „Du Jude? Ich denke, in Deutschland Juden alle tot.“ Das war ein für uns besonderer Zynismus. 2. Mein Bruder und ich bekamen den Vorwurf: „Du amerikansky Spion, Du gucken, wie stark russische (rote) Armee in Berlin!“
3. Georg Rittmann war verdächtig, weil er in Batum geboren und seine Muttersprache russisch war. Da wir keine Möglichkeit der Verteidigung hatten, mußten wir uns in unser Schicksal fügen. Besonders leid tat mir dabei unser Kamerad Georg Krausz, der wegen seiner kommunistischen Überzeugung seit Jugend an – noch dazu als jüdischer Bürger – sich nach der Befreiung gesehnt hatte, und auch verdient hatte. Von der „Villa Ingelheim“ kamen wir mit LKW auf Transport nach „Ketschendorf“, einer Arbeitersiedlung, die zu einem lntemierungslager umfunktioniert worden war. Für uns war das Schlimmste, daß wir hier mit den vielen kleinen und großen Nazis – vom Blockwart bis zum Bahnhofsdirektor, der für Deportationen zuständig war, dazu noch Nazi-Ärzte u. v. a. zusammenleben mußten. Es waren auch Leute dabei, wie der Erfinder des fahrbaren Vergasungsgerätes, das in Polen eingesetzt worden war. Dies hat für uns eine demoralisierende Wirkung gehabt, weil diese Nazis von ihren Taten so überzeugt ren!

Von Ketschendorf, wo wir unseren Kameraden G. Rittmann unter die Erde bringen mußten, der an Tbc, die er im KZ bekommen hatte, starb, ging unsere Reise weiter nach Brest-Litowsk, wo wir Winterausrüstungen (Bekleidung) mitschleppten. Szenen, wie in dem berühmt gewordenen Film „Dr. Schiwago“, in einem Waggon mit einem vor Hunger „Durchgedrehten“, den Zuständen der Entsorgung, der Verteilung des Brotes (ohne Brotmesser u. ä.). Es war eine Katastrophe …

In Brest-Litowsk gingen unsere Wege auseinander. Mein Stiefbruder (mit anderem Nachnamen), kam in einen anderen Wagen. Ich bin während der medizinischen Untersuchung durch den überhitzten Raum ohnmächtig geworden. Ich landete später, nachdem man uns gesagt hatte, wir werden mit Kriegsgefangenen in Frankfurt (Oder) entlassen, wieder im KZ Buchenwald. Mein Bruder kam zu einem Arbeitseinsatz in ein Kohlebergwerk bei Stalinsk. Georg Krausz soll in ein Lager Mühlberg o. ä. gekommen sein. Walter Bartel hat aufgrund der unermüdlichen Nachforschungen unserer Mutter einige Dinge ausfindig machen können, so den Aufenthalt von G. Krausz. Es ist für uns Betroffene unbeschreiblich, diese Erlebnisse zu Papier zu bringen, weil sie uns – gerade als überzeugte Demokraten und Antifaschisten so sehr deprimieren.

Am 15. Juli 1948 bin ich aus dem KZ Buchenwald endgültig entlassen worden. Mein Bruder 1950 aus Stalinsk…“

Über das Schicksal von Georg Krausz informierte ergänzend Emil Carlebach, 1989 Mitglied des Präsidiums der VVN-BdA:

„…1. Der NKWD-Offizier war offensichtlich verärgert, daß Georg Krausz (zum Unterschied von anderen Deutschen) ihm sehr selbstsicher gegenübertrat. Daß Krausz perfekt russisch sprach (er stammt von der ungarischen Grenze zur UdSSR) machte ihn bei diesem Offizier verdächtig. Dann legte Krausz ihm den Parteiausweis vor, der bestätigte, daß der Inhaber von Anfang an in der illegalen KPD-Organisation des Lagers aktiv tätig war. Darauf der Major: „Das brauchen Sie mir gerade noch erzählen, daß die Amerikaner Euch erlaubt hätten, kommunistische Parteiausweise zu drucken!“ Damit war das Verhör zu Ende – Georg Krausz kam nach Buchenwald.

2. Walter Bartel, der Vorsitzende der KPD-Gruppe im KL Bu, und Wilhelm Pieck, Vorsitzender der KPD, der G. K. Krausz schon lange kannte, versuchten vergeblich, festzustellen, wo der Verschollene geblieben war. Krausz berichtete mir 1948, nach seiner Freilassung, daß er jedesmal, wenn eine Untersuchungskommission ins Lager kam, vortrat, und seinen Fall schilderte. Jedesmal hätten die Offiziere betroffen reagiert und sich seine Akte kommen lassen. Und jedesmal hätte es dann geheißen: „Da können wir nichts machen.“ Schließlich gelang es Krausz, heimlich eine Nachricht nach Berlin an Wilhelm Pieck zu senden. Dieser verlangte sofort von der sowjetischen Militärverwaltung die Freilassung des unschuldig Festgehaltenen. Auch hier zunächst das „da können wir nichts machen“. Aber Wilhelm Pieck konnte einen „Kompromiß“ durchsetzen: Georg Krausz wurde aus Buchenwald in eine Zelle des Zuchthauses Borgau gebracht, dann wurde der Innenminister des ehemaligen Landes Sachsen-Anhalt, Robert Siewert – ebenfalls ein Buchenwaldhäftling – ohne Angabe von Gründen auch dorthin gebracht. Als die beiden sich in der Zelle um den Hals fielen, waren die Russen endlich überzeugt. Georg Krausz wurde entlassen…“