Chronologie: Naziüberfälle & rechte / rassistische Gewalt in der DDR

Als Folge des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in der DDR ab Oktober 1989, wurden überall im Land massenhaft Häuser besetzt. Allein in Ostberlin gab es im Verlauf des ersten Halbjahrs 1990 über 200 besetzt Häuser. In der Nachbarstadt Potsdam waren es zur gleichen Zeit etwa 50 besetzte Häuser. Gleichzeitig entstand eine breite Infrastruktur von linken Treffpunkten, Kneipen, Infocafes. Doch diese Objekte, sowie die BewohnerInnen und AktivistInnen waren auch schnell Angriffsziele für Neonazis und rechte Fußball-Hools.

Überall in der DDR kam es immer vermehrter und offener zu neofaschistischer, antisemitischer Gewalt gegen farbige Menschen, AusländerInnen, Punks, Langhaarige, Gruftis und Linke. Doch schon in der „antifaschistischen“ DDR, der 1980er Jahre, gehörte faschistische Gewalt gegen farbige Menschen, ausländische VertragsarbeiterInnen und StudentInnen, alternative Jugendliche, Punks, Gruftis, Langhaarige mehr und mehr zur Tagesordnung.

Im Zeitraum vom 1.10.1987 bis 20.1.1988 wurden durch das MfS und der Kriminalpolizei insgesamt 40 Strafverfahren gegen 108 rechte Jugendliche eingeleitet, davon gingen 94 Personen in Haft. 1988 wurden 185 faschistische Straftaten registriert und 44 Ermittlungverfahren eingeleitet. Im Jahre 1989 wurden 300 „rechte“ Straftaten registriert und 144 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

1982

28.2.1982, Hennigsdorf
Nach dem Fußballspiel Motor Hennigsdorf gegen FC-Union Berlin kam es zu antisowjetischen Ausschreitungen, als auf dem Bahnhofsgelände ein sowjetischer Militärtransport einen Aufenthalt hatte. Nach Buh-Rufen kam es zu Beschimpfungen und Gesängen wie „Ras, dwa, tri, – Russkis werden wir nie“. Es hagelte Steinwürfe auf sowjetische Soldaten und ein Militärfahrzeug wurde zerstört. Solche Aktionen brachten Symphatie bei vielen Jugendlichen, aber auch älteren Menschen.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

1987

22.3.1987, Berlin-Marzahn
Sechs Skinheads schlagen eines NVA-Angehörigen zusammen.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

29.3.1987, Berlin-Hellersdorf
In einem Bungalow wird ein Punk von Naziskinheads zusammengeschlagen.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

11.9.1987, Dresden
Nazi-Skinheads überfallen einen Menschen aus Moçambique und schlagen ihn zusammen.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

31.10.1987, Velten (Potsdam)
Im Anschluß an einer Tanzveranstaltung beginnen Nazis mit einer Schlägerei. BesucherInnen wurden verletzt, die Gaststätteneinrichtung wurde zerstört und danach gab es eine Auseinandersetzung mit der Polizei.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

17.10.1987, Berlin (Prenzlauer Berg)
30 organisierte Nazis-Skinheads stürmten nach dem Konzert der Musikgruppen ,,Element of Crime“ und ,,Firma“ die noch halbvolle Zionskirche. Den Überraschungseffekt ausnutzend prügelten sie auf die Leute ein, die gerade aus einer Tür den Raum verlassen wollten. Dabei riefen sie ,,Sieg heil“ und ,,Juden raus aus deutschen Kirchen“. Die Polizei beobachtete nur und griff nicht ein. Auf dem ,,Nachhauseweg“ schlugen die Naziskins mehrere Männer vor einer so genannten „Schwulenklappe“ zusammen.
Quelle: Zeitschrift telegraph 3/4 1998

1989

14. Januar 1989, Berlin (Ost)
Am Abend des 14. Januar 1989, gegen 18:30 Uhr, wurden drei StudentInnen aus der VR Kongo auf dem Alexanderplatz von einer etwa 15 Mann starken Skin-Gruppe zusammengeschlagen und zusammengetreten. Dabei fielen Beschimpfungen, wie: „Negerschwein“,“Negersau,“, „Ausländer, verpißt euch!“, „Votzen“, „Idioten“, „Spastis“, … Dabei wurde auf die StudentInnen wurde mehrmals eingeschlagen. Zuerst, am Roten Rathaus. Dann in Höhe des Neptunbrunnens. Zuletzt auf der Straßenseite am Palast. Der Alex war gut besucht und gut beleuchtet. Die Afrikaner haben auch einen Volkspolizisten gesehen, der mit dem Rücken zum
Tatgeschehen stand. Vier der Täter wurde später ermittelt und am 1. Juni 1989 zu Haftstrafen zwischen Birr: 1
10 Monate und einem Jahr verurteilt
Quelle: Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, vom 1. Juli 1989

26. Januar 1989, Magdeburg
Ein Skinhead aus Magdeburg schlägt eine Person grundlos nieder und tretet ihm in den Bauch. Der Skinhead wird im August 1989 wegen „Rowdytum zu 9 Monaten Haft verurteilt.
Quelle: Antifa Infoblatt, Nr. 2, vom 2. November 1989

23. Februar 1989, Berlin (Ost)
Am Abend des 23. Februar 1989, gegen 22:30 Uhr, werden vier Jugendliche (zwei davon sind Punks) nach einem Discobesuch von etwa 20 Neonazis angepöbelt, verfolgt und im Hausflur eines kirchlichen Gemeindehauses zusammengeschlagen.
Quelle: DIE KIRCHE, 26.3.1989 / Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, vom 1. Juli 1989

25./26. März 1989 (Ostern), Berlin (Ost)
Ein Pädagogik-Student, wird auf dem Bahnhof Lichtenberg von sechs Skinheads angegriffen, weil sich auf seiner Jacke einen Gegen-Nazi-Aufnäher befindet. Er flüchtet, verfolgt von zwei Skinheads zu einem nahe gelegenen Station der Bahnpolizei. Diese nimmt von allen personen die Personalien auf. dann können die Skinheads unbehelligt gehen. Das Opfer muss seinen Aufnäher abtrennen. Die Skinheads können unbehelligt gehen. Gegen das Opfer wird eine Ermittlung wegen Verstoß gegen §13 Absatz 2 des VP-Gesetzes sowie wegen Verstoß gegen die „öffentliche Ordnung und Sicherheit“ eingeleitet. Eine Woche später wird Ihm mitgeteilt, der Aufnäher sei eingezogen, da er im nichtsozialistischen Ausland hergestellt wäre. Das Motiv des Aufnähers wäre genauso verboten, wie z.B. Nazismus-verherrlichende Symbole.

28. März 1989, Magdeburg
Mehrere Skinheads belästigen zwei Punks auf einem Rummel und beschimpfen diese. Zwei Polizisten verweisen darauf hin die Skinhead durch dien Hinterausgang und die Punks durch den Vorderausgang des Rummels. Kurz danach werden die Punks von den Skinheads auf der Elbbrücke aufgelauert. Die beiden Punks werden schwer zusammen geschlagen Einer verlor zwei Zähne. Vier beteiligte Skinheads werden im August 1989 zu Haftstrafen zwischen 1 Jahr 4 Monate und 1 Jahr und 8 Monate verurteilt.
Quelle: Antifa Infoblatt, Nr. 2, vom 2. November 1989

31. März 1989, Berlin (Ost)
Mindestens ein Mädchen wurde verletzt, als am Freitag ca. 20 Skins die Besucher eines Punkkonzertes im Tierparkclub verprügelten. Die Schläger hatten sich vor den Club versammelt und verfolgten von dort aus fluchtende Jugendliche bis in die U-Bahn-Station Tierpark. Der größte Teil der Besucher konnte glücklicherweise durch den Zweitausgang entkommen.
Quelle: Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, vom 1. Juli 1989

1. April 1989, Magdeburg
Bei dem am Mittwoch stattfindenden Fußballspiel gegen die Türkei in Magdeburg sollte ein DDR-weites Skin-Treffen stattfinden. Die Skins wollten die türkischen Fußballfans „aufklatschen“. Tatsächlich kamen „nur“ -in paar hundert Skins. Den Skins wurde an diesem Tag kein Urlaub gegeben. Auch wurden viele Skins am Bahnhof zugeführt. Allerdings verletzte ein 17-jähriger Skin aus einem fahrenden Auto heraus einen Türkan.
Quelle: Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, vom 1. Juli 1989

9. April 1989, Berlin (Ost)
Auch der Jugendclub „Linse“ (Friedrichsfelde-Ost) war am Sonntag Ziel eines Angriffs von etwa 30 Skins. Die Glatzen verfolgten einzelne Fluchtende und prügelten mir Ketten, Fäusten und Stiefeln auf sie ein. Eine Zeugin beobachtete eine kleinere Gruppe Skins, die offenbar nicht zum „Überfallkommando“ gehörten, die einem Punk erste Hilfe zu geben versuchten, welcher eine klaffende Wunde in der linken Gesichtshälfte hatte.
Quelle: Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, vom 1. Juli 1989

20. April 1989, Potsdam
Eine Aktivistin der Antifa Potsdam wird auf dem Heimweg von Nazi-Skinheads zusammengeschlagen und muss ins Krankenhaus gebracht werden.

Frühjahr/Sommer 1989, Weimar
Auf Weimars Renommier-Straße (Schillerstraße) sammelt sich in den frühen Nachmittagsstunden der Nachwuchs der Fascho-Szene. AusländerInnen werden angemacht und geschlagen. Wenn die Sache überhand nimmt und ein ausländischer Schüler mit dunkler Hautfarbe aus einer Touristengruppe zusammengeschlagen wird, versucht die V-Polizei auch mal, die Lage in den Griff zu bekommen. Dann folgt das Übliche: Sogenannte Rädelsführer werden wegen Rowdytum angeklagt – in den Gerichtsberichten keine Bezugnahme auf die Hintergründe – die Schläger hätten eben zu viel Westfernsehen gesehen. Äußerungen, die nicht neu sind.
Zitiert aus: Antifa Infoblatt, Nr. 2, vom 2. November 1989

11. Juli 1989, Weimar
Aus Anlass der „3. Jugendtage der FDJ“ fand am 11. Juli 1989 im Weimarhallenpark einer Freiluftveranstaltung mit Diskothek statt. Gegen 23:45 rötteten sich etwa 100 Menschen zusammen. Unter Ihnen Skinheads und Personen mit Neonazis-Outfit, aber auch viele „normal“ bekleidete Jugendliche und Erwachsene.
Sie begannen gewalttätige Auseinandersetzungen mit sechs anwesende Afrikaner und Kubaner. Dabei wurde mit Flaschen, Gläsern und Steinen geworfen. Der Nazi-Mob rief dabei Parolen, wie „Deutschland den Deutschen “ und „Ausländer raus“. Es wurde die Deutsche Nationalhymne (Deutschland, Deutschland über alles …) gesungen.
Wenig später eintreffende 10 Volkspolizisten hielten sich im Hintergrund und unternahmen nichts. Nach kurzer zeit verschwanden 5 Volkspolizisten und kamen nicht wieder. Statt etwas gegen das faschistische Treiben zu unternehmen, wurden andere AusländerInnen „umgeleitet.
Nach etwa einer Stunde löste sich der faschistische Mob auf. Alle Beteiligten konnten, vollkommen unbehelligt von der Polizei, in aller Ruhe verschwinden.
Quelle: Antifa Infoblatt, Nr. 2, vom 2. November 1989

26. Oktober 1989, Berliner Jugendclub „jojo“
Am Ende einer Veranstaltung im Berliner Jugendclub „jojo“ werden mehrere Personen von einer Gruppe Schülern umringt und mit Beschimpfungen unmissverständlich neofaschistischen Charakters überhäuft. Eine Person wird im Verlauf der Auseinandersetzungen, wegen ihrer dunklen Hautfarbe, besonders angefeindet. Sie wird „Drecksnigger“, „Türkenschwein“, „Judensau“ und ähnliches beschimpft. Als die Personen den Jugendclub verließen, werden sie bereits von 30-40 Schülern erwartet. Eine Person wurden mehrere Male geschlagen und mit Füßen getreten. Die Person verlor einen Schneidezahn. Auch auf die Person mit dunkler Hautfarbe wurde eingeschlagen. Sie wurde ebenfalls getreten. Das eintreffen eines VP-Streifen-Wagens beendete die Angriffe der neofaschistischen Schüler, die die Flucht ergriffen.
Quelle: Zeitschrift telegraph, Nr. 8/89, vom 16. November 1989

1990

17./18./19./20. Februar 1990, Berlin (Ost)
In der Nacht von 17. zum 18.2.1990 wurden in Ostberlin von rechtsextremen Jugendlichen in der Choriner Straße ein Punk zusammengeschlagen sowie Scheiben des besetzten Hauses Schönhauser Allee 20 eingeworfen. (…)

Der Punk ist inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Leider hat es in Ostberlin in der Nacht vom 19. zum 20. Februar einen weiteren Vorfall gegeben. Eine Frau vom Linken Dokumentationszentrun und ein Begleiter wurden beim kleben von Plakaten der „Initiative für eine Vereinigte Linke (VL)“ von Nazi-Skins Oberfallen. Die Skins sprühten CS-Gas in die Gesichter und verprügelten die beiden brutal. Weiteren Oberfälle gab es in in Hoyerswerda und Jena.
zitiert aus: Zeitschrift telegraph, Nr. 4/90

MÄRZ 1990, Jena
Der Leseladen der Offene Arbeit Jena meldete den dritten Einbruch durch eine Gruppe Nazi-Skinheads. Beim ersten Mal setzten sie das Haus durch abtreten der Wasserhähne unter Wasser. Beim zweiten Mal zerstörten sie alles, was man mit einer Spitzhacke zerschlagen kann und beim dritten Mal legten sie Feuer im Treppenhaus. Die Offene Arbeit fungierte als Treffpunkt der Autonomen Antifa. Wahrscheinlich hatte es sich auch herumgesprochen, dass ein Ausländerkommunikationscafe in den Räumen integriert werden sollte.
Quelle: Antifa Info Blatt Ostberlin, Nr. 3/90

3. März 1990, Berlin (Ost)
Am Samstag, den 3. März griffen 100 rechte Fußballanhänger und Fascho-Skins ein besetztes Haus in der Kastanienallee 86 an. Das an diesem Tag eröffnete Cafe RAT-PUB wurde demoliert und mit. Steinen die Scheiben des Hauses zertrümmert.
zitiert aus: telegraph 5/90

15. März 1990, Potsdam
Seit 2 Wochen werden fast täglich ein besetztes Haus und ein Infocafe von Faschisten angegriffen. Die Scheiben werden zerschossen, die Anwohner angegriffen. Westberliner Fascho-Skins unterstützen die Potsdamer rechte Szene tatkräftig.
zitiert aus: telegraph 5/90

17. März 1990, Berlin (Ost)
Im Zusammenhang mit dem Fußballspiel FC Berlin (BFC) gegen Energie Cottbus wurde um ca. 15:00 Uhr das besetzte Haus Kastanienallee 85 in Berlin-Prenzlauer Berg, aus einer Straßenbahn heraus, mit Leuchtspur beschossen. Es gingen Scheiben zu Bruch.

Nach dem Fußballspiel FC Berlin (BFC) gegen Energie Cottbus überfallen ca. 300 Nazi-Hools des FC Berlin (BFC) das besetzte Haus Schönhauser Allee 20/21 in Berlin-Prenzlauer Berg. Die Nazis warfen mit Steinen und skandierten Parolen wie „Rotfront verrecke“, „Rote raus“, „kommt runter wir machen euch platt“. Einige Scheiben gingen zu Bruch. Der Versuch in die Häuser einzudringen scheiterte an den gut verbarrikadierten Türen. Nach etwa 10 Minuten rückte ein Aufgebot der Volkspolizei (VP) mit Knüppeln, Schilden und Hunden bewaffnet an. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie die Lage im Griff und die Neonazis auseinander gejagt hatten. Später sammelten sich die Nazis erneut auf dem Alexanderplatz, randaliert und griffen einige Gruftis an.

Am Abend griffen ca. 30 Nazis das besetzte Haus Schönhauser Allee 20/21 in Berlin-Prenzlauer Berg noch einmal an. Scheiben werden eingeworfen. Als die Nazis abzogen, wurden sie von einem Funkwagen der VP gestellt. Bei dem Versuch, einige Nazis festzunehmen, wurden die Polizisten von diesen angegriffen und ein Polizist wurde krankenhausreif geschlagen. Quelle: Antifa Info Blatt Ostberlin, Nr. 3/90

4. April 1990 Berlin (Ost)
12 Nazis überfallen, in einer, anscheinend von langer Hand geplanten, Aktion das besetzte Haus in der Kreutziger Str. 19. Die mit Gasmasken ausgerüsteten Angreifer versprühen CS-Gas und schlagen eine Bewohnerin krankenhausreif.

5./6. April 1990 Berlin (Ost)
Am 14.4 räumte die sogenannte Volkspolizei in Berlin-Mitte ein besetztes Haus in der Adelbertstraße. Sie raunten die im Haus befindlichen Einrichtungsgegenstände auf einen LKW und mauerten die Türeingänge zu. Die besetzten Häuser in der Adelbertstraße. wurden am 5.4, und den darauffolgenden Tagen von Faschisten angegriffen; es gingen dabei mehrere Fenster zu Bruch. Die Insassen, darunter auch Kinder wurden durch Splitter und Steine unmittelbar gefährdet. Die Faschisten treffen sich im gegenüberliegenden Jugendclub, von wo aus sie die Angriffe starten.

Die Polizei „begründete“ die Räumung der besetzten Häuser damit, dass die Häuser Angriffsziele für Faschisten darstellen… Wieder mal werden Betroffene zu Schuldigen erklärt und sollen Platz machen, um den Faschisten mehr Raum zu geben!
Das Haus wurde kurz nach der Räumung wiederbesetzt. Der Runde Tisch Berlin beschwerte sich über die Räumung beim Magistrat und dem Polizeipräsidium.

Die besetzten Häuser der Adalbertstraße in Berlin-Mitte werden von Nazis angegriffen. Mit Steinen werden diese Scheiben ein und gefährden schlafende Kinder. Die Nazis treffen sich im gegenüberliegenden Jugendklub, von wo aus sie die Angriffe starten. Als Folge dieses Überfalls wurde am 14. April 1990 eins der angegriffenen Häuser von der Volkspolizei(VP) geräumt. Die Begründung lautete, dass diese Häuser potentielle Angriffsziele für Faschisten seinen. Kurz nach der Räumung wurde das Haus wiederbesetzt.
Quelle: Antifa Info Blatt Ostberlin, Nr. 3/90

20. April 1990 Berlin (Ost)
Etwa 500 bis 600 rechte Skinheads und Hooligans ziehen nach einem Fußballspiel des FC Berlin (BFC) gegen 18.00 Uhr vor das besetzte Haus Schönhauser Allee 20/21. Dort skandieren sie Parolen wie „Rote raus“ und „CDU-FAP“. Die Volkspolizei(VP) geht gegen sie mit Schlagstöcken vor und treibt sie in Richtung Alexanderplatz.
Dort randalierten die Nazis bis ca. 21:00 Uhr. Sie verprügelten AusländerInnen und zerstörten zum wiederholten Mal das „Espresso“, (ein bekannter Treff von schwulen) unter der S-Bahn-Brücke. Später lieferten sie sich Rangeleien mit der Volkspolizei (VP), die sie mit Steinen und Flaschen bewarfen. Die Volkspolizei hielt sich sehr zurück und nahm Uber den gesamten Zeitraum 30 Nazis kurzzeitig fest. Gegen 21:00 wurde eine Gruppe Neonazis (ca. 200) im Nikolaiviertel von etwa 100 Antifas angegriffen und verjagt.
Quelle: Antifa Info Blatt Ostberlin, Nr. 3/90 und Zeitschrift telegraph, Nr. 8/90

23./24. Mai 1990 Berlin (Ost)
20 Hooligans schmeißen am 23. Mai gegen 24.00 einige Fenster des besetzten Hauses in der Ostberliner Kastanienallee 86 ein und schossen aus einer Gaspistole mehrere Tränengaspatronen ins Treppenhaus ab. Die Hausbewohnerinnen versuchten die Nazis zu vertreiben, indem sie Flaschen und Glaser aus dem Haus warfen.

Als die Volkspolizei, reichlich spät, mit 3 Streifenwagen und einem Überfallwagen erschien, enteilten die Helden des Terrors. Die Polizisten fanden aber keinen Grund ihnen hinterherzufahren. Vielmehr war ihre erste Frage an einen Punk: Haben Sie Arbeit?“. Der Einsatzleiter meinte, zerbrochene Fensterscheiben seien keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit, die nur vom Besitzer des Hauses eingeklagt werden könnte. Im Übrigen verfolge man schon deshalb nicht, „weil uns diese Bürger bekannt sind.“ Auch der Einsatz einer Gaspistole sei nicht strafbar. Seit eineinhalb Monaten zählten Gaspistolen nämlich nicht mehr als Schusswaffe. Strafbar sei das Abschießen von Gasmunition nur, wenn dabei jemand verletzt würde.

Analog verlief ein Überfall am nächsten Tag von diesmal 30 Hooligans auf die Kastanienallee 86. Nur, dass in diesem Fall die Feuerwehr ziemlich schnell erschien und tatsächlich die durch einen Molotow-Cocktail der Nazis in Brand gesetzte Haustür löschte. Die Polizei fand auch an diesem Tag keinen Grund, die Nazis zu verfolgen.
zitiert aus: Zeitschrift telegraph, Nr. 10/90

26. Mai 1990 Berlin (Ost)
Wie nach jedem Fußballspiel des FC Berlins zogen am 26.5.90 wieder ca. 300 rechte Skinheads und Hooligans nach Beendigung des Spiels grölend und randalierend vom Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Richtung Alex. Ca. 100 von Ihnen kamen über die Schönhauser Allee 5 in die Lottumstraße und griffen uns mit Steinen und Leuchtspurgeschossen an. Um dem Angriff entgegenzuwirken, ergriffen die BesetzerInnen entsprechende Verteidigungsmaßnahmen. Es gelang, die Faschos nach kurz» Zeit in die Flucht zu schlagen.

Die Faschisten zogen zum Alexanderplatz und beschäftigten sich dort, unbeteiligt von der Polizei, mit dem Verprügeln von Ausländern. Erst als ein Trupp von Punks die Faschos vertreiben wollte, wurden die Polizeiknüppel tätig, natürlich nur gegen die Punks. Keinen Fußbreit dem Faschisten!
zitiert aus: Zeitschrift telegraph, Nr. 10/90

1. Juni 1990 Berlin (Ost)
Nazis überfallen das besetzte Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße. Die Faschisten hatten keine Große Mühe, die Cafe-Tür im Tacheles-Gebäude (ehem. Camera-Kino) aufzubrechen und brutal gegen die Besetzerinnen vorzugehen. Eine Frau wurde von einem Molotow-Cocktail getroffen und liegt derzeit im Krankenhaus. Die Gefahr der Erblindung besteht. Offenbar ist es jetzt bei den Faschisten Doktrin, auch gegen Frauen vorzugehen („feministische lesbische Frauen aufmischen“ -Zitat der NA-Weitlingstrasse).

Die „undurchsichtige“ Strategie der Polizei wurde vor dem Tacheles überdeutlich: zwei Tonis warteten, ohne einzugreifen, während die Faschistenüberfalls auf Verstärkung, die lange auf sich warten Hess, da angeblich niemand zur Verfügung stand (ein Tag später, Samstag 22.00 Uhr hielt ein voller Polizei-LKW am Kollwitzplatz, um einer Anzeige wegen Ruhestörung nachzugehen).

Wegen des schlampigen Wachdienstes konnten sich in der gleichen Nacht in das besetzte Haus in der Kastanienallee 86 (Prenzlauer Berg) offensichtlich einige Nazis einschleichen, die Gashähne in einer leerstehenden Wohnung aufdrehen und die Wände mit „Juda verrecke)“ beschmieren.
zitiert aus: Zeitschrift telegraph, Nr. 11/90

2. Juni 1990 Berlin (Ost)
Faschisten und Hooligans, versuchten scheinbar ermuntert durch die „Erfolge“ in der Nacht, das Strassenfest in der Kreuziger Strasse anzugreifen. Als die Besucherinnen des Strassenfestes die Hooligans in die Flucht schlugen, ging die Polizei dazwischen und lud einige Kinder-Hooligans und einige Strassenfestbesucherlnnen aus den besetzten Häusern auf die LKWs und brachte sie zur Personalienfeststellung in eine Schule (denen könnten auch mal neue Orte einfallen).
zitiert aus: Zeitschrift telegraph, Nr. 11/90

3./4. Juni 1990 Berlin (Ost)
Zu Pfingsten überfielen einige Dutzend Nazis die besetzten Häuser in der Mainzer Straße. Sie beschossen die Häuser mit Leuchtspurmunition, warfen Steine auf Fassaden und Fenster und grölten Parolen. Doch sehr schnell formierte sich der Widerstand der BesetzerInnen. Und während die angerückte Volkspolizei(VP) tatenlos zuschaute, wurden die Nazis von dem HausbesetzerInnen in Richtung Ostkreuz verjagt.

6. bis 8. Juli 1990 Berlin (Grünau)
Vom 6. bis 8. Juli war ein Antifa-Seminar geplant, an dem sich in Westberlin lebende jugoslawische, türkische, bulgarische, palästinensische und deutsche Jugendliche mit Jugendlichen aus der DDR austauschen wollten. Das Treffen fand in der Jugendherberge „Kiefert“ in Berlin-Grünau statt. Bereits im Vorfeld sei die Buchung der Herberge schwierig gewesen.

Bereits am Freitagabend wurden die Jugendlichen von ca. 40 Faschisten überfallen. Es gab mehrere Verletzungen, einem Mädchen wurde mit einer Flasche ins Gesicht geschlagen. Der Heimleiter wollte anfänglich die Polizei nicht verständigen (er sei „irritiert gewesen“).
Als diese dann erschien, habe sie der Schlägerei nur zugesehen und auch den ausländischen Jugendlichen einen Begleitschutz verwehrt, berichteten betroffene Jugendliche. Inzwischen soll der Westberliner Senat eine Strafanzeige wegen Untätigkeit gegen die diensthabenden Volkspolizisten erwägen.

Als sich am folgenden Tag ein Referent beim Heimleiter nach dem Seminar erkundigte, bekam er nur die lakonische Antwort, die Jugendlichen seien wieder abgereist – von den Vorfällen am Vortag erwähnte der Heimleiter nichts.
Quelle: Flugblatt des Unabhängigen Kontakttelefons Ostberlin, vom 9.7.1990

21. Juli 1990, Berlin-Ostbahnhof
Der Zug Warschau – Paris kommt an. Die Bahnpolizei versucht Polen am Aussteigen zu hindern, mit der Begründung, sie könnten ja woanders aussteigen. Die Leute drängen aus dem Zug und werden von der BePo vertrieben. Wasserwerfer, Gas, Knüppel werden angewandt, Hunde haben sie außerdem dabei.

24. Juli 1990, Berlin-Ostbahnhof
10 – 12 Faschos, Nazis (ca. 20 – 25 Jahre) halten sich in der Nähe der Gepäckfächer auf. Eine kleinere Gruppe Bulgaren geht zu den Gepäckfächern. Ein Bulgare wird von einer Bierflasche im Gesicht getroffen, ein Anderer, von den Nazis/ Faschos zusammengeschlagen, die Anderen fliehen. BePo-Einsatz.

27. Juli 1990, Berlin-Ostbahnhof
Bulgaren, Rumänen schlafen im Bahnhof. Sie werden mittels Knüppeleinsatz geräumt und sammeln sich auf dem Parkplatz vor dem Ostbahnhof. BePo rückt an und treibt die Leute auseinander. Tränengaspistolen und Wasserwerfer werden eingesetzt. Es entsteht eine Paniksituation, die Leute werfen ihr Gepäck in die Büsche, Taschen und Pässe verschwinden.

28./29. Juli. 1990, Berlin/Ost
in der Nacht vom Samstag zu Sonntag, in den Zeit zwischen 22 und 1 Uhr, greifen 6 Faschisten die im Bahnhof kampierenden bulgarischen und rumänischen Flüchtlinge an. Daraufhin ziehen starke Polizeikräfte mit Helm, Schild, Knüppeln und Hunden im Bahnhofsfoyer auf.

Aber statt die Faschisten zu verjagen, prügelten und traten die Polizisten die rumänischen Frauen, Kinder und Männer brutal aus dem Bahnhofsgebäude und dem Bahnhofsgelände. Panisch flüchteten sich die Rumänen und Bulgaren mit ihrer spärlichen Habe auf den Mauerstreifen (Nähe Köpenicker Straße) 13 Bulgaren wurden festgenommen.

Westberliner und Ostberliner Polizei verhinderten gemeinsam, dass die Flüchtlinge Westberliner Territorium betraten. Herbeieilende Antifas wurden auf dem Hauptbahnhof von den Staatsschützern beschimpft und ihnen wurden Prügel angeboten. Die Flüchtlinge mussten sich die ganze Nacht auf dem Grenzstreifen aus Angst vor Nazis und Polizisten verkriechen.
zitiert aus: Zeitschrift telegraph 13/1990

29. Juli 1990, Berlin-Ostbahnhof
Nur Trapos da und ca. 15 Leute die von den Bulgaren wiedererkannt werden, als Nazis, ca. 24.00 Uhr
Es sind ungefähr 30 Antifaschistinnen auf dem Ostbahnhof, ca. 1.00 Uhr
15 LO’s kommen, die Bulgaren und Rumänen gehen, bevor sie abgeräumt werden können auf den Mauerstreifen. Die Bullen sind in aggressiver Siegerstimmung.

30. Juli 1990, Berlin-Ostbahnhof
ca. 8.00 oder 9.00 Uhr Einsatzbullen verjagen die Leute vom Mauerstreifen

15. August 1990 Berlin (Ost)
Mittwoch (15.8.90), .00 Uhr nachts, wurde das Jessica-Proll-Haus (Jessner Str. 41) von 6 Faschos mit Leuchtspurmunition angegriffen. Als wir begannen uns zu verteidigen, flüchteten die Faschos über den Traveplatz. Wir nahmen die Verfolgung mit dem Auto auf, konnten sie aber nicht mehr finden und fuhren direkt in die Mainzer Straße.
Quelle: BesetzerInnenZeitung, Nr.01/1990

25. August 1990 Berlin (West)
Am Samstag, den 25.8. griffen ca. 6 Neonazis um 0.30 Uhr das besetzte Haus Marchstr. 23 an. Sie bewarfen die BewohnerInnen mit Pflastersteinen und Flaschen, zerstörten einige Fenster.
Als die BewohnerInnen sie entlang des Einsteinufers verfolgten, wurden sie aus einem Hinterhalt von weiteren 9 Faschisten mit Eisenstangen, Baseballkeulen und CS-Gas angegriffen. Dabei wurden 2 BewohnerInnen verletzt. Trotzdem gelang es die Neonazis mit Hilfe einiger „ausländischer“ PassantInnen zurückzuschlagen. Die Gruppe flüchtete, unbehelligt von einer inzwischen eingetroffenen Polizeistreife, mit 2 wahrscheinlich Westberliner Militärgeländewagen entlang der Cauerstr. In Richtung Otto-Suhr-Alle. Es waren Glatzen mit Bomberjacken, sowie Faschos mit HJ-Schnitten und Hemden, alle Mitte 20, z.T. waren sie mit Kapuzenpullis vermummt. Geflohen sind sie mit u.a. einem Kübelwagen (eckiger Jeep) mit ockerfarbenen Flecken auf olivgrünem Untergrund(Wüstentarnung), der ein W-Berliner Kennzeichen hatte. (…) Das ganze Vorgehen der Faschisten wirkte organisiert und wurde durch Befehle einzelner koordiniert. Das alles lässt auf eine Gruppe organisierter Neofaschisten schließen. (…)
Quelle: BesetzerInnenZeitung, Nr.02/1990

29. August 1990, Berlin
Verschiedene kleinere Fascho-Angriffe übers Wochenende. Jeweils Gruppen von ca. 6 Faschos griffen in der Nacht von Samstag die Rigaer 84 und die Jessener 41 an. Letzten Donnerstag drei kleine Faschoangriffe in der Pfarrstraße, wo auch mit Mollis geschmissen wurde. Ein Angriff auf die Marchstraße von ca. 15 hard-core Faschos.
Quelle: BesetzerInnenZeitung, Nr.02/1990

01. September 1990 Guben/Neiße
80 bis 100 Nazis aus der Stadt und der Region griffen das einzige besetzte Haus in Guben an. Etwa 35 Personen, darunter 20 BesucherInnen der Ostberliner Hausbesetzerszene gelang es, das Haus über eine halbe Stunde zu verteidigen. Die anwesende Volkspolizei griff nicht ein, sondern beobachtet das ganze aus sicherer Entfernung. Nachdem ein Großteil der Nazis, angesichts der massiven Gegenwehr, den Angriff auf das Haus einstellte und sich fluchtartig zurückzog, begannen die HausverteidigerInnen verstreute und zurück gebliebene Nazis zu verfolgen und direkt anzugreifen. Erst da griff die Polizei ein und hinderte die VerteidigerInnen an weiteren Handlungen. Gegen 2:30 in der nacht wurden die BerlinerInnen von der Volkspolizei aus Guben eskortiert. Quelle: BesetzerInnenZeitung, Nr.03/1990

Anfang September, Dresden
Auf einer PDS-Kundgebung mit 6000 Menschen tauchen ca. 30 Faschisten auf. Vollkommen unbehelligt können sie laut und massiv Parolen grölen und die Veranstaltung sprengen.

22. September 1990 Dresden/ Elbwiesen
Ca. 100 Faschisten belagern und terrorisieren ein PDS – Platzfest, auf Dresdener Elbwiesen. PDS – Fähnchen werden angezündet. Während einer Rede von Gregor Gysi kommt es zu Flaschenwürfen und faschistischen Sprechchören.
Die anwesende Polizei greift nur während der Rede von Gysi kurz ein. Sonst bleibt sie passiv. Gysi fordert die Fest-BesucherInnen per Mikrofon auf, sich von den Nazis nicht provozieren zu lassen: „Wir sind keine Extremisten, gehen nicht auf ihre Ebene ein.“
Ein aus Berlin angereister linker Infostand wird die gesamte Zeit von Faschisten bedrängt, beschimpft und bestohlen. Die zahlenmäßig ausreichend anwesenden Ordner der PDS verhalten sich dabei passiv und kommen dem Infostand-Betreiber nicht zur Hilfe. Im Gegenteil. Er wird aufgefordert, alles zu entfernen, was die Faschisten provozieren könnte. Später wird er von den Festverantwortlichen der PDS aufgefordert, seinen Info-Stand ganz abzubauen.

22.9.1990, Dresden-Neustadt (Altstadt von Dresden)
Ein Haus, daß sich nach außen als besetzt zu erkennen gibt, wird am helllichten Tag von Faschisten belagert. Einige Faschisten versuchen, das Haus von hinten mit Molli’s anzugreifen. Hunderte Menschen sind auf der Straße, um das Haus herum. Dem Aussehen nach sind es viele „linke Szene-Sympathisanten!?“ Alle wissen wohl davon. Doch niemand hilft. Alle sind nur zum interessierten Gaffen gekommen. Laufen um die angrenzenden Blöcke herum, begleiten und beobachten die Faschisten bei Ihren Angriffen. Die BesetzerInnen warten wie die Mäuse auf die Katze. Die Polizei kommt ab und zu zum diskutieren und sanftem abdrängen vorbei. Irgendwann verlieren die Faschisten das Interesse und ziehen ab. Auch die Gaffer verziehen sich in die umliegenden Szene-Lokalitäten der Neustadt.

Das Neo-Nazi-Haus Weitlingstraße 122 in Berlin-Lichtenberg

von Dietmar Wolf

Zuerst veröffentlicht auf telegraph.cc

Von nun ab war ein Tabu innerhalb der rechten Szene gebrochen und Hausbesetzung nicht mehr allein Privileg linksorientierter Kräfte.

Das NAZI-Haus Weitlingstraße 122 im Jahr 1990

Das NAZI-Haus Weitlingstraße 122
im Jahr 1990

Die  NA wurde von einer Gruppe Ostberliner Nazi-Skinheads am 30. Januar 1990 gegründet. In den 1980er Jahren nannte sie sich zunächst „Lichtenberger Front“ und später „Bewegung 30. Januar“.  Nach der sogenannten „Wende“ erhielt die „Nationale Alternative“ große Unterstützung durch die österreichische „Volkstreue außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO) von Gottfried Küssel, sowie der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) um Michael Kühnen.

Zu den wichtigsten Gründungsmitgliedern und führenden Protagonisten der NA gehörten Ingo Hasselbach (ab Mitte der 1990er Jahre einer der bekanntesten AussteigerInnen aus der deutschen Neo-Nazi-Szene), Frank Lutz, Heiko Baumert und Andre Richert. Wenig später gehörte auch Oliver Schweigert, ein Westberliner Neonazi-Kader, zum Führungspersonal der NA. Schweigert, der seit den 1980er Jahren sehr aktiv war (FAP, GDNF-Bereichsleiter Ost, NSDAP-AO, Die Nationalen, usw.) und zu den wichtigsten Vertrauten von Michael Kühnen gehörte, hatte schnell großen Einfluss innerhalb der NA. Er war zeitweise der Vorsitzende der NA und der sogenannten „Bürgerinitiative Wohnraumsanierung e.V.“ (WOSAN), dem offiziellen Mieter der Weitlingstraße 122.


 

Heiko Baumert

Heiko Baumert,
Quelle: antifa-nazis-ddr.de

Heiko Baumert (oben) und Frank Lutz aus Ost-Berlin,
waren Mitbegründer der Lichtenberger Front (1986), der Bewegung 30.Januar (1988).

Beide wurden 1988 wegen ihrer Naziaktivitäten (Rowdytum, Störung des sozialistischen Zusammenlebens) zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt, kamen aber nach der Wende, auf Grund einer Amnestie der Modrow-Regierung, vorzeitig aus dem Knast.

 

 

Frank Lutz

Frank Lutz,
Quelle: antifa-nazis-ddr.de

en sie zusammen mit Ingo Hasselbach und André Richert die Nationalen Alternative (1990). Lutz war der erste Vorsitzende der NA, Baumert war Schriftführer und unterschrieb den Vertrag zwischen der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) und der BI Wosan e.V. für die Weitlingstraße 122.

Nach dem Ende der NA betätigten sich beide weiter, unter anderem in der FAP-Berlin.

 

 

Ingo Hasselbach Pfannschmidt

Ingo Hasselbach Pfannschmidt,
Quelle: antifa-nazis-ddr.de

Ingo Hasselbach Pfannschmidt aus Ost-Berlin,
war Mitbegründer der Lichtenberger Front (1986), der Bewegung 3O.Januar (1988), der Nationalen Alternative (Februar l990), der Deutschen Alternative (war dort erster stellvertretender Vorsitzender). Hausführer im Nazi-Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße, Führungskader der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF)“. Gehörte über Jahre zum Führungskader der Deutschen Neonaziszene.

Anfang 1993 erklärte er seinen Ausstieg aus der Naziszene: „…Im November 1992 verbrannten nach einem Anschlag eine türkische Frau und zwei Kinder in einem Haus in Mölln. Ich erinnere mich noch, wie ich diese Nachricht in den Frühnachrichten im Radio hörte. Ich habe mich noch nie so klein und elend gefühlt. Die Geister, die ich mit meinen „Ausländer raus“-Parolen gerufen hatte, waren da. So brutal das klingen mag: Ich habe diesen Urknall gebraucht, der Tod dieser drei unschuldigen Menschen war für mich der Weckruf, ins Leben zurückzukehren und gegen den Wahnsinn zu kämpfen…“ .

Aus Angst vor Rache, tauchte er unter. Erst in Paris und dann in New York: „… Kurz nach meinem Ausstieg bekam meine Familie eine an mich adressierte, fast ein Kilo schwere Buch-Bombe geschickt. Dass sie nicht explodierte, war Zufall. Die Batterie hatte sich auf dem Postweg entladen. Wäre sie hochgegangen, hätte es Tote gegeben …“.

André Riechert

André Riechert,
Quelle: antifa-nazis-ddr.de

André Riechert aus Ost-Berlin,
gehört zu den Mitbegründern der Lichtenberger Front (1988).

1990 wurde er Pressesprecher der Nationalen Alternative und später Mitglied der DA und der GdNF. Obwohl es bald ruhig um ihn wurde tauchte er immer wieder auf verschiedenen Aufmärschen und Veranstaltungen der Naziszene auf, so zum Beispiel 1993 auf dem 1.Mai-Aufmarsch der FAP in Berlin-Lichtenberg.

 

 


Als Reaktion auf die Besetzungen der Neonazis am 18. Februar und als Ergebnis von Verhandlungen bot die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) Lichtenberg den Neo-Nazis das Haus Weitlingstraße 122 (Ecke Lückstraße) als alternatives Objekt an. Am 5. März 1990 erhielten die Nazis der NA dann ein legales Mietverhältnis für die Weitlingstraße 122.  Zur gleichen Zeit wurden die leerstehenden Häuser Weitlingstraße 115, 117 und Lückstr. 24, eher temporär, von Nazi-Kids aus dem Umfeld der Lichtenberger NA besetzt und frequentiert.

Das gerade diese Häuser besetzt wurden, hatte historische Hintergründe. Bereits 1986 wurden sie schon einmal von Nazis besetzt. Damals waren diese Wohnungen vorrangig an ehemalige Strafgefangene vergeben worden. Jedoch standen oft Wohnungen leer, weil Bewohner wieder ins Gefängnis kamen oder unbekannt verschwanden. In diese Wohnungen zogen damals Nazis ein und hielten die übrigen Bewohner über längere Zeit durch Gewalt unter Kontrolle. Aus Furcht vor Schlägen trauten sie sich nicht Anzeige zu erstatten. Erst durch die Anhäufung von Anzeigen und Beschwerden von Anwohnern anderer Häuser sah sich die Stasi genötigt, die besetzten Wohnungen zu räumen und die rechten Besetzer kurzzeitig festzunehmen.

Am 27. April 1990 stürmten, spektakulär und medial inszeniert, Sondereinsatzkräfte der (Ost)Deutschen Volkspolizei(DVP) das Haus und durchsuchten es. Es wurden Waffen und Propagandamaterial beschlagnahmt. Der gesamte NA-Vorstand wurde kurzzeitig festgenommen. Grundlage der Polizeiaktion war ein Ermittlungsverfahren, dass zur gleichen Zeit gegen die NA eingeleitet wurde, als die KWV der Nazi-Partei das Haus übergab und dies auch vertraglich absicherte.

Antifaschistischer Widerstand und eine Demonstration gegen die Nazi-Häuser in Berlin Lichtenberg
Ab dem Zeitpunkt der legalen Übernahme des Hauses Weitlingstraße 122 durch die NA wurde das Haus zu einem der wichtigsten Zentren für Nazis in ganz Deutschland und im Ausland. Viele Nazikader, unter anderen Michael Kühnen, Christian Worch und Gottfried Küssel, besuchten und nutzten diesen Ort. Gleichzeitig war das Haus Ausgangspunkt für faschistische Aktivitäten und gewaltsame Überfälle auf besetzte Häuser, linke und alternative Kneipen, auf AusländerInnen und auf linke und alternative Menschen. Und dies nicht nur in Lichtenberg, sondern auch in anderen Berliner Stadtbezirken.

Dies nahm ein breites Berliner Bündnis zum Anlass, eine große Demonstration durch Lichtenberg und gegen das Nazi-Haus in der Weitlingstraße zu organisieren, die am 24. Juni 1990 stattfand.

Antifaschistische Demonstration in Lichtenberg am 24. Juni 1990

Antifaschistische Demonstration
in Lichtenberg, am 24. Juni 1990,
Quelle: Archiv telegraph

Trotz umfangreicher Vorbereitungen und 41 Unterstützergruppen von Autonomen, Antifa-Gruppen bis hin zu Grünen, Vereinigte Linke und Jugendorganisationen, war die Demo zum überwiegenden Teil durch das autonome Spektrum geprägt. Schwarze Kleidung, vermummte Gesichter, Helme, optische Demoausrüstung aus jahrelanger Erfahrung mit Polizei und Kameras im Westen, aber auch der Angst vor den Faschisten. Die VertreterInnen und UnterstützerInnen aus dem Bürgerbewegungs- und Parteienspektrum glänzten mehrheitlich durch Abwesenheit. Wie auch heute immer wieder zu merken ist, heißt in diesen Organisationen, einen Aufruf mit zu unterstützen nicht automatisch, selbst zu mobilisieren, geschweige denn, persönlich zu erscheinen. PolitikerInnen solcher Organisationen ist offensichtlich die Unterschrift unter einen Aufruf antifaschistisches Bekenntnis genug. Folglich kamen lediglich 5000 Menschen, obwohl es gut und gerne Zehntausende hätten sein können. Das Ergebnis des Ganzen war ein sich militant gebärdender Schwarzer Block, der durch Lichtenberg zog und sich, entnervt von langweiliger Latscherei, mit gelegentlichen, vollmundigen und kampflüsternen Parolen gegen Nazis und Polizei, halbwegs bei Laune hielt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil fieberte dem Ende der Demo und dem erhofften Show-Down mit den Nazis oder zu mindestens mit der DVP entgegen. Doch dieses Ende wurde erst gar nicht abgewartet. An der dem Nazi-Haus am nächsten gelegenen Polizeisperre, einige hundert Meter vor dem Abschlusspunkt der Demo, hielt es die StraßenkämpferInnen nicht mehr in den Ketten. Etwa 500 „Militante“ ließen Demo Demo sein und versuchten den Volkspolizisten das zu geben, was sie den unerreichbaren Nazis, die auf den sicheren Häuserdächern feixend zusahen, nicht geben konnten. Allerdings war das auch nur eine Illusion. Nach anfänglicher Irrita¬tion seitens der DVP, die bis dahin kaum Erfahrungen mit entschlossenen militanten DemonstrantInnen hatte, sich erst einmal zurückzog und mehrere ihrer LKW’s den Molotow-Cocktails der Angreifer überließ, schlug sie nur Minuten später die DemonstrantInnen zurück. Damit war der große Kampf schon beendet. Zum Glück war der größte Teil der DemonstrantInnen vernünftig genug, die Demonstration zu Ende zu führen.

Antifaschistische Demonstration in Lichtenberg am 24. Juni 1990

Antifaschistische Demonstration
in Lichtenberg, am 24. Juni 1990,
Quelle: Archiv telegraph

Von rechts bis links boten die großen Zeitungen am Montag nach der Demo ihren Lesern die gleichen Schlagzeilen: „Die blutige Schlacht der West-Chaoten“ (Bild), „400 Radikale inszenierten blutigen Krawall“ (ND), „Extremistische Krawalle nach antifaschistischer Demonstration“ (Berliner Zeitung), „Am Ende siegte nur der Haß“ (Junge Welt). Derartige Ergüsse waren der Höhepunkt der Pressekampagne, mit der schon im Vorfeld versucht wurde, die Demo zu diskreditieren. Auch seitens der zuständigen Regierungsstellen wurde vorher alles versucht, um die Demonstration zu mindest einzudämmen. Erst versuchte der Stadtbezirksbürgermeister die Route umzulegen,  in die Seitenstraßen zu drücken oder wenigstens möglichst weit weg vom Grund der Demonstration. Als das nicht klappte, wurden 2500 Volkspolizisten aufgeboten und das Gebiet um die Weitlingstraße weiträumig abgeriegelt.

Antifaschistische Demonstration in Lichtenberg am 24. Juni 1990

Antifaschistische Demonstration
in Lichtenberg, am 24. Juni 1990,
Quelle: Archiv telegraph

Letztendlich muss man feststellen, dass es die, an dieser Stelle unnützen und kontraproduktiven militanten Aktionen während der Demonstration waren, die den medialen Hetzereien im Vorfeld und im Nachgang Recht gaben und Vorschub lieferten. Immerhin war die Demonstration nicht völlig umsonst gewesen. Der Druck gegen das NA-Haus in der Weitlingstraße 122 erhöhte sich zunehmend und trug wesentlich dazu bei, dass dieses Nazi¬-Nest sehr bald aufgegeben werden musste. Einer der wenigen Erfolge, die durch eine hart¬näckige und gruppenübergreifende Antifa-Arbeit erreicht wurde.

Das Ende des Nazi-Zentrums
Bereits Mitte der 1990er Jahre war der innere Zerfallsprozess in der Weitlingstraße 122, sowie innerhalb der NA im vollen Gange. Zum Bruch mit der GdNF war es bereits 1990 gekommen. Anlass war zum einen eine Diskussion über die Homosexualität von Michael Kühnen und zum anderen das von Kühnen durchgesetzte „Aktivitätsbeschränkungsgebot“ für die „Nationale Alternative“ auf Berlin. Ein Teil der Anhänger wechselte in die „Deutsche Alternative“ (DA). Aus der „Nationalen Alternative“ ging der „Freundeskreis Revolutionärer Volkssozialisten“ und die „Kameradschaft Sozialrevolutionärer Nationalisten“ hervor. Formell wurde die NA nie aufgelöst.

Das Haus Weitlingstraße 122 wurde im Laufe der 1990er Jahre von den Neo-Nazis selbst aufgegeben. Nach der freiwilligen Selbst-Räumung der Weitlingstraße 122 wurde das Haus durch Brandstiftung unbewohnbar gemacht.

Weitlingstraße 122 Ecke Lückstraße, 14. Januar 2008, Quelle: Wikipedia

Weitlingstraße 122 Ecke Lückstraße,
14. Januar 2008,
Quelle: Wikipedia

Doch auch in den darauf folgenden Jahren blieb der Wohnkiez um die Weitlingstraße weiter in den Schlagzeilen. Immer wieder kam es dort zu rassistisch und politisch motivierten Angriffen von Neo-Nazis. Besondere Aufmerksamkeit erregten zwei Überfälle auf die damaligen PDS-Politiker Giyasettin Sayan am 18. Mai 2006 und Kirill Jermak am 26. November 2006.

Seit 2007 ist  die Bundes- und Lokalpolitik mit gut dotierten Fördermittelprogrammen bemüht, die dortige Nazi-Problematik einzudämmen. Allein in den Jahren 2007 bis 2010 wurden jährlich 100.000 Euro zur Finanzierung eines „Aktionsplan gegen Gewalt und Rechtsextremismus im Weitlingkiez“ bereitgestellt.

Textquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weitlingkiez
https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Alternative
http://www.antifa-nazis-ddr.de/n/ddr-nazis-fotos-und-fakten.php
http://www.squatter.w3brigade.de/content/geschichte/die-hausbesetzerbewegung-ost-berlin-teil2
Drahtzieher im braunen Netz – Der Wiederaufbau der NSDAP, ID-Archiv im IISG (Hg.)

Fotoquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Weitling-Lueckstr.jpg
http://www.squatter.w3brigade.de/content/geschichte/die-hausbesetzerbewegung-ost-berlin-teil2
http://www.antifa-nazis-ddr.de/n/ddr-nazis-fotos-und-fakten.php
http://telegraph.cc/die-mainzer-strasse-chronologie-einer-raeumung/

Video: Nazivideo der Nationale Alternative von 1990
Ein von den Nazis der Nationalen Alternative im Sommer 1990 selbst gedrehtes Video, vor und während der Antiaschistischen Demonstration gegen das Nazihaus in der Weitlingstraße (Berlin_Lichtenberg)
Quelle: YouTube, http://www.antifa-nazis-ddr.de/videothek.php

Extreme Rechte in der DDR

– VON FRANK SCHUMANN , ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT, NR. 75, FRÜHJAHR 2007 –

Am Abend des 9. November 1989 hockte ich in Potsdam auf einem Podium. Neben mir saßen ein Vertreter der jüdischen Gemeinde, Heinz Vietze – vormals Jugendfunktionär, seit kurzem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung -, einige aufgeregte Jugendliche sowie Offizielle, an deren Namen und Amt ich mich nicht erinnere.

Anlass der kurzfristig anberaumten Diskussionsrunde, die, wie die meisten in jenen Wochen, in einem überfüllten Saal stattfand, war ein in jeder Hinsicht skandalöser Vorgang: Jugendliche hatten in der Bezirksstadt mit einer Lichterkette an das faschistische Pogrom vor 52 Jahren erinnert. Die Volkspolizei hatte sich etliche Mädchen und Jungen gegriffen und »zugeführt«. Die Begründung war formal-rechtlich korrekt, weshalb man sich ihrer offenkundig bis heute bedient: Die Demonstration war nicht angemeldet worden. Jedoch änderte dies nichts an der beschämenden Tatsache, dass eine eindeutig antifaschistische Bekundung von den Exekutivorganen eines antifaschistischen Staates unterbunden worden war. Das vor allem hatte nicht wenige in Potsdam aufgebracht.

Wie ist so was überhaupt möglich, wurde vornehmlich Vietze immer wieder gefragt, denn zu jener Zeit fühlte sich »die Partei« nicht nur für alles zuständig: Sie war es auch. Der Potsdamer Parteiobere mühte sich ehrlich (was wohl auch erklärt, weshalb er noch immer im Brandenburger Landtag sitzt). Er distanzierte sich von diesen Übergriffen, was seiner inneren Überzeugung zu entsprechen schien, und verwies darauf, dass in jeder Uniform auch nur ein Mensch mit Macken stecke. Mit dem Hinweis auf individuelle Besonderheiten hatte er zwar die Lacher auf seiner Seite, zumal man solch offenherzigen Bekundungen von hochrangigen SED-Funktionären bis dato nicht vernommen hatte. Doch jeder, der über den Tellerrand einer Volkspolizei-Schirmmütze hinausdachte, war sich bewusst, dass Vietzes Auskunft zwar nicht falsch war, jedoch nicht den Kern des Problems berührte.

Wir gingen gleichermaßen ratlos wie ermutigt (»Immerhin kann man jetzt darüber reden!«) auseinander. Ich fuhr mit meinem radiolosen Trabant über Teltow und Schönefeld nach Berlin-Mitte, wo die Redaktion der Jungen Welt ihren Sitz hatte. Als ich am Grenzübergang Oberbaumbrücke vorüberfuhr, nahm ich eine große Ansammlung wahr. Ich sah, wie sich Menschen krumm machten und andere auf ihrem Rücken irgendwelche Papiere ausfüllten. In der Redaktion saß die B-Schicht wie immer in ihrem Abteil und gab Meldungen für die Hauptstadtausgabe in Satz, auf dem Fensterbrett dudelte der Schwarzweiß-Fernseher. Ich fragte den B-Chef (der heute im Bundestag arbeitet), ob es etwas Besonderes gäbe und berichtete von meiner Beobachtung an der Brücke. Und der antwortete lakonisch, als teile er mir die Uhrzeit mit: »Die haben die Grenze aufgemacht.«

24 Stunden später saß ich zwischen 0 und 2 Uhr in einem Rundfunkstudio in der Nalepastraße zwischen den Chefredakteuren des DDR-Jugendfernsehens und von DT 64 und durfte live – dies betonte man immer wieder, was wohl die Erstmaligkeit des Vorgangs unterstreichen sollte – über die Konsequenzen der überraschenden Grenzöffnung meditieren. Unablässig wurden vermeintliche oder tatsächliche Hörerfragen hereingegeben. Ich gefiel mir in einer Außenseiterrolle, denn im Unterschied zu den anderen erklärte ich, dass der Mauerfall erstens das Ende der DDR bedeute und zweitens, dass jetzt auch dieser ganze unterschwellige nazistische Rotz hochkäme. In jeder Gesellschaft gäbe es einen braunen Bodensatz, auch in der unsrigen. Wir würden Zeugen eines Vorgangs werden, der vergleichbar wäre mit dem Zug einer Schleuse: Das angestaute Wasser würde hindurch schießen und den ganzen abgelagerten Dreck aufwirbeln, der schon immer, aber bislang unbemerkt, vor und hinter dem Wehr auf dem Grunde lagerte…

Diese Kassandra-Rufe entsprangen ausschließlich meiner Ratio. Emotional sperrte ich mich dagegen. Ich lief noch bis zum 3. Oktober 1990 zu jeder Demo, die sich für die Eigenständigkeit der DDR aussprach, obgleich doch der Drops längst gelutscht war, wie der Berliner sagt. Und jede Neonazischmiererei, jeder Fascho-Aufzug, jeder Heil-Ruf, jeder Hass- und Hetzbrief, der die Redaktion erreichte, wühlten mich trotzdem unverändert auf. Unter den rund 600 Zuschriften, die die Junge Welt täglich erhielt, gab es zunehmend auch solche. Doch das war nicht neu. Nur die Menge überraschte.

Anpassung und Ausbruch
Wer aufmerksam die DDR-Gesellschaft erlebte, dem konnten die stetigen Veränderungen insbesondere in den 1980er Jahren nicht entgehen. Vor allem unter den Jugendlichen. Das lag zwar in der Natur der Biologie. Aber eben nicht nur. Es hatte auch etwas mit dem normierten Dasein zu tun. Wenn ein junger Enthusiast meinte, er wolle der Weltrevolution voran helfen und darum als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen oder sich einer Befreiungsbewegung in Lateinamerika anschließen, hieß es strafend: Deine Barrikade ist die Drehbank! Die Revolution findet im sozialistischen Wettbewerb statt. Das geregelte, gesicherte Dasein war in diesem Alter nicht nur öde, sondern auch lähmend. Die geforderte Anpassung – ein Vorgang, der sich offenkundig wiederholt – provozierte auch den Wunsch nach auffälligen Ausbruch. Und zweifellos lieferte die Welt draußen dafür auch Anregungen, wie das geschehen konnte. Denn trotz Mauer und eingeschränkter Reisemöglichkeit tauchten auch die DDR-Bürger in den globalen Nachrichtenstrom ein. Diesen Umstand nahmen die DDR-Oberen als ausschließlichen Grund, daß es plötzlich hierzulande auch Punks, Popper, Red-Skins und Glatzen, Faschos und andere bunte Vögel gab. Sie interpretierten dies ausschließlich als Reflex auf auswärtige Entwicklungen, als modische Verirrung Heranwachsender und ungenügende »ideologische Arbeit« des Jugendverbandes. Kurz: als Westimport. Es kam ihnen überhaupt nicht in den Sinn, daß dies sehr wohl auch etwas mit ihrer Politik und der inneren Verfassung der DDR-Gesellschaft zu tun hatte. Die utopische Vision, mit der die Gründergeneration der DDR einst aufgebrochen war – nämlich eine alternative Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Anpassungsdruck, von Bevormundung und Repression zu schaffen – hatte sich spürbar erledigt. Übriggeblieben war eine ums Überleben kämpfende arme Kleinbürgerrepublik, deren Führung glaubte, die reiche kapitalistische Großbürgerrepublik mit deren eigenen Waffen schlagen zu können. Das war nicht nur illusionär und weltfremd. Es verspielte auch Vertrauen in die Fähigkeit der Führungsmannschaft, das Staatsschiff zu steuern. Die Massenloyalität, von der die DDR in ihren ersten beiden Jahrzehnten durchaus getragen wurde, verlor sich bis zum Ende der 1980er Jahre gänzlich. Das ist in allen Untersuchungen des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung (ZU) dokumentiert. (Nicht grundlos schloss Honecker in den 70er Jahren das andere, beim ZK der SED angebundene Meinungsforschungsinstitut der DDR: Mit empirisch belegten Wahrheiten hatte er Probleme.) Zu dieser Wahrheit gehörte auch: Wie der deutsche Zwilling BRD war die DDR mit den Lasten der Vergangenheit geschlagen. Doch diese wurden noch potenziert mit den Belastungen der Gegenwart. Eigentlich führte die DDR von Anfang an einen Zweifrontenkrieg: gegen den Klassenfeind im Westen und gegen den großen Bruder im Osten. Da blieb zwangsläufig vieles liegen, auch manches, was zur geistigen Hygiene notwendig dazugehörte, was nun heute, nachdem die Schlacht geschlagen und verloren ist, billig konstatiert werden kann. Das vielleicht größte Manko war eine fehlende Dynamik auf den meisten Politikfeldern, die den Entwicklungen Rechnung trug. Der Reformstau ist nicht nur ein aktueller Begriff. Hinzu kam: Gesellschaftliche Probleme wurden nicht, wie erforderlich, politisch, sondern zunehmend repressiv gelöst. Diese Neigung scheint jedem politischen System innezuwohnen. Zum Versagen der DDR gehörte auch – und mit dieser Aussage sollen keineswegs etwa die beachtlichen Leistungen bei der künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur ignoriert werden -, nicht angemessen auf die Veränderungen reagiert zu haben, die sich zwangsläufig aus der Generationenfolge ergaben. Einem Heranwachsenden in den 1980er Jahren den Faschismus aus der Perspektive eines eingekerkerten antifaschistischen Widerstandskämpfers zu erklären, war so unwirksam und verhängnisvoll wie das Verschweigen, wie man hierzulande nach 1945 mit den Millionen Mitläufern und Mitmachern umgegangen ist. Denn die ehemaligen NSDAP-Mitglieder lebten nicht nur in Westdeutschland. Zweifellos kamen belastete Nazi- und Kriegsverbrecher in der DDR nicht zu bedeutenden Ämtern und anderen Ehrungen, und jene wenigen, die trotz brauner Vergangenheit eine gesellschaftliche Rolle spielten, räumte man das Recht auf Einkehr und Umkehr, auf eine Änderung der Überzeugung ein. (Diese zweifellos dem Menschen eigene Fähigkeit gestand man scheinbar jedoch nur den in der DDR Lebenden zu.) Antifaschismus als Haltung wurde von Staatswegen gefördert. Es war – anders als in der BRD – Staatsdoktrin und Verfassungsauftrag. Und er wurde von den meisten Menschen in der DDR auch individuell gelebt. Auf der anderen Seite stellte sich die Führung, die mehrheitlich im Widerstand, im KZ, in Zuchthäusern oder im Exil Faschismus und Krieg überlebt hatte, als die Inkarnation des Antifaschismus dar. Zweifellos verdiente die Tatsache, sich der Barbarei widersetzt und für deren Beendigung gekämpft zu haben, eine größere Beachtung und Würdigung als das Duckmäusertum von Millionen Opportunisten. Doch es entschuldigte nicht die Fehler und Irrtümer, die diese Menschen jetzt machten. Sie benutzten den Antifaschismus gleichsam als ihren Schutzschild, als Monstranz. Wer dagegen opponierte, musste mit heftiger Reaktion rechnen. An dieser Stelle reagierten sie besonders empfindsam. Das lud zwangsläufig zur Provokation ein. Und davon machten insbesondere Jugendliche zunehmend Gebrauch. Ich widerspreche darum entschieden der heute kolportierten Auffassung, dass die Ostdeutschen besonders anfällig für Nazi-Ideologie gewesen seien, weil sich im Grundsatz das Hitlerreich nur graduell von der Honeckerdiktatur unterschieden habe. Was jenem tradierten Argumentationsmuster entspricht, Kommunisten seien rotlackierte Faschisten. Wie passt dazu, dass sich unter den in der DDR auffälligen Neonazis auch ausgemachte Antikommunisten mit einem fest umrissenen Weltbild befanden? Der heute von ostdeutschen Neonazis gepflegte positive Bezug auf die DDR bezeugt weniger die Gleichheit der Kappen, sondern dient eher dem gleichen provokativen Zweck wie seinerzeit Hakenkreuz-Schmierereien und Heil-Geschrei. Der repressive Umgang damit offenbart die gleiche Hilflosigkeit und Unfähigkeit der Politik.

Nebulöser Nationalismus
Und wenn es eben nicht bloße Provokation war? Woher rührten Ausländer- und Fremdenhass, dieser nebulöse Nationalismus, diese dumpfe Arroganz, die sich auf nichts gründete als auf die Herkunft? Weshalb waren einige plötzlich »stolz«, Deutsche zu sein, ohne auch nur annähernd die eigene wie die Geschichte der Nachbarvölker zu kennen? War dies nur billiger Reflex auf den propagierten Internationalismus, mit dem elegant die Frage umgangen worden war: Wie kann man die Völker der Welt lieben, aber das eigene nicht? Denn das deutsche Volk war gespalten worden von den Siegermächten. Und das wiederum war die Strafe für den Völkermord, den Nazideutschland begangen hatte. Die deutsche Teilung war, wenngleich keineswegs klaglos, in Ost wie West als Strafe der Welt angenommen worden. Doch anders als in der BRD und der dort betriebenen Westintegration blieb in der DDR mehr als nur ein diffuses Zusammengehörig-keits- und Nationalgefühl bestehen. Zumal man hier bis in die späten 1960er Jahre noch immer in der Nationalhymne sang: »Laß uns dir zum Guten dienen, / Deutschland, einig Vaterland«. Bei allen Abgrenzungsschritten – inklusive des 1961 in Moskau angeordneten Mauerbaus – hielt Berlin an der Option eines Zusammenschlusses, einer Konföderation oder dergleichen, und an der Idee eines Fortbestandes der deutschen Nation fest. Der Bruch erfolgte erst mit Honecker. Der postulierte Mitte der 1970er Jahre die »sozialistische deutsche Nation der DDR«. Doch da hatte bereits die politisch-ideologische Erosion der DDR-Gesellschaft begonnen, die Nummer verpuffte wie so manch andere Propaganda-Blase. Als Journalist bei der Jugendzeitung war ich oft im Lande unterwegs, berichtete von Versammlungen, recherchierte eigene Geschichten, hielt selber Foren ab, ging Anregungen und Beschwerden nach – die damals Eingaben hießen und, vom Gesetz vorgeschrieben, binnen 14 Tagen zu beantworten waren. Und ich nahm auch an Verfahren teil, in denen über Jugendliche zu Gericht gesessen wurde. Sie waren wegen Rowdytum angeklagt, wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens und dergleichen, was soviel bedeutete: Sie tanzten aus der Reihe. Ich saß als Berichterstatter im Saal und fand bestätigt, was sich in manchem Leserbrief bereits angedeutet hatte. Zwischen jugendlichem Leichtsinn und naivem Unwissen wurden Haltungen sichtbar, die den vorherrschenden politischen Intentionen hierzulande fremd waren. Ungestümer Hass blitzte auf, eine Ablehnung jeglicher Spießbürger-Idylle, die über den üblichen Generationenkonflikt hinausging. Wo kam das her? Der Blick auf die Besucherbänke lieferte die Antwort. Dort saß der Mittelstand: Eltern und Verwandte. Der Mittelbau unserer Gesellschaft: Funktionäre, Staatsdiener, Lehrer, die Honoratioren des Städtchens. Geachtet und geehrt. Am 1. Mai standen sie auf der Tribüne und am 7. Oktober in der Zeitung. In der »Aktuellen Kamera« urteilten sie über unsere Errungenschaften und im »Neuen Deutschland« verurteilten sie in scharfen Worten die jüngsten Verbrechen des Imperialismus. Sie wussten, was man von ihnen erwartete. Sie waren schließlich gesellschaftliche Wesen. Doch wenn sie die Wohnungstür hinter sich schlössen, waren sie privat. Da hatten sie eine eigene Meinung. Da redeten sie Klartext. Und das bekamen ihre Kinder mit. Doch im Unterschied zu ihren Eltern beherrschten sie die Klaviatur der Heuchelei, der Anpassung und des Opportunismus (noch) nicht. Sie sprachen und handelten auch vor der Tür so, wie es ihre Alten nur dahinter taten. Der Spruch aus den frühen 1970er Jahren, der im Westen bei den Linken kursierte, erlebte seine Renaissance im Osten: Macht kaputt, was euch kaputt macht! Und damit kamen diese Jugendlichen (und nur um solche handelte es sich) zwangsläufig mit den Gesetzen der DDR in Konflikt. Als Rowdies, als Asoziale, als Gewalttäter und so weiter. Nie als Rechte oder Neonazis. Denn der Faschismus galt als mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Deshalb gab es auch keine rassistisch motivierten Übergriffe, keine antisemitischen Äußerungen, keine politisch motivierten Attacken auf andere Jugendliche. Es gab nur die stereotypen Deutungsmuster. Ein Aufblitzen »des Faschismus« hierzulande hatte es offiziell nur am 17. Juni 1953 gegeben und am 13. August 1961, als man den »antifaschistischen Schutzwall« in Berlin errichtete.

Mangelnde Auseinandersetzung
Faschismus aber war nicht nur laut Dimitroff »die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Er wohnte rudimentär auch in Hirnen und Herzen von Millionen Menschen und überdauerte die Generationen. Noch Jahrzehnte nach Auschwitz arbeitete mancher gedankenlos »bis zur Vergasung« oder »fiel durch den Rost«. Noch immer war »der Iwan« doof und unkultiviert, klaute der »Zigeuner« und der »Itzik« betrog. Die Generalamnestie, mit der Mitläufer und Mittäter hinüber geholt wurden auf die Seite der »Sieger der Geschichte« (die es objektiv zu keiner Zeit geben wird, was aber mancher Westdeutsche noch immer nicht begriffen hat), war einerseits richtig, aber andererseits auch verhängnisvoll. Es verhinderte die fortgesetzt notwendige, aktive und kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in allen Bereichen der Gesellschaft. Dieses Versäumnis sollte sich in der DDR rächen. Und es rächt sich auch heute. Neonazismus ist zu allen Zeiten die Quittung für eine falsche Politik. Es scheint die vermeintliche Alternative, der Ausweg aus einem gesellschaftlichen Dilemma zu sein. Doch der ist eine Sackgasse wie die Losung »Weiter so!«, die die Herrschenden zu allen Zeiten im Munde führen. Egal, welche Fahne auf dem Rathaus weht.

Frank Schumann, Jahrgang 1951, von 1978 bis 1991 bei der Tageszeitung Junge Welt, zuletzt in deren Chefredaktion, seit 1991 Verleger und Publizist.

Neonazis in der DDR – Die Fan-Kurve wird zum Brutkasten der DDR-Neonaziszene

– VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IN ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT NR. 75 , FRÜHJAHR 2007 –

Die Anfänge neofaschistischer Organisierung in der DDR werden in der Regel auf die Jahre 1982/83 datiert. Doch schon in den Jahren zuvor kam es immer wieder zu rassistischen und ausländerfeindlichen Vorkommnissen. Die DDR war als Gesellschaft zu keiner Zeit frei von rassistischen Vorurteilen.

Im Gegenteil: Sie schürte sie selbst und bediente sich ihrer, indem sie zum Beispiel Menschen aus Afrika und Asien in die DDR zum arbeiten holte, diese aber ghettoisierte und aus der Gesellschaft fern hielt. Der gern bemühte Internationalismus war eine von vielen inhaltslosen Phrasen, die keinen wirklichen Weg in das Selbstverständnis der Menschen in der DDR fanden.

Unter dem Deckmantel der antiimperialistischen Solidarität mit dem palästinensischen Volk, wurden nicht selten antijüdische Vorurteile geschürt. Besonders in DDR-Medien fand sich immer wieder antiisraelische und antizionistische Propaganda. 1976 stellte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldman fest: »Von allen kommunistischen Staaten verhält sich die DDR zweifellos am feindseligsten gegenüber Israel, und ihre Presse ist überaus aggressiv« 1 und so verwundert es nicht, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in den Jahren 1978 und 1979 188 Fälle von »… schriftlicher staatsfeindlicher Hetze mit faschistischem Charakter…« registrierte. 2

Doch kann man sagen, dass es ab dem Anfang der 1980er Jahre zu einem sprunghaften Anstieg von so genannter rechts motivierter Gewalt im öffentlichen Raum kam. Vor allem in den Fußballstadien setzten Jugendliche ihren Alltagsfrust in Gewalt um. Es wurden immer mehr Polizisten benötigt, die Stadien ruhig zu halten. Zu dieser Zeit tauchten die ersten Skinheads auf. So zum Beispiel beim Ostberliner BFC-Dynamo. Aber auch bei Lok Leipzig und Hansa Rostock. Nicht selten waren es Punks, die sich ihre Irokesen-Kämme abschnitten, weil ihnen diese Ausdrucksform nicht radikal genug erschien. Unbestritten war auch der Einfluss des Westens. Trotz der Mauer pflegten viele Menschen ihre familiären und freundschaftlichen Kontakte in den Westen. Modetrends wurden mit einiger Verspätung übernommen und beeinflussten die Jugend in der DDR. Bomberjacken und DocMartens waren für Ostler schwer zu haben und galten schnell als Statussymbole. Wer keine Westverwandschaft hatte, musste für eine Bomberjacke nicht selten bis zu 800 DDR-Mark berappen. Das waren damals ein bis zwei Monatslöhne. Machten die DDR-Skinheads zunächst durch eine besonders hohe Gewaltbereitschaft auf sich aufmerksam, wurde dies schnell mit faschistischer und rassistischer Ideologie verknüpft. Für die DDR war dies vollkommen neu. Die Gesellschaft und Elternhäuser erwiesen sich schnell als überfordert.

Der Organisationsgrad nimmt zu
Schnell wurden westdeutsche Neonazis auf die neue Szene im Osten aufmerksam. Besonders in Berlin gab es rege Aktivitäten. Zwar lässt sich nicht genau nachvollziehen wie intensiv diese Bemühungen waren, an die Strukturen im Osten heranzukommen. Immerhin gibt es einzelne Beispiele, die belegen, dass dies der Fall ist. So besuchte der damalige Chef der Westberliner nationalistischen Front (NF) Andreas Pohl, zwischen 1983 und 1985 regelmäßig Ostberliner Skinheads. Das MfS war in der gesamten Zeit an Pohl dran und seine umfangreiche Stasi-Akte belegt. dass Pohl intensiv versuchte, Einfluss auf die Ostberliner Neonazi-Strukturen zu bekommen. Im Jahr 1986 schrieb POHL im Informationsblatt der NF »Klartext«, vom »…festen Bündnis der Freundschaft, das sich leider, bedingt durch die Mordmauer, nur in Besuchen unsererseits ausdrückt…«.3 Auch Christian Franke von der Westberliner NF hielt persönliche Kontakte zu BFC-Skinheads. Viele Kontakte liefen über Skinheads die in den Westen übersiedelten. 1986 dann erließ das MfS ein Einreiseverbot für Andreas Pohl.

Laut einer Studie des MfS von 1988 gab es intensivste Kontakte zwischen Skinheads aus der DDR zu Neonazigruppierungen aus Westberlin, Hamburg und Schweden. Diese Kontakte dienten, laut MfS: »dem Informationsaustausch über tätliche Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit sowie Entwicklungen in der „Szene‘, der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen und Bekleidungsstücken für DDR-Skinheads, der Einfuhr faschistischer Literatur, Symbole sowie spezieller Skin-Musik- Kassetten…« Allein im Jahre 1987 wurden 131 Skinheads aus Westberlin registriert, die in die DDR einreisten, um Kontakte zu DDR-Skinheads zu knüpfen und kontinuierliche Verbindungen herzustellen. 4

Ab Mitte der 1980er Jahre nahm der Organisationsgrad der Neonaziszene deutlich zu. Neben straff organisierten und geführten Fußballhooligangruppen, entstanden nun regelrechte Neonaziorganisationen. Bereits 1986 gründeten Ostberliner Skinheads die »Lichtenberger Front«, dann die »Bewegung 30. Januar« (in Anlehnung an die Machtübergabe an die Nazis am 30.Januar 1933). Diese Gruppe orientierte sich an der FAP und blieb in relativer Nähe zu Neonazis aus Westberlin. Sie betrieben intensive Suche nach alten Wehrmachtswaffen. Vorrangig auf dem Gebiet der Ende April 1945 tobenden Kesselschlacht um das brandenburgische Halbe. Diese Gruppe war maßgeblich an der Gründung der Ostberliner Neonazipartei »Nationale Alternative« und an der »Besetzung« des Neonazihauses in der Lichtenberger Weitlingstraße im Jahr 1990 beteiligt. Im Norden Ostberlins organisierte sich ab 1988 eine berüchtigte und straff geführte Schlägertruppe mit dem Namen »Bucher Front«. Sie verlegte sich mehrheitlich auf Überfälle und Gewaltaktionen gegen Ausländer, Punks und Gruftis.

Eine andere Gruppierung nannte sich »Die Vandalen« (eine Neonazigruppierung mit Rockerhabitus, die es noch heute gibt). Anfang Februar 1989 gründete sich im Raum Werder, Glindow, Caputh, im heutigen Land Brandenburg, eine Neonazipartei, die sich »Nationale Sammlung (NS)« nannte, Als Vorbild diente ein gleichnamiges Sammlungs- und Wahlbündnis, unter Führung des westdeutschen Neonazis Michael Kühnen. In der Ostsee- und Kreisstadt Wolgast im Bezirk Rostock wurde im August 1989 eine »SS-Division Walter Krüger« aufgedeckt. Diese widmete sich, nach eigenen Aussagen, intensiv der »Pflege faschistischer Traditionen, insbesondere der SS«. Die Gruppe war straff organisiert. Unter ihnen befanden sich, und das war neu, Lehrer und städtische Beamte. Laut interner Zahlen des MfS und der Volkspolizei wurden im Jahr 1988 185 Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund registriert. Ein Jahr später waren es bereits 300.

Der Überfall auf die Zionskirche
Am 17. Oktober 1987 überfiel eine Gruppe Neonazis ein Rockkonzert in der Ostberliner Zionskirche. Sie grölten Naziparolen und schlugen auf Konzertbesucher und Passanten ein. Dieser Vorfall veränderte die öffentliche Wahrnehmung entscheidend. Waren bis dahin Skinheads in den Medien und öffentlichen Diskussionen quasi nicht vorhanden, änderte sich das nun grundlegend. Erstmals, nach einigen Tagen des Schweigens, las und hörte der erstaunte DDR-Bürger in verschiedensten DDR-Medien von so genannten Skinheads. Da es nicht mehr gelang das Thema wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen und selbst das SED-treue »Komitee der Antifaschisten« zaghaft staatliche Schritte forderte, wurde eine Handvoll, am Überfall beteiligter Neonaziskins eingefangen und vor Gericht gestellt und in zweiter Instanz zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Mehr noch: Es wurde nun versucht, das gesamte Problem mit harter Hand zu bewältigen. In einem Interview im Jahre 1992 berichtet der damalige Ostberliner Kriminalpolizist Bernd Wagner von einer »großen Skinheadjagd in Ostberlin«. 5 Allein zwischen Ende November 1987 und Juli 1988 fanden in der DDR mindestens neun Prozesse gegen so genannte »Skinheads« statt, in denen 49 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren wegen zahlreicher Gewaltakte und auch wegen Handlungen mit rechtsradikalem Hintergrund abgeurteilt wurden. Das Strafmaß belief sich meist auf Haftstrafen zwischen 5 Monaten und 2 Jahren in einem wenigen extremen Fall auch bis zu 6 Jahren. Jedoch wurde in allen bekannt gewordenen Prozessen ein neonazistischer oder rechtsradikaler Hintergrund verleugnet. Demzufolge kamen lediglich die Paragraphen 212 (Widerstand gegen staatliche Maßnahmen), 215 (Rowdytum) und 220 (öffentliche Herabwürdigung) des StGB zur Anwendung. Über die Wirkung der verhängten Strafen musste man sich jedoch keine Illusionen machen. Die Verurteilten kamen in den normalen DDR-Strafvollzug, wo nahezu nichts für eine erzieherische Beeinflussung und Reintegration der Gefangenen getan wurde. Und nicht selten wurde sich letztendlich dem Problem dadurch entledigt, dass die Neonaziskinheads nach ihrer Haftentlassung kurzerhand in den Westen abgeschoben wurden.

Gleichzeitig verfolgte man intensiv das Ziel, Skinheads aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen wie Jugendclubs, Diskotheken, Kneipen und Kinos erhielten intern die Anweisung, Skinheads und nach Skinhead aussehende Personen den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu verweigern, sie nicht zu bedienen und im Weigerungsfall die Polizei zu verständigen.

Statt sich offen und ehrlich mit den Gründen und Ursachen des auf-kommenden Neofaschismus in der DDR zu befassen, beschränkte man sich mit propagandistischen Plattitüden und ausreden. So behauptete das Zentralorgan der FDJ »Junge Welt«, das vor allem der übermäßige Genuss des Westfernsehens Schuld an diesen Auswüchsen sei.

Neonazis und Skinheads im Visier der Sicherheitsorgane
Für die SED-Regierung waren die Sicherheitsorgane das einzig denkbare Werkzeug zur Zurückdrängung der Skinhead-Erscheinungen. Bis Anfang 1988 hatte man umfangreiches Daten-und Zahlenmaterial über die Skinheadszene angehäuft. Unzählige Berichte über Vorfälle mit Skinheads gesammelt. Jedoch wusste man nicht wirklich, mit wem man es zu tun hatte. Deshalb gab der Leiter der Kriminalpolizei im Ministerium des Innern (Mdl), Generalleutnant Nedwig im April 1988 bei der Sektion für Kriminalistik der Humboldt-Universität einen Forschungsauftrag zur Bestimmung des »politischen Wesens« der Skinheads in Auftrag. Mit dem Leiter der Uni-Sektion, einem Offizier im besonderen Einsatz (OibE), war auch das MfS mit im Spiel. Was diese Studie, die im Februar 1989 fertiggestellt wurde, zu Tage förderte, wollte den Verantwortlichen bei Polizei und MfS so gar nicht gefallen. So gehörten fast alle der erfassten Jugendlichen der Arbeiterschaft an. Die Hälfte davon hatten bereits Facharbeiterstatus. Die meisten waren im Alter zwischen 18 und 26 Jahren. Der soziale Status der Eltern hingegen war ein repräsentativer Querschnitt durch die Gesellschaft: Intelligenzler, Facharbeiter, Handwerker.

Am Ende der Studie hieß es: »…Wir haben es mit einer DDR-spezifischen Modifikation eines allgemeinen Problems der Auseinandersetzung mit Sozialismus und Demokratie zu tun. Die Sozialstrukturanalyse beweist, dass die tragenden sozialen Kräfte vorerst aus der jungen Arbeiterklasse kommen und durch bisher nicht identifizierte Schichten-Vertreter der Bevölkerung Unterstützung finden. Die militante rechtsextreme Szene in der DDR trat nie so offen aggressiv auf wie heute, auch gehörten Brandstiftungen und Morde nicht zum Alltag, aber die Wurzeln des Übergangs von einer rechten Jugendkultur zu einer organisierten rechtsextremen Bewegung lagen in der DDR in Mitte der achtziger Jahre…« 6

Was den Sicherheitsorganen weiter Kopfzerbrechen bereitete, war der Sachverhalt, dass sich diese Jugendlichen der »…moralischen Werte der sozialistischen Gesellschaft als Zielgröße…« bedienten. Eine wirkliche Ursachenanalyse gibt es in dieser Studie jedoch nicht. Hinzu kam, dass man in den Chefetagen kalte Füße bekam und tiefgreifendere Studien nicht wollte. Die Führung der Kriminalpolizei blockte die Studie ab. Der Leiter der Kriminalistiksektion wurde als Gesprächspartner abgelöst. Ihm wurde vorgeworfen, dass er »Im Hinblick auf Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremistische Tendenzen der Skinheads, (übertrieben)…« hätte.

Ersetzt wurde er durch einen Oberst Schmidt, dessen Zuständigkeit »Häufigkeits- und Jugendkriminalität« war. Dieser hielt von dem gesamten Projekt offenbar nicht viel. Im Zusammenhang mit geplanten Interviews mit inhaftierten Rechtsextremen erklärte er in der nächsten Sitzung zwischen Auftraggeber und -nehmer, dass Interviews mit Inhaftierten »nicht erforderlich« seien, »da die Verurteilen ja bereits kriminalistisch vernommen worden sind«. Darüber hinaus seien Untersuchungen seiner Ansicht nach überflüssig, da »bei Skinheads bisher keine politischen Motive nachweisbar gewesen« sind. Das Forschungsprojekt war damit gestorben. Ein letzter Versuch des Sektionsleiters, weitere Forschungen bei seinem Dienstherrn, dem MfS, anzusiedeln scheiterte. Auch der Stasi wurde die Sache offenkundig zu heikel. 7

Mdl und MfS setzten lieber auf Infiltration und eine verstärkte repressive Eindämmung der Symptome. Das geht aus einer Weisung von Mielkes »Stellvertreter Operativ«, Generaloberst Mittig hervor, die zusammen mit dem bereits erwähnten Untersuchungsbericht vom 2. Februar 1988 an die Bezirksverwaltung für Sicherheit geleitet wurde: »Zur weiteren Durchsetzung der Weisung (…) ist die inoffizielle Arbeit unter derartigen Jugendlichen wesentlich zu verstärken. (…) Durch die IM sind rechtzeitig alle Zusammenschlüsse derartiger Jugendlicher, ihre Pläne und Absichten zu öffentlichen, gefährliche Zusammenrottungen und Handlungen (…) derartiger Jugendlicher aufzuklären und jeweils aktive Gegenmaßnahmen (…) einzuleiten«. 8

So waren im Frühjahr 1988 allein in Berlin 33 inoffizielle Mitarbeiter des MfS in der Skinhead-Szene aktiv. Insgesamt waren etwa 10-15 Prozent der vom MfS erfassten Rechtsradikalen gleichzeitig inoffizielle Mitarbeiter. Dabei ging man nach üblichem Muster vor. Die IM wurden nicht eingeschleust, sondern es wurden Personen in der Szene durch Methoden der Erpressung und Versprechungen angeworben. Hinzu kam das übliche Verfahren der Postkontrolle, Telefonüberwachung usw.

Betrachtet man jedoch die Entwicklungstendenzen der DDR-Neonaziszene, wird offensichtlich, dass es der SED-Führung und speziell dem MfS und der Polizei nicht möglich war, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Andere Versuche zur Problemlösung waren die Einberufung zur Nationalen Volksarmee oder die schnelle Genehmigung von Übersiedlungsanträgen in die BRD. Gerade letzteres erwies sich jedoch in fataler Weise als Bumerang: »Einen Schwerpunkt gegnerischer Kontaktpolitik und Tätigkeit, insbesondere hinsichtlich der existierenden Verbindungen zwischen Skinheads in der DDR und denen im Operationsgebiet, hauptsächlich in West-Berlin, üben übergesiedelte ehemalige DDR-Skinheads aus. (…) Diese aktiven Rückverbindungen sind zunehmend und operativ bedeutsam«. Konnten die Sicherheitsorgane in der Zeit bis kurz nach dem Überfall auf die Zionskirche einige Erfolge erzielen, war jedoch spätestens ab 1988 ihre repressive Politik gescheitert. Dies kann man an der stetig ansteigenden Zahl von Neonazis bis Herbst 1989 ablesen.

Ein weiterer erschwerender Aspekt für das MfS war, dass die Deutsche Volkspolizei nicht das zu wünschende Engagement bei der Bekämpfung rechter Gewalt an den Tag legte. Anhand einer internen Information des MfS über einen Vorfall auf dem Berliner Alexanderplatz am 22. August 1988 ist dies gut ersichtlich. Nachdem es mehrere Tage hintereinander an der Gaststätte Alextreff zu Gewaltausbrüchen von Neonaziskinheads gekommen war, weil diesen der Kauf von Alkohol verweigert wurde, kam es an diesem Tag gegen 22.40 Uhr zu einem schweren Handgemenge mit uniformierten Armeeangehörigen. Als das VP-Revier 13 informiert und um Hilfe gebeten wurde, lehnte es diese ab. Die Weigerung wurde mit der Aussage: »Ihr wollt uns wohl verarschen! Wir sind doch nicht Eure Prügelknaben« begründet. Nach dem Überfall auf die Zionskirche wurde vom MfS schnell festgestellt und gerügt, dass die Polizei den Rechtsradikalismus nicht genügend ernst nimmt, dass die Kader ständig ausgewechselt werden, die jedes mal neu eingearbeitet werden müssen und dass bei der VP der notwendige Druck fehle, den das MfS zu mindestens in bestimmten Bereichen als notwendig erkannt hatte.

Auch so genannte gesellschaftliche Organisationen wie die FDJ taten sich schwer und waren nicht bereit sich des Problems der rechten Skinheads anzunehmen. So hatte das MfS im Sommer 1988 der FDJ-Bezirksleitung in Leipzig 83 Namen von Jugendlichen zukommen lassen, die ihrer Meinung nach »gefährdet« waren. Ein Jahr später hatten sie gerade Mal mit 20 dieser Jugendlichen gesprochen. Die FDJ redete sich damit heraus, dass sie keine Zeit gehabt hätten, da sie mit der Vorbereitung von gesellschaftlichen Höhepunkten zu sehr belastet wäre.

Allein der Umstand, dass sich die rechte Szene unter dem Druck der staatlichen Repression ab Mitte/Ende 1988 zu einem großen Teil aus der Öffentlichkeit zurückzog und sich in kleinen Gruppen intern weiter organisierte, reichte den Sicherheitsorganen als Bestätigung ihrer Praxis aus. Doch letztendlich musste sich auch das MfS das Scheitern seiner Praxis eingestehen. Ein leitender Offizier, verantwortlich für die Ermittlungsverfahren gegen die rechte Szene schrieb im Frühjahr 1989: »Es kann nicht alleinige Aufgabe der Untersuchungsorgane sein, sich mit der Bekämpfung dieser Erscheinungen auseinanderzusetzen. Das kann nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, in der alle Erziehungsträger gefordert werden müssen.« 10 ———————————————————————————————————————- 1| Thomas Leusink: Vom Kampf gegen den »Kosmopolitismus«, tetegraph 2/3 1999, bzw. Goldmann, Nahum: Das jüdische Paradox: Zionismus u. Judentum nach Hitler. Köln, 1978
2| Neofaschistische Tendenzen und antifaschistische Selbstorganisation in der DDR, telegraph 1/1997
3| »Vom Skinhead zum Fascho«, Drahtzieher im braunen Netz, Berlin 1992 4| Interne Information der Hauptabteilung XX des MfS, Berlin 02.02
5| Farin / Seidel-Pielen »Rechtsruck – Rassismus im neuen Deutschland«, Berlin 1992
6| Loni Niederländer, Forschungsbericht »Das politische Wesen der Skinheadgruppierungen und ihre Sicherheitsrelevanz«; Humbodt-Universität zu Berlin, Sektion Kriminalistik, 28. Februar 1989
7| Walter Süß, »Zur Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS«, Berlin 1996
8| Weisung vom »Stellvertreter Operativ« des Ministers Generaloberst Mittig vom 7.7.1986 (WS 68/86)
9| Geheime Information der Hauptabteilung XX des MfS vom 10.04.1989
10| Walter Süß. »Zur Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS«, Berlin 1996

Nazivergangenheit in der SBZ/DDR

Faschistische Vergangenheit in der DDR

In der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR gab es nur eine einseitige Faschismusrezeption, die im Kern als Ursachen von Hitler, Holocaust und 2. Weltkrieg „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischsten, am meisten imperialistischsten Elemente des Finanzkapitals“ ausmachte. Aus diesem Grund kann es nicht verwundern, daß es bis heute nie zu einer offenen Diskussion darüber kam, was in einem deutschen sozialistischem Staat nach dem deutschen faschistischen Staat, nach dem Holocaust, mit den in Deutschland lebenden deutschen Menschen passieren sollte. Hinzu kam, daß der sozialistische Staat auf deutschem Boden nicht durch eine Revolution, sondern vielmehr während der Besetzung der Roten Armee der Sowjetunion aufgebaut wurde.
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Vom Faschist zum Antifaschist

BEISPIELE FÜR FASCHISTISCHE FUNKTTIONSTRÄGER, DIE IN DER DDR ZU NEUEN EHREN KAMEN.

Im Jahre 1948 verkündete die SMAD mit dem Befehl Nr. 64 das Ende der Enteignung und mit dem Befehl Nr. 35 das Ende der Entnazifizierung. Nach Einschätzung der Verantwortlichen war der „volkseigene Sektor“ vorerst groß genug, und andauernde Auseinandersetzungen in dieser Frage würden nur Unruhe ins Bürgertum tragen. Im Zeichen des sich entwickelnden Kalten Krieges war das bündnispolitisch unerwünscht.
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Das NKWD/SMAD-Lager Ketschendorf

Bereits ab Kriegsende wurden Speziallager der SMAD und des NKWD geschaffen, wo vor allem Kriegsgefangene, Naziverbrecher aber auch viele unschuldige interniert waren.. Diese Lager basierten auf Alliierten-Recht, nachdem in allen Besatzungszonen durch die Siegermächte Internierungslager errichtet werden durften, die für die „Aufbewahrung“ von Personen gedacht waren, die den „Aufbau“ der „neuen Gesellschaft“ stören könnten, bzw. verbrechen begangen hatten.
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Junge Faschisten und Naziskins

Junge Faschisten in der DDR VON DIRK TESCHNER, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

Junge Faschisten in der DDR

VON DIRK TESCHNER, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

Ob der Rechtsextremismus in den „neuen Ländern “ nur zu verstehen ist, wenn man die Entwicklung vor 1989 mit einbezieht, wie das Bernd Wagner in seiner Studie „Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern“ behauptet und als Kernthese deklariert, ist auf den ersten Blick fraglich. Denoch ist eine Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der DDR unumgänglich im Hinblick auf die Diskussion über eine Wertekontinuität zwischen der Entwicklung in der DDR und der heutigen Stimmung in Ostdeutschland.
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 Der Naziüberfall auf die Zionskirche

Die Ereignisse vom 17. Oktober 1987 waren der erste Schritt zu einer neuen Qualität der Konfrontation. An diesem Tag gelangte die Zionskirche in Berlin Prenzlauer Berg erstmals zu unerwarteter Berühmtheit.

Als gegen Ende eines Rockkonzerts in der Kirche eine große Gruppe Skinheads auftauchten, Naziparolen gröhlend auf Konzertbesucher einschlugen und im Umkreis der Kirche unbescholtene Passanten und Einwohner angriffen, war es plötzlich und unverhofft geschehen. Was staatlicherseits über Jahre hinweg durch Justiz und Polizei, durch Versuchung, Abwiegelei und durch harte Repression unter dem Deckel gehalten wurde war plötzlich nicht mehr zu halten gewesen. Anteil daran hatte auch die hartnäckige Öffentlichkeitsarbeit der Umwelt-Bibliothek, die eine Vertuschung durch die DDR-Oberen von vornherein verhinderte. Nun waren sie in aller Munde. Skinheads, Neaonazis, Faschos. Doch erst einmal versuchte man sich auf seiten der SED in Schadensbegrenzung. Nach einigen Tagen des Schweigens war dann auch in der DDR-Presse in kleinen Meldungen von einem Übergriff von Rowdys zu lesen.
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Prozesse gegen Skinheads in der DDR

Von Ende November 1987 bis Anfang Juli 1988 haben in der DDR mindestens neun Prozesse gegen sogenannte „Skinheads“ vor Kreisgerichten (bzw. in einem Fall in zweiter Instanz vor einem Bezirksgericht) stattgefunden, in denen 49 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren wegen zahlreicher Gewaltakte und auch wegen Handlungen mit rechtsradikalem Hintergrund abgeurteilt wurden. Der erste dieser Prozesse führte am 4. Dezember 1987 zur Verurteilung von vier Skinheads, die sich an den Gewalttätigkeiten gegen Besucher der Zions-Kirche in Ost-Berlin am 17. Oktober 1987 beteiligt hatten, durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte zu Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jähren, die auf den Protest der Staatsanwaltschaft am 22. Dezember vom Stadtgericht Berlin auf zwei bis vier Jahre erhöht wurden. Im Dezember 1987, nach dem ersten Prozeß vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte, kündigte der Generalstaatsanwalt der DDR acht weitere Prozesse gegen Skinheads an.
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Die neue alte Gefahr – Junge Faschisten in der DDR

VON KONRAD WEISS, ERSCHIENEN IN DEN DDR-UNTERGRUNDZEITUNGEN ANTIFA INFOBLATT OSTBERLIN UND KONTEXT

November 1987, Oranienburg bei Berlin: Hier, am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen, wird eine Gruppe junger Faschisten festgenommen. Monatelang haben sie in Zügen, in Gaststätten, auf offener Straße Menschen überfallen und terrorisiert und dabei keinen Hehl aus ihrer Gesinnung gemacht. Bei den Verhafteten findet die Polizei faschistische Abzeichen und die Hakenkreuzfahne.
Dezember 1987, Berlin-Mitte: Vor dem Stadtbezirksgericht wird gegen vier Männer verhandelt, der jüngste siebzehn, der älteste dreiundzwanzig Jahre alt. Sie waren mit anderen Rechtsradikalen in die Zionskirche eingedrungen, um die „roten Punks aufzumischen, aufzuklatschen, aufzurauchen“. „Sieg Heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“ brüllend, haben sie feige und brutal junge Frauen und Männer zusammengeschlagen.
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Rechtsradikalismus in der DDR

VON JOCHEN HIPPLER

„Wir machen weiter! Wir sind Rebellen und dienen einer gerechten Sache. Skins voran. Wir sind Elite. Terror gegen Terror. Die Rache ist unser, denn Rache ist gerecht. Wir stehen wie ein Bollwerk, wie eine eiserne Wand schaffen wir es. Alle zusammen. Mann für Mann. … So wie sie gegen uns sind dürfen sie nichts anderes erwarten, als das Blut fließt. Ihres und Unseres. … Wir sind die Götter. Und wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Immer mehr werden sich zusammenraffen. Sie werden uns einsperren, sie werden uns zermürben, aber kapitulieren werden wir nicht und wenn es Rückschläge gibt, für uns ist es das Stahlbad das die starken zurückläst und die schwachen vernichtet. Übrig bleibt der kern.“
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FDJler, Fascho, REP – eine Ostberliner Karriere (Manuskript, geschrieben 1990)

VON JOCHEN HIPPLER

Peter ist Republikaner. Er lebt in Ost-Berlin, ist 25 und Installateur. Ich treffe ihn im Westen, bei einer Veranstaltung von REPs aus der DDR, die unter der Obhut ihrer westlichen Parteifreunde stattfindet. Journalisten sind nicht zugelassen, ich muß „leider, leider“ draußen bleiben, wie mir teilweise freundlich, teilweise barsch versichert wird. Ebenso geduldig wie vergeblich weise ich darauf hin, daß ich schließlich telefonisch eingeladen worden sei – ohne Erfolg, der unfreundlichere der Ordner ist nicht zu erweichen. Ein etwas angetrunkener Mann, dunkelblond und groß, kommt auf mich zu. Es heißt Peter und ich tue ihm leid. Peter ist offen und freundlich, er bietet mir an, daß er mit mir sprechen würde, wenn ich schon nicht in die Veranstaltung dürfe. Er reicht mir seine Bierflasche. Wir suchen uns eine Kneipe in der Nähe.
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Die rechtsradikale Szene in der DDR

VON JOCHEN HIPPLER

„Wir machen weiter! Wir sind Rebellen und dienen einer gerechten Sache. Skins voran. Wir sind Elite. Terror gegen Terror. Die Rache ist unser, denn Rache ist gerecht. Wir stehen wie ein Bollwerk, wie eine eiserne Wand schaffen wir es. Alle zusammen. Mann für Mann. … So wie sie gegen uns sind dürfen sie nichts anderes erwarten, als das Blut fließt. Ihres und Unseres. … Wir sind die Götter. Und wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Immer mehr werden sich zusammenraffen. Sie werden uns einsperren, sie werden uns zermürben, aber kapitulieren werden wir nicht und wenn es Rückschläge gibt, für uns ist es das Stahlbad das die starken zurückläst und die schwachen vernichtet. Übrig bleibt der kern.“
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Skinheads in der DDR

VON ROLF SCHWARZ, SKINHEADS IM SPIEGEL DER ÖFFENTLICHKEIT – SINN UND UNSINN ÜBER FORSCHUNGSOBJEKTE

Der Zeitpunkt der Entstehung des Skinhead-Stils in der DDR war im Gegensatz zu den Stilen in England und Westdeutschland nicht unumstritten. Die Mehrheit der Autoren lokalisierte seinen Beginn zeitgleich mit dem in Westdeutschland Anfang der 8oer Jahre, wenngleich darauf hingewiesen wurde, daß es zu diesem Zeitpunkt nur wenige Skinheads gab. Schumann datierte die Anfänge es Skinhead-Stils in der DDR „etwa seit 1982“
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Neonazis in der DDR – Die Fan-Kurve wird zum Brutkasten der DDR-Neonaziszene

VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IM ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT NR. 75 , FRÜHJAHR 2007

Die Anfänge neofaschistischer Organisierung in der DDR werden in der Regel auf die Jahre 1982/83 datiert. Doch schon in den Jahren zuvor kam es immer wieder zu rassistischen und ausländerfeindlichen Vorkommnissen. Die DDR war als Gesellschaft zu keiner Zeit frei von rassistischen Vorurteilen. Im Gegenteil: Sie schürte sie selbst und bediente sich ihrer, indem sie zum Beispiel Menschen aus Afrika und Asien in die DDR zum arbeiten holte, diese aber ghettoisierte und aus der Gesellschaft fern hielt. Der gern bemühte Internationalismus war eine von vielen inhaltslosen Phrasen, die keinen wirklichen Weg in das Selbstverständnis der Menschen in der DDR fanden.
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Extreme Rechte in der DDR

VON FRANK SCHUMANN , ERSCHIENEN IN ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT, NR. 75, FRÜHJAHR 2007

Am Abend des 9. November 1989 hockte ich in Potsdam auf einem Podium. Neben mir saßen ein Vertreter der jüdischen Gemeinde, Heinz Vietze – vormals Jugendfunktionär, seit kurzem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung -, einige aufgeregte Jugendliche sowie Offizielle, an deren Namen und Amt ich mich nicht erinnere.

Anlass der kurzfristig anberaumten Diskussionsrunde, die, wie die meis¬ten in jenen Wochen, in einem überfüllten Saal stattfand, war ein in jeder Hinsicht skandalöser Vorgang: Jugendliche hatten in der Bezirksstadt mit einer Lichterkette an das faschistische Pogrom vor 52 Jahren erinnert. Die Volkspolizei hatte sich etliche Mädchen und Jungen gegriffen und »zugeführt«. Die Begründung war formal-rechtlich korrekt, weshalb man sich ihrer offenkundig bis heute bedient: Die Demonstration war nicht angemeldet worden. Jedoch änderte dies nichts an der beschämenden Tatsache, dass eine eindeutig antifaschistische Bekundung von den Exekutivorganen eines antifaschistischen Staates unterbunden worden war. Das vor allem hatte nicht wenige in Potsdam aufgebracht.
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DIE NEUE ALTE GEFAHR – Junge Faschisten in der DDR

von Konrad Weiß
Aus Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, erschienen im Juli 1989

November 1987, Oranienburg bei Berlin: Hier, am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen, wird eine Gruppe junger Faschisten festgenommen. Monatelang haben sie in Zügen, in Gaststätten, auf offener Straße Menschen überfallen und terrorisiert und dabei keinen Hehl aus ihrer Gesinnung gemacht. Bei den Verhafteten findet die Polizei faschistische Abzeichen und die Hakenkreuzfahne.
Dezember 1987, Berlin-Mitte: Vor dem Stadtbezirksgericht wird gegen vier Männer verhandelt, der jüngste siebzehn, der älteste dreiundzwanzig Jahre alt. Sie waren mit anderen Rechtsradikalen in die Zionskirche eingedrungen, um die „roten Punks aufzumischen, aufzuklatschen, aufzurauchen“. „Sieg Heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“ brüllend, haben sie feige und brutal junge Frauen und Männer zusammengeschlagen.
Januar 1988, Berlin: Erneut stehen acht faschistische Gewalttäter vor Gericht, die an den Ausschreitungen in der Zionskirche beteiligt waren. Es wird deutlich, daß das eine „gesamtdeutsche Aktion“ war; auch Skinheads aus Westberlin sind mit auf die Hatz nach Andersdenkenden, nach Punks und „schrägen Leuten“ gegangen.
Februar 1988, Bezirk Halle: Vier jugendliche Täter, die auf dem Städtischen Friedhof in Weißenfels schlimme Verwüstungen angerichtet haben, werden verurteilt. Einer hat sich zudem zu verantworten, weil er bei einer Schlägerei einen Mann roh mißhandelt hat.
März 1988, Berlin: Sechs Jugendliche werden wegen antisemitischer Ausschreitungen verhaftet. Auf dem historischen Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee haben sie mehr als zweihundert Grabsteine umgeworfen, beschmiert, geschändet, zerstört. Mehrere Nächte lang trieben sie, faschistische und antisemitische Parolen grölend, ihr Unwesen. Die Volkspolizei-Inspektion Prenzlauer Berg, die Tag und Nacht besetzt ist, grenzt unmittelbar an den Friedhof. Hätte man dort nicht schon nach den Zerstörungen der ersten Nacht aufmerksam werden und wachsamer sein müssen?
April 1988, Halle: Fünf junge Männer – Schüler, Lehrlinge, Jungarbeiter – stehen wegen eines rassistischen Verbrechens vor Gericht. Gemeinsam haben sie einen jungen Mocambiquaner zusammengeschlagen. „Einen Nigger aufklatschen“, so nannten sie das. Mai 1988, im Personenzug von Riesa nach Elsterwerda: Ohne jeden Anlaß beschimpfen jugendliche Arbeiter zwei Afrikaner, überschütten sie mit üblen rassistischen Parolen. Sie ergreifen einen der beiden Ausländer, schlagen auf ihn ein, treten ihn mit Füßen und stoßen ihn schließlich aus dem fahrenden Zug. Der Mann wird schwer verletzt. Die anderen Fahrgäste schweigen, keiner hat eingegriffen.
Dieses bedrückende Kalendarium der Gewalt, des Antisemitismus und Rassismus ließe sich fortsetzen. Man möchte meinen, es wären Nachrichten aus dem Pogromjahr 1938 oder solche, die aus einer fernen Weltgegend kommen. Daß dies alles sich heute und hier in unserem Land zugetragen hat, macht betroffen und ist schwer zu ertragen. Daran ändert auch das Wissen um die erfolgte Bestrafung nichts. Und es schmerzt mich zutiefst, daß ich junge Menschen, meine Mitbürger und nachgeborenen Zeitgenossen, Faschisten nennen muß.
Dennoch: Was hier zitiert wurde, ist nur die spektakuläre Spitze des Eisberges; längst nicht alle rechtsradikalen Aktivitäten und Gewalttaten sind öffentlich geworden. Die Fälle, die ich genannt habe, wurden in der Tagespresse und in Lokalzeitungen gemeldet. Gelegentlich gab es auch Hintergrundinformationen und Wertungen, so in „Sport und Technik“ (Heft 6/1988, S. 20 ff.) und im „Magazin“ (Heft 8/1988, S. 32 ff.). Tendenz dieser Veröffentlichungen war es, die faschistischen Ausschreitung als Einzelerscheinung, als Perversion gewissermaßen, und in Form und Inhalt aus dem Westen importiert darzustellen und zu verharmlosen. Nach dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die neuen faschistischen Gruppierungen entstehen und gedeihen konnten, wurde nicht gefragt und sollte nicht gefragt werden. Ein Kommentar in der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“ vom 26. Juni 1988, der dem nachging, wurde Anlaß zum Verbot der ganzen Ausgabe. Lediglich in der „Weltbühne“ (Nr. 35 vom 30.8.1988, S. 1115) wird in einem Leserbrief vor Verharmlosung und zu einfachen Antworten gewarnt.
Mittlerweile befassen sich zwei Soziologenteams, das eine für die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, das andere für das Ministerium des Innern, mit Skinheads und anderen faschistischen Gruppen. Die soziologische Analyse dürfte jedoch ebenso wie die publizistische Darstellung des neuen Faschismus in der DDR erschwert werden durch nahezu perfekt funktionierende Selbstschutzmechanismen. Das Wissen, daß schon das bloße Äußern faschistischer Ideen und Ideale strafwürdig ist, und die strengste Kontrolle durch die Gruppe und ihren Führer macht es fast unmöglich, authentische, gar programmatische Aussagen zu erhalten: „Wir sind keine Selbstanzeiger“. Das Verschleiern der faschistischen Überzeugung auch gegenüber Vernehmern und Untersuchungsrichtern wird offensichtlich trainiert; sie selbst nennen bezeichnenderweise die Untersuchungshaft ihre „Akademie“.

Faschisten auf dem Vormarsch
Zu Beginn der achtziger Jahre gab es in der DDR nur vereinzelt Skinheads. Sie ließen zwar auf ein gewisses rechtes Potential schließen, das aber noch amorph und unorganisiert war. Eine ideologische Konzeption war zu jener Zeit nicht erkennbar, Aktionen und Gewalttaten schienen spontan zu sein. Man mußte annehmen, daß die Skinheads eine unter vielen anderen jugendkulturellen Strömungen seien, die zu jener Zeit entstanden waren, und daß sie als Mode irgendwann von selbst verschwinden würden. Es schien undenkbar, daß junge, hierzulande erzogene Menschen zu neuen Trägern faschistischen Gedankengutes werden könnten. Ich selbst habe mich noch vor zwei Jahren in diesem Sinne geäußert.
Ungefähr seit 1983 scheinen sich die neuen Faschisten dann organisiert zu haben. Zuerst sind solche rechten Gruppen in den Fußballstadien in Erscheinung getreten; hier verlief die Entwicklung bei uns ähnlich wie in anderen Ländern. Blieb es zunächst bei scheinbar unpolitischen Randalen und Prügeleien, zumeist unter dem Einfluß von Alkohol, so gehört es inzwischen durchaus zum Fußballalltag in der DDR, daß Gewalttaten mit rassistischen und antisemitischen Beschimpfungen gepaart sind. Auch im irrationalen Haß zwischen Sachsen und Berlinern, der eigentlich immer nur belächelt wird, manifestiert sich faschistische Ideologie. Ein vorläufiger trauriger Höhepunkt war das Spiel zwischen Lok Leipzig und Union Berlin am 23. April 1988 in Leipzig, bei dem die Volkspolizei mit Gummigeschossen gegen die verfeindeten „Fans“ vorgehen mußte.
Neben den durch ihr martialisches Äußere auffälligen Skinheads gibt es eine zweite, wie ich meine, gefährlichere Gruppierung: die Faschos. Sie sind die eigentlichen Träger der faschistischen Ideologie. Nach außen hin geben sie sich unauffällig, erscheinen angepaßt, sind gute Arbeiter. Insgeheim aber basteln sie in geschlossenen Zirkeln an ihrer altneuen Weltanschauung. Von diesen Entwicklungen sind die Verantwortlichen in Staat und Partei wohl überrannt worden. Waren sie zu Beginn der achtziger Jahre zu sehr damit beschäftigt, gegen die gewaltfreien Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen ins Feld zu ziehen? Hat sich auch der sozialistische deutsche Staat als auf dem rechten Auge blind, zumindest aber sehschwach erwiesen? Als am 29. Mai 1985 das DDR-Fernsehen das Massaker im Brüsseler Heysel-Stadion live übertrug, habe ich telefonisch zuerst den Sendeleiter in Adlershof, dann den Chef vom Dienst im Zentralkomitee der SED aufgefordert, die Sendung abzubrechen. Die Antwort war: Wir werden weiter übertragen. Unsere Menschen sollen sehen, was im Kapitalismus möglich ist.
Ähnlich argumentiert Thomas Heubner in seinem Buch „Die Rebellion der Betrogenen“ (nl konkret 67, Berlin 1985, S. 167 ff.). Auch noch in der neusten Auflage (1988) delegiert er das Problem ausschließlich an den Westen: „Die Skinheads sind in ihrem Denken und Handeln nur ein Spiegelbild der kapitalistischen Gesellschaft.“ Nein, so einfach dürfen wir es uns nicht machen! Anfang 1988 schätzte man die Anzahl der in faschistischen Gruppen organisierten jungen Leute in der DDR auf ungefähr eintausend. Ab 1986 hatten die Skinheads begonnen, die als links und proletarisch geltenden Punks zu terrorisieren. Inzwischen ist die Punk-Szene bei uns so gut wie ausgelöscht; einige sind zu den Rechten abgewandert. Andere „Bunte“, Gruftis, Ausländer, Farbige, Mitglieder gewaltfreier alternativer Gruppen, sind die neuen Opfer der Faschisten. Von 1983 bis 1987 sind ihre Gewalt- und Straftaten ums Fünffache gestiegen, aufgeklärt und verfolgt werden konnte nur ein geringer Teil.
Inzwischen muß das „Potential politisch motivierter Gewaltbereitschaft“ viel höher eingeschätzt werden; die Faschisten haben Zulauf. An den Berufsschulen rechnet man mit zwei bis drei Rechtsradikalen pro Klasse, große territoriale Unterschiede soll es nicht geben. Der größte Teil, etwa dreiviertel, rekrutiert sich aus den Jahrgängen 1962 bis 1970. Älter als sechsundzwanzig Jahre sind nur wenige. Auf Vierzehn- und Fünfzehnjährige hingegen übt die rechte Szene eine starke Anziehungskraft aus.
Unter den neuen Faschisten finden sich sowohl Arbeiterkinder wie Söhne und Töchter aus intellektuellen und bürgerlichen Familien. Skinheads sind häufig proletarischer Herkunft oder Jungarbeiter. Die faschistischen Gruppierungen sind, anders als die übrigen informellen Gruppen, in denen junge Männer und Frauen numerisch ausgewogen vertreten sind, maskulin dominiert; Mädchen und junge Frauen machen weniger als ein Fünftel unter den rechtsradikalen Jugendlichen aus. In der Regel sind die der rechten Szene zuzurechnenden jungen Männer und Frauen alleinstehend, sie heiraten, soweit dies gegenwärtig zu erkennen ist, überdurchschnittlich spät. Die entscheidende Frage, ob solche soziotypischen Merkmale zufällig entstehen oder Bestandteile eines Programms sind, ist gegenwärtig kaum zu beantworten.

Das Programm der neuen Rechten
Wer Skinheads und Faschos lediglich als prügelnden randalierenden Mob betrachtet, als eine Horde haltloser und von westlichen Idolen verführter Krimineller, für den stellt sich die Frage nach einem politischen Programm natürlich nicht. Das aber, der historische Vergleich drängt sich auf, war schon einmal in der deutschen Geschichte der verhängnisvollste Irrtum der Linken wie des Bürgertums. Heute, so scheint mir, ist es für viele Antifaschisten der ersten und zweiten Generation geradezu zum Glaubensbekenntnis geworden, daß der Aufbau der neuen Gesellschaft und eine vierzigjährige antifaschistische Erziehung, die es ja zweifellos gegeben hat, einfach nicht vergebens gewesen sein können; sie verdrängen jeden Gedanken an eine neue faschistische Gefahr in unserem Land. Es ist undenkbar für sie, daß junge Deutsche, die vom schrecklichen nationalsozialistischen Terror und von den faschistischen Massenmorden wissen, erneut dem Wahn der Rechtsideologie verfallen könnten.
Was überhaupt weiß man über die Gedankenwelt der neuen Faschisten bei uns im Land, der Skinheads und Faschos? Beiden Gruppierungen gemeinsam ist, daß sie ihre Identität aus dem Prinzip Gewalt beziehen. Nicht Demokratie oder gar Gewaltfreiheit, nicht die Ideale der französischen Revolution, nicht die des Sozialismus oder des Christentums werden als gesellschaftstragende Werte verstanden, sondern allein das Recht des Starken, des Herrenmenschen. Und das ist durchaus in politischen Dimensionen, nicht nur für die Gruppe oder die Gemeinschaft Gleichgesinnter gemeint. Deutlicher als die Skinheads beziehen sich die Faschos auf nationalsozialistisches Gedankengut. Hitlers „Mein Kampf“, so ist zu hören, kursiert unter den neuen Rechten in der DDR. Aber auch aus antifaschistischen Schriften und Darstellungen bezieht man, unter ganz anderem Vorzeichen, Material für die ideologischer Schulung.
Skinheads und Faschos gemeinsam ist die Ablehnung des sozialistischen deutschen Staates, bei den Faschos sind auch Vorbehalte gegen die westdeutsche Demokratie auszumachen. „Wir treten ein für ein vereinigtes Deutschland. Die ganze Linke, das kotzt einen ja an in diesem Scheißstaat“. „Rechtsradikal sein heißt, konsequent einzutreten gegen diese totalen Phrasenschreier, gegen die ganzen Jasager. Wir sind keine Jasager, wir stehen zu unserer Meinung.“ Die Faschos wollen die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1938. Sie lehnen es konsequent ab, aus der DDR auszureisen; hier, in der Beseitigung der sozialistischen Gesellschaft und im Kampf um ein vereintes Großdeutschland sehen sie ihr Wirkungsfeld. Bei den Skinheads ist eine solche politische Motivierung weniger deutlich ausgeprägt; die Haltung in dieser Frage dürfte beim anstehenden Differenzierungsprozeß innerhalb der neuen Rechten maßgeblich sein.
In Ansätzen sind auch „außenpolitische“ Aktivitäten der neuen Faschisten zu erkennen. Konsequenterweise richtet sich ihr Haß gegen die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die den faschistischen Staat zerschlagen haben. Bekannt ist eine rege Reisetätigkeit in die sozialistischen Nachbarländer; zur ungarischen, tschechoslowakischen, baltischen und ukrainischen rechten Szene scheint es Beziehungen zu geben. Manches spricht dafür, daß es auch ideologische Übereinstimmungen und eine gemeinsame Logistik gibt, zum Beispiel zur Beschaffung von Propagandamaterial, Wehrsportausrüstungen und Waffen.
Daß es auch Kontakte zu den Skinheads in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Ländern gibt, ist bekannt; Verbindungen zum politischen Neofaschismus in Westdeutschland sind zu vermuten. Ich meine aber, daß die Intensität dieser Kontakte, wohl infolge der offiziellen SED-Argumentation, eher überschätzt wird. Die Drahtzieher und führenden Köpfe des neuen Faschismus in der DDR, das ist meine feste Überzeugung, sind jedenfalls nicht im Westen zu suchen, sondern haben hier „überwintert“ oder sind hier großgeworden.
In jüngster Zeit bildet sich bei den Faschos ein ausgesprochener Antiamerikanismus aus; die Rechten brauchen neue Feindbilder. Antisemitismus und Rassismus sind latent vorhanden; es gehört nicht viel Weitsicht dazu, um für die nahe Zukunft antisemitische Aktionen und Schmierereien vorauszusehen. Auf den Fußballplätzen, in den Kneipen der rechten Szene sind antisemitische Sprüche und Witze ohnehin an der Tagesordnung. Zu glauben, daß in der DDR die Wurzeln des Antisemitismus ein für allemal ausgerottet sind, wie das in diesem Herbst so oft zu hören war, ist reines Wunschdenken. Wenn in Arbeits- und Schulkollektiven antisemitische Äußerungen als harmlose Verirrung abgetan werden, wenn der §220 (2) StGB, die Verfolgung öffentlicher Äußerungen militaristischen und faschistischen Inhalts, eher zögernd zur Anwendung kommt, so ermuntert und bestärkt das nur die neuen Rechten.

Die Werte der neuen Rechten
In Arbeits- und Ausbildungskollektiven erfreut sich der Rechtsradikalismus ohnehin einer zunehmenden Akzeptanz. Die antifaschistische Abwehrfront in der Bevölkerung, so ein Insider, bröckelt ab. Das hängt ganz sicher mit den Werten zusammen, die von den Faschos propagiert werden. Dem unpolitischen Betrachter, dem Kleinbürger zumal, erscheinen sie offenbar als arbeitssame, ordentliche, disziplinierte junge Mitbürger, die nicht einfach in den Tag hinein gammeln, sondern wissen, wofür sie leben.
In der Tat wendet sich die neue Rechte vehement gegen die ansonsten recht verbreitete Null-Bock-Ideologie, gegen Ausreiser und Aussteiger, gegen eine gewisse Larmoyanz und Resignation mancher alternativer Gruppen. „Der Großteil der Jugend hier hat keine Vorbilder, die leben in den Tag hinein, haben bloß Kniff im Kopp. Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten wollen, haben sie nicht“ so ein Skinhead aus dem Prenzlauer Berg. Anders die neuen Rechten: Sie sind stolz darauf, etwas zu wollen, ein Lebensziel, Ideale zu haben. Sie verabscheuen jede Form von Anarchie, lassen sich nicht hängen. Körperliche Ertüchtigung und gesunde Lebensführung gehören zum politischen Programm, in der Regel sind sie körperlich hervorragend trainiert: „Wir sind die Elite der deutschen Jugend“. In dieses Bild paßt die gegenwärtig zu beobachtende Abkehr vom Alkohol bei einem Teil der rechten Szene. Andere bestimmende Werte und auch hier sind die historischen Vorbilder unschwer auszumachen, sind Persönlichkeitskult und Kameradschaftsgeist. Bei den wöchentlichen Zusammenkünften erzieht man sich gegenseitig zur unbedingten Gläubigkeit an die Idee und an die Idole. Ein Elitebewußtsein, ein gewisses rechtes Selbstwertgefühl wird in diesen Zirkeln regelrecht antrainiert. Jedes Gruppenmitglied hat sich dabei bestimmten Bewährungsritualen zu unterziehen, durch die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt bewiesen und stimuliert und moralische Hemmungen allmählich abgebaut werden. Feige, hinterhältige Angriffe auf völlig Unbeteiligte sind dabei als „Mutprobe“ üblich. An den Wochenenden sollen manche Cliquen sich zu regelrechten „Wehrertüchtigungscamps“ treffen oder paramilitärische Übungen durchführen.
Nicht zufällig werden soldatische Werte kultiviert, Disziplin, Gehorsam, Ausdauer, Verläßlichkeit; insbesondere wird der Kameradschaftsgeist der faschistischen Wehrmacht beschworen. Man versucht, die rechte Ideologie an Soldaten der Nationalen Volksarmee heranzutragen und sucht unter ihnen Verbündete. Ob die faschistischen, verdeckt operierenden Propagandisten unter den Wehrdienstleistenden Zuspruch haben, ist schwer zu beurteilen; ausschließen kann man es sicher nicht. In bestimmten Einheiten jedenfalls, zum Beispiel bei den Fallschirmjägern, sollen ehemalige Skinheads besonders häufig anzutreffen sein. Zum rechten Persönlichkeitskult schließlich gehört, daß verurteilte Gewalttäter zu Helden hochstilisiert werden. „Kamerad“ Ronny Busse zum Beispiel, einer der Schläger beim Überfall auf die Zionskirche, wird in der Szene geradezu verehrt. Es ist zu fürchten, daß ohne sozialtherapeutisches Programm für viele die Haft tatsächlich zu einer „Akademie“ wird, in der sich ihre Anschauungen festigen und ihr Selbstwertgefühl aufgebaut wird. Für die Faschos und Skinheads draußen sind die Verurteilten willkommene „Märtyrer der Bewegung“. Das wiederum könnte nur dann verhindert werden, wenn man die ganze Feigheit und Erbärmlichkeit dieser neuen „Kameraden“, die Frauen und Mädchen und friedfertige Mitbürger zusammengeschlagen haben, wirklich öffentlich macht und sich auch die schmerzlichen Details nicht erspart.

Die Logistik der neuen Rechten
Ist es noch relativ einfach, bestimmende Charakteristika und gemeinsame Wertvorstellungen für die unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Gruppierungen zusammenzutragen, so ist der Nachweis von Führungsstrukturen und -mechanismen fast unmöglich. Da alle neuen faschistischen Gruppen streng nach konspirativen Regeln operieren, gibt es dafür keine direkten Indizien, zumindest sind mir solche nicht bekannt. Vor Vernehmern und Richtern wird eher versucht, derartige Zusammenhänge zu leugnen, zu verschleiern oder herunterzuspielen. Indirekt verweist jedoch die Logistik der Faschos und Skinheads auf zentrale und ideologisch untermauerte Führungsorgane; letztlich aber muß das Hypothese bleiben.
Die rechten Cliquen sind in der Regel zehn bis vierzehn Mann stark, das ist eine auch von den Soziologen als ideal angesehene Gruppenstärke. Derartige Kleingruppen sind in der Lage, sich nach außen hin total abzuschirmen und jeden unerwünschten Informationsfluß aus der Gruppe heraus zu unterbinden. Wird eine bestimmte Mitgliederzahl überschritten, trennt sich die Gruppe auf. Die Führer setzen sich durch ihre starke Persönlichkeit durch, demokratische Wahlmodalitäten sind nicht üblich. Der einmal akzeptierten Autorität wird bedingungslos Gefolgschaft geleistet. Gruppenführer zeichnen sich in der Regel durch überdurchschnittliche Intelligenz, durch eine starke Persönlichkeit, durch den Willen zu Macht und Gehorsam aus. Sie verfügen über ein Elitewissen, das auf übergeordnete Autoritäten schließen läßt. In einzelnen Fällen waren fünfzehnjährige Kinder die Anführer von Gefolgschaften älterer Jugendlicher.
Auch manche abgestimmt und gleichzeitig verlaufende Aktion und Aktivität der neuen Rechten deutet auf ein ideologisches Konzept und eine gruppenübergreifende Logistik hin. Dazu gehört der Mitte der achtziger Jahre massiv unternommene Versuch, junge Faschisten in Wehrsportgruppen der GST und in Ordnungsgruppen der FDJ einzuschleusen. Es heißt, daß sie dabei nach einem durchdachten Konzept vorgingen und nicht selten erfolgreich waren. Inzwischen ist diese Taktik erkannt und greift nicht mehr. Gegenwärtig versucht man, sich unauffällig zu machen und auf das martialische Äußere zu verzichten. Auch eingeschworene Skinheads lassen sich in diesem Herbst die Haare wachsen und haben die Uniform an den Nagel gehängt, und das landesweit – ein bloßer Zufall? Verbunden ist das Streben um ein neues bürgerfreundliches und angepaßteres Images mit der Kampfansage an den Alkohol. Bei Schlägereien ist es üblich geworden, den Nachwuchs zum Provozieren vorzuschicken, selbst aber nur mal kurz „hinzulangen“ und schnell wieder zu verschwinden.

Die braune Stafette
Zahlreiche Traditionslinien, das dürfte deutlich geworden sein, verbinden die neuen Rechten mit dem deutschen Nationalsozialismus. Wie konnte die schreckliche Saat in der Mitte der achtziger Jahre, in einem antifaschistisch tradierten Staat, in einer sozialistischen Gesellschaft erneut auf so fruchtbaren Boden fallen?
Sind doch bei uns faschistische Täter und Mitläufer konsequenter bestraft und geächtet worden als im anderen Deutschland. Bis Mitte der siebziger Jahre wurden 12876 Naziverbrecher rechtskräftig verurteilt. Seitdem hat es Jahr für Jahr weitere Prozesse gegeben. Die jüngste Verurteilung eines Naziverbrechers, die mir bekannt ist, erfolgte im Juli 1988 in Halle. Antifaschismus ist in der DDR Verfassungsauftrag und Staatspolitik.
Das alles aber sagt nichts über den psychologischen, den moralischen Zustand der Deutschen in diesem Lande aus. Viele, die Hitler 1933 zugejubelt haben oder die als schweigende Mehrheit den Krieg und die faschistischen Verbrechen mitgetragen haben, sind 1945 nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht wirklich umgekehrt. Manche, sie haben oft wohl am lautesten „mea culpa“ geschrien, haben zwar Fahnen und Uniformen und Parteibücher gewechselt, sind im Innern aber die alten geblieben. Für die meisten aber, für all die Mitläufer und Stillschweiger, mag die Erkenntnis, zwölf Jahre lang von Verbrechern verführt und mißbraucht worden zu sein, so schrecklich und so unerträglich gewesen sein, daß sie einfach verdrängt wurde. Das übermenschliche Maß der Schuld wie der Scham hat eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erschwert.
Weder von den Kirchen noch von der Gesellschaft wurde das erkannt. Sie haben den im Dritten Reich schuldig Gewordenen nicht wirklich die Möglichkeit zum öffentlichen Bekenntnis, zur öffentlichen Diskussion ihres Handelns und Unterlassens eingeräumt. Die Verbrecher wurden bestraft. Die Millionen Mitläufer aber und alle, die durch schweigende Zustimmung schuldig geworden waren, blieben weiter zum Schweigen verurteilt. Ihnen wurde die Gnade der Reue verweigert. Die Deutschen in diesem Land sind zu schnell zur Tagesordnung der neuen Ordnung übergegangen.
Behindert wurden Scham und Reue auch dadurch, daß viele Antifaschisten, unter ihnen besonders die Kommunisten, für sich eine übermenschliche Reinheit und Edelmenschlichkeit beanspruchten. Dem lauthals verkündeten humanistischen Anspruch aber stand alsbald der stalinistische Terror der Nachkriegsjahre entgegen. Das diskreditierte gerade bei den sich schuldig wissenden Proselyten den antifaschistischen Staat und die antifaschistische Idee. Alle Fehler, alle Mängel dieses Staates und dieser Gesellschaft wurden Argumente für die eigene moralische Überlegenheit und führten zur erneuten Hinwendung zum Faschismus. Die latente Bereitschaft zur Umkehr schlug um in einen neuen, jedoch in der tiefsten Seele gehaltenen Fanatismus.
Diese rückbekehrten Faschisten lebten vierzig Jahre lang nach außen hin angepaßt, als politisch indifferente oder sich sozialistisch gebärdende Bürger. Sie sind es, denke ich, die geduldig auf ihre Stunde gewartet und nun an ihre Enkel den braunen Stafettenstab weitergereicht haben. Sie, die unauffällig sind und harmlos scheinen, die schwer zu packen sind, halten die Fäden in der Hand; nicht jene Handvoll früherer SS-Leute und Parteibonzen, die hier und da unter falschem Namen oder mit gefälschten Papieren untergekrochen sein mögen.
Das alles, es ist mir bewußt, ist Hypothese. Vielleicht ist alles viel einfacher. Vielleicht gibt es wirklich Familien, in denen die faschistische Idee offen und ungebrochen gelebt und ein faschistisches Elitebewußtsein gezüchtet wurde. Vielleicht sind es die Witwen der Gehenkten, die an die Söhne und Enkel das Vermächtnis der Männer weitergereicht haben. Vielleicht sind auch nur die Mauern um unser Land oder um die Gefängnisse durchlässiger, als wir es uns denken können.

Die Last der Gegenwart
All das aber erklärt nicht den Zulauf, den die Rechten gegenwärtig haben. Das ist, denke ich, allein aus der Gegenwart heraus zu erklären. Faschistische Traditionslinien, personelle wie strukturelle, finden sich auch im sozialistischen Staat. Selbst bei denen, die eine ehrliche Umkehr vollzogen haben, blieben im Unter- und Unbewußten Spuren des Dritten Reiches. Vieles an unserer Alltagssprache verrät das. Unsere Alltagskultur wurde nicht völlig entnazifiziert: Nicht das Individuum, das Einmalige steht zuoberst auf der Werteskala, sondern die Masse, das Allgemeine. Nicht Originalität und Innovation haben den höchsten Stellenwert, sondern Unterordnung und Konvention. Nicht Widerspruch und Kritik sind wirklich geschätzt, sondern Anpassung und Duckmäusertum.
Das kleinere Deutschland hatte nie die Chance, die demokratischen Traditionen der 1848er Revolution oder die der Weimarer Republik aufzugreifen und fortzuführen; ihm wurde eine proletarische Diktatur stalinistischer Prägung aufgezwungen. Die antifaschistisch-demokratische Gesellschaftsstruktur hat nicht wirklich alle Lebensbereiche durchdrungen; oft genug ist sie Entwurf geblieben. Die kommunistische Kaderpartei beförderte nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern schuf ein System neuer Privilegien zur Belohnung von Maulheldentum, Untertanengeist und Parteidisziplin. Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebte unter anderem Vorzeichen eine Renaissance: erst der Stalinkult, dann der unbedingte Anspruch der kommunistischen Partei, Avantgarde und Vorhut zu sein. Eine basisdemokratische Kontrolle der Mächtigen und ihrer Organe gab es nicht und wird bis heute nicht geduldet.
Auch die sozialistische Gesellschaft nimmt für sich das Prinzip der Gewalt in Anspruch, anerkennt und praktiziert es. Immer wieder wurden und werden Konflikte gewaltsam gelöst: Kritiker wurden ausgebürgert, Andersdenkende eingesperrt, Bücher und Zeitungen verboten. Gewalt, im Klassenkampf ausgeübt, gilt als hoher moralischer Wert. Gewalt gegen ungeborenes Leben wird gesellschaftlich sanktioniert. Die Mauer endlich ist die vollendete Materialisierung des Prinzips Gewalt. Gewaltfreiheit und Pazifismus andererseits werden von der sozialistischen Gesellschaft nicht geschätzt, bestenfalls geduldet.
All das ist nicht Faschismus. Aber die grundsätzliche Bejahung von Gewalt und der Mangel an demokratischer Kultur haben den Propagandisten der neuen faschistischen Bewegung ein leicht zu beackerndes Feld bereitet. Menschen, die hierzulande aufgewachsen und in unseren Schulen erzogen sind, sind ungenügend gegen den Bazillus radikaler Ideologien immunisiert. Hinzu kommt, daß seit mehr als einem halben Jahrhundert das Nationalgefühl der Deutschen gestört ist. Nach dem krankhaften Nationalismus in den erste Jahrzehnten dieses Jahrhunderts wurden unter dem Eindruck der deutschen Teilung alle nationalen Gedanken und Gefühle künstlich unterdrückt. Viele Jahre lang war es eher eine Schande, ein Deutscher zu sein. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein wurde das Wort Deutschland krampfhaft gemieden; der schöne Text unserer antifaschistischen Nationalhymne wird deshalb bis heute nicht gesungen. Patriotismus sollte durch Internationalismus ersetzt werden – wie aber kann ich Internationalist sein, wenn mir die nationale Identität fehlt! Die künstliche Konstruktion einer „sozialistischen Nation“, aus tagespolitischem Kalkül heraus geschaffen, ist von den Deutschen in der DDR niemals wirklich angenommen worden. Schlägt nun das unterdrückte, verdrängte Nationalgefühl um in einen extremen Nationalismus? Die Geschichte bietet dafür mehr als nur ein Analogon…
Die Hinwendung einer großen Anzahl, wohl der Mehrzahl der Deutschen in der DDR zu kleinbürgerlichen Werten und Lebensformen, der so augenfällige Rückzug in private Nischen, die Flucht aus dem gesellschaftlichen ins private Sein haben gleichfalls die Anfälligkeit für faschistische Gedanken erhöht. Niemand verkraftet auf die Dauer eine solche Doppelzüngigkeit, ein solches Doppeldasein, wie sie sich hierzulande breitgemacht haben. Die allabendliche Massenemigration per Fernseher ist deutlicher noch als die Ausreisewelle ein Indiz für ein gespaltenes gesellschaftliches Bewußtsein. Ein Gemeinwesen, dessen Bürger dauernd etwas anderes sagen als sie denken, die dauernd etwas anderes tun, als sie wollen, die etwas anderes scheinen als sie sind ist krank und geschwächt und empfänglich für Radikalismen jeder Art.
Junge Menschen, die in unserem Land aufwachsen, sind von Kindheit an diesen sozialen Defekten ausgesetzt. Unser Bildungssystem unterstützt die unreflektierte Übernahme kränkender Verhaltensmuster aus Familien und Kleingruppen: Fast regelmäßig werden nicht Kritik und eigenes Denken gefördert und belohnt, sondern Nachplappern und Angepaßtsein. Junge Menschen, die alternative Lebens- und Gesellschaftsmodelle durchdenken und erproben wollen, müssen erfahren, daß sie als staatsgefährdend angesehen und behandelt werden. Die Erziehung ist intellektualisiert, die Seele, die Gefühle werden nur ungenügend gebildet. Häufig ist in der Schule die Auseinandersetzung mit der Geschichte unsinnlich und dogmatisch verklemmt, die Gesellschaftslehre wird kalt und leidenschaftslos vermittelt, eine gebetsmühlenartige Wiederholung soll die kritische Aneignung ersetzen.
„Die Verarmung und Verirrung des Gefühlslebens, Kaltschnäuzigkeit und Brutalisierung, der Abbau des Gefühls für das Schöne bereiten ein Vorfeld für Faschismus. Der Faschismus vernichtet den ganzen Menschen, seine ganze Humanität. Deshalb müssen wir den ganzen Menschen gegen dieses Gift widerstandsfähig machen. Dafür reicht die nackte Information, das bloße Wissen nicht aus.“ Diese Mahnung Konrad Wolfs, 1979 ausgesprochen, scheint, wie manches andere, bei den verantwortlichen Jugend- und Bildungspolitikern ungehört verhallt zu sein. Ein „emotionaler Nährboden für aktiven Antifaschismus“ (Konrad Wolf) sind die meisten Schulen bei uns jedenfalls nicht. Antifaschistische Kampagnen und Demonstrationen können die mühevolle stete Arbeit einer humanistischen Bildung der Herzen und Hirne nicht ersetzen.

Gewalt und Gegengewalt
Wir müssen begreifen, so schmerzlich es auch sein mag: Diese jungen Faschisten sind das Produkt unserer Gesellschaft; es sind unsere Kinder. Wir dürfen sie nicht, nicht einen, verloren geben. Wir haben uns vor Vorurteilen zu hüten, wie oft sind Vorurteile der erste Schritt zur Verurteilung. Selbstverständlich kann es nach allem, was die Nationalsozialisten der Welt und Deutschland angetan haben, keine Toleranz für faschistische Anschauungen und Taten geben. Barmherzigkeit, Wärme und Gesprächsbereitschaft aber sind wir auch den schlimmsten Tätern schuldig.
Das Bemühen des Staates, den neuen Faschismus einzudämmen, erscheint hilflos und wenig wirkungsvoll: Gegengewalt wird anscheinend als Allheilmittel angesehen. Viele Maßnahmen sind überzogen und treffen nicht selten die Falschen; manchmal mögen junge Menschen erst durch übertriebene und gewaltbetonte Reaktion der Staatsmacht in die Arme der Rechten getrieben worden sein. Jugendliche mit geschorenem Kopf und gar in Skinhead-Kluft, auch reine Mode-Skins, haben es schwer, werden bevormundet und gegängelt. Zu Discos und Jugendclubs haben sie kaum noch Zutritt. Selbst völlig friedfertige Jugendliche werden auf der Straße von der Volkspolizei kontrolliert – nur, weil sie ein wenig ungewöhnlich gekleidet sind oder sich vielleicht etwas temperamentvoller äußern. Wenn sich, das gilt zumindest für größere Städte, ein Club oder eine Gaststätte zum Treffpunkt solcher Cliquen entwickelt hat, werden sie häufig unter einem Vorwand, aus „technischen Gründen“ oder wegen einer plötzlich notwendig werdenden Renovierung, geschlossen. Die Gruppen suchen sich woanders einen neuen Treffpunkt; das Problem wird von einem Stadtbezirk zum anderen geschoben.
Die Ordnungsgruppen der FDJ bringen gleichfalls Probleme mit sich. Denn offenbar gibt es unter den Ordnern auch solche, die die ihnen übertragene Macht gegen ihre Altersgenossen mißbrauchen und anstelle von Argumenten die Fäuste sprechen lassen. Eine sorgfältige und verantwortungsvolle Auswahl, eine psychologische Schulung sollten selbstverständlich sein. Die ständige Kontrolle ist notwendig, auch geringste Übergriffe müssen geahndet werden. Denn überzogene Reaktionen von Ordnungskräften und Polizisten können Aggressivität und Widerstand erst provozieren; manche Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt indizieren das jedenfalls.
Eine öffentliche demokratische Kontrolle der machtstützenden Organe – der Polizei, der Justiz, des Strafvollzugs, des Staatssicherheitsdienstes – würde gerade jungen Bürgern mehr Rechtssicherheit und Vertrauen geben und Aggressionen abbauen. Die gegenwärtige Eingabenpraxis, undurchschaubar und ohne Begründungs-pflicht, ist ganz und gar unbefriedigend und leistet dem Mißbrauch von Macht Vorschub. Strafgesetzgebung und Strafvollzug schließlich, das ist selbst für den Laien offensichtlich, bedürfen dringend der Revision. Wenn überhaupt, wird wohl nur ein humanistisches sozial- und psychotherapeutisches Programm junge rechtsradikale Straftäter zum Nach- und vielleicht Umdenken bringen können, nicht aber der unwürdige sinnleere Alltag einer langjährigen Haft.
Viele der verurteilten Skinheads sind in geordneten Verhältnissen, in „guten Familien“ großgeworden, waren gute Schüler und Arbeiter. Zuweilen kamen sie aus Familien mit antifaschistischer Tradition, waren die Eltern Funktionäre; selbst Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes haben ihre Kinder an die neuen Faschisten verloren. Der Gedanke liegt nahe, daß es manch einem, der in die rechte Szene hineingeraten ist, zu Hause an Wärme und Verständnis gefehlt hat, daß er autoritär erzogen wurde oder daß ihn die Eltern ihre Werte und Weltanschauungen nicht vorgelebt, sondern eingebleut haben. Der besonders für junge Menschen legitime und für ihre gesunde Entwicklung doch unerläßliche Zweifel an allen Autoritäten, ihre gesunde Opposition mag nicht selten mit den antiquierten Mitteln der „schwarzen Pädagogik“, mit psychischer und physischer Gewalt gebrochen worden sein. Das wurde der Nährboden für den Haß auf alle Autoritäten. Und die Kinder wußten nur zu gut, daß sie gerade durch ihre Hinwendung zum Faschismus den Eltern, den gesellschaftlichen und staatlichen Autoritäten, den allerheftigsten Schmerz zufügen würden. Wieviel Trauerarbeit haben sie und wir alle zu leisten, um diese Flut von Haß und Schmerz zu integrieren!

Alternativen
Die Gefahr einer neuen faschistischen Bewegung, getragen von jungen Menschen unseres Landes, ist denkbar geworden. Es ist für uns alle eine Herausforderung. Jeder hat sich selbst zuerst die bitteren Fragen zu stellen, jeder wird eigenes Versäumen und Versagen zu bedenken haben. Staat und Kirche, Schule und Jugendorganisation müssen, jeder für sich, fragen, was sie unterlassen und worin sie gefehlt haben, wenn Zwanzigjährige in unserem Land wieder „Sieg Heil“ und „Juden raus“ brüllen.
Ich fürchte, wir werden auf absehbare Zeit mit einem gewissen rechten „Potential politisch motivierter Gewalttätigkeit“ leben müssen. Staatliche Gegengewalt ist kein taugliches Therapeutikum. Es wird darauf ankommen, dem Rechtsradikalismus die schillernde Verführungskraft zu nehmen und junge Menschen humanistische Alternativen zu bieten. Das ist, nach meiner festen Überzeugung, nur durch die konsequente demokratische Umgestaltung unserer Gesellschaft und durch die Absage an die Gewalt als gesellschaftsbildende Kraft zu erreichen. Ein gewaltfreier sozialer Dienst anstelle der Militärpflicht sollte endlich möglich werden. Wir müssen lernen, auf Gewalt auch gegenüber dem ungeborenen Leben und gegenüber der Natur zu verzichten.
Eine neue Kultur des öffentlichen Dialogs muß erworben und gepflegt werden; unser Land braucht Gedanken- und Pressefreiheit und ein Spektrum unzensierter Medien. Für junge Menschen muß es eine rechtliche und soziale Basis geben, um alternative demokratische Lebensmodelle, zum Beispiel nach dem Vorbild der israelischen Kibbuzim zu erproben. Nur wahrhafte Demokratie kann auf Dauer die Jugend unseres Landes gegen faschistisches Gedankengut immunisieren.

Prozesse gegen Skinheads in der DDR

Von Ende November 1987 bis Anfang Juli 1988 haben in der DDR mindestens neun Prozesse gegen Nazis-Skinheads und Neofaschisten vor Kreisgerichten (bzw. in einem Fall in zweiter Instanz vor einem Bezirksgericht) stattgefunden, in denen 49 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren wegen zahlreicher Gewaltakte und auch wegen Handlungen mit rechtsradikalem Hintergrund abgeurteilt wurden. Der erste dieser Prozesse führte am 4. Dezember 1987 zur Verurteilung von vier Skinheads, die sich an den Gewalttätigkeiten gegen Besucher der Zions-Kirche in Ost-Berlin am 17. Oktober 1987 beteiligt hatten, durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte zu Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren, die auf den Protest der Staatsanwaltschaft am 22. Dezember vom Stadtgericht Berlin auf zwei bis vier Jahre erhöht wurden. Im Dezember 1987, nach dem ersten Prozeß vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte, kündigte der Generalstaatsanwalt der DDR acht weitere Prozesse gegen Skinheads an.

In der Zeit von Februar bis Juli 1988 wurden folgende Urteile gegen Skinheads verhängt (die Auflistung ist mit Sicherheit unvollständig):

* 3.2.1988: Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte gegen acht weitere Beteiligte an den Gewalttätigkeiten gegen Besucher der Zions-Kirche am 17.10.1987 (1¼ bis 1½ Jahre).
* 19.2. 1988: Urteil des Kreisgerichts Weißenfels gegen drei Personen (2 bis 5½ Jahre; rechtsradikaler politischer Hintergrund fraglich).
* 25.3.1988: Urteil des Kreisgerichts Dresden-Nord gegen vier Personen (1 bis 1½ Jahre).
* April 1988: Urteil des Kreisgerichts Halle gegen sieben Personen (5 bis 12 Monate; rechtsradikaler politischer Hintergrund fraglich).
* 11.5.1988: Urteil des Kreisgerichts Oranien-burg gegen neun Personen (1¾ bis 6½ Jahre).
* 1.6.1988: Urteil des Kreisgerichts Cottbus gegen acht Personen (1 Jahr 2 Monate bis 2 Jahre).
* 22.6.1988: Urteil des Kreisgerichts Dresden-Nord gegen eine Person (2 Jahre).
* 5.7.1988: Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin-Prenzlauer Berg gegen fünf Personen (2½ bis 6½ Jahre; diese Urteile gehören nicht zu den im Dezember 1987 angekündigten Strafverfahren, da die Verurteilten erst am 5. März 1988 verhaftet worden waren).

Insgesamt ergibt sich damit eine Zahl von mindestens 39 Verurteilten für die Zeit von Ende November 1987 bis Anfang Juli 1988, denen neben Gewalttätigkeiten und anderen gewöhnlichen Kriminaldelikten auch Bekundungen einer neonazistischen Gesinnung vorgeworfen wurden. In den von den DDR-Medien publizierten Gerichtsberichten über zwei Prozesse gegen weitere zehnVerurteilte (Kreisgerichte Weißenfels und Halle) wurde zwar der Begriff „Skin-head“ verwendet, von Delikten mit neonazistischem Hintergrund war dort aber nicht die Rede. Im November 1987 schätzten westliche Beobachter die Zahl der Skinheads in Ost-Berlin auf etwa hundert Personen, zu denen noch eine Gruppe in und um Dresden kommt (ebenfalls ca. hundert Personen). Eine erheblich höhere Zahl rechtsradikaler Jugendlicher nannte der Schriftsteller Rolf Schneider auf dem Kirchentag in Halle (23.-26. Juni 1988). Er behauptete , daß sich in der DDR 1500 junge Leute selbst als „Neonazis“ bezeichnen“; über die Quelle, aus der diese Zahl stammen soll und wie sie ermittelt wurde, war allerdings bisher nichts zu erfahren. Prozesse wegen „Rowdytums“ (§ 215 StGB der DDR) und Berichte darüber in den dortigen Medien sind in der DDR nicht allzu selten. Überwiegend wurde dabei gegen Täter wegen unpolitischer krimineller Delikte verhandelt. Gelegentlich allerdings kam diese Strafbestirnmung auch gegen Regimekritiker zur Anwendung, die mit Neonazismus nicht das geringste zu tun haben, denen die Strafverfolgungsorgane angeblich illegale Demonstrationen für Ausreise, Meinungsfreiheit usw. vorwarfen und die mit der Klassifizierung als „Rowdies“ kriminalisiert werden sollten (ein seit langer Zeit auch in der Sowjetunion übliches Verfahren, Regimekritiker als Kriminelle abzustempeln). Bis Ende November 1987 gab es – zumindest in den in der DDR veröffentlichten Gerichtsberichten – keine Hinweise auf irgendwelche rechtsradikalen Hintergründe der Delikte von Rowdies bzw. Skinheads. Vereinzelte antisemitische Friedhofsschändungen in der DDR sind in den siebziger Jahren bekanntgeworden (Zittau, Potsdam, Dresden).

Nachrichten über gelegentliche neonazistische Äußerungen von Jugendlichen in der DDR (rassistische Beschimpfungen und Bedrohungen, Hakenkreuzschmierereien, Judenwitze, Türkenwitze), aber auch über Überfälle von Skinheads auf Gruppen der unabhängigen Friedensbewegung und auf Umweltschützer gab es auch schon vor dem November 1987, allerdings niemals in den DDR-Medien. “ In den bekanntgewordenen Prozessen kamen u.a. die Paragraphen 212 (Widerstand gegen staatliche Maßnahmen), 215 (Rowdytum) und 220 (öffentliche Herabwürdigung) des StGB zur Anwendung; der Strafrahmen reicht (sofern auch der schwere Fall nach § 216 vorliegt) bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Den Verurteilten wurden neben zahlreichen Delikten der gewöhnlichen Kriminalität (Körperverletzung, Diebstahl, Kfz-Diebstahl, Urkundenfälschung, Sachbeschädigung) rassistische Beschimpfungen, „Verbreitung faschistischen Gedankenguts“, das Abspielen von „verbotener Musik“ (möglicherweise Nazilieder und Militärmusik aus der NS-Zeit), der Hitler-Gruß, das Rufen faschistischer Parolen, das Zeigen faschistischer Symbole, die Schändung jüdischer Gräber (auf dem jüdischen Friedhof im Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg) sowie Angriffe auf Volkspolizei-Angehörige vorgeworfen.

Die Sicherheitsorgane der DDR hatten die Umtriebe der Skinheads bis zum Spätherbst 1987 zunächst mit erstaunlicher Gelassenheit behandelt. Augenzeugen berichteten, Volkspolizisten hätten den Angriffen der Skinheads auf Besucher der Zions-Kirche am 17. Oktober 1987 zugesehen, ohne einzugreifen. In dem Prozeß vor dem Kreisgericht Oranienburg Mitte Mai 1988 gegen neun Mitglieder der „Skinhead-Gruppe Velten/Henningsdorf“ wurde bekannt, daß diese Gruppe das Umland von Berlin bis hin nach Potsdam während des ganzen Jahres 1987 mit Gewalttätigkeiten überzogen hatten. Nach der Verschärfung der relativ milden Strafen, die das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte am 4. Dezember 1987 verhängt hatte, durch das Stadtgericht Berlin am 22. Dezember schlug die DDR-Justiz eine deutlich härtere Gangart ein und verfuhr seitdem nach dem Grundsatz, „daß in der DDR derartige Ausschreitungen keinen Boden haben, auf das schärfste verurteilt und entsprechend der Rechtsordnung unseres Landes mit aller Konsequenz geahndet werdend“.

Wenn es um die Suche nach den Ursachen für das Phänomen der rechtsradikalen Skinheads in der DDR geht, wurde immer wieder von offizieller Seite erklärt, dieses Verhalten hätte in der Realität der DDR keine Wurzel und sei vielmehr von Skinheads aus West-Berlin und der Bundesrepublik hereingetragen worden (so z.B. der Anklagevertreter am 30. Juni vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Prenzlauer Berg). Diese Unterstellung, erweitert meist durch eine Schuldzuweisung an die westlichen elektronischen Medien, zieht sich durch sämtliche Gerichtsberichte und Kommentare in der DDR über diese Prozesse. Die Angriffe der Skinheads (nach einigen Berichten 25 bis 30, nach anderen bis zu 100) auf die Besucher der Zions-Kirche am 17. Oktober 1987 seien, so wurde im „Neues Deutschland behauptet, von 15 Skin-heads aus West-Berlin und deren Anführer angeheizt worden. Der Generalstaatsanwalt der DDR hat deshalb auch am 15. Februar 1988 ein Rechtshilfeersuchen an den Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht in West-Berlin gerichtet^; ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Beteiligte war in West-Berlin bereits Anfang Januar eingeleitet worden. Kirchliche Beobachter, z. B. der Ost-Berliner evangelische Stadtjugendpfarrer Hülsemann, räumten zwar Einflüsse aus dem Westen ein, machten für die Vorfalle aber auch Mängel im Erziehungswesen der DDR verantwortlich. Der Versuch, die westlichen Medien (z.B. vor allem das Fernsehen im Falle der Friedhofsschänder von Berlin-Prenzlauer Berg) für die Ausschreitungen verantwortlich zu machen, ist insofern besonders bösartig, weil in einer Demokratie Nachrichten über rechtsradikale Umtriebe in den Medien aus guten Gründen nicht unterdrückt werden können. Wenn vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte Anfang Februar lang und breit die angebliche Rädelsführerrolle von Skinheads aus West-Berlin am 17. Oktober 1987 geschildert wurde, drängt sich die Frage auf, wie es denn im Oktober 1987 mit der Wachsamkeit der Kontrollorgane der DDR an der Berliner Sektorengrenze bestellt war oder ob die West-Berliner Skinheads gar damals maskiert als brave Biedermänner in den Ostteil der Stadt eingesickert sind.

Die DDR-Führung hat darüber hinaus versucht, die Skinheads mit Regimekritikern, Friedensgruppen, Ausreisewilligen usw., denen keinerlei rechtsradikale Handlungen oder Gesinnungen vorgeworfen werden können, unter dem Sammelbegriff „Feinde des Sozialismus“ in einen Topf zu werfen, um so die allgemeine Ablehnung gegen die Skinheads innerhalb und außerhalb der DDR auch gegen Regimekritiker und Ausreisewillige zu richten. In dieser Art und Weise argumentierten das Politbüro auf der 5. Plenartagung des ZK der SED am 16. Dezember 1987 und der Chefredakteur der FDJ-Zei-tung „JungeWelt“, Hans-Dieter Schutt. Auch zur Legitimierung des Grenzregimes der DDR müssen die Taten der Skinheads in Ost-Berlin und Umgebung herhalten, weil angeblich hier der Einfluß westlicher Skinheads gewirkt habe und künftig abgewehrt werden müsse. Dieser Einfluß, soweit vorhanden, beweist übrigens erneut, daß das Grenzregime der DDR in seiner heutigen Form nicht in erster Linie zur Abschirmung der DDR gegen unerwünschte Einflüsse . aus dem Westen dient, sondern wie eh und je vor allem die DDR-Bevölkerung an der Abwanderung nach Westen hindern soll. Unter den Verurteilten der Skinhead-Prozesse findet man sowohl Jugendliche aus gestörten Familienverhältnissen, mit schlechter Schul-und Berufsbildung und Vorbestrafte als auch solche mit normaler Entwicklung, guten Leistungen in Schule und Beruf (der sechzehnjährige Hauptangeklagte im Prozeß gegen die Friedhofsschänder von Berlin-Prenzlauer Berg war sogar zeitweilig FDJ-Sekretär). Allerdings waren darunter – soweit den in der DDR veröffentlichten Gerichtsberichten zu entnehmen ist – keine Schüler aus Erweiterten Oberschulen oder Studenten. Es fällt auf, daß gerade besonders junge Skinheads, z.B. die fünf 15- bis 17jährigen im Prozeß in Berlin-Prenzlauer Berg, mit besonderer Intensität zu Werke gingen. Das mag mit ein Grund dafür sein, daß selbst in den Berichten und Kommentaren der DDR-Medien immer wieder nach der Wirksamkeit des Geschichtsunterrichts und der sonstigen politischen Erziehung in den Schulen gefragt wird. Offenkundig können es sich die offiziellen Beobachter der Prozesse nicht erklären, warum bei einer nicht mehr ganz geringen Anzahl von Jugendlichen die nach Umfang und Inhalt durchaus anerkennenswerte antifaschistische Erziehung in den Schulen nicht ankommt. Sollte das daran liegen, daß mit der Erfolglosigkeit der ideologischen Erziehung insgesamt gerade unter der Jugend das dabei mit vermittelte antifaschistische Gedankengut auch nicht mehr angenommen wird, daß vielleicht.

Der Naziüberfall auf die Zionskirche

Die Ereignisse vom 17. Oktober 1987 waren der erste Schritt zu einer neuen Qualität der Konfrontation. An diesem Tag gelangte die Zionskirche in Berlin Prenzlauer Berg erstmals zu unerwarteter Berühmtheit.

Als gegen Ende eines Rockkonzerts in der Kirche eine große Gruppe Skinheads auftauchten, Naziparolen gröhlend auf Konzertbesucher einschlugen und im Umkreis der Kirche unbescholtene Passanten und Einwohner angriffen, war es plötzlich und unverhofft geschehen. Was staatlicherseits über Jahre hinweg durch Justiz und Polizei, durch Versuchung, Abwiegelei und durch harte Repression unter dem Deckel gehalten wurde war plötzlich nicht mehr zu halten gewesen. Anteil daran hatte auch die hartnäckige Öffentlichkeitsarbeit der Umwelt-Bibliothek, die eine Vertuschung durch die DDR-Oberen von vornherein verhinderte. Nun waren sie in aller Munde. Skinheads, Neaonazis, Faschos. Doch erst einmal versuchte man sich auf seiten der SED in Schadensbegrenzung. Nach einigen Tagen des Schweigens war dann auch in der DDR-Presse in kleinen Meldungen von einem Übergriff von Rowdys zu lesen.

Die Ostberliner Untergrundzeitschrift „Umweltblätter“ berichteten in ihrer Ausgabe vom 1.September 1987 ausführlich über den Überfall. Darüber hinaus werden erstmal unabhängige Versuche zur antifaschistischen Selbstorganisierung in der DDR erwähnt:
„..Als die UmweltBibliothek im Sommer des Jahres in der im Bau befindlichen Zionskirche mit der Veranstaltung von Konzerten begann, konnte keiner die Folgen ahnen. Der Anspruch, nebenbei die Friedens? und Umweltproblematik breiten Schichten zu vermitteln, erwies sich als verfehlt, Stattdessen fühlten sich die Veranstalter in die Rolle gedrängt, das stete Defizit einer Jugendszene an Lebensgefühl und Rausch zu befriedigen. Erschreckend brach in die heile Aufklärungswelt der Öko-Paxer die irrationale Realität des Landes herein, zuletzt beim Überfall der neonazistischen Jugendsekte der Skins während des Konzerts am 17.Oktober (1987; d. Autor). Die Situation war grotesk. Die 3OO bis 400 am Ende des Konzerts noch gebliebenen Zuschauer 1ießen sich von 3O Glatzköpfen terrorisieren. Erst als eine kleine Anzahl von Entschlossenen massiv gegen die Skins vorging, verließen diese fluchtartig die Kirche. Um sich ihre Niederlage zu entschädigen „mischten“ die Skins auf dem Rückweg den Schwulenstrich an der Schönhauser Allee „auf“. (Die sind jedenfalls schön feige und wehren sich nicht ? warum eigentlich nicht?). Tatenlos stand auch die Besatzung von mehreren Polizeiwagen um die Zionskirche herum. Angeblich hatten sie keine Anweisungen, andere wollten „in so einen Haufen nicht reingehen.“ (…)
Der Widerstand gegen die Glatzköpfe ist vorerst vereinzelt und diskontinuierlich. Von der Polizei wurde die Bewegung seit Anfang an bagatellisiert. (…) Verurteilungen der Skins vor Gericht erfolgen in der Regel individuell, nicht wegen faschistischer Propaganda sondern wegen Körperverletzung oder Rowdytum, sodaß die Skins nach einem halben Jahr wieder in Freiheit sind. (…)
Fakten und Zahlen hin und her ? es bleibt der schale Beigeschmack der Provinzposse, der schlechten Immigration, des schlechten Theaters. Gewiß, es ist blutig ernst, aber zugleich in höchstem Grade lächerlich. Aber vielleicht ist gerade das das Gefährliche an diesem Neofaschismus. -r.1.- “

Ein Schauprozeß soll´s richten

Nachdem sich die Gemüter nicht zu beruhigen schienen, es also der Parteipresse nicht gelang das Thema Naziskins wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen und selbst das SED-treue „Komitee der Antifaschisten“ zaghaft staatliche Schritte forderte, ging man in die Offensive. Kurzerhand wurde eine Handvoll, am Überfall beteiligte Nazi-Skins eingefangen und man machte ihnen den Schauprozeß. Ein Augenzeuge schrieb darüber in den Umweltblättern Ausgabe vom 15. Dezember 1987:
„…Vier Tage lang hatte ich die Möglichkeit, den Prozeß gegen 4 Skin-Heads zu beobachten. der Prozeß war eigentlich öffentlich. Entgegen der Praxis in „politischen Prozessen“ die Öffentlichkeit auszuschließen, kam es bei diesem Prozeß gegen „4 Rowdies“ nicht zu einem ausschließenden Beschluß der Kammer des Stadtbezirksgerichts Mitte. Kollektivvertreter, Eltern, Geschwister, eine Verlobte, die DDR-Presse, Vertreter der evangelischen Kirche als auch der jüdischen Gemeinde der Hauptstadt blieben im Gerichtssaal Nr. 385 in der Littenstr. Weitere Besucher hatten kaum die Chance, der Verhandlung beizuwohnen. Es gab halt nur wenige Stühle und die waren immer besetzt. Einigen Zeugen bot Richter Engelmann nach Befragung das Verbleiben im Saal an. Für Zeugen, die der Skin-Szene zuzurechnen sind, galt: Verlassen Sie bitte den Verhandlungsraum, alle Plätze sind besetzt. Vor und im Gerichtsgebäude kontrollierten Mitarbeiter der Staatssicherheit die Besucher des Prozesses. Fragt sich nur, wozu diese Präsenz der Staatssicherheit beim Prozeß? (…)
An drei Verhandlungstagen erschienen 22 Zeugen. Richter Engelmann, die aktivste Person der gesamten Veranstaltung, fragte, wies zurück, faßte nach. Insgesamt eine erstaunliche Leistung zur Aufklärung des Rowdytums. Die ihm zur Linken bzw. Rechten sitzenden Schöffen, zwei Frauen, wirkten eher wie Statisten und ergriffen nur 2-3 mal das Wort. Vielleicht kam ihnen auch mehr die Supervisorfunktion zu.

Staatsanwalt Hecht, deutlich in Fragen und Beiträgen hinter dem Richter zurückstehend, verfolgte demgegenüber ein reduziertes Programm. Seine Fragen zielten insbesondere auf die Beteiligung Westberliner Skinheads beim Überfall auf die Zionskirche. Jeder Zeuge und Beschuldigte hatte die Frage nach Anzahl, besondere Merkmale und Namen zu beantworten. Ihm selbst war lediglich ein Westberliner „Rädelsführer“ namens „Bomber“ alias bürgerlich Bäcker bekannt. Richter Engelmann steuerte erst bei der Urteilsbegründung einen zweiten Namen, „Thomas“, bei. Besondere Aufmerksamkeit galt den Nazi-Rufen der Angeklagten. Sowohl Zeugen als auch die beschuldigten Rowdys wurden dazu systematisch abgefragt.

Nichts blieb davon in der Zeugenvernehmung ausgeblendet. Der Nachweis hingegen fiel Richter und Staatsanwalt außerordentlich schwer. Die Beschuldigten wiesen die Zeugenaussagen, demnach sie das Horst-Wessel-Lied gesungen haben, die Hand zum Hitlergruß erhoben, „Juden raus aus deutschen Kirchen“, „Kommunistenschweine“ u.v.m. brüllten, glattweg zurück. Der Angeklagte Sven Ewert (20) sagte: „Hätte ich gewußt, daß solche Losungen gerufen werden sollten, wäre ich nicht zur Zionskirche gefahren.“ Warum er sich nicht von den Nazis zurückzog, sagte er jedoch nicht.

Lediglich der 17-jährige Frank Brand gestand einen „Heil Hitler“-Ruf und empörte sich über das Strafmaß von 18 Monaten. Der Hauptangeklagte Ronny Busse, mit 195 cm alle überragend und mit seinen affenartig langen Armen Prügelkommandos auf Punks und anderen Konzertbesucher hetzend, hatte selbst nur Rufe wie „Nazis raus“ gehört. Aus dieser Beweisnot behalf sich Richter Engelmann mit dem Grundsatz: `Die objektive Schwere der Gesamttat muß jedem Einzelnen angelastet werden.´

Staatsanwalt Hecht beantragte schließlich Haftstrafen wegen „Rowdytums“ und in drei Fällen, wegen „Öffentlicher Herabwürdigung“ von einmal 2 Jahren, zweimal 18 Monaten und einmal 14 Monaten. In der Urteilsbegründung durch Richter Engelmann wurde insbesondere die Beteiligung Westberliner Skins herausgestellt. Sogar deren Rädelsführer „Bomber“ alias Becker ist bekannt. Er charakterisierte die Straftaten als schwere Vergehen gegen die Würde des Menschen, geeignet Panik und Unruhe in der Bevölkerung hervorzurufen. Der Angriff, so Richter Engelmann, war geplant und organisiert durchgeführt. Als besonders straferschwerend kommen die faschistischen, nazistischen und rassistischen Herabwürdigungen hinzu. In seinem Urteil trug er dieser Einschätzung jedoch kaum Rechnung. In zwei Fällen blieb er unter dem Antrag des Staatsanwalts. Sein Urteil belief sich auf 2 Jahre, 18 Monate, 15 und 12 Monate für die „Rowdys“. Von den unterschiedlichsten Prozeßteilnehmern und ?Interessierten, bis hin zu Antifaschistischen Widerstandskämpfern wird das Urteil als der Schwere des Verbrechen nicht gerecht werdend eingeschätzt. Eine Einordnung der Straftaten unter Rowdytum“ ist sicherlich von vornherein verfehlt. Handelt es sich hier nicht vielmehr um ein Verbrechen gegen Menschlichkeit und Menschenrechte, wenn Personen brutal angegriffen werden, weil unter Ihnen Juden, Kommunisten oder Punks vermutet werden? Eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ? wenn Menschen nur wegen nationaler, weltanschaulicher oder kultureller Besonderheiten, so einer der Angeklagten, „umgehauen“ werden, zudem geplant und organisiert. Sollte in diesem Fall nicht wirklich einmal der berüchtigte § 218 zutreffen? ? c.j. ? “

Das Urteil rief allerorts Proteste hervor. Unter der Überschrift „geringe Freiheitsstrafen für Rowdys“ berichtete die DDR-Presse über das unerwartet milde Urteil. Die Staatsanwalt legte sofort Protest gegen das Urteil ein. In einer ADN-Meldung vom 07. Dezember 1987 heißt es dazu: „Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin? Mitte, durch das vier Rowdys wegen ihrer aktiven Beteiligung an schweren Ausschreitungen am 17. Oktober 1987 vor und in der Zionskirche in Berlin zu Freiheitsstrafen zwischen 1 und 2 Jahren verurteilt worden waren, Protest eingelegt. Im Protest wird hervorgehoben. daß die ausgesprochenen Freiheitsstrafen in keiner Weise der Schwere der begangenen Straftaten entsprechen, insbesondere wegen des brutalen und organisierten Vorgehens, des Brüllens von faschistisch?terroristischen Parolen sowie der schweren Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Wer in dieser Art die Rechtssicherheit beeinträchtigt, muß mit aller Konsequenz zur Verantwortung gezogen werden. Das Stadtgericht Berlin wird über den Protest entscheiden…“.

Durch den unerwarteten Druck der Öffentlichkeit ist man gezwungen, den Prozeß neu aufzurollen. Die Umweltblätter berichteten in ihrer Ausgabe vom 20.01.1988 über die Berufungsverhandlung:
„…Kurz vor Weihnachten eröffnete der 1.Strafsenat des Stadtgerichts Berlin die Verhandlung in der 2. Instanz gegen die vier „Skin?Rowdies“. Maßgebend dürfte der Hinweis auf Artikel 6 unserer Verfassung gewesen sein, demnach „militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen? und Völkerhaß als Verbrechen geahndet“ wird. Also mit Strafen ab 2 Jahren aufwärts. Vielleicht kannte die erste Instanz die Verfassung nicht so genau, aber dies dürfte in Bezug auf unseren „Gesellschaftsvertrag“ kein Einzelfall sein.

Der 2.Instanz war ein Protest der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Stadtbezirksgerichts Mitte vorausgegangen, demzufolge die zu „milden Strafen“ aufgehoben wurden. Die Rechtsanwälte Puvalla und Kossek verwiesen auf eine Besonderheit: Der Protest der Staatsanwaltschaft richtete sich zugleich gegen Strafanträge der Staatsanwaltschaft. Staatsanwalt Boese konnte jedoch „zahlreiche Proteste aus der Bevölkerung“ anführen und erklärte, daß es in der DDR keinerlei Nachsicht für diese Straftaten gibt. Die „Ausschreitungen“ vor und an der Zionskirche wären zwar aus dem Westen beeinflußt, aber dies ist hier kein strafmildernder Grund“. Im Urteil der 2.Instanz sind im wesentlichen keine neuen Tatbestände herangezogen worden. Richter Ziegler bewertete die bereits in erster Instanz aufgenommenen Tatbestände jedoch in zwei Fällen als Verbrechen. Das Stadtbezirkegericht Mitte hatte, so Richter Ziegler „die Schwere der Ausschreitungen nicht richtig gewertet“. Ansonsten bestätigte er jedoch, daß die Ausschließung der Angeklagten bei Zeugenaussagen korrekt war. damit ist keine Einschränkung des Rechts auf Verteidigung gegeben. Unzulässig war jedoch die Verlesung einer Zeugenaussage in Abwesenheit des Zeugen.

Die besondere Schwere der Überfälle charakterisierte der Richter als „völlig neue Form der Kriminalität in der Hauptstadt“.

Dem entsprechen die Urteile: 4 Jahre für Rädelsführer Busse, 2 Jahre 6 Monate für den 17?jährigen Brand, Ewert unter Berücksichtigung seiner „aktiven Rolle bei der Wahrheitsfindung“ 1 Jahr 8 Monate, Brezinski schließlich 1 Jahr 6 Monate.

Die Berufungsanträge von drei Verurteilten sind abgelehnt worden. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Ein weiteres Rechtsmittel ist nicht gegeben. ? c.j. – “

Die, wegen des Zionüberfall verturteilten Sven Ebert, Ronny Busse und Frank Brand waren damals schon keine kleinen Lichter. Sie gehörten, neben dem des Überfalls wegen kurzzeitig festgenommenen aber erstaunlicher Weise trotz Zeugenaussagen nicht angeklagten Jens-Uwe Vogt, zum harten Kern der BFC-Skins. Die Rolle von Vogt war in diesem Zusammenhang für alle Beteiligten und die Prozeßbeobachter äußerst mysteriös. Als er plötzlich von der Bildfläche verschwand, war dies Anlaß für vielerlei Verdächtigungen; von Verrat war besonders unter „Kameraden“ die Rede. Stasi-Gerüchte machten die Runde. Auf die seitdem unbeantworteten Fragen fand die Illustrierte ‚Prinz‘ in ihrer Ausgabe 17/91 eine Antwort: Vogt soll seit 1982 inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sein, hieß es dort. Schlüssige Beweise für Vogt´s Kontakte zur Stasi ist blieb ‚Prinz‘ jedoch schuldig. 1988 reiste Voigt nach westberlin aus. Durch seine Verbindungen zu den NF-Kadern Andreas Pohl und Christian Franke stieg er innerhalb der NF-Berlin schnell zum Kader auf und versuchte schließlich, Pohl den Rang abzujagen. Während dieser Zeit hielt Vogt weiterhin intensive Kontakte zu „seinen“ Fans vom BFC.

Die Hexenjagd beginnt

Unter dem Eindruck der Ereignisse um den Überfall auf die Zionskirche, dem Prozeß und dem großen öffentlichen Interesse im In- und Ausland, befürchtete die SED-Führung ein extremen Imageverlust. Um dem entgegenzuwirken, wurden die Sicherheitsorgane angewiesen ihre repressiven Maßnahmen gegen die Skinheadszene um ein Vielfaches zu intensivieren. Mit Beginn des Jahres 1988 setzte eine regelrechte Hetzjagd ein. Zusätzlich wurde alles unternommen, Skinheads aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen wie Jugendclubs, Diskotheken, Kneipen und Kinos erhielten intern die Anweisung, Skinheads und nach Skinhead aussehenden Personen den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu verweigern, sie nicht zu bedienen und im Weigerungsfall die Polizei zu verständigen. Gleichzeitig ging man dazu über, öffentlichkeitswirksam Flagge zu zeigen. Unmittelbar nach dem Ende des Zionskirchenprozeß kündigte die Generalstaatsanwaltschaft weitere acht Prozesse gegen „Skin?Rowdies“ an. Gleichzeitig stellte der Generalstaatsanwalt der DDR an den Generalstaatsanwalt von Westberlin ein Ersuchen auf Strafverfolgung gegen „….Einwohner von Berlin (West)…“ die am Überfall auf die Kirche beteiligt waren. Der Westberliner Justizsprecher Kehne teilte daraufhin mit, „…daß die Westberliner Staatsanwaltschaft voraussichtlich gegen Westberliner Skins, die bei dem Überfall auf das Konzert in der Zionskirche beteiligt waren, ein Ermittlungsverfahren einleitet…“ Es soll wegen Körperverletzung, Nötigung und Volksverhetzung gegen Unbekannt ermittelt werden, da in einem Schreiben der Zionsgemeinde an den regierenden Bürgermeister Diepgen nur ein Familienname und ein möglicherweise mit diesem nicht zusammenhängender Vorname und ein Spitzname genannt wurde. Laut Kehne wäre die Zuständigkeit der Westberliner Staatsanwaltschaft für die Vorfälle im Stadtbezirk Mitte gegeben, da die Straftaten an Deutschen verübt wurden. Möglicherweise werde ein Rechtehilfeersuchen an die Generalstaatsanwaltschaft in Ostberlin gestellt. Das Ermittlungsverfahren wurde am 5. Januar 1988 aufgenommen. Allerdings verlief dies im Sande. Erst nach der „Deutschen Einheit“ wurde das Verfahren auf Antrag des Pfarrers der Zionsgemeinde erneut aufgenommen und es kam zum Prozeß.

Währenddessen erhielt die hauptstädtische Polizei die Anweisung, skinverdächtige Personen verstärkt zu überprüfen und gegebenenfalls festzunehmen. Das Ergebnis war, daß Kurzhaarige und Glatzköpfige aller Couleur auf den Straßen Berlins nicht mehr sicher waren. Die Umweltblätter vom 20.01.1988 berichteten über aberwitzige Beispiele polizeilichen Übereifers: „…Axel, der kurze blonde, vielleicht ein wenig zu dünne Haare trägt, wurde am 18.Dezember aus einem fahrenden Bus geholt, der zu diesem Zwecke angehalten wurde. Gleich beim Aussteigen bekam er von den Polizisten „eine eingeschenkt“. Während einer vierstündigen Zuführung wurde dann seine Gesinnung überprüft. Pech nur für die behandelnden Polizisten, daß der Vater höherer Kulturfunktionär ist und eine empörte Eingabe machte. So mußte ein hoher Polizeioffizier auf Anweisung des Berliner Polizeipräsidenten sich bei Axel entschuldigen. Er wies dabei auf die kranke Frau und die Kinder des fehlgeleiteten Polizisten mit zu Herzen gehenden Worten hin und gelobte, daß für die Zukunft präzisere Anweisungen dafür sorgen werden, daß dergleichen nicht mehr passiert. Aber schon am 21.Dezember kam Till, 17 und mit einem unvernünftig kurzen Stoppelhaarschnitt (wenn auch im Trenchcoat) an die Reihe. Er wurde mit einem VP?Streifenwagen direkt in den Innenhof des Polizeipräsidiums in der Berliner Keibelstraße transportiert. wo Till aus den Fenstern mit einem vielstimmigen zustimmenden „Oi, Oi, Oi!“ empfangen wurde. Nach mehrstündigem Warten wurde Till vernommen und sollte, nachdem seine Nichtzugehörigkeit zur Kategorie „Skin“ festgestellt wurde, eine Belehrung über die Befolgung der § 95 und folgende unterschreiben. Till unterschrieb nicht ? gegen ihn lief ohnehin wegen angeblichen Druckens in der Umwelt-Bibliothek ein Verfahren nach § 218. Statt nun nach Hause gefahren zu werden, wie angekündigt wurde, begann für Till nun wieder eine Zeit des Wartens. Als er sich dann beschweren wollte, wurde er vom bewachenden Polizisten ins Gesicht geschlagen. Der Vorgesetzte, bei dem er sich darüber beschwerte, kündigte Till an, daß er ihm “auch gleich eins in die Fresse schlägt“. Dann beschimpfte ihn der Bewacher als „Nazi? Drecksau!“. Der später erscheinende Vernehmer ging auf Tills Beschwerde gar nicht ein.

Till der sich als eines der Opfer des Nazi?Uberfalls auf die Zionskirche beleidigt und ungerecht behandelt fühlt, hat vor drei Wochen eine Beschwerde an das Innenministerium und das Polizeipräsidium gerichtet. Bisher ohne Ergebnis…“

Hans-Dieter Schütt sieht einiges anders

Ein Monat nach dem Überfall der Skinheads auf die Zionskirche erfährt die Kirchengemeinde einen weiteren ganz anders gearteten Überfall. Am 18. November 1987 startet das MfS die Aktion Falle gegen die in der Zionsgemeinde ansässige Umwelt-Bibliothek. Räume werden durchsucht, unzähliges Material beschlagnahmt, Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek werden festgenommen. Die politische Opposition reagiert prompt. In der Zionskirche wird eine Mahnwache installiert. Man fordert die Freilassung der Inhaftierten, die Zurückgabe der beschlagnahmten Sachen und die Einführung demokratischer Grundrechte.

Da erscheint in der Jungen Welt unter der Rubrik „So sehe ich das“ ein Kommentar des Chefredakteurs Hans-Dieter Schütt. In einer Meisterleistung propagandistischer Verdrehung gelingt es ihm, rechtsradikale Skinheads und oppositionelle Mahnwächter in einen Topf zu werfen, gut durchzurühren und das ganze als ein und das Gleiche hinzustellen. Die Oppositionellen sind empört. In einem Kommentar gehen die Umweltblätter in ihrer Ausgabe vom 15. Dezember 1987 auf diese Hetzaktion ein:

„…Hexen?Einmaleins in der `Jungen Welt´

“Der Feind“, so dieser Tage der Chefredakteur der“Jungen Welt“ Hans Dieter Schütt, „hat bei uns keine Chance“. Und mit Pathos: „Bei uns stimmen Recht und Gerechtigkeit prinzipiell überein.“ Es ging dem hochdotierten Schreiber um die Verschärfung des Gerichtsurteils gegen die Nazi?Skins, die vor Wochen ein Rockkonzert in der Berliner Zionskirche überfallen hatten. En Passant wurden aber auch andere vom Feind gesteuerte Kreaturen benannt: „Literaten, .die des Talent haben, ein Talent zu verkaufen, das sie gar nicht haben“ und Mahnwächter“, die „stets pünktlich wie auf Bestellung mit Fernsehkamera vor Kirchentore ziehen.“ Das alles unter der Überschrift: „Warum freue ich mich über den Protest gegen ein Gerichtsurteil?“ und: „So sehe ich das.“ Irgendwo las ich neulich, was jemand im vorigen Jahrhundert mit feinem Humor einem solchen regierungsoffiziellen Schreiberling erwiderte: „Es freut mich, daß es ihnen erlaubt wurde, eine Meinung zu äußern!“

Herrn Schütt also wurde es erlaubt, eine Meinung zu äußern. Oder wurde er sogar beauftragt, und von wem? Dient die Meinungsäußerung dazu, die „Junge Welt“ noch stärker zur Speerspitze der kalkrieselnden konservativen Freunde zu machen? Oder wurde hier sogar Regierungsmeinung ausgedrückt und exklusiv in einem auflagenstarken Organ veröffentlicht, das bevorzugt der Aigitationsarbeit unter jungen Leuten dienen soll? Das müßte geklärt werden.

Ist es gleicherweise Zufall, daß Lehrer in der ganzen DDR die Kinder belügen, im Keller der Zionskirche sei faschistische Literatur gedruckt worden, daß unter Erwachsenen systematisch Gerüchte verbreitet werden, die Mahnwache habe nicht für die verhaften Drucker, sondern für die Nazi?Skins stattgefunden? Wem dienen diese Lügen und falschen Gerüchte? Und ist es wirklich Zufall, daß die “Junge Welt“ jetzt schwarz auf weiß wiederholt, was vorher verbreitet wurde?

Mit Pressefreiheit jedenfalls hat diese Art von platter Haßpredigt ebensowenig zu tun wie mit sachlicher Information, differenziertem Denken und Abbau der Feindbilder. Die Gegenaufklärung hat mal wieder Flagge gezeigt.

Ich denke, daß wir uns nicht darüber freuen können, daß das Urteil gegen die Nazi?Skins verschärft wird, wer dort vor Gericht stand, das waren nicht die Hauptfiguren. Ungeklärt blieb, ob tatsächlich eine Frau (… ?) verlor oder sogar das Gerücht über einen Toten zutrifft. Möglicherweise soll das verschwiegen und hinter den Kulissen in dem noch ausstehenden Prozeß gegen weitere Nazis?Skins geklärt werden. Aber eben um eine öffentliche Klärung hätte es gehen müssen.

Eine ganz andere Frage aber ist es, ob die DDR?Haftanstalten in irgendeinem Sinne Resozialisierungshilfe geben können. Alle Erfahrungen besagen das Gegenteil. Bliebe höchstens noch das ganz blutige und primitive Rachebedürfnis einer Gesellschaft oder das Anliegen, das Problem durch „Wegschließen“ für ein paar Jahre zu vertagen, um es dann und noch profilierter auf den Tisch des Hauses zu bekommen. Eine Lösung jedenfalls ist das auf keinen Fall. Schärfer ausgedrückt: Für die Bewältigung von Kriminalität gibt es in unserem Land bis jetzt kein einziges greifendes Konzept.
Aber für Hans?Dieter Schütt? sind das natürlich gar keine Fragen. Auch die erhebliche Ausbreitung von Neonazismus bei jungen Leuten in der DDR kann ihn nicht zum Grübeln bringen: Der Ungeist kommt aus dem Westen , ganz klar. Und vom gleichen Ungeist sind auch oppositionelle Literaten und Mahnwächter erfüllt. Und so ist denn alles geklärt und wir können zum Schluß kommen: Etwa mit der Beschwörungsformel der Hexe in Goethes Faust: Hexe: Du mußt verstehn!
Aus eins mach´ zehn,
Und zwei laß gehn,
Und drei mach´ gleich,
So bist du reich
Verlier die vier!
Aus fünf und sechs,
So sagt die Hex´,
Mach sieben und acht,
so ists vollbracht.
Und neun ist eins
Und zehn ist keins.
Das ist das Hexeneinmaleins
Faust: Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber! – r.1. ?…“

Junge Faschisten in der DDR

VON DIRK TESCHNER

Ob der Rechtsextremismus in den „neuen Ländern “ nur zu verstehen ist, wenn man die Entwicklung vor 1989 mit einbezieht, wie das Bernd Wagner in seiner Studie „Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern“ behauptet und als Kernthese deklariert, ist auf den ersten Blick fraglich. Denoch ist eine Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der DDR unumgänglich im Hinblick auf die Diskussion über eine Wertekontinuität zwischen der Entwicklung in der DDR und der heutigen Stimmung in Ostdeutschland.

Nach der Studie von Bernd Wagner gab es in der DDR vier Entwicklungsstufen für die Entwicklung rechtsradikaler Erscheinungen.

1. Phase 1980/81

Sie war gekennzeichnet durch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Richtungen in der jugendkulturellen Szene. Gewaltausübende und Opfer gehörten in die gleiche jugendkulturelle Szene.

2. Phase 1982/83

Das Gewaltmonopol in der jugenkulturellen Szene ging auf die Skinheads über. Körperliche Gewalt wurde gezielter als Disziplinierungsinstrument und zur Eroberung von Räumen eingesetzt. Die Anhängerschaft der Skinheads wuchs.

3. Phase 1985/86

In dieser Phase tauchten neue Opferstrukturen auf, denen ein zunehmend ideologisiertes Feindbild zugrunde lag: Ausländer, Schwule, Grufties und Punks. 1985 kam es zur Gewalt gegen dunkelhäutige Ausländer in Eberswalde, Dresden, Ostberlin, Cottbus, Görlitz und Königs Wusterhausen. Eine neue Qualität wurde erreicht und die Gewaltanwendung hat sich differenziert.

4. Phase: 1987/89

Das Jahr 1987 markierte eine qualitativ neue Entwicklungsstufe mit einer Ausdifferenzierung der rechten Szene in „Faschos“ (Selbstbezeichnung) und Skinheads. Die Gruppenstruktur und die Aktivität der Gruppe wurde durch Führer, intelligente Führungskadern, die die Gruppenmitglieder befehligten, geprägt. Es kam zu ersten regelmäßigen Kontakten zwischen ostdeutschen Rechtsextremisten und rechten westdeutschen Parteien. Schon 1989 gab es ein DDR-weites funktionierendes kommunikatives Netzwerk. Die Phase der Ablösung von der jugendkulturellen Bewegung setzte ein, es entstanden neonazistische Konglomerate. Die meisten Kreis- und kreisangehörigen Städte der DDR hatten 1989 Nazi-Szenen etwa in der Stärke von 5-50 Personen. Ein Hindernis für die weitere Verbreitung der rechtsextremen Szene waren die Sicherheitsorgane der DDR und die mangelnde Medienpräsenz.

Rassistische, antisemitische und faschistische Äußerungen und Handlungen gab es unter DDR- Jugendlichen schon immer. Aus persönlichen Erlebnissen sind uns aus Mitte der siebziger Jahre Hitlergeburtstagsfeiern, Sammeln von faschistischen Symbolen, Überfall auf Schwulen-Klappen,Harkenkreuz-Schmierereien an sowjetischen Ehrenmalen, wie auch Auseinandersetzungen mit Wolgadeutschen, sowjetischen Soldaten und afrikanischen ArbeiterInnen bekannt. Es waren meistens spontane Überfälle, Möglichkeiten zur Organisation von rechten Jugendlichen waren kaum gegeben. Die Hauptabteilung XX des MfS registrierte in den Jahren 1978/1979 insgesamt 188 Fälle von schriftlicher staatsfeindlicher Hetze mit „faschistischem Charakter.

In den siebziger Jahren waren die Fußballfans und Jugendclubs bunt gemischt. Fußballspiele waren die einzigen Orte, wo eigene Fahnen, Symbole und Sprechchöre ohne Repressionen viele Leute erreichten. Es gab regelmäßig Prügeleien mit der Polizei und dem gegnerischen Fanblock. Anfang der achtziger Jahre wurde der Fanblock des 1. FC Union Berlin vom Ministerium für Staatssicherheit mehrheitlich als von „Assozialen und Chaoten“ unterwandert eingeschätzt. Ab 1981/1982 verstärkte sich der Einfluß faschistischer Ideologie in den Fußballstadien der DDR. Das nötige Propagandamaterial und die jeweiligen Kleidungsstücke kamen aus dem Westen von ausgereisten DDRlern oder Naziorganisationen. Die Nationalistische Front (NF) unterstützte so den Fanblock des Stasi-Fußballclubs BFC Dynamo, die Jungen Nationalen (JN) unterstützten den Fanclub des 1. FC Union Berlin. In den Fußballstadien kam es zu Sprechchören, wie „Wir machen Judenverbrennung“, „Hängt ihn auf, das schwarze Schwein“, „Gib Gas, gib Gas wenn der… durch die Gaskammer rast“, „Fußball in der Mauerstadt, Union spielt jetzt hinter Stacheldraht was Neues in der DDR der BFC ist jetzt der Herr- Zyklon B für Scheiß Union – in jedem Stadion ein Spion- selbst Ordner sind in der Partei – Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei“ (gesungen nach der Melodie des bekannten Fehlfarben-Songs).

Am 28. 2. 1982 kam es nach dem Fußballspiel Motor Hennigsdorf gegen FC-Union Berlin zu antisowjetischen Ausschreitungen, als auf dem Bahnhofsgelände ein sowjetischer Militärtransport einen Aufenthalt hatte. Nach Buh-Rufen kam es zu Beschimpfungen und Gesängen wie „Ras, dwa, tri, – Russkis werden wir nie“. Es hagelte Steinwürfe auf sowjetische Soldaten und ein Militärfahrzeug wurde zerstört. Solche Aktionen brachten Symphatie bei vielen Jugendlichen, aber auch älteren Menschen.

Nach Erkentnissen der Hauptabteilung Kriminalpolizei lautete es zu der Zeit, Anfang der 80er: ,Seit 1981 treten sichtbare Elemente nationalistischer und neofaschistischer Ideologie in Erscheinung. Den Personen galt als Symbol des Angriffzieles- faule, stinkende, anarchistische Punks, Ausländer, Gruftis, Homosexuelle und Menschen jüdischen Glaubens bzw. ihre Objekte. Im Feld weitestgehenden öffentlichen Schweigens entfalten Skinheadgruppen ein sendungsbewußtes Eigenleben,gekennzeichnet von erfolgreichem Bemühen um Anhangsgewinn in allen Territorien und den Aufbau konspirativer Strukturen.

Gründungen von faschistischen Kadergruppen, wie der „Wehrsportgruppe Bitterfeld“, die sich 1983 gegründet haben soll, wurden nur sporadisch bekannt. 1986 gründeten Lichtenberger rechte BFC-Hooligans die „LICHTENBERGER FRONT“ und 1988 die „BEWEGUNG 30. JANUAR“ – beide hatten engen Kontakt zur FAP. 1988 gründeten ältere Personen, vereinzelt aus staatlichen Organisationen kommend in Wolgast die „SS-DIVISION WALTER KRÜGER“. In Blankenhain ernannte sich eine Gruppe Anfang 1989 zu „GRAUE WÖLFE“, mit der Forderung „Blankenhain muß Negerfrei werden“.

In der Gesellschaft und den Medien wurde das Thema Rechtsradikalismus erst ab dem Überfall auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche 1987 wahrgenommen. Auch das MfS erstellte erst nach dem Überfall eine Übersicht über die in der DDR existierenden Gruppen.

Am 17.10.1987 stürmten 30 organisierte Nazis Skinheads nach dem Konzert der Musikgruppen „Element of Crime“ und „Firma“ die noch halbvolle Zionskirche. Den Überraschungseffekt ausnutzend prügelten sie auf die Leute ein, die gerade aus einer Tür den Raum verlassen wollten. Dabei riefen sie „Sieg heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“. Die Polizei beobachtete nur und griff nicht ein. Auf dem „Nachhauseweg“ schlugen die Naziskins mehrere Männer vor einer Schwulenklappe zusammen.

Nachdem die westlichen Medien darüber berichteten, kirchliche Gruppen protestierten, sich eine Antifa-Gruppe bildete und nicht zuletzt als klar wurde, daß sich mehrere Westberliner Faschisten am Überfall beteiligt hatten, reagierten die DDR- Presse und die Volkspolizei.

Beteiligte wurden festgenommen und im Dezember 1987 zu 1,5 bis 4 Jahren Haft verurteilt. Danach wurden in schneller Folge auch andere faschistische Überfalle bekannt:

22.3.1987 Zusammenschlagen eines NVA-Angehörigen durch sechs Skinheads in Berlin-Marzahn,

29.3.1987 Zusammenschlagen von Punks durch Naziskinheads in einem Bungalow in Berlin-Hellersdorf,

11.9.1987 Zusammenschlagen mocambiquanischer Menschen in Dresden,

31.10.1987 Ausschreitungen im Anschluß an einer Tanzveranstaltung in Velten (Potsdam), Besucher wurden verletzt, die Gaststätteneinrichtung wurde zerstört und danach gab es eine Auseinandersetzung mit der Polizei.

Im Zeitraum vom 1.10.1987 bis 20.1.1988 wurden durch das MfS und der Kriminalpolizei insgesamt 40 Strafverfahren gegen 108 rechte Jugendliche eingeleitet, davon gingen 94 Personen in Haft. 1988 wurden 185 faschistische Straftaten registriert und 44 Ermittlungverfahren eingeleitet.

Im Jahre 1989 wurden 300 „rechte“ Straftaten registriert und 144 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die meisten faschistischen Aktionen wurden aber nicht registriert. Viele Ausländer brachten rassistische Übergriffe gar nicht zur Anzeige. Meistens hieß es von den ,Betreuern“, daß sie sich eben an bestimmten Orten nicht aufhalten sollen. Nur Pech, daß sich in vielen Städten die Ausländerwohnheime in den Neubauvierteln also gerade dort, wo rechte Jugendgruppen am stärksten präsent waren – befanden.

Offiziell wurde als Begründung für die Existenz faschistische Gedankenguts in einem „realsozialistischem – antifaschistischem Staat“ natürlich der negative Einfluß aus dem Westen an erster Stelle genannt. So hieß es bezeichnend in einer Einschätzung der Hauptabteilung XX des MfS vom 2.2. 1988: „Wirkungserscheinungen der politisch-ideologischen Diversionen des Gegners zeigen sich auch nach wie vor in der Herausbildung, Existenz und Profilierung von Zusammenschlüssen negativ-dekadenter Jugendlicher. Kennzeichnend für die politische Entwicklung in der BRD und anderen Ländern Westeuropas, wie auch Westberlins ist, daß sich der Einfluß rechtsextremistischer Kräfte auf Jugendliche verstärkt hat und weiter zunimmt. Rechtsextremistische Vereinigungen der BRD versuchen verstärkt, Skinheads, Rockgruppen und jugendliche Fußballfans auf neonazistische Ziele auszurichten. Diese Aktivitäten der rechtsextremistischen Vereinigungen in der BRD blieben nicht ohne Auswirkungen auf Entwicklungstendenzen unter negativ-dekadenten Jugendlichen in der DDR, insbesondere durch die Reisetätigkeit von Skinheads aus dem Operationsgebiet in die DDR.“

Von dieser rechten Entwicklung waren sowohl die staatlichen Institutionen, als auch die meisten Oppositionsgruppen völlig überfordert. Mit Erklärungsversuchen und Alternativen wurde es sich in den bürgerlich-kritischen Gruppen ziemlich einfach gemacht: Realsozialistische Verhältnisse sind nicht gefeit gegen die Entwicklung faschistischen Gedankengutes und faschistischer Gruppierungen, denn faschistische Ideologie ist flexibel genug, um auch unter spezifisch realsozialistischen kleinbürgerlichen und bürokratischen Bedingungen ihren Nährboden zu finden. Die entscheidende Antwort auf aufkommende faschistische Bewegungen sei darum die Demokratisierung.

1988/89 entstanden in mehreren Städten der DDR Antifa-Gruppen, die zumeist aus Leuten der Offenen Arbeit bestanden. In der kirchlichen Jugendarbeit wurden Versuche der Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen gestartet, was gerade in Berlin mit Konflikten und Prügeleien endete, da Punks und rechte Skinheads die gleichen Räume benutzten.

Die Ursachenforschung des Staates wurde neben dem MfS und der Kripo vom Jugendforschungsinstitut in Leipzig und an der Humboldt-Universität in Berlin durchgeführt Die Ergebnisse und Schlußfolgerungen kamen nie in die Öffentlichkeit. Bei der Kriminalpolizei wurden die Strafverfahren ausgewertet und analytisch aufgearbeitet.

In einer vorliegenden Studie wurden dazu verwendet:

Beschuldigtenvernehmungen, Zeugenvernehmungen, Protokolle von Hausdurchsuchungen, Beurteilungen von Arbeitskollektiven, Leitern von Schulen, Jugendhilfe, Verhandlungsprotokolle von einer Personengesamtheit 596 rechter Personen im Zeitraum Oktober 1987 bis 1989.

Daraus ergaben sich folgende Kommunikationsinhalte informeller rechter Gruppen:

-Ausländer in der DDR

-Geschichte der Teilung Deutschlands in Folge des 2. Weltkrieges

-Alleinvertretungsanspruch der BRD für das deutsche Volk

-Geschichte des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges

-Arbeitsdisziplin und Organisation im Alltag

-Schlamperei und Vergeudung in der Wirtschaft

-Reiseprobleme und Versorgung mit Konsumgütern

-Probleme mit der Währung der DDR

-Antikommunismus

-sozialpsychologische Aspekte der Massenmanipulation

Die Analyse der sozialen Zusammensetzung rechter Gruppen ergab, daß deren Mitglieder 78% Arbeiter oder Lehrlinge waren. Die Klassenzugehörigkeit der Eltern bestand aus 47% Arbeitern und aus 24% Intelligenz (dabei muß berücksichtigt werden, daß in der DDR Mitarbeiter des Staatsapparates und der bewaffneten Organe ebenfalls zur Klasse der Arbeiter gerechnet wurden).

Nach Altersstruktur aufgeschlüsselt: unter 18 Jahren 15%, 18-21jährige – 60%, 22-25jährige – 22%.

Als Gründe für die eigene rassistische Haltung der rechten Gruppen wurden genannt:

„Ausländer nehmen den DDR-Bürgern Wohnraum weg, reduzieren durch spekulative Käufe das Industriewarenangebot, schleppen AIDS in die DDR ein, behandeln jede
Frau wie eine leicht käufliche Prostituierte, spielen mit ihrer konvertierbaren Währung den dicken Max; ohne dafür ein wirkliches Äquivalent erbracht zu haben, sind auf Krawall und Randale aus, ihnen wird in der Öffentlichkeit und in den Arbeitsstätten allerorts Zucker in den Hintern geblasen.“

An dieser rassistischen Argumentation schloß sich sofort die Kritik an der Haltung der DDR-Regierung an, die dieses alles erst möglich gemacht hätte. Da man keinen Einfluß auf diese Politik ausüben könne, müsse man es eben am „Objekt“ selbst versuchen.

Am Ende der Studie hieß es. ‰Wir haben es mit einer DDR-spezifischen Modifikation eines allgemeinen Problems der Auseinandersetzung mit Sozialismus und Demokratie zu tun. Die Sozialstrukturanalyse beweist, daß die tragenden sozialen Kräfte vorerst aus der jungen Arbeiterklasse kommen und durch bisher nicht identifizierte Schichten-Vertreter der Bevölkerung Unterstützung finden.“ Das klingt doch wesentlich anders als es der damalige Mitverfasser der Studie, Bernd Wagner, heute formuliert: “ Dem Ursprung nach handelt es sich um spontane Reaktionen auf die wirtschaftliche und soziale Stagnation in der DDR…“