Die DDR und die Juden – Neue Literatur und Perspektiven

VON CONSTANTIN GOSCHLER, ERSCHIENEN AUF TREND – ONLINEZEITUNG FÜR DIE ALLTÄGLICHE WUT

Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft begann sich auch auf dem Boden der SBZ bzw. DDR allmählich wieder ein jüdisches Leben zu rekonstruieren. Auch gegenüber dem 1948 gegründeten Staat Israel herrschte in Moskau wie in Ostberlin anfänglich durchaus Wohlwollen, wurde doch der neue Staat zuerst als antiimperialistischer Pflock im Fleisch des britischen Empires betrachtet. Die sich seit Ende der vierziger Jahre von der Sowjetunion wellenförmig an die Peripherie des Ostblock ausbreitenden antisemitischen Ausschreitungen zerstörten jedoch schon bald diesen Honey-moon mit Israel, und ebenso die sich gerade erst entwickelnden Grundlagen jüdischen Gemeindelebens in der DDR. Dort gipfelten diese Vorgänge unter anderem Ende 1952 in der Verhaftung Paul Merkers und der Veröffentlichung der „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ durch das ZK der SED. Die Folge war 1953 ein massenhafter jüdischer Exodus aus der DDR, an dessen Ende von den etwa 5000 Juden, die sich mittlerweile wieder dort angesiedelt hatten, gerade noch etwa 1500 übriggeblieben waren.[1] 1989 sollte diese überalterte und kontinuierlich schrumpfende jüdische Restgemeinde nur noch 380 Mitglieder zählen. Woraus speist sich angesichts dieser scheinbar marginalen Bedeutung des Gegenstandes das Interesse am Verhältnis der DDR zu den Juden?

Die internationale Öffentlichkeit betrachtete die Beziehungen zwischen der DDR und den Juden vielfach als einen Prüfstein der Glaubwürdigkeit des ostdeutschen Staates – beanspruchte dieser doch, weitaus radikaler als sein verfeindeter Zwillingsbruder mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus aufgeräumt zu haben. Mißtrauen herrschte jedoch vor allem darüber, inwieweit ein antisemitisches Dispositiv in der DDR weiterhin fortwirkte. Zu solchen Fragen gab vor allem die antizionistische Propaganda gegenüber Israel Anlaß, die im Gefolge der Anfang der fünfziger Jahre betriebenen antisemitisch gefärbten Kampagne in der DDR einsetzte. In der Wahrnehmung der politischen Führung der DDR konzentrierte sich das Problem im Umgang mit den Juden vor allem auf drei Gruppen: die wenigen Juden im eigenen Lande, den Staat Israel und die amerikanischen jüdischen Organisationen. Einen Brennpunkt bildete die Frage der „Wiedergutmachung“ der den Juden durch den Nationalsozialismus zugefügten Verbrechen. Dabei enthielt vor allem die Frage der nunmehr zum sozialistischen „Volkseigentum“ gewordenen ehemaligen jüdischen Vermögenswerte auf dem Gebiet der DDR viel Sprengstoff. Die DDR lehnte jedoch vor allem unter Verweis auf die angeblich großzügige Unterstützung der auf ihrem Staatsgebiet lebenden Juden, aber auch auf die von ihr sorgfältig erfüllten Reparationspflichten sowie die Überwindung aller Hinterlassenschaften des Faschismus fast bis zu ihrem Ende jegliche Verantwortung für diese Fragen ab.

Bereits vor 1990 entstanden einige wichtige Arbeiten zum Verhältnis der DDR zu den Juden. Hervorgehoben seien nur einige wenige wichtige Beispiele: Die Dissertation Gerald E. Thompsons bot eine erste Gesamtdarstellung jüdischen Lebens in der DDR.[2] Hingegen standen in den Arbeiten Peter Dittmars[3] sowie Inge Deutschkrons[4] die außenpolitischen Aspekte im Mittelpunkt. Während diese Arbeiten ganz auf öffentlich zugängliche Quellen sowie Interviews angewiesen waren, boten sich im Gefolge der nach der Wende erfolgten Öffnung der Archive der ehemaligen DDR ganz neue Möglichkeiten. In den letzten Jahren entstand so eine Anzahl neuer Studien und Quelleneditionen, von denen im folgenden einige vorgestellt werden sollen. Dabei hatte es offensichtlich mit den politischen Orientierungsbedürfnissen der ersten Jahre nach dem Ende der DDR zu tun, daß zumindest in den ersten Arbeiten zu diesem Thema der Versuch eine zentrale Rolle spielte, anhand des Umgangs mit den Juden eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung des „Antifaschismus“ für die Politik, aber auch das Bewußtsein der politischen Eliten wie der Bevölkerung der DDR zu führen. Dies geschah einerseits in der Absicht, den Antifaschismus als Mythos zu entlarven, mitunter aber auch mit dem Ziel, verteidigungswürdige Bruchstücke aus dieser Hinterlassenschaft zu orten. Diese Phase, in der es um aktuelle Legitimierungsbedürfnisse im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ging, scheint aber allmählich zu Ende zu sein, und dies dürfte sich langfristig auch positiv auf das Niveau der Fragestellungen auswirken.

Soweit es die Untersuchung der Juden in der DDR betrifft, konzentrieren sich diese Untersuchungen in der Regel auf die jüdischen Gemeindemitglieder, da dies das einzige sozusagen unverdächtige Definitionskriterium darstellt. Zumindest für die Erforschung des jüdischen Lebens in der DDR, soviel muß vorab gesagt werden, bergen die neuen archivalischen Zugangsmöglichkeiten neben vielen Chancen allerdings auch eine methodische Herausforderung in sich: Da die jüdischen Gemeinden der ehemaligen DDR (in Anlehnung an die traditionelle Praxis des Vatikans) den Zugang zu ihren Archiven nicht in gleicher Weise ermöglichen, wird die Perspektive auf dieses Verhältnis nun ganz wesentlich durch den in ihren hinterlassenen Aktenbergen verewigten Blick der Partei-, Staats- und Sicherheitsorgane der DDR geprägt. Gefahrenquellen liegen insbesondere dort, wo es um die Einschätzung der Qualität der Beziehungen mit den Juden geht, da hier der Maßstab möglichst vollständiger Kontrolle zugrundeliegt. Die in den amtlichen Quellen dokumentierte notorische Neigung, eigene Erfolge ins beste Licht zu setzen bzw. solche zu feiern, auch wenn es sie vielleicht gar nicht gab, läßt sich im Grunde nur durch die konsequente Benutzung von Gegenüberlieferungen kontrollieren. Solche sind aber, wie gesagt, oft entweder nicht zugänglich oder haben nie existiert. Es wird im einzelnen zu überprüfen sein, wie die einzelnen Arbeiten mit diesem Problem umgehen.

Ein weiteres prinzipielles Problem besteht darin, daß Untersuchungen zum Verhältnis zwischen der DDR und den Juden oft dazu neigen, implizit ein bestimmtes Modell vorauszusetzen, wie dieses Verhältnis eigentlich beschaffen sein sollte. Idealtypisch lassen sich vor allem zwei Positionen unterscheiden: Die eine benennt die Akkulturation und Integration der Juden als hauptsächlich erstrebenswertes Ziel, die andere dagegen die Erhaltung der religiösen und kulturellen Identität des Judentums. Diese Fragen durchziehen die Geschichte des deutschen Judentums seit dem 19. Jahrhundert. Seit 1945, spätestens aber seit der Gründung Israels 1948 kommt hinzu aber auch noch die auch innerjüdisch äußerst kontrovers diskutierte Frage, in welchem Verhältnis jüdisches Leben in Deutschland zur jüdischen Diaspora steht.

Ein gutes Beispiel für diese Problematik bildet die Studie Mario Keßlers, die am Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien in Potsdam entstand und die vor allem auf der Auswertung der einschlägigen SED-Akten basiert. Er konzentriert seine mit einem Dokumentenanhang angereicherte Darstellung auf die politischen Entwicklungen bis 1967. Mario Keßler kommt dabei zu dem Ergebnis, daß dem Verhältnis der SED zu den Juden letztlich das auf Assimilation zielende Konzept der Kommunistischen Internationale zugrunde gelegen sei. Seine Untersuchung folgt dabei dem Schema, wonach dem „guten Anfang“ im Osten Deutschlands, in dem sich „vor allem für bewährte Antifaschisten, darunter für nicht wenige Kommunisten jüdischer Herkunft“ Aufstiegschancen eröffnet hätten, in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren eine zeitweise Unterbrechung gefolgt sei.[5] Doch sei die SED nach dieser Phase der Repression wieder auf den Pfad der Toleranz zurückgekehrt. Seit dem Frühjahr 1953 hätte „die SED-Führung einen deutlichen Trennungsstrich zwischen Antizionismus und Antisemitismus“ gezogen. Die in der DDR lebenden Juden, die sich nach 1953 in ihrer Existenz nicht mehr hätten bedroht fühlen müssen, hätten ein Maß an Toleranz genossen, das ihnen erlaubt hätte, „sich in die Gesellschaft zu integrieren.“[6]

Damit wird deutlich, daß Keßler das kommunistische Assimilationskonzept als Bewertungsmaßstab für seine Analyse übernommen hat. Dies wird auch dadurch unterstrichen, daß er – im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren – nicht zwischen in jüdischen Gemeinden organisierten und außerhalb der Gemeinden in der DDR lebenden Juden unterscheidet. So vermißt Keßler am Ende zwar, daß die SED-Führung nicht in der Lage gewesen sei, „die vielschichtige Problematik jüdischer Existenz in Deutschland wie in Israel genügend wahrzunehmen.“ Doch gelangt er zu dem alles in allem positiven Ergebnis, daß sich diese Politik nach einem Ausrutscher in die Repression bis 1967 hin zur Toleranz entwickelt habe. Im Zusammenhang der auch von ihm deutlich gesehenen Funktionalisierung der Juden in der DDR für die Zwecke der SED erscheint die Verwendung des Begriffes „Toleranz“ in diesem Zusammenhang aber unbedacht und unangemessen.[7]

Wesentlich kritischer fällt dagegen der Blick Michael Wolffsohns auf das Verhältnis der DDR zu den Juden aus. Ihm geht es vor allem darum, die „antifaschistische Legende“ als solche bloszustellen. Zu diesem Zweck konzentriert er sich vorrangig auf die außenpolitischen Aspekte des Themas. Erklärtermaßen verfolgen Michael Wolffsohn und seine Mitarbeiter dabei zugleich das ehrgeizige Ziel, einen wissenschaftlichen Schelmenroman zu schreiben, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleiben soll.(14f.) Die zentrale These des Bandes wird auf der letzten Seite des Werkes bündig zusammengefaßt: „Vom Antifaschismus und der vermeintlichen Judenfreundlichkeit der DDR bleibt nichts. Nichts bleibt.“(388) Die Aufforderung an den eiligen Leser, sich die Belege für diese These durch Lesestreifzüge durch die einzelnen Kapitel zu holen, bereitet allerdings nicht immer Vergnügen: Die vorgeblichen Konzessionen an einen leserfreundlichen Stil bewirken m. E. mitunter das Gegenteil. Die als hauptsächliches Stilmittel eingesetzten parataktischen Satzkonstruktionen haben bei der Lektüre eines fast 400-Seiten langen Buches den ermüdenden Effekt einer Fahrradtour auf Kopfsteinpflaster.

Das Buch basiert auf intensiven Archivrecherchen in Deutschland, Israel, USA und Großbritannien. Wolffsohn konnte dabei noch die Akten des Außenministeriums der DDR einsehen, die bald darauf auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik wieder gesperrt wurden. Die Struktur des Werkes zerfasert gelegentlich in anekdotische Einzelschilderungen, die letztlich vor allem die zentrale These immer wieder umschreiben, wonach das „antifaschistische Vermächtnis“ der DDR nur eine nicht zuletzt auf gutgläubige Idealisten im Westen berechnete Attrappe gewesen sei. Diesen Gedanken verfolgt er im einzelnen anhand von Versuchen seitens der DDR, die Bundesrepublik – etwa durch inszenierte Hakenkreuzschmierereien – außenpolitisch zu diskreditieren, das Problem des Antisemitismus in der DDR, das Verhältnis der DDR zu Israel und den arabischen Staaten sowie die Versuche der DDR in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, ihre Beziehungen zu amerikanischen jüdischen Organisationen zu verbessern. Bemerkenswert ist dabei seine These, daß zwar die politische Führung der DDR „alles andere als immun“ gegen den Antisemitismus gewesen sei, die Bürgermehrheit jedoch demoskopischen Untersuchungen am Ende der DDR zufolge zum Teil eine größere Distanz zu braunen und antisemitischen Positionen besessen habe, als die Bevölkerung der Bundesrepublik.(111) Er unterläßt es jedoch zu interpretieren, ob dies trotz des staatsoffiziellen Antifaschismus oder wegen diesem so der Fall gewesen sei.

Das Gegenstück zu dieser Arbeit bildet in gewisser Weise die Studie Angelika Timms, die sich auf die Beziehungen der DDR zu Israel konzentriert und dabei den Zeitraum bis 1990 untersucht.[8] Im Zusammenhang der gegenwärtigen Debatte um Historiker im Nationalsozialismus, in der auch die Frage der „Lernfähigkeit“ nach 1945 eine wichtige Rolle spielt, ergeben sich hier interessante Parallelen. Angelika Timm war bis zum Ende der DDR eine radikale Vertreterin antizionistischer, antiisraelischer Positionen. [9] Seither hat sie sich auch international einen Ruf als Expertin für das Verhältnis zwischen der DDR und Israel erarbeitet, wobei sie ihre Kenntnisse aus früheren amtlichen Funktionen sozusagen produktiv verwerten konnte. Jenseits der auch von ihr selbst reflektierten Problematik der intellektuellen Aufrichtigkeit einer solchen Wissenschaftlerinnenbiographie ist jedenfalls festzustellen, daß sie eine solide Studie vorgelegt hat, in der die politischen Beziehungen zwischen der DDR und Israel im Mittelpunkt stehen. Bemerkenswert ist auch hier der breite Archivzugang, hat sie doch gleichfalls alle für ihr Thema einschlägigen Archive in Deutschland, Israel und den USA ausgewertet. Auch sie war noch in der glücklichen Lage, den mittlerweile versperrten Zugang in das Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in der DDR nutzen zu können. Ihr Band enthält einen edierten Quellenanhang, wobei für viele Leser insbesondere die Übersetzung hebräisch verfaßter Quellen nützlich sein dürfte.

Auch für Angelika Timm stellt die Frage des Umgangs mit den Juden den „Lackmustest“ des antifaschistischen Credos der DDR dar, den diese letztlich nicht bestanden habe.[10] Sie legt jedoch Wert darauf, daß dies nur für die „Königsebene“ gelte. Demgegenüber habe jedoch eine bislang unerforschte „Alltagserfahrung des Antifaschismus“ einen wichtigen Bestandteil ostdeutscher Realität gebildet.(387) Doch bleibt ihre eigene Untersuchung selbst ganz auf der „Königsebene“ und muß sich von daher vor allem mit den Widersprüchen des offiziellen Antifaschismuskonzepts herumschlagen. Dabei versucht sie „Antisemitismus“ und „Antizionismus“ begrifflich voneinander abzugrenzen und bezeichnet die Exzesse der frühen fünfziger Jahre als „politisch-taktischen Antisemitismus“.(389) Zusammenfassend kommt sie zu dem Ergebnis, daß die „Staatspolitik der DDR und die öffentliche Meinung … – mit Ausnahme antijüdischer Repressionen im Gefolge des Slansky-Prozesses – nicht antisemitisch im engeren Sinne“ gewesen seien. Doch sei das „Verhältnis des Staates zu den jüdischen Gemeinden des Landes durch Unwissenheit, Ignoranz und zum Teil auch bewußte politische Instrumentalisierung gekennzeichnet“ gewesen.(397)

Anders als Keßler vermag Angelika Timm dabei zu unterscheiden, daß die staatliche Förderung der jüdischen Gemeinden als Religionsgemeinschaften dennoch auf die Zerstörung jüdischer Identität zielen konnte.(391) Im Ganzen vertritt sie die Auffassung, daß nicht nur die jüdischen Gemeinden, sondern auch antijüdische Haltungen seitens der politischen Führung instrumentalisiert worden seien. Dies führt zu der bemerkenswerten Einschätzung des Antisemitismus als einer Art ’sozialistischer Realpolitik‘: So seien auch die proarabischen und antizionistischen, antiisraelischen Stellungnahmen im Nahostkonflikt nicht „auf eine antijüdische Grundeinstellung zurückzuführen“, sondern hätten sich „aus systemorientierter Parteinahme und realpolitischen Interessen“ ergeben. Doch bemerkt Angelika Timm zugleich an, daß der offizielle Antizionismus der DDR seit Anfang der fünfziger Jahre die Möglichkeit bot, antisemitische Dispositionen in der politischen Führung wie in der Bevölkerung offen zu artikulieren, was auch sie als Förderung eines latenten Antisemitismus einschätzt.(398) So bleibt vor dem Hintergrund ihrer eigenen These eines ‚doppelten Antifaschismus‘ – einerseits ein staatsoffizieller, andererseits ein lebensweltlicher, volkstümlicher – die Frage offen, wie die Wechselwirkungen zwischen dieser Art von offiziellem, „taktischen“ Antisemitismus und populären antisemitischen Dispositionen genau beschaffen waren. Möglicherweise würde sich dann auch der ‚volkstümliche Antifaschismus‘ als Chimäre erweisen.

Für die Bearbeitung der außenpolitischen Dimensionen der Beziehungen zwischen der DDR und den Juden leistete auch Yeshayahu A. Jelinek einen wichtigen Beitrag. Die von ihm herausgegebene Quellenedition konzentriert sich auf die deutsch-israelischen Beziehungen zwischen 1945 und 1965. Sie basiert auf umfangreichen Recherchen in deutschen, israelischen, amerikanischen und britischen Archiven und bietet diese in deutscher Übersetzung. Dieses mit einer nützlichen Einleitung versehene Werk bietet somit die Möglichkeit, die Beziehungen beider deutscher Staaten mit Israel in diesem Zeitraum miteinander zu vergleichen. Zu den thematischen Schwerpunkten gehören unter anderem die Frage der Wiedergutmachung, das Verhältnis zu den arabischen Staaten, aber auch der Eichmann-Prozeß.

Auf die Beziehungen zwischen der DDR und den dortigen jüdischen Gemeinden konzentrieren sich dagegen zwei kurz nacheinander erschienene Arbeiten, wovon die erste als Habilitationsschrift an der Universität Bochum entstand, die zweite als Dissertation an der Freien Universität Berlin. Die Quellenbasis beider Arbeiten, die erste von Lothar Mertens, die zweite von Ulrike Offenberg, weist eine ähnliche Struktur auf. Beide müssen sich vor allem auf die Archivüberlieferung von Staat und Partei beziehen, da sie nur äußerst begrenzt Zugang zur Überlieferung der von ihnen untersuchten jüdischen Gemeinden in der DDR erhielten. Das Material gibt in beiden Fällen deutlich erkennbar den thematischen Zugang vor: In ähnlicher Weise schildern sie die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der DDR als einen Versuch von Staat und Partei einerseits, diese zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, sowie andererseits als einen Prozeß von Anpassung und gelegentlich auch partieller Resistenz.

Für Lothar Mertens steht dabei im Vordergrund seiner Untersuchung, die durch „Partei und Staat vorgegebenen politischen Rahmenbedingungen für eine religiöse Präsenz der überlebenden jüdischen NS-Opfer unter dem atheistisch-autoritären Regime der SED“ zu analysieren. Die „verschiedenen Facetten der Existenzbedingungen“ reichten dabei, so Mertens, „vom eher distanzierten ‚Absterben‘ der Religion in der ’sozialistischen Menschengemeinschaft‘ der Ulbricht-Ära bis hin zur gezielten außenpolitischen Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinden in den späten Honecker-Jahren“.(26) Seine Untersuchung zerfällt in zwei Teile: Die erste, chronologisch geordnete Hälfte des Buches konzentriert sich auf die organisatorische Entwicklung der jüdischen Gemeinden von 1945 bis Anfang der 90er Jahre. Die folgenden, systematisch geordneten Kapitel greifen dagegen spezielle Probleme des Verhältnisses zwischen den jüdischen Gemeinden zu Staat und Partei heraus und entwickeln diese zu Fallstudien.

Im Ergebnis gelangt Mertens dazu, das Verhältnis der jüdischen Gemeinden zu Staat und Partei in vier Phasen einzuteilen, die in etwa auch der Abfolge der vier Präsidenten des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der DDR entsprechen. Die Ära Julius Meyer, die zunächst im Zeichen einer wohlwollenden Haltung gegenüber den Juden gestanden habe, sei in der antisemitischen Interrimsperiode 1950-53 zu Ende gegangen – symbolisiert durch die Flucht Meyers nach Westen. Darauf folgte, so Mertens, von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre ein „Phase politischer Indifferenz, in der die Gemeinden staatlicherseits weitgehend unbeachtet blieben und ihrerseits unter der Führung von Hermann Baden in kritischer Distanz zum sozialistischen Staat verharrten.“(383) In einer dritten Phase zwischen 1967 bis Anfang der achtziger Jahre hätte die DDR-Führung vor dem Hintergrund der Verschärfung des Nah Ost-Konflikts versucht, „die Juden als Alibi für die antizionistische Politik des Staates zu benutzen“. Dieses Verhalten sei von den SED-Mitgliedern in den jüdischen Gemeinden mitgetragen worden, wobei sich vor allem Verbandspräsident Helmut Aris hervorgetan habe. Unter dem letzten Verbandspräsidenten Siegmund Rotstein hätten die jüdischen Gemeinden in der DDR hingegen eine zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Dies sei sich jedoch besonders ihrer vermuteten Nützlichkeit für außenpolitische Zwecke geschuldet gewesen, weshalb die neue Fürsorglichkeit besonders innig mit Versuchen der Vereinnahmung und Instrumentalisierung einhergegangen sei. Der kleinen Gruppe jüdischer Bürger sei nunmehr verstärkt „die Rolle von öffentlichen Demonstrationsobjekten“ zugekommen. Nachdem sie in den ersten Nachkriegsjahren „als Alibi für die antifaschistische Politik“ hatten dienen müssen, so Mertens, wurden sie „nun in den achtziger Jahren zu einem Instrument der sozialistischen Entspannungs- und Außenpolitik.“(384) Äußere Anzeichen dafür waren etwa die Gründung des Centrum Judaicums in Ost-Berlin und Bemühungen um die Anstellung eines Rabbiners sowie um verbesserte Beziehungen zu Israel und amerikanischen jüdischen Organisationen.

Auch Mertens läßt dabei keinen Zweifel daran, daß dies in erster Linie dazu dienen sollte, der Außen- und Außenhandelspolitik der DDR größere Spielräume zu eröffnen. Neben Honeckers Wunsch, eine prestigeträchtige USA-Einladung zu erhalten, spielte dabei auch das handfeste Ansinnen um die Zuerkennung der Meistbegünstigungsklausel im Handel mit Nordamerika eine entscheidende Rolle. Interessant ist dabei vor allem Mertens Befund, daß die offizielle DDR-Politik gegenüber den jüdischen Gemeinden in den achtziger Jahren in wachsende Abhängigkeit von der westlichen Öffentlichkeit geriet. Die Versuche, die neubegründeten jüdischen Kontakte 1989/90 noch zur Erhaltung des Fortbestandes einer postsozialistischen DDR zu instrumentalisieren, sei jedoch „am Junktim mit der über Jahrzehnte negierten Wiedergutmachung“ gescheitert.(386) Es bleibt hinzuzufügen, daß selbst wenn dies geglückt wäre, dies vermutlich auch nichts am Ausgang verändert hätte. So besteht die eigentliche historische Ironie in der bis zuletzt herrschenden Überschätzung des jüdischen Einflusses auf die Weltpolitik durch die DDR-Führung. Hier schienen sich der systemimmanente Hang zu verschwörungstheoretischer Analyse mit Elementen des antisemitischen Dispositivs perfekt ergänzt zu haben.

Die Arbeit Ulrike Offenbergs weist naturgemäß erhebliche inhaltliche Überschneidungen auf. Um so mehr bietet es sich an, die Unterschiede des Zugriffes zu verdeutlichen. Ulrike Offenbergs zentrale Frage lautet, warum sich „die Vertreter jüdischer Gemeinden derart distanzlos mit der DDR“ identifiziert hätten?(9) Darin liegt allerdings bereits eine problematische Unterstellung enthalten. So schildert sie die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der SBZ bzw. DDR seit 1945 einerseits als Kampf verschiedener Fraktionen um die Dominanz des jüdischen Gemeindelebens, andererseits als von SED-Genossen innerhalb der jüdischen Gemeinden aktiv unterstützten Kampf von Staat und Partei um Kontrolle und Instrumentalisierung dieser Gemeinden.

Ihre Ausführungen zielen zu weiten Teilen darauf, ein deplorables Bild des Verhaltens der jüdischen Gemeinden gegenüber den an sie gerichteten ideologischen Zumutungen des sozialistischen Regimes zu zeichnen. Nach dem Massenexodus 1953 sei nur noch eine führerlose, überalterte Restgemeinde übriggeblieben, die keinerlei Distanz zu Staat und Macht mehr eingehalten habe. Geradezu genüßlich verweist Ulrike Offenberg dazu insbesondere auf die mittlerweile erfolgten zahlreichen Enthüllungen ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi unter wichtigen Funktionären der jüdischen Gemeinden der DDR, die so alles in allem als willfährige Transmissionsriemen der SED-Herrschaft erscheinen.(157f.) Dabei stellen sich bei der Lektüre gelegentlich Bedenken ein, ob hier die Erfolgsperspektive, die in den Akten von Staat und Partei enthalten ist, nicht in allzu unreflektierter Weise übernommen wurde. Deutlich wird jedenfalls das Ziel dieser Arbeit, die jüdischen Gemeinden in der DDR nachträglich zu delegitimieren. Dabei stützt sie sich auf ein normatives Vorverständnis dessen, wie sich Juden in der DDR hätten verhalten sollen. Ulrike Offenberg lehnt den Weg der „Assimilation“ beharrlich ab und macht diese geradezu verantwortlich für die von ihr konstatierte politisch-moralische Malaise: „In Ermangelung religiöser oder kultureller Bindungen an das Judentum nahmen viele Gemeindefunktionäre den staatlich propagierten Antifaschismus als Identifikationsersatz an“(189), tadelt die studierte evangelische Theologin. Immer wieder finden sich in diesem Buch derartige Wertungen, die daraufhin hinauslaufen, daß die solcherart ‚bindungslosen Juden‘ leichte Beute der Staatsideologie werden mußten.

In gewisser Weise konstruiert Ulrike Offenberg damit die Vorgeschichte zu der in der Endphase der DDR durch den Westberliner Sozialwissenschaftler und Journalisten Dr. Mario Offenberg in Ost-Berlin wiedergegründeten orthodoxen jüdischen Gemeinde Adass Jisroel, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht worden war. Bei der Schilderung dieser Neugründung divergieren die Darstellungen bei Lothar Mertens und Ulrike Offenberg erheblich, weshalb es sich lohnt, hier etwas näher darauf einzugehen. Mertens zufolge habe es sich bei dieser Wiedergründung im wesentlichen um ein Familienunternehmen gehandelt, und nicht um eine legitime Nachfolge der ehemaligen Gemeinde Adass Jisroel. Die DDR habe sich in ihrer Spätphase vor allem aus Gründen des erhofften außenpolitischen Prestigegewinns von Offenberg instrumentalisieren lassen, obwohl sie um die Fragwürdigkeit dieser Ansprüche gewußt habe. Am Ende habe es sich als besonders hilfreich erwiesen, daß der in den späten achtziger Jahren mit der anwaltschaftlichen Vertretung Mario Offenbergs beauftragte Lothar de Maizière der Übergangsregierung Hans Modrows als stellvertretender Ministerpräsident eintrat und dort für Kirchenfragen zuständig war. Unter seiner Ägide wurde die Angelegenheit zügig im Sinne seines ehemaligen Mandanten entschieden.[11] Damit bestätigt Mertens auf Grundlage umfangreicher archivalischer Recherchen eine frühere journalistische Darstellung des Falles durch Henryk M. Broder.[12]

Ulrike Offenberg läßt die umstrittene Frage unerörtert, inwieweit Mario Offenberg berechtigt war, als legitimer Nachfolger einer Gemeinde ohne Gemeindemitglieder aufzutreten. Für sie steht dagegen ein grundsätzlicher Konflikt im Mittelpunkt: Die jüdischen Gemeinden in der DDR seien „assimilatorisch orientiert und darauf bedacht [gewesen], sich nicht gegen ihre Umwelt abzusetzen. Das fehlende Selbstbewußtsein war mit einem Mangel an jüdischem Wissen und an Wertschätzung der jüdischen Tradition gepaart. Dem stand das traditionsbewußte Judentum der Adass Jisroel gegenüber, das auch notwendige Abgrenzungen gegenüber der nichtjüdischen Umgebung und gegenüber dem Staat vollzog.“[13] Auf diese Weise erweist sich die scharfe Kritik am „assimilatorischen Verhalten“ des „traditionslosen“ Judentums in der DDR zuletzt als Legitimation der umstrittenen Wiederbegründung der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel durch Mario Offenburg. Dieser hatte sein Traditionsbewußtsein allerdings anscheinend erst nach Abschluß seiner an der Freien Universität Berlin 1974 angenommenen Dissertation über „Kommunismus in Palästina – Nation und Klasse in der antikolonialen Revolution“ erworben.[14]

Es stellt sich so der Verdacht, daß die Studie Ulrike Offenbergs, die zu Mario Offenburg gleichermaßen in familiärer und beruflicher Verbindung steht, Teil einer heftigen Auseinandersetzung um Legitimierung und Delegitimierung darstellt, die unter den jüdischen Gemeinden vor allem im Osten Berlins nach 1990 geführt wurde. Den Hintergrund des Konflikts bildete nicht zuletzt die Frage der Aktivlegitimation für das umfangreiche Vermögen des unter nationalsozialistischer Herrschaft geraubten Vermögens der ehemaligen jüdischen Gemeinden. So stimmen Ulrike Offenberg und Lothar Mertens zumindest am Schluß ihrer Darstellungen, der das Ende der jüdischen Gemeinden in der DDR betrifft, weitgehend überein: Deren 1990 unter Leitung Heinz Galinskis erfolgte Vereinigung mit den westlichen jüdischen Gemeinden sei in ausgesprochen autoritärer und ruppiger Manier durchgeführt worden. Die östliche Braut habe zwar eine reiche Mitgift in Gestalt von Rückerstattungsansprüchen in die gemeinsame Ehe eingebracht, doch seien die weniger als 400 jüdischen Gemeindemitglieder im Osten Deutschlands unter den etwa 35.000 Gemeindemitglieder im Westen praktisch verschwunden und hätten auch jegliches Mitspracherecht verloren.[15]

Bei der Bilanz des Gesamteindruck der in den letzten Jahren erschienenen, manchmal auf nahezu exzessive archivalische Materialbasis gestützten Studien ergibt sich ein zwiespältiger Eindruck: Wir wissen nun viel mehr, aber das Verständnis ist nicht im gleichen Maße gewachsen. Verglichen mit den älteren Studien zum Verhältnis der DDR und den Juden gibt es wenig Überraschungen. Das bestehende Bild wird vielfach differenziert, ausgemalt, belegt, aber kaum einmal umgestürzt. Dieser auch in anderen Bereichen der DDR-Forschung gelegentlich auftauchende Eindruck mag zum einen mit der Struktur der sozialistischen Ideologie und Herrschaft zu tun haben, vielleicht auch mit der Qualität älterer Forschung. Möglicherweise hat es aber auch damit zu tun, daß zunächst einmal die tradierten Fragestellungen noch einmal neu durchdekliniert wurden, nur diesmal auf der Basis zugänglicher Archive des ehemaligen Herrschaftsapparats. Die gelegentlich auftretende Monotonie, die durch das immer wieder neue Belegen von Instrumentalisierung und Funktionalisierung irgendwelcher gesellschaftlicher Gruppen durch Staat und Partei in der DDR entsteht, läßt sich daher vielleicht am ehesten durch neue Fragestellungen durchbrechen. Deshalb sollen im folgenden im Anschluß an die oben besprochenen Arbeiten einige vielleicht erfolgversprechende Perspektiven vorgeschlagen werden:

Erstens sollte man die Stellung der Juden in der DDR stärker systematisch mit der Rolle der christlichen Kirchen vergleichen. Zum einen ließen sich dabei vermutlich einige Spezifika im Umgang mit Juden in der DDR genauer bestimmen. Zum anderen wäre es im Anschluß an die im Hinblick auf die christlichen Kirchen bereits intensiv geführte Diskussion über die Verstrickung kirchlicher Würdenträger in das Informantennetz der Stasi vielleicht auch möglich, insbesondere die mit der Rolle des Informellen Mitarbeiters in gesellschaftlichen Organisationen verbundenen Probleme differenzierter analysieren.[16] Vor allem gilt es dabei die Funktionalisierung des IM-Status als Totschläger in gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Die größere Frage wäre dabei, wie im Falle der jüdischen Gemeinden das komplizierte Verhältnis von Anpassung und Resistenz beschaffen war. Stärker als dies bislang erfolgt ist, könnten die Juden in der DDR somit auch als ein Fallbeispiel für das Herrschaftssystem der DDR und seine Strukturbedingungen dienen.

Zu fordern wären auch begrifflich stärker geschärfte Analysen zum Verhältnis von „Antisemitismus“ und „Antizionismus“. Soweit diese Unterscheidung in den bisherigen Studien erfolgte, waltet oftmals ein gewisser Dezisionismus. Erfolgversprechend könnte auch hier die Einbettung in Vergleichsperspektiven sein. Vor allem aber könnten die Systemgrenze der DDR überschreitende Untersuchungen etwa zurück in nationalsozialistische Zeit vielleicht auch dazu führen, unser Verständnis von der realen Akzeptanz und Bedeutung des Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung zu verbessern. Ein zugegebenermaßen willkürlicher Eindruck aus der Lektüre der Tagebücher Viktor Klemperers, die Stimmungsberichte aus Dresden in der Kriegszeit wiedergeben[17], wirft etwa die Frage auf, inwieweit die antikapitalistische Komponente des Antisemitismus, die dort sehr im Vordergrund steht, im Verhältnis zu seiner rassistischen Komponente vielleicht stärker gewichtet werden müßte, zumal da sie später mühelos die Anschlußfähigkeit zu einer antifaschistischen Einstellung herstellte. Hieraus ergeben sich möglicherweise weitreichende Konsequenzen für Gestalt und Kontinuitätslinien des antisemitischen Dispositivs.

Die Untersuchung jüdischen Lebens in der DDR sollte zudem nicht in der bisherigen Ausschließlichkeit unter die Perspektive des Verhältnisses zu Staat und Partei gestellt sein. So wäre etwa auch die Frage des Verhältnisses der in der DDR lebenden Juden zu den Juden in Israel und der Diaspora zu fragen. Inwieweit bestand beispielsweise auch für in der DDR lebende Juden ein Rechtfertigungsdruck im Hinblick darauf, daß sie sich nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wieder auf deutschem Boden ansiedelten? Im Falle der Bundesrepublik spielte dies bekanntlich eine gewichtige Rolle.[18] Kann man so vielleicht gar hypothetisch formulieren, daß derartiger Druck die Juden in der DDR stärker an die Seite des Regimes trieb? Zu fordern wäre also auch hier, nicht mehr länger mehr oder weniger ausgeprägt den Blick der politischen Eliten der DDR auf „die Juden“ zu reproduzieren, der diese als Teil eines monolithischen „Weltjudentums“ betrachtete. An seine Stelle sollte die Beschäftigung mit der Pluralität jüdischer Gruppierungen, Interessen und Identitäten stehen.

Daraus folgt als ein weiteres Desiderat, sich auch mit dem Problem der Einbeziehung derjenigen Juden, die nicht in Gemeinden organisiert waren, stärker zu beschäftigen. Dies führt letztlich zum Problem jüdischer Identitätsbildung unter den Bedingungen der DDR. Welche Veränderungen lassen sich hierbei in der Zeit des Bestehens dieses Staates feststellen? Was hat es dabei zu bedeuten, daß es bereits einige Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR zu Bemühungen der jüdischen Identitätsvergewisserung außerhalb der jüdischen Gemeinden kam? Langfristig führt auch diese Frage über den engeren Zeitraum der DDR hinaus: Sie mündet letztlich in eine Untersuchung der Veränderungen, die seit Beginn der 90er Jahre durch den Zustrom meist religionsferner Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die jüdischen Gemeinden Ostdeutschlands ausgelöst wurden. Doch bietet sich das Thema des Verhältnisses der DDR zu den Juden ohnehin in besonderer Weise an, die DDR sei es durch synchrone oder diachrone Vergleiche aus ihrer historiographischen Insellage herauszuholen.

Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu insbesondere Jeffrey Herf, Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED- und MfS-Archiven, in: VfZ 42 (1994), S. 635-667; ders., Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998, S. 130-193.

[2] Jerry E. Thompson, Jews, Zionism, and Israel: The Story of the Jews in the German Democratic Republic since 1945, Ph. D. Thesis Washington State University 1978. Zu erwähnen wäre auch die Interviewsammlung von Robin Ostow, Jüdisches Leben in der DDR, Frankfurt a. Main 1988.

[3] Peter Dittmar, DDR und Israel. Ambivalenz einer Nicht-Beziehung, Teil I u. II, in: Deutschland-Archiv 10 (1977), S. 736-754, 848-861.

[4] Inge Deutschkron, Israel und die Deutschen. Zwischen Ressentiment und Ratio, Köln 1970.

[5] Keßler, S. 148 f.

[6] Ebenda, S. 150 f.

[7] Siehe auch die Kritik von Lothar Mertens, Davidstern unter Hammer und Zirkel, S. 13.

[8] Auf dieser Studie basiert auch ihre Spezialstudie zum Problem der jüdischen Wiedergutmachungsforderungen an die DDR: Angelika Timm, Jewish Claims against East Germany. Moral Obligations and Pragmatic Policy, Budapest 1997.

[9] Vgl. hierzu auch die scharfen Vorwürfe bei Wolffsohn, S. 80-85.

[10] Timm, S. 400.

[11] Mertens, S. 345-374.

[12] Henryk M. Broder, Juden rein!, in: ders., Erbarmen mit den Deutschen, Hamburg 1993, S. 85-115.

[13] Offenberg, S. 245.

[14] 1977 hatte Mario Offenberg zudem auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival für seinen Film „Der Kampf um den Boden der Palästiner in Israel“ einen Preis der PLO erhalten. Siehe Mertens, S. 345.

[15] Offenberg, S. 270-273; Mertens, S. 154 ff.

[16] Vgl. hierzu etwa Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, Frankfurt a. M. 1999, S. 473-499.

[17] Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945, Berlin 1998, hrsg. v. Walter Nowojski u. Mitarbeit v. Hadwig Klemperer, 10. Aufl., Berlin 1998.

[18] Vgl. dazu etwa Münch, Peter L.: Zwischen „Liquidation“ und Wiederaufbau: die deutschen Juden, der Staat Israel und die internationalen jüdischen Organisationen in der Phase der Wiedergutmachungsverhandlungen, in: Historische Mitteilungen 22 (1997), S. 81-111.

 

Editorische Anmerkung

Der Artikel ist eine Spiegelung von
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=37

Vom Kampf gegen den „Kosmopolitismus“ zum Kampf gegen den „Aggressorstaat“

Dieser Beitrag soll sich mit dem Antizionismus und Antisemitismus in der DDR beschäftigen. Dabei scheinen, gerade wegen der Abwehrreaktionen, die insbesondere Vertreter der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS bei der Behandlung von Tabu-Themen zeigen (z.B. in der Tageszeitung junge welt vom 25. u. 26.09.1998), einige Vorbemerkungen notwendig.

VON THOMAS LEUSINK, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

Dieser Beitrag soll sich mit dem Antizionismus und Antisemitismus in der DDR beschäftigen. Dabei scheinen, gerade wegen der Abwehrreaktionen, die insbesondere Vertreter der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS bei der Behandlung von Tabu-Themen zeigen (z.B. in der Tageszeitung junge welt vom 25. u. 26.09.1998), einige Vorbemerkungen notwendig. Viele von uns erinnern sich ganz bestimmt noch gut an ein Argument der SED-Dogmatiker, mit dem sie versuchten, Kritik zu unterdrücken: Kritik, erst recht veröffentlichte, und Diskussionen arbeiten dem Klassenfeind in die Hände und können deshalb nicht zugelassen werden.

Auf der einen Seite stehen die unermüdlichen Bemühungen des Staates BRD und seiner Beamten, die DDR zu delegitimieren. Das hat verschiedene Gründe, denen jetzt und hier nicht nachgegangen werden soll. Klar ist jedoch, daß die ideologische These vom Totalitarismus eine analytische, folglich differenzierende Auseinandersetzung mit Geschichte verhindert. Wenn beispielsweise die beauftragte Behörde für die Stasiunterlagen neue Erkenntnisse veröffentlicht, so z.B.: „Hunderte rechtsextreme Delikte in der Nationalen Volksarmee“ (Tageszeitung Tagesspiegel vom 24.09.1998), geht es ihr kaum um „Aufklärung“, sondern es geht ihr darum, die Medienmaschine zu festgelegten Zeiten mit vorsortierten Meldungen anzutreiben.

Auf der anderen Seite sind wir sicher, daß es unbedingt notwendig ist, sich mit bestimmten, für den einen oder die andere unangenehmen Themen kritisch auseinanderzusetzen. Wir brauchen diese Auseinandersetzung mit Fehlern und Schwächen der linken Bewegung, um uns letztlich selbst zu stärken.

Neuanfang

1946/47 und in den folgenden Jahren kehrten einige tausend Juden aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland zurück, ein Teil davon aus politischen Motiven in die Sowjetische Besatzungszone.

Z.B. Romy Silbermann: „Wir baten sofort nach Kriegsende darum, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, und zwar bei der sowjetischen Besatzungsmacht, denn für uns kam nur ein sozialistisches Deutschland in Frage … Ich glaubte als Deutsche, als Kommunistin, als Humanistin, daß dort in Berlin mein Platz war. Ich dankte … Palästina und dem jungen Staat Israel, daß sie mir die Möglichkeit zum Überleben gegeben hatten. Ich beschloß, so schnell wie möglich nach Berlin zurückzukehren … Ich kam nicht zurück, weil ich verzeihen wollte … ich wollte meinen Teil dazu beitragen, ein anderes Deutschland erstehen zu lassen. Das Deutschland, für das ich erzogen worden war.“ /1/

1947/48 gab es seitens der „Ordnungskräfte“ widersprüchliche Reaktionen darauf: Teilweise wurde keine Einreise gewährt, teilweise der Arbeitsort und der Wohnort zugewiesen und mit Auflagen versehen. Diese Reaktionen hatten zum überwiegenden Teil keine antisemitische Grundlage, ursächlich war das generelle Mißtrauen gegenüber denen, die im Westen (d.h. alle Länder außer der Sowjetunion) in der Emigration waren.

Am 04.05.1948 wurde der Staat Israel gegründet. Am 14.05. wurde die Unabhängigkeits-Proklamation veröffentlicht (zeitgleich begann der erste Israelisch-Arabische Krieg). Auch in der Jüdischen Gemeinde Dresden fand zur Staatsgründung eine Feierstunde statt, bei der auch Vertreter der Landesleitung der SED zur Gratulation anwesend waren.

Am 12. Juni 1948 gab die Presseabteilung des ZK der SED eine Information heraus, die die damalige pro-israelische Einstellung der sowjetischen Regierung verdeutlicht, unter deren Einfluß sie stand:

Information der Abt. Werbung u. Presse des ZK der SED am 12. Juni 1948:

„Im Kampfe um Palästina stoßen gewaltige Interessen des angloamerikanischen Imperialismus zusammen … Die jüdische werktätige Bevölkerung kämpft um ihre Heimstätte. … Der Kampf der jüdischen Werktätigen in Palästina ist ein fortschrittlicher Kampf. Er richtet sich nicht gegen die werktätigen Massen der Araber, sondern gegen deren Bedrücker. Er findet die Unterstützung der Sowjetunion und der gesamten fortschrittlichen Menschheit.“

Auch am 8. Mai hatte der SED-Pressedienst eine projüdische Meldung zu den militärischen Auseinandersetzungen veröffentlicht:

Meldung des SED-Pressedienstes vom 8. Mai 1948: „Die Jewish Agency und die Haganah (jüdische Selbstverteidigung) ließen sich jedoch von dem hinterhältigen Verhalten der USA-Imperialisten nicht beirren. Seit Monaten waren bereits heftige Kämpfe zwischen den Kräften der Haganah und der Arabischen Legion im Gange, die weitere 2.400 Todesopfer u. 5.100 Verletzte kosteten. Der Jewish Agency und der Haganah blieb infolgedessen keine andere Alternative, als entweder vor der Arabischen Legion, die vorwiegend aus faschistischen Elementen zahlreicher Nationalitäten zusammengesetzt ist und die zum Teil unter der Führung von deutschen SS-Leuten der Rommel-Armee steht, zu kapitulieren oder alles daran zu setzen, um die Teilung Palästinas und damit den Beschluß [der UNO – T.L.] aus eigener Kraft durchzuführen … Es kam nun darauf an, dieses Land auch zu halten.“

Für kurze Zeit hatte die Sowjetunion mit der Rede von Andrej Gromyko im November 1947 vor der UNO die alte antizionistische Kominternlinie aufgegeben. Im Herbst 1948 allerdings schwenkte sie wiederum auf diese alte Linie ein. Dies hatte innen- wie außenpolitische Gründe. Die SED folgte diesem alten Kurs bis 1989: „Unter bewußter Mißachtung der von der UN beschlossenen Regelung des Palästina-Problems wurde 1948 durch einen Gewaltakt das künstliche Staatsgebilde Israel geschaffen.“ /2/

Die SED sah sich in der Tradition der Arbeiterbewegung, in der die Aufhebung des Klassenwiderspruches sozusagen wie von selbst die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus erledigt, da dieser dann „mit der Wurzel ausgerottet“ sei und alle Menschen zu gleichberechtigten Gesellschaftsmitgliedern werden.

Der vorbereitete Prozeß

Bereits 1950 setzten die ersten „Säuberungen“ in der DDR ein, nachdem in ganz Osteuropa eine von Stalin und seinen Getreuen inszenierte Prozeßwelle angelaufen war. Beginnend in Albanien, dann in Bulgarien, anschließend in Ungarn, hatten Schauprozesse gegen „Agenten und Saboteure“ stattgefunden. Von der ersten Welle betroffen waren in der DDR vor allem Juden. Sie wurden aus der SED ausgeschlossen und/oder verloren ihre Arbeit und/oder ihre Funktionen, z.B.: Bruno Goldhammer (früher KPD-Funktionär, Intendant des Berliner Rundfunks), Leo Bauer (Chefredakteur beim Deutschlandsender), Lex Ende (ehemal. Chefredakteur des ND), Rudolf Feistmann (Redakteur Außenpolitik des ND), Alexander Abusch, Wolfgang Langhoff, Jürgen Kuczynski und viele andere jüdische Kommunisten.

Schon im Zusammenhang mit den Überprüfungen der Parteikontrollkommissionen im Frühjahr 1950 wurde bei den Westemigranten gesondert die jüdische Herkunft vermerkt. Im Januar 1952 wurde die SED-Führung durch die Sowjetische Kontrollkommission (SKKD) aufgefordert, alle Juden zu registrieren und Erich Mielke als damaliger Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit angehalten, eine solche Kartei anlegen zu lassen. /3/4/ Der Staat verfügte auch über Gemeindemitgliederlisten. /5/ Diese Unterlagen konnten dann genutzt werden, als es 1952/53 darum ging, Juden und Emigranten, die aus „westlichen“ Ländern zurückgekehrt waren, u.a. mit dem „Kosmopolitismus“-Vorwurf zu Parteifeinden zu erklären.

Meyers Neues Lexikon, VEB Bibliograph. Institut Leipzig, 1963: „Kosmopolit: 1. im 18. Jh. aufgekommener Begriff für „Weltbürger“ im Sinne der Aufklärung; heute unter Bedeutungswandel Anhänger des Kosmopolitismus. – 2. Pflanzen- und Tiergeographie auf der ganzen Erde, an zusagenden Standorten, verbreitete Art; ökologisch sehr anpassungsfähig … Kosmopolitismus: 1. unwissenschaftliche, äußerst reaktionäre Ideologie der imperialistischen Bourgeoisie, die in verschiedenen Spielarten auftritt. Der K. verlangt den Verzicht auf das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, auf staatliche Unabhängigkeit und Souveränität … Er wird bes. vom amerikanischen … Imperialismus propagiert, deren Expansionsbestrebungen er apologetisch mit „allgemein menschlichen Interessen“ zu verschleiern sucht. Der K. ist eine demagogische, historisch unwahre Kritik der angeblich „überlebten“ und „egoistischen“ Ideen der nationalen Souveränität … Die Kehrseite des K. ist der bürgerliche Nationalismus. K. und Nationalismus sind dem proletarisch-sozialistischen Internationalismus und Patriotismus völlig entgegengesetzt … 2. Vorkommen einer Pflanzen- oder Tierart auf der ganzen Erde …“.

Meiner Meinung wurde das Wort „Kosmopolit“ als Synonym für Jude benutzt. So wurde der Kosmopolitismus zur verwerflichen Ideologie, derer sich vor allem Juden bedienten!

Bereits 1948 wurde das im Jahre 1942 gegründete „Jüdische Antifaschistische Komitee“ in der Sowjetunion aufgelöst, seine Mitglieder Anfang 1949 verhaftet und 15 von ihnen im Juli 1952 hingerichtet.

Vom 20. – 27. November 1952 fand in Prag der „Prozeß gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slansky an der Spitze“ statt, von den 14 Angeklagten waren 11 Juden. Sie wurden angeklagt des Hochverrats, der Spionage, Sabotage und des Militärverrats, und wurden „als trotzkistisch-titoistische, zionistische, bürgerlich-nationalistische Verräter“ bezeichnet. Sie gehörten fast alle der Partei- und Staatsführung an. Sie waren bereits 1951 verhaftet worden, drei bekamen lebenslänglich, die anderen wurden hingerichtet. (1963 wurden die Urteile aufgehoben.)

Im Dezember 1952 hielt Klement Gottwald (Rückkehrer aus dem sowjetischen Exil, Vorsitzender der KPC und Staatspräsident) ein Referat zum Slansky-Prozeß. Darin glaubte er noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen zu müssen, daß die „Entlarvung“ und „Ausmerzung“ der „imperialistischen Agentur“ des Zionismus in der CSR nichts mit Antisemitismus oder Rassenwahn gegen Juden zu tun hat. /6/ Es wurde versucht, den Unterschied deutlich zu machen. /7/

Um sich gegen den Antisemitismus-Vorwurf zu schützen, bemühte man sich, auch unterstützende Statements von Juden einzuholen, ein auch in der Bundesrepublik nicht unübliches Verfahren.

Schreiben der Abteilung Propaganda der Leipziger Volkszeitung an Helmut Looser vom 10. Dezember 1952: „Werter Genosse Looser [Helmut Salo Looser war Vorsitzender der Leipziger Gemeinde-T.L.] … Wir halten es im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozeß für wichtig, wenn eine leitende Persönlichkeit der jüdischen Gemeinde zur Frage des angeblichen „Antisemitismus“ in der CSR Stellung nimmt und bitten Dich, für uns einen entsprechenden Artikel zu schreiben. Die Linie des Artikels findest Du in dem beiliegenden Artikel aus dem Pressedienst. … Es kommt vor allem darauf an, die Agenten Israels, die Agenten des internationalen Zionismus und die Lüge vom „Antisemitismus“ in der CSR zu entlarven. Man muß nachweisen, daß die Zerschlagung der Slansky-Bande kein antisemitischer Akt, sondern im Gegenteil ein Schlag gegen die amerikanischen Rasse- und Pogromhetzer war. Ein Sieg der Slansky-Bande hätte die Errichtung des Faschismus in der CSR bedeutet …“ usw. /3/ Looser übrigens zog der Loyalität gegenüber Staat und Partei und seiner möglichen Verhaftung die Flucht in den Westen vor.

Drei Wochen nach dem Prozeß in Prag veröffentlichte das ZK der SED die „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“. (Das Gerichtsprotokoll erschien Anfang 1953 in deutscher Übersetzung in großer Auflage /8/9/.) Eine der Lehren war, Juden als Angestellte von Stadt- und Bezirksverwaltungen zu entlassen, nicht weil sie Juden waren, aber weil sie möglicherweise zionistische Agenten waren.

Zur Vorbereitung von Verhaftungen in der DDR wurden die Kaderunterlagen der „Genossen jüdischer Abstammung“ überprüft. /3/4/ Es fanden Hausdurchsuchungen in den Räumen Jüdischer Gemeinden und bei Personen statt, gegen die offensichtlich die Absicht bestand, Prozesse zu führen. Vorsitzende der Gemeinden wurden verhört und mehrere Juden zur Vorbereitung eines entsprechenden Prozesses in der DDR verhaftet z.B.: Bruno Goldhammer, Hans Schrecker (Vorsitzender der Nationalen Front in Sachsen), Leon Löwenkopf (früher Funktionär in der SPD, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und Präsident der Sächsischen Notenbank).

Zahlreiche Politiker flüchteten nach ersten Verhören, um Verhaftungen vorzukommen, z. B. Leo Zuckermann (zeitweilig als Staatssekretär Chef der Kanzlei des Präsidenten W. Pieck), Julius Meyer (Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden, Volkskammerabgeordneter, VVN-Mitglied) mit ihnen auch die meisten Gemeindevorsitzenden. Sie wurden nachträglich aus der VVN ausgeschlossen und zu zionistischen Agenten und Verrätern erklärt. Paul Merker, Nichtjude, wurde wegen seiner Forderung nach „Wiedergutmachung“ als „Subjekt der US-Finanzoligarchie“ beschimpft. 1918 USPD-, 1920 KPD-Mitglied, 1926 ZK-, 1928 Politbüro-Mitglied, war Merker 1946 aus dem mexikanischen Exil zurückgekehrt, wurde Mitglied des ZK und des Politbüros der SED, 1950 aus der SED ausgeschlossen, 1952 verhaftet und in einem Geheimprozeß erst im März 1955 (!) verurteilt (1956 entlassen und rehabilitiert).

Beschluß des ZK der SED zu Paul Merker: „Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß Merker ein Subjekt der USA-Finanzoligarchie ist, der die Entschädigung jüdischen Vermögens nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. Das ist die wahre Ursache seines Zionismus.“

Merker habe auch die Haltung des kleinbürgerlich-opportunistischen „Bund“ vertreten, der statt der Assimilation der Juden ihre national-kulturelle Autonomie forderte. Auf die Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten, Bundisten u. Zionisten soll hier nicht eingegangen werden.

Unter Zionismus verstanden die DDR-Propagandisten eine national-chauvinistische Ideologie der jüdischen Bourgeoisie. Er sei eine Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung. Er habe die reaktionäre Idee von der jüdischen Gemeinschaft entwickelt, die die Klassenfrage ignorierte, um das jüdische Proletariat vom revolutionärem Klassenkampf abzulenken und die Lösung der sog. Judenfrage in der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates zu sehen. Natürlich konnte eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Strömungen des Zionismus, auch des sozialistischen Zionismus, nicht erfolgen, da es mit Ideologie nicht zu vereinbaren ist, differenzierte Auffassungen über politische Gegenstände zu entwickeln.

Am 13. Januar 1953 meldete die Prawda: „Agenten der internationalen bürgerlich-nationalistischen jüdischen Organisation ‚Joint‘, die vom amerikanischen Nachrichtendienst gegründet worden ist … abscheuliche Spione und Mörder in der Maske von Professoren und Ärzten … hatten sich zum Ziel gesetzt … das Leben aktiver öffentlicher Persönlichkeiten der Sowjetunion zu verkürzen.“ In dem sich anbahnenden neuen Prozeß wurde ein Vorspiel zu neuen massiven Säuberungen gesehen. /10/11/12/

Nicht nur die russischen Juden lebten in Angst. Es lag in der Luft, daß die DDR hinter dem ideologischen Vorbild nicht zurückbleiben wollte. Es gab zahlreiche Verhöre. Es setzte eine große Fluchtbewegung ins Ausland ein, so daß von ungefähr 5.000 Juden (1947) nur ca. 1.500 übrig blieben /13/ (abweichende Zahlenangaben: 900 Juden, von ca. 2.600 Gemeindemitgliedern, verließen die DDR). Juden, die z.T. bei ihrer Rückkehr bewußt die Sowjetische Besatzungszone gewählt hatten.

Im März 1953 starb Stalin und wenig später kam aus Moskau die Weisung zur Einstellung der Repression. Da aber viele Juden die DDR bereits verlassen hatten, sollten die Gemeinden sich davon nicht mehr erholen.

Wie in den anderen Ländern Osteuropas ging es bei den Prozessen darum, eigene Machtpositionen zu festigen und kritische Stimmen einzuschüchtern oder auszuschalten.

Anfang 1956 fand der XX. Parteitag der KPdSU statt, mit Stalin und dem Stalinismus wurde sich zeitweilig kritisch auseinandergesetzt. Im Zusammenhang mit den Prozessen wurde in der Sowjetunion von offizieller Seite von „antijüdischen Handlungen“ gesprochen. /15/

Juden blieben in der DDR unter Beobachtung, da sie offensichtlich einen Unsicherheitsfaktor für den Staat und einige seiner Funktionäre darstellten; die Begründung war, sie seien sozial nicht mit der Arbeiterklasse verbunden, da sie zumeist kleinbürgerlichen Schichten entstammten, sie hätten überall im Westen Verwandte und Bekannte und bildeten daher für den Klassengegner sehr geeignete Ansatzpunkte. /4/

„Schade um jede Mark“ – die Ablehnung von „Wiedergutmachung“

Nur im Land Thüringen wurde im September 1945 ein „Wiedergutmachungsgesetz“ verabschiedet. Die anderen Länder der Sowjetischen Besatzungszone folgten Thüringen nicht. Eine Übernahme in die DDR-Gesetzgebung fand 1949 nicht statt. Selbst Siegbert Kahn, der 1948 eine kleine Schrift veröffentlichte /14/, aus der später immer wieder gern zitiert wurde (sozusagen die Parteirichtlinie, wenn es um Antisemitismus ging), hatte die Wiedergutmachung für die an den Juden begangenen Verbrechen gefordert. Ulbricht dagegen soll gesagt haben: Da die Opfer des Faschismus die entscheidenden Träger dieses Staates sind, wäre es doch lächerlich, wenn sie sich selbst eine Wiedergutmachung zahlen wollten. Und die Juden? Nun, wir waren immer gegen die jüdischen Kapitalisten genauso wie gegen die nichtjüdischen. Und wenn Hitler sie nicht enteignet hätte, so hätten wir es nach der Machtergreifung getan.

Bei der „Wiedergutmachung“ ging es eigentlich um Restitution, Reparation, materielle Entschädigung für geraubtes („arisiertes“) Eigentum. Manche verstanden darunter irrtümlich „Wiedergutmachung“ für Mord und Folter, physisches und psychisches Leid.

Die SED sah die DDR als antifaschistischen Staat nicht in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches, für „Wiedergutmachung“ empfand sie deshalb keine Verpflichtung. Zudem würde den in der DDR lebenden ehemals verfolgten Juden Hilfe und Unterstützung gewährt. In anderem Zusammenhang erklärte sie, die DDR hätte die ihr von den Alliierten auferlegten Reparationen abgeleistet. Natürlich ein Widerspruch: Warum sollte man Reparationen zahlen, wenn die eigene Bevölkerung mit der Vergangenheit, den Verbrechen des NS-Staates nichts zu tun hat? Die Mitläufer und Faschisten hatte man längst alle (ideologisch) nach Westdeutschland geschickt, wenn sie nicht selbst schon geflüchtet waren. Die 16 Millionen in der DDR brauchten sich diesbezüglich keine Fragen mehr zu stellen, sie hatten in der Mehrheit das Identifikationsangebot angenommen und so schon immer zu den Gegnern des faschistischen Systems gehört. Der Faschismus war im DDR-Geschichtsbild das Werk „der reaktionärsten und aggressivsten Teile des deutschen Finanzkapitals“, diese hatten deshalb ausschließlich die Verantwortung zu tragen. Die Arbeiterklasse war unterdrückt und terrorisiert, daß deutsche Volk mißbraucht, verführt, belogen und betrogen worden, sozusagen Opfer des Nationalsozialismus. So war die deutsche Bevölkerung der DDR von Verantwortung für die NS-Verbrechen und der Auseinandersetzung mit dieser ausgenommen.

Im Jahr 1976 wollte das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer bedürftigen US-Bürgern jüdischen Glaubens, die vom Naziregime verfolgt wurden, aus humanitären Gründen eine einmalige finanzielle Unterstützung gewähren. Dabei handelte es sich insgesamt um eine Million Dollar. Die „Conference on Jewish Claims against Germany“ lehnte ab. (Die Bundesrepublik soll bis zu diesem Zeitpunkt ca. 25 Milliarden Dollar gezahlt haben.) Die DDR hatte mit dem Angebot jedoch zum erstenmal auch ihre Verantwortung für eine „Wiedergutmachung“ anerkannt.

In den 50er und 60er Jahren wurde immer gegen die Zahlungen der Bundesrepublik polemisiert, sie wurden als versteckte Militärhilfe für Israel, als Unterstützung für die Aggressoren dargestellt, insbesondere gegenüber den arabischen Staaten.

Mitte der 60er Jahre warb die DDR vehement um die arabischen Staaten und ihre Staatsmänner. Mit deren Hilfe sollte es gelingen, die Hallstein-Doktrin (automatischer Abbruch diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu Staaten, die die DDR anerkennen) zu durchbrechen, um eine wachsende internationale Anerkennung zu erreichen. Ende der 60er Jahre begannen tatsächlich die Anerkennung der DDR und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Gern übernahm die staatliche Nachrichtenagentur ADN Meldungen aus arabischen Quellen. So fanden sich unzählige kommentarlose Meldungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Z.B. forderte im „Horizont“, der außenpolitischen Zeitung der SED, 1969 der Präsident der Republik Irak (Ahmed Hassan Al Bakr) die „Ausrottung des bösartigen zionistischen Tumors mit seinen Wurzeln“. Unkommentierte antizionistische Propaganda nährte so erneut antisemitische Ressentiments und Vorurteile. Den Zionisten und Israel widmete sich der Propagandaapparat dabei intensiver und häufiger, als „anderen imperialistischen Staaten“.

So stellte Nahum Goldmann (1938 bis 1977 Präsident des Jüdischen Weltkongresses) 1976 in einem Gespräch fest: „Von allen kommunistischen Staaten verhält sich die DDR zweifellos am feindseligsten gegenüber Israel, und ihre Presse ist überaus aggressiv.“ /15/

Die Gemeinden und ihre Vertreter haben sich immer geweigert, Israel öffentlich zu verurteilen. Die Antizionisten haben in ihrer Neigung zur Vereinfachung nie begriffen, daß dies nicht einschloß, die Politik Israels gegenüber den Palästinensern unkritisch zu sehen. Wie mit widerständigen Juden umgegangen wurde, die gegen die immer schamlosere antiisraelische Propaganda auftraten, beschreibt Peter Maser am Beispiel von Eugen Gollomb, einem „verdienten Kämpfer gegen den Faschismus“, Auschwitzhäftling, Partisan und Offizier in der polnischen Volksarmee, Vorsitzender der Leipziger Gemeinde von 1967-1988. /16/

Antisemitismus – Ja und Nein

Natürlich fand man auch immer Juden, die die Ansichten von SED und Politbüro praktisch jüdisch bekräftigten und die gleichen Argumentationslinien vertraten. Die Aussage, es gebe keinen Antisemitismus, weil er „in der DDR mit seinen ökonomischen Wurzeln ausgerottet worden“ sei, wurde jedoch nicht dadurch wahrer, daß sie ein Jude aussprach. Mit der Zunahme antisemitischer Vorfälle wurden auch ehemals staatsloyale oder eher zurückhaltende Gemeindemitglieder und Nichtmitglieder in ihrer Kritik in den späten 70er und vor allem in den 80er Jahren immer deutlicher.

Während Peter Kirchner (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Ostberlin) 1974 in einem Interview sagte, daß Juden in der DDR in einer Gesellschaft leben, in der Antisemitismus ausgerottet ist /17/, mußte er 1985 in einem Interview feststellen: „…daß auch wir nicht mehr herum können, die hautnahe Verwandtschaft dieser antiisraelischen Einstellung zum traditionellen Antijudaismus festzustellen. Wenn ein heranwachsender Jugendlicher fast täglich – aus politischen Gründen – mit negativen Daten über die israelischen Juden gefüttert wird, kann er kaum umhin, diese negative Zeichnung auch auf die Juden in seiner Umgebung zu übertragen. Wir haben diese Befürchtungen auch gerade jetzt wieder dem Staatssekretär für Kirchenfragen mit Nachdruck vorgetragen und die Bitte geäußert, den historisch-kulturellen Anteil der Juden an der deutschen Geschichte besser hervorzuheben, um ein objektiveres Bild von den Juden zu vermitteln.“ /18/

Über antisemitische Vorfälle wurde selbstverständlich nicht in den Medien berichtet. Beispielsweise seien hier die gelegentlichen Friedhofsverwüstungen genannt: Zittau 1947, Berlin 1953, Berlin 1971, Dresden 1973, Zittau 1974, Potsdam 1975, Dresden 1977, Berlin 1977, 1978, 1988 – eine mit Sicherheit unvollständige Aufzählung. Allerdings sind diese Beschädigungen und Schmierereien im Vergleich zu der Vielzahl der antisemitischen Ausfälle in der Bundesrepublik in ihrer Zahl fast unbedeutend. Es protestierten jedoch auch hier, wie in der Bundesrepublik, fast immer zuerst die Juden, als sei der Antisemitismus nicht vor allem eine Angelegenheit der Nichtjuden. In der SED-Bezirks-„Berliner Zeitung“ tauchte in Jahresabständen immer mal wieder ein karikierter Jude – im Dezember 1985 ganz in Stürmermanier mit Hakennase – auf, als israelischer Siedler oder Soldat in den besetzten Gebieten. Den Protesten folgten Entschuldigungen. Die Konsequenzen für den Karikaturisten oder Journalisten, den Hakenkreuz- und „Jude verrecke“-Schmierer, waren, wenn sie überhaupt öffentlich wurden und zur Anzeige kamen, meist formal-bürokratischer und repressiver, also auch strafrechtlicher Art. Kam es sogar zu Prozessen, war man in den Urteilen nicht zimperlich. Verharmlosung, Verleugnung und Verdrängung der antisemitischen Potentiale beförderten jedoch nicht die Auseinandersetzung und Veränderungen. Die Unterdrückung von Informationen mußte einfach zu einer falschen Realitätswahrnehmung und zu „falschem Bewußtsein“ führen.

Jochanaan Christoph Trilse-Finkelstein berichtet, wie seit dem 9. November 1978, dem 40. Jahrestag der Pogromnacht, bei seiner Mutter, bis zu ihrem Tode 1985, jedes Jahr in der Nacht zum 9. November die Scheiben ihrer Wohnung in Berlin-Lichtenberg eingeschlagen wurden. /19/

Peter Honigmann schildert, wie er 1979 von der Leitung der Akademie der Wissenschaften vor die Wahl gestellt wurde, seine Stelle an der Akademie zu behalten oder seinen geplanten Vortrag über „Einsteins jüdische Haltung“ vor der Berliner Gemeinde zu halten. /20/ Die
Erscheinungsformen von Antisemitismus waren vielfältig und die Beispiele ließen sich auch durch eine Reihe weiterer persönlicher Erfahrungen fortsetzen.

Die andere Seite: Der Staat finanzierte einen Teil der Gemeindeverwaltungen, da die Gemeinden aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage waren. (Ende 1989 gab es nur noch ca. 300 Gemeindemitglieder – und nach Schätzungen, ca. 3.000 Juden, die nicht Mitglied einer Gemeinde waren.)

Die DDR hatte einige Synagogen instand setzen und ein Drittel der 130 jüdischen Friedhöfe unter Denkmalschutz stellen lassen und als sich Mario Offenberg von der kleinen Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel im Jahr 1985 an Erich Honecker wandte und um Hilfe bat, da auf dem Gemeinde-Friedhof in Berlin-Weißensee von ca. 3.000 Grabsteinen nur noch 100 standen, der Rest umgeworfen und zerschlagen worden war, gab Honecker umgehend die Anweisung ans Staatssekretariat für Kirchenfragen und den Rat des Stadtbezirkes Weißensee, bis 1986 die Rekonstruktion und Aufräumarbeiten durchzuführen.

Noch 1994 wundert sich eine ehemalige Mitarbeiterin für Staatspolitik in Kirchenfragen und ehemaliges SED-Mitglied, warum 1988 plötzlich so viele FDJ’ler auf jüdische Friedhöfe geschickt wurden. Sie kann sich das nicht erklären und glaubt, daß es darauf wohl keine Antwort mehr geben wird. Sie schreibt, daß im staatlichen Sprachgebrauch das Wort „Jude“ vermieden wurde, statt dessen von „jüdischen Mitbürgern“ und „Bürgern jüdischen Glaubens“ die Rede war. Das ist richtig, falsch aber ihre Begründung, das Wort „Jude“ sei ein Schimpfwort und deshalb vermieden worden, um niemanden zu verletzen. Noch weiterer lesenswerter Unsinn findet sich in ihrem Aufsatz /21/.

Nicht jede Kritik an der Politik Israels muß Antisemitismus befördert haben. Allerdings: Um Antisemitismus zu verhindern, wäre eine umfassende und differenzierende Information und Diskussion über Judentum und Israel nötig gewesen. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Israel erschien immer im Negativ-Zusammenhang mit „Zionismus“, „Massenvertreibung der Araber und Palästinenser“, mit „Raub“, „der Annexion arabischer Gebiete“, „der israelischen Soldateska“, „israelischen Aggressoren“, „Israel, als gegen die Rechte des arabischen Volkes und dessen Kampfes für die Befreiung und Fortschritt gerichtete Speerspitze des Imperialismus“ usw. usf.

Genauso blieben auch Unterschiede und Differenzen zwischen den arabischen Staaten in den Medien der DDR fast vollständig ausgeblendet.

Beispiel einer Berichterstattung zur Erinnerung: Berliner Zeitung, Montag 02.05.1988: „Nach vorsichtigen Sondierungen zeichnete sich jetzt im Verhältnis zwischen Syrien und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO eine Wende zum Besseren ab. [Vorher hatten wir durch die Zeitung nicht erfahren, daß es schlecht gestanden hatte – T.L.] … Die PLO und Syrien sind unmittelbare Beteiligte des Nahost-Konflikts. Im Herangehen an seine Lösung besteht ein Teil ihrer Differenzen. Das sind komplizierte Probleme, und noch wurden nicht alle Reibungspunkte aus der Welt geschafft.“

Erst im Februar 1990 schrieb Oskar Fischer, Außenminister der DDR, in einem Brief an Ministerpräsident Hans Modrow: „… daß es auf dem Wege zur Herstellung diplomatischer Beziehungen für die DDR notwendig wird, eine neue Position zur Klärung jüdischer materieller Ansprüche zu erarbeiten“ und „Die
Position der DDR zum Zionismus ist neu zu bestimmen.“ /3/

1953 wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aufgelöst. Aus den Verfolgten wurden einerseits die (aktiven) Antifaschistischen Widerstandskämpfer (mit neu gebildetem Komitee) und andererseits die (passiven Juden als) „Opfer des Faschismus“.

Die Inschrift auf dem Gedenkstein für die Widerstandsgruppe Herbert Baum verweist auf Symptomatisches: Während der Stein, der 1981 auf den Platz vor dem Alten Museum (neben dem Berliner Dom) gestellt wurde, den Hinweis enthält, das es sich um Kommunisten im Widerstand handelte, die hier 1942 einen Anschlag auf die Propaganda- und Hetzausstellung „Das Sowjetparadies“ durchgeführt hatten, und es keinen Hinweis darauf gibt, daß es sich bei der Gruppe auch um eine jüdische Widerstandsgruppe handelte, können die Antikommunisten in der derzeitigen Großen Koalition des Berliner Senats bei der gerade laufenden Umgestaltung des Platzes den Stein gerade deshalb nicht wegbaggern, weil die Mitglieder der Baum-Gruppe Juden waren. Juden hatten auch in der DDR lediglich als beklagenswerte Opfer des Faschismus zu erscheinen, ihr Anteil am Widerstand wurde selten erwähnt. (Übrigens auch eine Gemeinsamkeit beider deutscher Staaten.)

Antizionismus und Antisemitismus in der Linken ist ein Thema, welches eine eigenartige Erscheinungsform entwickelt hat. Es verschwindet für einige Zeit und kehrt dann mit einer Vehemenz und Ignoranz zurück, als hätte sein letztes Auftreten nicht eine sehr hart und emotional geführte politische Diskussion und Auseinandersetzung ausgelöst. Sie beginnt praktisch immer wieder am Ausgangspunkt der letzten Runde, also bei Null und ist deshalb so anstrengend. Tatsächlich erinnert auch dies an das Bild des Sysiphus.

So transportierte sowohl der Golfkrieg Anfang der 90er Jahre als auch die folgenden Debatten um die Positionen der Beteiligten und Unbeteiligten wieder einmal eruptionsartig antisemitische Einstellungen bei einem Teil der Friedensbewegung und der Linken an die Oberfläche. Vom ehemaligen Flottillenadmiral i.R. Elmar Schmähling, 1982/83 Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), als Berufsoffizier einer der Militärexperten der Friedensbewegung der 80er Jahre, 1998 kurzzeitig PDS-Direktkandidat im umkämpften Wahlbezirk Mitte/Prenzlauer Berg (s. telegraph 2/98), stammen aus dieser Zeit folgende Worte: „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg … Für das Recht der USA, ihre ’neue Weltordnung‘ mit alttestamentlicherRücksichtslosigkeit durchzubomben, und die Freiheit der internationalen Rüstungsgeschäftemacher, sich mit Hilfe einer korrumpierten Politik vor, während und nach diesem Krieg eine goldene Nase zu verdienen, lassen sich diese Soldaten nicht verheizen.“ /22/ Der Satz provoziert antisemitische Assoziationen. Der deutsche Militär wendete sich hier nicht gegen deutsche Firmen, die deutsche Soldaten verheizen wollen.

Ich erinnere eine Diskussionsrunde mit Radikalen Linken, in der ein nichtzionistischer Jude aufgrund seiner Kritik am aufgetretenen Antisemitismus während des Golfkrieges im nachhinein als Mossad-Agent diffamiert wurde. Solche paranoiden Vorwürfe wurden ja auch bei den schon beschriebenen Ereignissen der 50er Jahre aufgeboten. Vor allem jedoch liegt beiden Haltungen, der stalinistischen wie der
„undogmatischen“, ein gemeinsamer Fehler zugrunde: die Stellung gegenüber Juden und der „jüdischen Frage“ wird von der Klassenfrage abhängig gemacht. Dies hat eine lange Tradition in der Geschichte der Arbeiterbewegung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann (s. z.B. /23/24/25/26/). Diesbezügliche Ähnlichkeiten zwischen der dogmatisch-stalinistischen und der undogmatisch-Neuen Linken sind deshalb nicht zufällig /z.B. 27/.

In beiden deutschen Staaten wurden die Juden und der Umgang mit ihnen politisch und moralisch instrumentalisiert. In der Bundesrepublik unter anderem, um im Westen als demokratischer Rechtsstaat anerkannt zu werden, in der DDR als Beweis des Antifaschismus. Schließlich war der Antifaschismus ein wesentlicher Teil der politischen Legitimation des sozialistischen deutschen Staates. In der DDR verneigte sich keine Staats- und Parteiführung vor SS-Gräbern, neofaschistische Parteien und Gruppierungen konnten nicht legal agieren. Die Reduzierung aber des Faschismus auf seine sozialökonomischen Grundlagen verhinderte die Auseinandersetzung mit der Frage, warum die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung (inklusive der Arbeiterklasse!) die Nazis willig unterstützt hatte bzw. selbst Nazi geworden war.

Der Antizionismus diente einerseits der Entlastung von historischer Verantwortung und andererseits konnten sich in ihm antisemitische Einstellungen und Verhalten, Vorurteile und Stereotypen ausleben und erhalten.

Quellen:

1 Wegweiser durch das jüdische Berlin. Berlin, 1987.

2 MOHRMANN, Walter: Antisemitismus. Berlin, 1972.

3 TIMM, Angelika: Hammer, Zirkel, Davidstern. Bonn, 1997.

4 GROEHLER, Olaf; KESSLER, Mario: Die SED-Politik, der Antifaschismus und die Juden in der SBZ und der frühen DDR. Hefte zur ddr-geschichte Nr. 26. Berlin 1995.

5 BURGAUER, Erica: Zwischen Erinnerung und Verdrängung – Juden in Deutschland nach 1945. Reinbek, 1993.

6 NEUES DEUTSCHLAND, 18.12.1952.

7 NEUES DEUTSCHLAND, 06.12.1952.

8 Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky. In: Dokumente der SED. Bd. IV. Berlin, 1954.

9 PROZESS gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slánský an der Spitze. Prag, 1953.

10 RAPOPORT, Louis: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin, 1992.

11 HODOS, Georg Hermann: Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948-54. Berlin, 1990.

12 LONDON, Artur: Ich gestehe. Der Prozeß um Rudolf Slansky. Berlin, 1991. vgl. auch verschied. Lebensberichte u. Autobiographien z.B. BRANDT, Heinz: Ein Traum, der nicht entführbar ist. Berlin, 1977. Oder: MAYER, HANS: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen. Bd. II. Frankfurt a.M., 1984. Oder: ESCHWEGE, Helmut: Fremd unter meines
gleichen. Berlin, 1991.

13 DEUTSCHKRON, Inge: Israel und die Deutschen. Köln, 1970.

14 KAHN, Siegbert: Antisemitismus und Rassenhetze. Berlin, 1948.

15 GOLDMANN, Nahum: Das jüdische Paradox: Zionismus u. Judentum nach Hitler. Köln, 1978.

16 MASER, Peter: Juden und Jüdische Gemeinden in der DDR bis in das Jahr 1988. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, 1991.

17 STANDPUNKT. (Ev. Monatszeitschrift) 2 (1974) 2.

18 American Jewish Yearbook, 1984.

19 WROBLEWSKY, Vincent von (Hg.): Zwischen Thora und Trabant. Berlin, 1993.

20. ARNDT, Siegfried Theodor u.a.: Juden in der DDR. Sachsenheim, 1988.

21 LIEBSCH, Heike: Scheidewege um Nahost. In: Renger, Reinhard (Hg.): Die deut. „Linke“ u. der Staat Israel. Leipzig, 1994.

22 DER SPIEGEL. 7/1991.

23 SILBERNER, Edmund: Sozialisten zur Judenfrage. Berlin, 1962.

24 KNÜTTER, Hans-Helmuth: Die Juden und die deutsche Linke in der Weimarer Republik. Düsseldorf ,1971

25 BRUMLIK, Micha u.a. (Hg.): Der Antisemitismus und die Linke. Frankfurt a.M., 1991.

26 KESSLER, Mario: Antisemitismus, Zionismus und Sozialismus. Mainz, 1993.

27 AUTONOME NAHOSTGRUPPE HAMBURG: Zionismus, Faschismus, Kollektivschuld. Bremen, 1989.

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Faschistische Vergangenheit in der DDR

VON DIRK TESCHNER, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

In der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR gab es nur eine einseitige Faschismusrezeption, die im Kern als Ursachen von Hitler, Holocaust und 2. Weltkrieg „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischsten, am meisten imperialistischsten Elemente des Finanzkapitals“ ausmachte. Aus diesem Grund kann es nicht verwundern, daß es bis heute nie zu einer offenen Diskussion darüber kam, was in einem deutschen sozialistischem Staat nach dem deutschen faschistischen Staat, nach dem Holocaust, mit den in Deutschland lebenden deutschen Menschen passieren sollte. Hinzu kam, daß der sozialistische Staat auf deutschem Boden nicht durch eine Revolution, sondern vielmehr während der Besetzung der Roten Armee der Sowjetunion aufgebaut wurde.Es wäre unumgänglich gewesen, eine offene, demokratische Aufarbeitung und Diskussion zu führen: über die Machtergreifung Hitlers und die Unterstützung durch den Großteil des deutschen Volkes und den Wiederaufbau nach der Befreiung Deuschlands. Aber dem stand Stalin im Weg und das Mißtrauen der Überlebenden, Antifaschisten und Juden, gegenüber einem Großteil des deutschen Volkes. Es bleibt der Eindruck einer schizophrenen SED-Führung, die einerseits dem Volk mißtraute, gleichzeitig aber auch Alt-Nazis in führende Positionen hievte – und deswegen nie eine wirklich die Gesellschaft erfassende antifaschistische Umwälzung in die Wege bringen konnte.

Als im April 1945 der Endkampf um Berlin einsetzte, übten einzelne Beauftragte des ZK der KPD und die Frontbeauftragten des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ Kontrollfunktionen aus. Gleichzeitig wurden in Moskau die Voraussetzungen für die Planung und Vorbereitung des Einsatzes deutscher kommunistischer Funktionäre und anderer bewährter Antifaschisten aus den Reihen der Kriegsgefangene geschaffen. Sowohl in der Schulungsstätte der KPD in Kusnarenkovo als auch in der zentralen Antifa-Schule in Krasnogorsk wurden Kader vorbereitet, so daß bei Kriegsende auf eine Liste von Kommunisten und Antifaschisten zurückgegriffen werden konnte, die auf die Arbeit in Deutschland vorbereitet waren.

Eine führende Gruppe deutscher Kommunisten wurde gebildet, die ihre Aufgaben von der auf Berlin vorstoßende 1. Belorussischen Front Marschall Shukovs aus wahrnehmen sollte. Dieser Führungsgruppe wurden je eine Arbeitsgruppe von drei Kommunisten für die Gebiete Mecklenburg-Pommern/ Gustav Sobottka, Berlin-Brandenburg/ Walter Ulbricht und Sachsen-Halle-Merseburg/ Anton Ackermann nachgeordnet, die entsprechend den Operationsbereichen der sowjetischen Heeresgruppen den jeweiligen Frontstäben der 1. Belorussischen, der 2. Belorussischen und der 1. Ukrainischen Front zugeteilt werden sollten.

Vordringliche Aufgabe dieser Kader war der schnellen Aufbau von Stadt- und Gemeindeverwaltungen. „Ein Teil von ihnen übernimmt Funktionen in der Stadt für längere Zeit, während andere beauftragt werden, in den kleinen Städten und Gemeinden des betreffenden Kreises bei der Schaffung der Gemeindeverwaltungen zu helfen bzw. zu kontrollieren, ob die geschaffenen Gemeindeverwaltungen aus zuverlässigen Antifaschisten bestehen und wirklich im Sinne der Richtlinien arbeiten“, so hieß es in den Richtlinien über den Aufgabenbereich der Gruppenmitglieder. Der Aufbau erster neuer Verwaltungen und die Konsolidierung der KPD bedeutete gleichzeitig das Ende der Antifa-Ausschüsse. Die Auflösung der antifaschistischen Komitees war auch eine Eliminierung erster Ansätze einer selbständigen antifaschistischen Bewegung innerhalb der deutschen Bevölkerung.

Zu der Not und dem Elend des deutschen Zusammenbruchs kamen für die deutschen Kommunisten spezifische Schwierigkeiten dazu: So war es für sie außerordentlich schwierig, Kontakt zur Bevölkerung zu bekommen oder gar ein Vertrauensverhältnis herzustellen.

Am 30. Oktober 1945 verfügte die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) mit dem Befehl Nr. 124 umfangreiche Beschlagnahmen diverser Eigentumskategorien. Der Beschlagnahme verfielen deutsches Staatseigentum, der Besitz faschistischer und militärischer Organisationen, das Eigentum der Verbündeten des „Großdeutschen Reiches“, sowie der Besitz von Amtsleitern der NSDAP, deren führende Mitglieder und einflußreichen Anhängern. Die neuen deut
schen Verwaltungsorgane mußten den sowjetischen Militärkommandanten bis zum 20. November 1945 entsprechende Listen einreichen.

Die Frage welche Betriebe zu enteignen waren, sorgte gut zwei Jahre für Unruhe. Die betroffenen Belegschaften schalteten sich in die Auseinandersetzungen ein. In Sachsen fanden 1947 Streiks und Arbeitsniederlegungen statt, weil die Arbeiter befürchteten, daß eine Anzahl von Betrieben früherer Nazis diesen wieder zurückgegeben werden soll.

Im Jahre 1948 verkündete die SMAD mit dem Befehl Nr. 64 das Ende der Enteignung und mit dem Befehl Nr. 35 das Ende der Entnazifizierung. Nach Einschätzung der Verantwortlichen war der „volkseigene Sektor“ vorerst groß genug, und andauernde Auseinandersetzungen in dieser Frage würden nur Unruhe ins Bürgertum tragen. Im Zeichen des sich entwickelnden Kalten Krieges war das bündnispolitisch unerwünscht.

Gleichzeitig wurden ab Kriegsende Speziallager der SMAD geschaffen, wo vor allem Kriegsgefangene, später auch Naziverbrecher interniert waren. Nach Schätzungen sollen 45 000 Nazis und Kriegsverbrecher von sowjetischen Militärgerichten auf deutschen Boden verurteilt worden sein. Von SBZ/DDR Gerichten wurden zwischen 1945 und 1955 12761 NS- und Kriegsverbrecher verurteilt, darunter 106 Personen zum Tode. In den drei westlichen Besatzungszonen wurden, bei ungleich höherer Bevölkerungszahl und ungleich höherer Zahl alter Nazis, nur 6450 verurteilt, 1949 saßen nur noch 300 Kriegsverbrecher im Gefängnis.

In der Sowjetischen Besatzungszone wurden die von allen Alliierten gemeinsam beschlossene personelle und strukturelle Entnazifizierung sehr viel radikaler durchgeführt. Dies betraf drei Bereiche: 1. Bodenreform (Stichwort „Junkerland in Bauernhand“) 2. Enteignung und Verstaatlichung der großen Industriebetriebe (Stichwort „Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher“) 3. Personelle Säuberung in der staatlichen und kommunalen Verwaltung.

Von 1945 bis 1948 waren 520.000 Mitglieder der NSDAP aus allen Bereichen der Verwaltung und der Industrie der Sowjetischen Besatzungszone entfernt worden. Von den rund 40.000 Lehrern allgemeiner Schulen (rund 70% hatten zum Kriegsende der NSDAP angehört) wurden 20.000 entlassen. In der Justiz waren rund 16.000 beschäftigt, davon ca. 2.500 Richter und Staatsanwälte (zu etwa 80% Mitglieder der NSDAP). Etwa 2.000 (80%) der Richter und Staatsanwälte wurden entlassen. Bei den Rechtsanwälten wurde nicht in gleicher Weise verfahren, noch Ende 1949 befanden sich unter den 999 zugelassenen Rechtsanwälten 224 (22%) ehemalige Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen.

Bei, für den Wiederaufbau benötigtem Fachpersonal, Spezialisten, Technikern, Ärzten, wurde im Konflikt zwischen politischem Entnazifizierungsprinzip und wirtschaftlichem Interesse die Fachkompetenz zuweilen höher bewertet, als die politische Belastung, Beispiel.: Land Sachsen-Anhalt, Stand 31. Januar 1947, NSDAP-Anteil in %: Volksbildung: 0,2; Polizei: 0,8; Gesundheitswesen: 25,0; Industrie: 10,0; Postwesen: 17,1; Justiz/Gerichte/Staatsanwaltschaft: 6,0 usw.

Einfache NSDAP-Mitglieder und Mitläufer erhielten im August 1947 ihr aktives und passives Wahlrecht wieder, nachdem im September 1946 die ersten Gemeindewahlen, im Oktober 1946 die ersten Wahlen zu den Land- und Kreistagen in der Sowjetischen Besatzungszone stattgefunden hatten. „Es lebe die SED, der große Freund der kleinen Nazis“ formulierte damals ein ehemaliges NSDAP-Mitglied anläßlich einer von der SED einberufenen Versammlung . 1953 zählte die SED etwa 150.000 Mitglieder, die ehemalige Wehrmachtsangehörige im Offiziers- bzw. Unteroffiziersrang waren oder der NSDAP bzw. einer ihrer Gliederungen angehört hatten, damaliger Gesamtmitgliederstand: rund 1,2 Millionen. Im Mai 1948 wurde für einen Teil ehemaliger Nazis die NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands) als weitere Blockpartei gegründet, die bis zum Ende der DDR in der Volkskammer mitregierte.

Es ist einzigartig, wie schnell nach Gefangennahme von Nazi-Offizieren und Soldaten „Lehren“ aus der Vergangenheit gezogen wurden und aus Feinden Verbündete wurden. Ein kurzer Aufenthalt in den Antifa-Schulen oder Kriegsgefangenenlagern in der Sowjetunion reichte aus.

Im Jahre 1965 waren so noch 53 Alt-Nazis Abgeordnete der Volkskammer, 12 Mitglieder und Kandidaten des ZK der SED, 2 Mitglieder des Staatsrates der DDR und 5 besaßen Landesministerposten. Etliche Alt-Nazis halfen beim Aufbau der „Volkspolizei“ und der NVA. In den Medien besaßen sie großen Einfluß. Sie bekleideten die Stellungen von Chefredakteuren und bildeten z.B. in den Redaktionen des „Neuen Deutschland“ und der „Deutschen Außenpolitik“ eigene Arbeitsgruppen. In all diesen „roten“ Institutionen ließen sich Nazis finden, dort gab es ehemalige SS-Mitglieder, SA-Führer, Vertrauensleute der Gestapo, Angehörige von Propagandakompanien, Mitarbeiter des NS-Rundfunks, des „Völkischen Beobachters“, des „Schwarzen Korps“, Beamte des Propagandaministeriums, Mitglieder des „SS-Rasse und Siedlungs-Hauptamtes“, Angehörige der „Legion Condor“.

In all den Jahren des 40jährigen Bestehens der DDR wurden die zuständigen DDR-Einrichtungen durch verschiedene Archive und Organisationen – vom Dokumentationszentrum des Bund Jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien bis zu dem Westberliner Verein
„Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ – auf die Arbeit von Alt-Nazis in führenden Gremien der DDR hingewiesen. Es wurden regelmäßig Listen von belasteten Personen überreicht. Die Reaktion war immer gleich Null. Während Hinweise auf Nazis im eigenen Apparat ignoriert wurden, wurde zur Verfolgung und Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen in der BRD eine Extraabteilung geschaffen. Deren Aufgabengebiete wurden mit dem Befehl Nr. 39/67 vom 23.12.1967 des Ministeriums der Staatssicherheit festgelegt: „…1. Mit Wirkung vom 1.2. 1968 wird in der Hauptabteilung IX des Ministeriums für Staatssicherheit die Abteilung 11 gebildet. Sie ist verantwortlich für die einheitliche, systematische Erfassung, Archivierung, politisch-operative Auswertung und Nutzbarmachung aller im Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit vorhandenen und noch zu beschaffenden Materialien des Faschismus aus der Zeit bis 1945, um die in Westdeutschland und auf dem Territorium Westberlin im Staats-, Wirtschafts- und Militärapparat sowie in Parteien und Organisationen tätigen und durch ihre faschistische Vergangenheit belasteten Personen noch zielgerichteter zu entlarven.“

Bis Mitte/Ende der sechziger Jahre sollen in der BRD an Alt-Nazis tätig gewesen sein: 21 Minister und Staatssekretäre, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Botschaften und Konsulate, 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes.

Unter den Alt-Nazis, die in der DDR blieben und beträchtlichen Anteil am Aufbau besaßen und führende Positionen bekleideten gab es immer zwei Seiten. Eine ganze Reihe bereuten schon während des 2. Weltkrieges ihre Teilnahme am faschistischen Verbrechen und zeigten das an aktiven Widerstandsaktionen oder in der Gefangenschaft. Dem anderen Teil war die Ideologie scheinbar zweitrangig. Er arrangierte sich ziemlich schnell mit der neuen politischen Situation nach 1945 und kam sehr schnell wieder an Posten.

Die SchwierigkeitdesUmgangs mit ehemaligen Wehrmachtsangehöriger, die sich nach 1945 in der SBZ/DDR engagierten, zeigt das Beispiel Gustav Just, der in den 50er Jahren stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Sonntag“ war und zur oppositionellen Gruppe innerhalb der SED um Janka und Harich gehörte.

Gustav Just nahm, als Leutnant der Wehrmacht, der Panzerjäger-Abteilung 156, 1.Kompanie, 2. Zug, im Rahmen des Einsatz in der Sowjetunion, in Masikowka in der Nähe von Cholm, am 15. Juli 1941 an der Erschießung von 6 Juden teil. Er erhielt im Laufe des Krieges f. militärische Auszeichnungen: „Eisernes Kreuz I: Klasse“, „Infantrie-Sturmabzeichen“, „Ostmedaille“, „Verwundetenabzeichen in Schwarz“.

Nach 1945 trat Just in die KPD/SED ein. Auf dem Lebenslauffragebogen verschwieg er fast alle Angaben, die seine Tätigkeiten bei der Wehrmacht betrafen. 1957 wurde er wegen oppositioneller Tätigkeit verhaftet. Bei seiner Festnahme durch die Staatssicherheit wurden
seine Kriegstagebücher mit ausführlichen Schilderungen seiner Kriegserlebnisse gefunden. Auf die Frage, warum er auf seinem Fragebogen die Angaben über seine Kriegsteilnahme nicht eintrug, äußerte Just: „Durch die unwahren Angaben über meine Haltung in der Zeit des Faschismus wollte ich ein besseres Bild über mich geben, als es den Tatsachen entsprach. Ich hatte nach meiner Umsiedlung in die damalige Sowjetische Besatzungszone den festen Willen, hier tatkräftig mitzuarbeiten und war mir nicht bewußt, daß der erste Schritt dazu die offene, schonungslose Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit ist. Im Gegenteil, ich wollte die unangenehmen Punkte dieser Vergangenheit zudecken, um später einmal, wenn man mich aus meiner Arbeit kennen würde, darüber zu sprechen. Mit dem Verschweigen obiger Angaben verfolgte ich außerdem das Ziel, Lehrer zu werden.“ Just wurde wegen „staatsfeindlichen, konterrevolutionären Aktivitäten“ 1957 verurteilt. Die Teilnahme an der Erschießung 1941 war für das Gericht unerheblich und wurde nicht geahndet.

Nach dem Herbst 1989 wurde Just als Alt-Oppositioneller gefeiert. Er trat in die SPD ein und wurde Alterspräsident des Landtages Brandenburg. 1990/91 beschäftigten sich verschiedenen Gerichte mit Gustav Just wegen Beihilfe zum Mord. Wegen Verfolgungsverjährung wurde das Verfahren eingestellt.

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