von Konrad Weiß
Aus Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 1, erschienen im Juli 1989
November 1987, Oranienburg bei Berlin: Hier, am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen, wird eine Gruppe junger Faschisten festgenommen. Monatelang haben sie in Zügen, in Gaststätten, auf offener Straße Menschen überfallen und terrorisiert und dabei keinen Hehl aus ihrer Gesinnung gemacht. Bei den Verhafteten findet die Polizei faschistische Abzeichen und die Hakenkreuzfahne.
Dezember 1987, Berlin-Mitte: Vor dem Stadtbezirksgericht wird gegen vier Männer verhandelt, der jüngste siebzehn, der älteste dreiundzwanzig Jahre alt. Sie waren mit anderen Rechtsradikalen in die Zionskirche eingedrungen, um die „roten Punks aufzumischen, aufzuklatschen, aufzurauchen“. „Sieg Heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“ brüllend, haben sie feige und brutal junge Frauen und Männer zusammengeschlagen.
Januar 1988, Berlin: Erneut stehen acht faschistische Gewalttäter vor Gericht, die an den Ausschreitungen in der Zionskirche beteiligt waren. Es wird deutlich, daß das eine „gesamtdeutsche Aktion“ war; auch Skinheads aus Westberlin sind mit auf die Hatz nach Andersdenkenden, nach Punks und „schrägen Leuten“ gegangen.
Februar 1988, Bezirk Halle: Vier jugendliche Täter, die auf dem Städtischen Friedhof in Weißenfels schlimme Verwüstungen angerichtet haben, werden verurteilt. Einer hat sich zudem zu verantworten, weil er bei einer Schlägerei einen Mann roh mißhandelt hat.
März 1988, Berlin: Sechs Jugendliche werden wegen antisemitischer Ausschreitungen verhaftet. Auf dem historischen Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee haben sie mehr als zweihundert Grabsteine umgeworfen, beschmiert, geschändet, zerstört. Mehrere Nächte lang trieben sie, faschistische und antisemitische Parolen grölend, ihr Unwesen. Die Volkspolizei-Inspektion Prenzlauer Berg, die Tag und Nacht besetzt ist, grenzt unmittelbar an den Friedhof. Hätte man dort nicht schon nach den Zerstörungen der ersten Nacht aufmerksam werden und wachsamer sein müssen?
April 1988, Halle: Fünf junge Männer – Schüler, Lehrlinge, Jungarbeiter – stehen wegen eines rassistischen Verbrechens vor Gericht. Gemeinsam haben sie einen jungen Mocambiquaner zusammengeschlagen. „Einen Nigger aufklatschen“, so nannten sie das. Mai 1988, im Personenzug von Riesa nach Elsterwerda: Ohne jeden Anlaß beschimpfen jugendliche Arbeiter zwei Afrikaner, überschütten sie mit üblen rassistischen Parolen. Sie ergreifen einen der beiden Ausländer, schlagen auf ihn ein, treten ihn mit Füßen und stoßen ihn schließlich aus dem fahrenden Zug. Der Mann wird schwer verletzt. Die anderen Fahrgäste schweigen, keiner hat eingegriffen.
Dieses bedrückende Kalendarium der Gewalt, des Antisemitismus und Rassismus ließe sich fortsetzen. Man möchte meinen, es wären Nachrichten aus dem Pogromjahr 1938 oder solche, die aus einer fernen Weltgegend kommen. Daß dies alles sich heute und hier in unserem Land zugetragen hat, macht betroffen und ist schwer zu ertragen. Daran ändert auch das Wissen um die erfolgte Bestrafung nichts. Und es schmerzt mich zutiefst, daß ich junge Menschen, meine Mitbürger und nachgeborenen Zeitgenossen, Faschisten nennen muß.
Dennoch: Was hier zitiert wurde, ist nur die spektakuläre Spitze des Eisberges; längst nicht alle rechtsradikalen Aktivitäten und Gewalttaten sind öffentlich geworden. Die Fälle, die ich genannt habe, wurden in der Tagespresse und in Lokalzeitungen gemeldet. Gelegentlich gab es auch Hintergrundinformationen und Wertungen, so in „Sport und Technik“ (Heft 6/1988, S. 20 ff.) und im „Magazin“ (Heft 8/1988, S. 32 ff.). Tendenz dieser Veröffentlichungen war es, die faschistischen Ausschreitung als Einzelerscheinung, als Perversion gewissermaßen, und in Form und Inhalt aus dem Westen importiert darzustellen und zu verharmlosen. Nach dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die neuen faschistischen Gruppierungen entstehen und gedeihen konnten, wurde nicht gefragt und sollte nicht gefragt werden. Ein Kommentar in der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“ vom 26. Juni 1988, der dem nachging, wurde Anlaß zum Verbot der ganzen Ausgabe. Lediglich in der „Weltbühne“ (Nr. 35 vom 30.8.1988, S. 1115) wird in einem Leserbrief vor Verharmlosung und zu einfachen Antworten gewarnt.
Mittlerweile befassen sich zwei Soziologenteams, das eine für die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, das andere für das Ministerium des Innern, mit Skinheads und anderen faschistischen Gruppen. Die soziologische Analyse dürfte jedoch ebenso wie die publizistische Darstellung des neuen Faschismus in der DDR erschwert werden durch nahezu perfekt funktionierende Selbstschutzmechanismen. Das Wissen, daß schon das bloße Äußern faschistischer Ideen und Ideale strafwürdig ist, und die strengste Kontrolle durch die Gruppe und ihren Führer macht es fast unmöglich, authentische, gar programmatische Aussagen zu erhalten: „Wir sind keine Selbstanzeiger“. Das Verschleiern der faschistischen Überzeugung auch gegenüber Vernehmern und Untersuchungsrichtern wird offensichtlich trainiert; sie selbst nennen bezeichnenderweise die Untersuchungshaft ihre „Akademie“.
Faschisten auf dem Vormarsch
Zu Beginn der achtziger Jahre gab es in der DDR nur vereinzelt Skinheads. Sie ließen zwar auf ein gewisses rechtes Potential schließen, das aber noch amorph und unorganisiert war. Eine ideologische Konzeption war zu jener Zeit nicht erkennbar, Aktionen und Gewalttaten schienen spontan zu sein. Man mußte annehmen, daß die Skinheads eine unter vielen anderen jugendkulturellen Strömungen seien, die zu jener Zeit entstanden waren, und daß sie als Mode irgendwann von selbst verschwinden würden. Es schien undenkbar, daß junge, hierzulande erzogene Menschen zu neuen Trägern faschistischen Gedankengutes werden könnten. Ich selbst habe mich noch vor zwei Jahren in diesem Sinne geäußert.
Ungefähr seit 1983 scheinen sich die neuen Faschisten dann organisiert zu haben. Zuerst sind solche rechten Gruppen in den Fußballstadien in Erscheinung getreten; hier verlief die Entwicklung bei uns ähnlich wie in anderen Ländern. Blieb es zunächst bei scheinbar unpolitischen Randalen und Prügeleien, zumeist unter dem Einfluß von Alkohol, so gehört es inzwischen durchaus zum Fußballalltag in der DDR, daß Gewalttaten mit rassistischen und antisemitischen Beschimpfungen gepaart sind. Auch im irrationalen Haß zwischen Sachsen und Berlinern, der eigentlich immer nur belächelt wird, manifestiert sich faschistische Ideologie. Ein vorläufiger trauriger Höhepunkt war das Spiel zwischen Lok Leipzig und Union Berlin am 23. April 1988 in Leipzig, bei dem die Volkspolizei mit Gummigeschossen gegen die verfeindeten „Fans“ vorgehen mußte.
Neben den durch ihr martialisches Äußere auffälligen Skinheads gibt es eine zweite, wie ich meine, gefährlichere Gruppierung: die Faschos. Sie sind die eigentlichen Träger der faschistischen Ideologie. Nach außen hin geben sie sich unauffällig, erscheinen angepaßt, sind gute Arbeiter. Insgeheim aber basteln sie in geschlossenen Zirkeln an ihrer altneuen Weltanschauung. Von diesen Entwicklungen sind die Verantwortlichen in Staat und Partei wohl überrannt worden. Waren sie zu Beginn der achtziger Jahre zu sehr damit beschäftigt, gegen die gewaltfreien Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen ins Feld zu ziehen? Hat sich auch der sozialistische deutsche Staat als auf dem rechten Auge blind, zumindest aber sehschwach erwiesen? Als am 29. Mai 1985 das DDR-Fernsehen das Massaker im Brüsseler Heysel-Stadion live übertrug, habe ich telefonisch zuerst den Sendeleiter in Adlershof, dann den Chef vom Dienst im Zentralkomitee der SED aufgefordert, die Sendung abzubrechen. Die Antwort war: Wir werden weiter übertragen. Unsere Menschen sollen sehen, was im Kapitalismus möglich ist.
Ähnlich argumentiert Thomas Heubner in seinem Buch „Die Rebellion der Betrogenen“ (nl konkret 67, Berlin 1985, S. 167 ff.). Auch noch in der neusten Auflage (1988) delegiert er das Problem ausschließlich an den Westen: „Die Skinheads sind in ihrem Denken und Handeln nur ein Spiegelbild der kapitalistischen Gesellschaft.“ Nein, so einfach dürfen wir es uns nicht machen! Anfang 1988 schätzte man die Anzahl der in faschistischen Gruppen organisierten jungen Leute in der DDR auf ungefähr eintausend. Ab 1986 hatten die Skinheads begonnen, die als links und proletarisch geltenden Punks zu terrorisieren. Inzwischen ist die Punk-Szene bei uns so gut wie ausgelöscht; einige sind zu den Rechten abgewandert. Andere „Bunte“, Gruftis, Ausländer, Farbige, Mitglieder gewaltfreier alternativer Gruppen, sind die neuen Opfer der Faschisten. Von 1983 bis 1987 sind ihre Gewalt- und Straftaten ums Fünffache gestiegen, aufgeklärt und verfolgt werden konnte nur ein geringer Teil.
Inzwischen muß das „Potential politisch motivierter Gewaltbereitschaft“ viel höher eingeschätzt werden; die Faschisten haben Zulauf. An den Berufsschulen rechnet man mit zwei bis drei Rechtsradikalen pro Klasse, große territoriale Unterschiede soll es nicht geben. Der größte Teil, etwa dreiviertel, rekrutiert sich aus den Jahrgängen 1962 bis 1970. Älter als sechsundzwanzig Jahre sind nur wenige. Auf Vierzehn- und Fünfzehnjährige hingegen übt die rechte Szene eine starke Anziehungskraft aus.
Unter den neuen Faschisten finden sich sowohl Arbeiterkinder wie Söhne und Töchter aus intellektuellen und bürgerlichen Familien. Skinheads sind häufig proletarischer Herkunft oder Jungarbeiter. Die faschistischen Gruppierungen sind, anders als die übrigen informellen Gruppen, in denen junge Männer und Frauen numerisch ausgewogen vertreten sind, maskulin dominiert; Mädchen und junge Frauen machen weniger als ein Fünftel unter den rechtsradikalen Jugendlichen aus. In der Regel sind die der rechten Szene zuzurechnenden jungen Männer und Frauen alleinstehend, sie heiraten, soweit dies gegenwärtig zu erkennen ist, überdurchschnittlich spät. Die entscheidende Frage, ob solche soziotypischen Merkmale zufällig entstehen oder Bestandteile eines Programms sind, ist gegenwärtig kaum zu beantworten.
Das Programm der neuen Rechten
Wer Skinheads und Faschos lediglich als prügelnden randalierenden Mob betrachtet, als eine Horde haltloser und von westlichen Idolen verführter Krimineller, für den stellt sich die Frage nach einem politischen Programm natürlich nicht. Das aber, der historische Vergleich drängt sich auf, war schon einmal in der deutschen Geschichte der verhängnisvollste Irrtum der Linken wie des Bürgertums. Heute, so scheint mir, ist es für viele Antifaschisten der ersten und zweiten Generation geradezu zum Glaubensbekenntnis geworden, daß der Aufbau der neuen Gesellschaft und eine vierzigjährige antifaschistische Erziehung, die es ja zweifellos gegeben hat, einfach nicht vergebens gewesen sein können; sie verdrängen jeden Gedanken an eine neue faschistische Gefahr in unserem Land. Es ist undenkbar für sie, daß junge Deutsche, die vom schrecklichen nationalsozialistischen Terror und von den faschistischen Massenmorden wissen, erneut dem Wahn der Rechtsideologie verfallen könnten.
Was überhaupt weiß man über die Gedankenwelt der neuen Faschisten bei uns im Land, der Skinheads und Faschos? Beiden Gruppierungen gemeinsam ist, daß sie ihre Identität aus dem Prinzip Gewalt beziehen. Nicht Demokratie oder gar Gewaltfreiheit, nicht die Ideale der französischen Revolution, nicht die des Sozialismus oder des Christentums werden als gesellschaftstragende Werte verstanden, sondern allein das Recht des Starken, des Herrenmenschen. Und das ist durchaus in politischen Dimensionen, nicht nur für die Gruppe oder die Gemeinschaft Gleichgesinnter gemeint. Deutlicher als die Skinheads beziehen sich die Faschos auf nationalsozialistisches Gedankengut. Hitlers „Mein Kampf“, so ist zu hören, kursiert unter den neuen Rechten in der DDR. Aber auch aus antifaschistischen Schriften und Darstellungen bezieht man, unter ganz anderem Vorzeichen, Material für die ideologischer Schulung.
Skinheads und Faschos gemeinsam ist die Ablehnung des sozialistischen deutschen Staates, bei den Faschos sind auch Vorbehalte gegen die westdeutsche Demokratie auszumachen. „Wir treten ein für ein vereinigtes Deutschland. Die ganze Linke, das kotzt einen ja an in diesem Scheißstaat“. „Rechtsradikal sein heißt, konsequent einzutreten gegen diese totalen Phrasenschreier, gegen die ganzen Jasager. Wir sind keine Jasager, wir stehen zu unserer Meinung.“ Die Faschos wollen die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1938. Sie lehnen es konsequent ab, aus der DDR auszureisen; hier, in der Beseitigung der sozialistischen Gesellschaft und im Kampf um ein vereintes Großdeutschland sehen sie ihr Wirkungsfeld. Bei den Skinheads ist eine solche politische Motivierung weniger deutlich ausgeprägt; die Haltung in dieser Frage dürfte beim anstehenden Differenzierungsprozeß innerhalb der neuen Rechten maßgeblich sein.
In Ansätzen sind auch „außenpolitische“ Aktivitäten der neuen Faschisten zu erkennen. Konsequenterweise richtet sich ihr Haß gegen die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die den faschistischen Staat zerschlagen haben. Bekannt ist eine rege Reisetätigkeit in die sozialistischen Nachbarländer; zur ungarischen, tschechoslowakischen, baltischen und ukrainischen rechten Szene scheint es Beziehungen zu geben. Manches spricht dafür, daß es auch ideologische Übereinstimmungen und eine gemeinsame Logistik gibt, zum Beispiel zur Beschaffung von Propagandamaterial, Wehrsportausrüstungen und Waffen.
Daß es auch Kontakte zu den Skinheads in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Ländern gibt, ist bekannt; Verbindungen zum politischen Neofaschismus in Westdeutschland sind zu vermuten. Ich meine aber, daß die Intensität dieser Kontakte, wohl infolge der offiziellen SED-Argumentation, eher überschätzt wird. Die Drahtzieher und führenden Köpfe des neuen Faschismus in der DDR, das ist meine feste Überzeugung, sind jedenfalls nicht im Westen zu suchen, sondern haben hier „überwintert“ oder sind hier großgeworden.
In jüngster Zeit bildet sich bei den Faschos ein ausgesprochener Antiamerikanismus aus; die Rechten brauchen neue Feindbilder. Antisemitismus und Rassismus sind latent vorhanden; es gehört nicht viel Weitsicht dazu, um für die nahe Zukunft antisemitische Aktionen und Schmierereien vorauszusehen. Auf den Fußballplätzen, in den Kneipen der rechten Szene sind antisemitische Sprüche und Witze ohnehin an der Tagesordnung. Zu glauben, daß in der DDR die Wurzeln des Antisemitismus ein für allemal ausgerottet sind, wie das in diesem Herbst so oft zu hören war, ist reines Wunschdenken. Wenn in Arbeits- und Schulkollektiven antisemitische Äußerungen als harmlose Verirrung abgetan werden, wenn der §220 (2) StGB, die Verfolgung öffentlicher Äußerungen militaristischen und faschistischen Inhalts, eher zögernd zur Anwendung kommt, so ermuntert und bestärkt das nur die neuen Rechten.
Die Werte der neuen Rechten
In Arbeits- und Ausbildungskollektiven erfreut sich der Rechtsradikalismus ohnehin einer zunehmenden Akzeptanz. Die antifaschistische Abwehrfront in der Bevölkerung, so ein Insider, bröckelt ab. Das hängt ganz sicher mit den Werten zusammen, die von den Faschos propagiert werden. Dem unpolitischen Betrachter, dem Kleinbürger zumal, erscheinen sie offenbar als arbeitssame, ordentliche, disziplinierte junge Mitbürger, die nicht einfach in den Tag hinein gammeln, sondern wissen, wofür sie leben.
In der Tat wendet sich die neue Rechte vehement gegen die ansonsten recht verbreitete Null-Bock-Ideologie, gegen Ausreiser und Aussteiger, gegen eine gewisse Larmoyanz und Resignation mancher alternativer Gruppen. „Der Großteil der Jugend hier hat keine Vorbilder, die leben in den Tag hinein, haben bloß Kniff im Kopp. Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten wollen, haben sie nicht“ so ein Skinhead aus dem Prenzlauer Berg. Anders die neuen Rechten: Sie sind stolz darauf, etwas zu wollen, ein Lebensziel, Ideale zu haben. Sie verabscheuen jede Form von Anarchie, lassen sich nicht hängen. Körperliche Ertüchtigung und gesunde Lebensführung gehören zum politischen Programm, in der Regel sind sie körperlich hervorragend trainiert: „Wir sind die Elite der deutschen Jugend“. In dieses Bild paßt die gegenwärtig zu beobachtende Abkehr vom Alkohol bei einem Teil der rechten Szene. Andere bestimmende Werte und auch hier sind die historischen Vorbilder unschwer auszumachen, sind Persönlichkeitskult und Kameradschaftsgeist. Bei den wöchentlichen Zusammenkünften erzieht man sich gegenseitig zur unbedingten Gläubigkeit an die Idee und an die Idole. Ein Elitebewußtsein, ein gewisses rechtes Selbstwertgefühl wird in diesen Zirkeln regelrecht antrainiert. Jedes Gruppenmitglied hat sich dabei bestimmten Bewährungsritualen zu unterziehen, durch die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt bewiesen und stimuliert und moralische Hemmungen allmählich abgebaut werden. Feige, hinterhältige Angriffe auf völlig Unbeteiligte sind dabei als „Mutprobe“ üblich. An den Wochenenden sollen manche Cliquen sich zu regelrechten „Wehrertüchtigungscamps“ treffen oder paramilitärische Übungen durchführen.
Nicht zufällig werden soldatische Werte kultiviert, Disziplin, Gehorsam, Ausdauer, Verläßlichkeit; insbesondere wird der Kameradschaftsgeist der faschistischen Wehrmacht beschworen. Man versucht, die rechte Ideologie an Soldaten der Nationalen Volksarmee heranzutragen und sucht unter ihnen Verbündete. Ob die faschistischen, verdeckt operierenden Propagandisten unter den Wehrdienstleistenden Zuspruch haben, ist schwer zu beurteilen; ausschließen kann man es sicher nicht. In bestimmten Einheiten jedenfalls, zum Beispiel bei den Fallschirmjägern, sollen ehemalige Skinheads besonders häufig anzutreffen sein. Zum rechten Persönlichkeitskult schließlich gehört, daß verurteilte Gewalttäter zu Helden hochstilisiert werden. „Kamerad“ Ronny Busse zum Beispiel, einer der Schläger beim Überfall auf die Zionskirche, wird in der Szene geradezu verehrt. Es ist zu fürchten, daß ohne sozialtherapeutisches Programm für viele die Haft tatsächlich zu einer „Akademie“ wird, in der sich ihre Anschauungen festigen und ihr Selbstwertgefühl aufgebaut wird. Für die Faschos und Skinheads draußen sind die Verurteilten willkommene „Märtyrer der Bewegung“. Das wiederum könnte nur dann verhindert werden, wenn man die ganze Feigheit und Erbärmlichkeit dieser neuen „Kameraden“, die Frauen und Mädchen und friedfertige Mitbürger zusammengeschlagen haben, wirklich öffentlich macht und sich auch die schmerzlichen Details nicht erspart.
Die Logistik der neuen Rechten
Ist es noch relativ einfach, bestimmende Charakteristika und gemeinsame Wertvorstellungen für die unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Gruppierungen zusammenzutragen, so ist der Nachweis von Führungsstrukturen und -mechanismen fast unmöglich. Da alle neuen faschistischen Gruppen streng nach konspirativen Regeln operieren, gibt es dafür keine direkten Indizien, zumindest sind mir solche nicht bekannt. Vor Vernehmern und Richtern wird eher versucht, derartige Zusammenhänge zu leugnen, zu verschleiern oder herunterzuspielen. Indirekt verweist jedoch die Logistik der Faschos und Skinheads auf zentrale und ideologisch untermauerte Führungsorgane; letztlich aber muß das Hypothese bleiben.
Die rechten Cliquen sind in der Regel zehn bis vierzehn Mann stark, das ist eine auch von den Soziologen als ideal angesehene Gruppenstärke. Derartige Kleingruppen sind in der Lage, sich nach außen hin total abzuschirmen und jeden unerwünschten Informationsfluß aus der Gruppe heraus zu unterbinden. Wird eine bestimmte Mitgliederzahl überschritten, trennt sich die Gruppe auf. Die Führer setzen sich durch ihre starke Persönlichkeit durch, demokratische Wahlmodalitäten sind nicht üblich. Der einmal akzeptierten Autorität wird bedingungslos Gefolgschaft geleistet. Gruppenführer zeichnen sich in der Regel durch überdurchschnittliche Intelligenz, durch eine starke Persönlichkeit, durch den Willen zu Macht und Gehorsam aus. Sie verfügen über ein Elitewissen, das auf übergeordnete Autoritäten schließen läßt. In einzelnen Fällen waren fünfzehnjährige Kinder die Anführer von Gefolgschaften älterer Jugendlicher.
Auch manche abgestimmt und gleichzeitig verlaufende Aktion und Aktivität der neuen Rechten deutet auf ein ideologisches Konzept und eine gruppenübergreifende Logistik hin. Dazu gehört der Mitte der achtziger Jahre massiv unternommene Versuch, junge Faschisten in Wehrsportgruppen der GST und in Ordnungsgruppen der FDJ einzuschleusen. Es heißt, daß sie dabei nach einem durchdachten Konzept vorgingen und nicht selten erfolgreich waren. Inzwischen ist diese Taktik erkannt und greift nicht mehr. Gegenwärtig versucht man, sich unauffällig zu machen und auf das martialische Äußere zu verzichten. Auch eingeschworene Skinheads lassen sich in diesem Herbst die Haare wachsen und haben die Uniform an den Nagel gehängt, und das landesweit – ein bloßer Zufall? Verbunden ist das Streben um ein neues bürgerfreundliches und angepaßteres Images mit der Kampfansage an den Alkohol. Bei Schlägereien ist es üblich geworden, den Nachwuchs zum Provozieren vorzuschicken, selbst aber nur mal kurz „hinzulangen“ und schnell wieder zu verschwinden.
Die braune Stafette
Zahlreiche Traditionslinien, das dürfte deutlich geworden sein, verbinden die neuen Rechten mit dem deutschen Nationalsozialismus. Wie konnte die schreckliche Saat in der Mitte der achtziger Jahre, in einem antifaschistisch tradierten Staat, in einer sozialistischen Gesellschaft erneut auf so fruchtbaren Boden fallen?
Sind doch bei uns faschistische Täter und Mitläufer konsequenter bestraft und geächtet worden als im anderen Deutschland. Bis Mitte der siebziger Jahre wurden 12876 Naziverbrecher rechtskräftig verurteilt. Seitdem hat es Jahr für Jahr weitere Prozesse gegeben. Die jüngste Verurteilung eines Naziverbrechers, die mir bekannt ist, erfolgte im Juli 1988 in Halle. Antifaschismus ist in der DDR Verfassungsauftrag und Staatspolitik.
Das alles aber sagt nichts über den psychologischen, den moralischen Zustand der Deutschen in diesem Lande aus. Viele, die Hitler 1933 zugejubelt haben oder die als schweigende Mehrheit den Krieg und die faschistischen Verbrechen mitgetragen haben, sind 1945 nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht wirklich umgekehrt. Manche, sie haben oft wohl am lautesten „mea culpa“ geschrien, haben zwar Fahnen und Uniformen und Parteibücher gewechselt, sind im Innern aber die alten geblieben. Für die meisten aber, für all die Mitläufer und Stillschweiger, mag die Erkenntnis, zwölf Jahre lang von Verbrechern verführt und mißbraucht worden zu sein, so schrecklich und so unerträglich gewesen sein, daß sie einfach verdrängt wurde. Das übermenschliche Maß der Schuld wie der Scham hat eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erschwert.
Weder von den Kirchen noch von der Gesellschaft wurde das erkannt. Sie haben den im Dritten Reich schuldig Gewordenen nicht wirklich die Möglichkeit zum öffentlichen Bekenntnis, zur öffentlichen Diskussion ihres Handelns und Unterlassens eingeräumt. Die Verbrecher wurden bestraft. Die Millionen Mitläufer aber und alle, die durch schweigende Zustimmung schuldig geworden waren, blieben weiter zum Schweigen verurteilt. Ihnen wurde die Gnade der Reue verweigert. Die Deutschen in diesem Land sind zu schnell zur Tagesordnung der neuen Ordnung übergegangen.
Behindert wurden Scham und Reue auch dadurch, daß viele Antifaschisten, unter ihnen besonders die Kommunisten, für sich eine übermenschliche Reinheit und Edelmenschlichkeit beanspruchten. Dem lauthals verkündeten humanistischen Anspruch aber stand alsbald der stalinistische Terror der Nachkriegsjahre entgegen. Das diskreditierte gerade bei den sich schuldig wissenden Proselyten den antifaschistischen Staat und die antifaschistische Idee. Alle Fehler, alle Mängel dieses Staates und dieser Gesellschaft wurden Argumente für die eigene moralische Überlegenheit und führten zur erneuten Hinwendung zum Faschismus. Die latente Bereitschaft zur Umkehr schlug um in einen neuen, jedoch in der tiefsten Seele gehaltenen Fanatismus.
Diese rückbekehrten Faschisten lebten vierzig Jahre lang nach außen hin angepaßt, als politisch indifferente oder sich sozialistisch gebärdende Bürger. Sie sind es, denke ich, die geduldig auf ihre Stunde gewartet und nun an ihre Enkel den braunen Stafettenstab weitergereicht haben. Sie, die unauffällig sind und harmlos scheinen, die schwer zu packen sind, halten die Fäden in der Hand; nicht jene Handvoll früherer SS-Leute und Parteibonzen, die hier und da unter falschem Namen oder mit gefälschten Papieren untergekrochen sein mögen.
Das alles, es ist mir bewußt, ist Hypothese. Vielleicht ist alles viel einfacher. Vielleicht gibt es wirklich Familien, in denen die faschistische Idee offen und ungebrochen gelebt und ein faschistisches Elitebewußtsein gezüchtet wurde. Vielleicht sind es die Witwen der Gehenkten, die an die Söhne und Enkel das Vermächtnis der Männer weitergereicht haben. Vielleicht sind auch nur die Mauern um unser Land oder um die Gefängnisse durchlässiger, als wir es uns denken können.
Die Last der Gegenwart
All das aber erklärt nicht den Zulauf, den die Rechten gegenwärtig haben. Das ist, denke ich, allein aus der Gegenwart heraus zu erklären. Faschistische Traditionslinien, personelle wie strukturelle, finden sich auch im sozialistischen Staat. Selbst bei denen, die eine ehrliche Umkehr vollzogen haben, blieben im Unter- und Unbewußten Spuren des Dritten Reiches. Vieles an unserer Alltagssprache verrät das. Unsere Alltagskultur wurde nicht völlig entnazifiziert: Nicht das Individuum, das Einmalige steht zuoberst auf der Werteskala, sondern die Masse, das Allgemeine. Nicht Originalität und Innovation haben den höchsten Stellenwert, sondern Unterordnung und Konvention. Nicht Widerspruch und Kritik sind wirklich geschätzt, sondern Anpassung und Duckmäusertum.
Das kleinere Deutschland hatte nie die Chance, die demokratischen Traditionen der 1848er Revolution oder die der Weimarer Republik aufzugreifen und fortzuführen; ihm wurde eine proletarische Diktatur stalinistischer Prägung aufgezwungen. Die antifaschistisch-demokratische Gesellschaftsstruktur hat nicht wirklich alle Lebensbereiche durchdrungen; oft genug ist sie Entwurf geblieben. Die kommunistische Kaderpartei beförderte nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern schuf ein System neuer Privilegien zur Belohnung von Maulheldentum, Untertanengeist und Parteidisziplin. Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebte unter anderem Vorzeichen eine Renaissance: erst der Stalinkult, dann der unbedingte Anspruch der kommunistischen Partei, Avantgarde und Vorhut zu sein. Eine basisdemokratische Kontrolle der Mächtigen und ihrer Organe gab es nicht und wird bis heute nicht geduldet.
Auch die sozialistische Gesellschaft nimmt für sich das Prinzip der Gewalt in Anspruch, anerkennt und praktiziert es. Immer wieder wurden und werden Konflikte gewaltsam gelöst: Kritiker wurden ausgebürgert, Andersdenkende eingesperrt, Bücher und Zeitungen verboten. Gewalt, im Klassenkampf ausgeübt, gilt als hoher moralischer Wert. Gewalt gegen ungeborenes Leben wird gesellschaftlich sanktioniert. Die Mauer endlich ist die vollendete Materialisierung des Prinzips Gewalt. Gewaltfreiheit und Pazifismus andererseits werden von der sozialistischen Gesellschaft nicht geschätzt, bestenfalls geduldet.
All das ist nicht Faschismus. Aber die grundsätzliche Bejahung von Gewalt und der Mangel an demokratischer Kultur haben den Propagandisten der neuen faschistischen Bewegung ein leicht zu beackerndes Feld bereitet. Menschen, die hierzulande aufgewachsen und in unseren Schulen erzogen sind, sind ungenügend gegen den Bazillus radikaler Ideologien immunisiert. Hinzu kommt, daß seit mehr als einem halben Jahrhundert das Nationalgefühl der Deutschen gestört ist. Nach dem krankhaften Nationalismus in den erste Jahrzehnten dieses Jahrhunderts wurden unter dem Eindruck der deutschen Teilung alle nationalen Gedanken und Gefühle künstlich unterdrückt. Viele Jahre lang war es eher eine Schande, ein Deutscher zu sein. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein wurde das Wort Deutschland krampfhaft gemieden; der schöne Text unserer antifaschistischen Nationalhymne wird deshalb bis heute nicht gesungen. Patriotismus sollte durch Internationalismus ersetzt werden – wie aber kann ich Internationalist sein, wenn mir die nationale Identität fehlt! Die künstliche Konstruktion einer „sozialistischen Nation“, aus tagespolitischem Kalkül heraus geschaffen, ist von den Deutschen in der DDR niemals wirklich angenommen worden. Schlägt nun das unterdrückte, verdrängte Nationalgefühl um in einen extremen Nationalismus? Die Geschichte bietet dafür mehr als nur ein Analogon…
Die Hinwendung einer großen Anzahl, wohl der Mehrzahl der Deutschen in der DDR zu kleinbürgerlichen Werten und Lebensformen, der so augenfällige Rückzug in private Nischen, die Flucht aus dem gesellschaftlichen ins private Sein haben gleichfalls die Anfälligkeit für faschistische Gedanken erhöht. Niemand verkraftet auf die Dauer eine solche Doppelzüngigkeit, ein solches Doppeldasein, wie sie sich hierzulande breitgemacht haben. Die allabendliche Massenemigration per Fernseher ist deutlicher noch als die Ausreisewelle ein Indiz für ein gespaltenes gesellschaftliches Bewußtsein. Ein Gemeinwesen, dessen Bürger dauernd etwas anderes sagen als sie denken, die dauernd etwas anderes tun, als sie wollen, die etwas anderes scheinen als sie sind ist krank und geschwächt und empfänglich für Radikalismen jeder Art.
Junge Menschen, die in unserem Land aufwachsen, sind von Kindheit an diesen sozialen Defekten ausgesetzt. Unser Bildungssystem unterstützt die unreflektierte Übernahme kränkender Verhaltensmuster aus Familien und Kleingruppen: Fast regelmäßig werden nicht Kritik und eigenes Denken gefördert und belohnt, sondern Nachplappern und Angepaßtsein. Junge Menschen, die alternative Lebens- und Gesellschaftsmodelle durchdenken und erproben wollen, müssen erfahren, daß sie als staatsgefährdend angesehen und behandelt werden. Die Erziehung ist intellektualisiert, die Seele, die Gefühle werden nur ungenügend gebildet. Häufig ist in der Schule die Auseinandersetzung mit der Geschichte unsinnlich und dogmatisch verklemmt, die Gesellschaftslehre wird kalt und leidenschaftslos vermittelt, eine gebetsmühlenartige Wiederholung soll die kritische Aneignung ersetzen.
„Die Verarmung und Verirrung des Gefühlslebens, Kaltschnäuzigkeit und Brutalisierung, der Abbau des Gefühls für das Schöne bereiten ein Vorfeld für Faschismus. Der Faschismus vernichtet den ganzen Menschen, seine ganze Humanität. Deshalb müssen wir den ganzen Menschen gegen dieses Gift widerstandsfähig machen. Dafür reicht die nackte Information, das bloße Wissen nicht aus.“ Diese Mahnung Konrad Wolfs, 1979 ausgesprochen, scheint, wie manches andere, bei den verantwortlichen Jugend- und Bildungspolitikern ungehört verhallt zu sein. Ein „emotionaler Nährboden für aktiven Antifaschismus“ (Konrad Wolf) sind die meisten Schulen bei uns jedenfalls nicht. Antifaschistische Kampagnen und Demonstrationen können die mühevolle stete Arbeit einer humanistischen Bildung der Herzen und Hirne nicht ersetzen.
Gewalt und Gegengewalt
Wir müssen begreifen, so schmerzlich es auch sein mag: Diese jungen Faschisten sind das Produkt unserer Gesellschaft; es sind unsere Kinder. Wir dürfen sie nicht, nicht einen, verloren geben. Wir haben uns vor Vorurteilen zu hüten, wie oft sind Vorurteile der erste Schritt zur Verurteilung. Selbstverständlich kann es nach allem, was die Nationalsozialisten der Welt und Deutschland angetan haben, keine Toleranz für faschistische Anschauungen und Taten geben. Barmherzigkeit, Wärme und Gesprächsbereitschaft aber sind wir auch den schlimmsten Tätern schuldig.
Das Bemühen des Staates, den neuen Faschismus einzudämmen, erscheint hilflos und wenig wirkungsvoll: Gegengewalt wird anscheinend als Allheilmittel angesehen. Viele Maßnahmen sind überzogen und treffen nicht selten die Falschen; manchmal mögen junge Menschen erst durch übertriebene und gewaltbetonte Reaktion der Staatsmacht in die Arme der Rechten getrieben worden sein. Jugendliche mit geschorenem Kopf und gar in Skinhead-Kluft, auch reine Mode-Skins, haben es schwer, werden bevormundet und gegängelt. Zu Discos und Jugendclubs haben sie kaum noch Zutritt. Selbst völlig friedfertige Jugendliche werden auf der Straße von der Volkspolizei kontrolliert – nur, weil sie ein wenig ungewöhnlich gekleidet sind oder sich vielleicht etwas temperamentvoller äußern. Wenn sich, das gilt zumindest für größere Städte, ein Club oder eine Gaststätte zum Treffpunkt solcher Cliquen entwickelt hat, werden sie häufig unter einem Vorwand, aus „technischen Gründen“ oder wegen einer plötzlich notwendig werdenden Renovierung, geschlossen. Die Gruppen suchen sich woanders einen neuen Treffpunkt; das Problem wird von einem Stadtbezirk zum anderen geschoben.
Die Ordnungsgruppen der FDJ bringen gleichfalls Probleme mit sich. Denn offenbar gibt es unter den Ordnern auch solche, die die ihnen übertragene Macht gegen ihre Altersgenossen mißbrauchen und anstelle von Argumenten die Fäuste sprechen lassen. Eine sorgfältige und verantwortungsvolle Auswahl, eine psychologische Schulung sollten selbstverständlich sein. Die ständige Kontrolle ist notwendig, auch geringste Übergriffe müssen geahndet werden. Denn überzogene Reaktionen von Ordnungskräften und Polizisten können Aggressivität und Widerstand erst provozieren; manche Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt indizieren das jedenfalls.
Eine öffentliche demokratische Kontrolle der machtstützenden Organe – der Polizei, der Justiz, des Strafvollzugs, des Staatssicherheitsdienstes – würde gerade jungen Bürgern mehr Rechtssicherheit und Vertrauen geben und Aggressionen abbauen. Die gegenwärtige Eingabenpraxis, undurchschaubar und ohne Begründungs-pflicht, ist ganz und gar unbefriedigend und leistet dem Mißbrauch von Macht Vorschub. Strafgesetzgebung und Strafvollzug schließlich, das ist selbst für den Laien offensichtlich, bedürfen dringend der Revision. Wenn überhaupt, wird wohl nur ein humanistisches sozial- und psychotherapeutisches Programm junge rechtsradikale Straftäter zum Nach- und vielleicht Umdenken bringen können, nicht aber der unwürdige sinnleere Alltag einer langjährigen Haft.
Viele der verurteilten Skinheads sind in geordneten Verhältnissen, in „guten Familien“ großgeworden, waren gute Schüler und Arbeiter. Zuweilen kamen sie aus Familien mit antifaschistischer Tradition, waren die Eltern Funktionäre; selbst Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes haben ihre Kinder an die neuen Faschisten verloren. Der Gedanke liegt nahe, daß es manch einem, der in die rechte Szene hineingeraten ist, zu Hause an Wärme und Verständnis gefehlt hat, daß er autoritär erzogen wurde oder daß ihn die Eltern ihre Werte und Weltanschauungen nicht vorgelebt, sondern eingebleut haben. Der besonders für junge Menschen legitime und für ihre gesunde Entwicklung doch unerläßliche Zweifel an allen Autoritäten, ihre gesunde Opposition mag nicht selten mit den antiquierten Mitteln der „schwarzen Pädagogik“, mit psychischer und physischer Gewalt gebrochen worden sein. Das wurde der Nährboden für den Haß auf alle Autoritäten. Und die Kinder wußten nur zu gut, daß sie gerade durch ihre Hinwendung zum Faschismus den Eltern, den gesellschaftlichen und staatlichen Autoritäten, den allerheftigsten Schmerz zufügen würden. Wieviel Trauerarbeit haben sie und wir alle zu leisten, um diese Flut von Haß und Schmerz zu integrieren!
Alternativen
Die Gefahr einer neuen faschistischen Bewegung, getragen von jungen Menschen unseres Landes, ist denkbar geworden. Es ist für uns alle eine Herausforderung. Jeder hat sich selbst zuerst die bitteren Fragen zu stellen, jeder wird eigenes Versäumen und Versagen zu bedenken haben. Staat und Kirche, Schule und Jugendorganisation müssen, jeder für sich, fragen, was sie unterlassen und worin sie gefehlt haben, wenn Zwanzigjährige in unserem Land wieder „Sieg Heil“ und „Juden raus“ brüllen.
Ich fürchte, wir werden auf absehbare Zeit mit einem gewissen rechten „Potential politisch motivierter Gewalttätigkeit“ leben müssen. Staatliche Gegengewalt ist kein taugliches Therapeutikum. Es wird darauf ankommen, dem Rechtsradikalismus die schillernde Verführungskraft zu nehmen und junge Menschen humanistische Alternativen zu bieten. Das ist, nach meiner festen Überzeugung, nur durch die konsequente demokratische Umgestaltung unserer Gesellschaft und durch die Absage an die Gewalt als gesellschaftsbildende Kraft zu erreichen. Ein gewaltfreier sozialer Dienst anstelle der Militärpflicht sollte endlich möglich werden. Wir müssen lernen, auf Gewalt auch gegenüber dem ungeborenen Leben und gegenüber der Natur zu verzichten.
Eine neue Kultur des öffentlichen Dialogs muß erworben und gepflegt werden; unser Land braucht Gedanken- und Pressefreiheit und ein Spektrum unzensierter Medien. Für junge Menschen muß es eine rechtliche und soziale Basis geben, um alternative demokratische Lebensmodelle, zum Beispiel nach dem Vorbild der israelischen Kibbuzim zu erproben. Nur wahrhafte Demokratie kann auf Dauer die Jugend unseres Landes gegen faschistisches Gedankengut immunisieren.