Antifa in den 1980er Jahren

Seit 1983 nahmen die offenen Aktivitäten von faschistischen Gruppen, zum größten Teil rechtsgerichtete Skinheads und Fußballfans, sprunghaft zu. Es kam immer wieder zu Überfällen auf Ausländerinnen, Punks, linksalternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch feste faschistische Gruppierungen, die sich zum Beispiel „Bewegung 30. Januar“ (in Anlehnung an die Machtergreifung der Nazis am 30.1.1933) oder „Bucher Front“ nannten. Die faschistischen Gruppen hatten damals bereits Kontakte mit Westberliner Faschisten, die in der Folgezeit intensiviert wurden.

Der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punk-Konzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987, hatte in zweierlei Hinsicht Signalwirkung. Zum einen erhöhte sich die zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads zum anderen regte sich erstmals selbstorganisierten Widerstand.

Gründungsversuch einer Anti-Nazi-Liga in Berlin 1987

In Berlin findet sich unmittelbar nach dem Überfall auf die Zions-Kirche eine Gruppe betroffener zusammen, um eine Anti-Nazi-Liga zu gründen. jedoch kommt man nie aus dem Gründungsstatus heraus. Zu verschiedene sind dieVorstellungen, zu defuse ist die Zielsetzung.

Die Anti-Nazi-Liga Dresden

Auch in Dresden war der Zionüberfall der Auslöser für die Gründung einer Antifa-Gruppe. Federführend agierte hier die anarchistisch angehauchte Oppositionsgruppe Wolfspelz. So bestand zwischen der Anti-Nazi-Liga Dresden und der Gruppe Wolfspelz faktisch Personalunion.
ihre tatsächlichen Aktivitäten waren dann auch sehr bescheiden. Ein Flugblatt wurde gefertigt und in Dresden verteilt. Eine Infoveranstaltung in verschiedenen Kirchen in Dresden durchgeführt. darüber hinaus tauchte die „Anti-Nazi-Liga Dresden“ nur noch auf gelegentlichen Unterschriftenlisten auf.

SVK-Halle und Brandenburg

Der Versuch sich gegen faschistische Gewalt zu wehren, führte 1988 in Halle dazu, dass sich innerhalb der Hallenser Punkszene militante Straßengangs bildeten und den Nazis Paroli zu bieten, indem sie zu den gleichen Methoden wie die Nazis griffen. Sie trainierten Kampfsport, bewaffneten sich und machten Jagd auf alle, die nur wie Nazis oder Skinheads aussahen. Zu allem Überfluss gaben sie sich selbst einen Namen, der noch heute äußerst Fragwürdig erscheint: „Skinhead-Vernichtungs-Kommandos (SVK)“. Da es innerhalb dieser Gruppierung keinerlei inhaltlichen Diskussionen oder thematischer Arbeit kam, löste sie sich schnell auf.
In der Stadt Brandenburg soll ein Ableger der SVK existiert haben, allerdings beruht dies nur auf damalige Behauptungen Hallenser SVKler.

Antifa Potsdam

Nach dem Überfall auf Zion kam es in Potsdam verstärkt zu Aktionen von Faschos.
Auch hier war es die ansässige Punkszene, die den Schritt, hin zur antifaschistischen Selbsthilfe, unternahm. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Beispielen, stand in Potsdam ein aufklärerischer/systemkritischer Ansatz im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Man war von Anfang an um Kontinuität bemüht, um ein schnelles Versickern, wie zum Beispiel in Dresden, zu verhindern. So traf man sich wöchentlich in einer kirchlichen Ausbildungsstelle und diskutierte, anfänglich diffus, über die Gründe von Faschismus und versuchten sich an einer allgemeine Systemanalyse der DDR.
Es bestand unter ihnen die Hoffnung durch Öffentlichkeitsarbeit wie einer Flugblattaktion „Warnung Neonazis auch in der DDR“ Druck auf die Staatlichen Stellen auszuüben und sie zu öffentliche Stellungnahmen zwingen zu können. Als schnelle Erfolge ausblieben, blieben viele Leute weg. Besonders den, von Aktionismus getriebenen, wurde viel zu viel „gelabert“.
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Autonome Antifa in der Kirche von Unten (Berlin)

Erst Ende Februar 1989 begannen innerhalb der Berliner Gruppe der Kirche von Unten (KvU) Aktivitäten für die Gründung einer Antifa-Gruppe. Auslöser war, dass einigen Leuten der KvU das „Antifaschistische Infoblatt“ Nr.6/7 aus Westberlin in die Hände fiel, in der über Vorbereitungen des internationalen Neofaschismus zum hundertsten Geburtstag von Adolf Hitler berichtet wurde. Hinzu kamen Informationen aus der Ostberliner Szene, dass die DDR-Faschisten am 20. April 1989 ein großes Treffen in Potsdam planten.
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Die späte Heimkehr des Robert Zeiler

– ERLEBNISBERICHT, ERSCHIENEN IN DER DDR-ZEITSCHRIFT „ANTIFASCHGISTISCHER WIDERSTANDSKÄMPFER“ NR. 12/89 –

Das es immer wieder dazu kam das die Sowjetische Besatzungsmacht wahllos unschuldige Inhaftierte, belegt der Erlebnisbericht des Berliner Robert Zeiler, der in Nummer 12/89 der Zeitschrift „Antifaschgistischer Widerstandskämpfer“ veröffentlicht wurde:

„…Der Tag der Selbstbefreiung der Häftlinge vom Konzenrationslager Buchenwald (KL BU), am II. April 1945, bleibt jedem unvergessen, der diesen Tag miterlebt hat. Die ersten vom Norden einrückenden Amerikaner, Panzer des Generals Patton, Soldaten der vordersten Linie, hatten weinen müssen, als sie die großen Leichenhaufen von verhungerten Menschen sahen, die vom Tag und Nacht im Einsatz befindlichen Krematorium nicht „verarbeitet“ werden konnten. Ich habe selbst, als Häftling Nr. 19999, viele von kampferprobten Frontsoldaten durch das Lager, speziell zum Krematorium geführt. Der bestialische Leichengeruch und der Geschmack der schwelenden Hügel von altem Schuhwerk verfolgt einen manchmal heute noch. Mein Stiefbruder Harald Hochhaus und ich waren mit der Begründung in „Schutzhaft“, am 11. März 1944, genommen worden:

1. Widerstand gegen die Anordnungen der Gestapo;
2. Begünstigung des Judentums;
3. Staatsfeindliches Verhalten. Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu wollen, hatten wir das große Glück, bald in eine „Prominenten-Baracke“ zu kommen (Block 38). Die Hilfe von einigen Lagerkameraden hatte uns das Überleben ermöglicht.

Am 19. März 1945 fuhren mein Bruder und ich, eine junge Frau aus Weimar (Marianne Schuch) mit einem Auto, ausgestattet mit entsprechenden Papieren und Dokumenten, in englischer, französischer und russischer Sprache, nach Theresienstadt, um aus dem dortigen KZ überlebende Verwandte und Bekannte nach Weimar zu bringen. So konnten wir unsere Mutter, Frl. Schuch ihren Vater und noch jemand dort abholen. Es hat zwar Schwierigkeiten mit dem dortigen russischen Major gegeben, wegen der dort herrschenden Typhusgefahr, er hat uns aber fahren lassen. Nach diesem gelungenen Experiment entwickelte sich der Plan, die Heimfahrt (Repatriierung) der Berliner und Brandenburgischen ehemaligen Häftlinge zu organisieren. Aus allen Ländern erschienen Reisebusse, um die Kameraden in ihre jeweilige Heimat zurückzubringen. Aus Belgien, Frankreich, Holland, Norwegen, Polen, Tschechoslowakei u. v. a. Mit entsprechenden Reisedokumenten versehen, wurden außer meinem Bruder und mir der Kamerad Georg Krausz (ehem. Redakteur der „Roten Fahne“, mit russischen Sprachkenntnissen) und der Kamerad Georg Rittmann, den wir aus einem Berliner Sammellager kannten, auf große Fahrt geschickt. Walter Bartel war zwar etwas skeptisch, ob unser Plan gelingen würde, aber das hat uns nicht abgehalten. Am 25. Mai 1945 ging es los. In Raguhn, bei Dessau, haben wir übernachtet. Nach dem Übersetzen des Wagens über eine Pontonbrücke warnte uns noch ein russischer Offizier, die Autobahn zu nehmen, weil die meisten Brücken gesprengt waren. Nach einem Stop von russischen Soldaten wurden wir in ein Quartier gebracht, wo man unsere mitgeführten Lebensmittel (für unsere überlebenden Verwandten in Berlin gedacht) beschlagnahmte, aber jede Menge „Kwaß“ anböte. Wir fuhren weiter bis nach Potsdam, wo wir an der „Kaiser-Wilhelm-Briicke“, die zerstört war und nur eine russische Pontonbrücke die Überfahrt ermöglichte, zur Straße „Am kleinen Wannsee“ kamen, wo unser Onkel und Tante wohnten.

An der Auffahrt vor und nach der Pontonbrücke streikte unser Auto. Ein russischer Jeep und ein „Ford-Eifel“ (rot-blau gespritzt) mit dem russischen NKDW-Offizier von Potsdam an Bord, der sich unsere Reisedokumente geben ließ, stoppte uns: wir waren Internierte der sowjetischen Besatzungsmacht. Wir kamen in den berühmten „Cäcilienhof“, wurden an verschiedenen Enden der Gänge untergebracht. Wir wurden gut verpflegt, bekamen zu Essen, Trinken und soweit wir wollten, zu Rauchen. Aber wir konnten nicht mehr miteinander sprechen und unsere Gedanken austauschen. Von dort hätten wir ja noch fliehen können, aber von unserer Unschuld überzeugt, als ehemalige KL Bu-Häftlinge, kamen wir gar nicht auf diesen Gedanken. Später haben wir erst erfahren, was es mit unserer Verlegung in die „Villa Ingelheim“, des ehemaligen Prinz Eitel-Friedrich, auf sich hatte: Auf Cäcilienhof wurde die historische Besprechung der drei Alliierten vorbereitet, um über das weitere Schicksal Deutschlands zu beraten!

Erst bei den Verhören in der „Villa Ingelheim“ wurde uns bewußt, warum man uns festgenommen hatte. Ein russischer Major:
1. Kamerad Georg Krausz wurde gefragt: „Du Jude? Ich denke, in Deutschland Juden alle tot.“ Das war ein für uns besonderer Zynismus. 2. Mein Bruder und ich bekamen den Vorwurf: „Du amerikansky Spion, Du gucken, wie stark russische (rote) Armee in Berlin!“
3. Georg Rittmann war verdächtig, weil er in Batum geboren und seine Muttersprache russisch war. Da wir keine Möglichkeit der Verteidigung hatten, mußten wir uns in unser Schicksal fügen. Besonders leid tat mir dabei unser Kamerad Georg Krausz, der wegen seiner kommunistischen Überzeugung seit Jugend an – noch dazu als jüdischer Bürger – sich nach der Befreiung gesehnt hatte, und auch verdient hatte. Von der „Villa Ingelheim“ kamen wir mit LKW auf Transport nach „Ketschendorf“, einer Arbeitersiedlung, die zu einem lntemierungslager umfunktioniert worden war. Für uns war das Schlimmste, daß wir hier mit den vielen kleinen und großen Nazis – vom Blockwart bis zum Bahnhofsdirektor, der für Deportationen zuständig war, dazu noch Nazi-Ärzte u. v. a. zusammenleben mußten. Es waren auch Leute dabei, wie der Erfinder des fahrbaren Vergasungsgerätes, das in Polen eingesetzt worden war. Dies hat für uns eine demoralisierende Wirkung gehabt, weil diese Nazis von ihren Taten so überzeugt ren!

Von Ketschendorf, wo wir unseren Kameraden G. Rittmann unter die Erde bringen mußten, der an Tbc, die er im KZ bekommen hatte, starb, ging unsere Reise weiter nach Brest-Litowsk, wo wir Winterausrüstungen (Bekleidung) mitschleppten. Szenen, wie in dem berühmt gewordenen Film „Dr. Schiwago“, in einem Waggon mit einem vor Hunger „Durchgedrehten“, den Zuständen der Entsorgung, der Verteilung des Brotes (ohne Brotmesser u. ä.). Es war eine Katastrophe …

In Brest-Litowsk gingen unsere Wege auseinander. Mein Stiefbruder (mit anderem Nachnamen), kam in einen anderen Wagen. Ich bin während der medizinischen Untersuchung durch den überhitzten Raum ohnmächtig geworden. Ich landete später, nachdem man uns gesagt hatte, wir werden mit Kriegsgefangenen in Frankfurt (Oder) entlassen, wieder im KZ Buchenwald. Mein Bruder kam zu einem Arbeitseinsatz in ein Kohlebergwerk bei Stalinsk. Georg Krausz soll in ein Lager Mühlberg o. ä. gekommen sein. Walter Bartel hat aufgrund der unermüdlichen Nachforschungen unserer Mutter einige Dinge ausfindig machen können, so den Aufenthalt von G. Krausz. Es ist für uns Betroffene unbeschreiblich, diese Erlebnisse zu Papier zu bringen, weil sie uns – gerade als überzeugte Demokraten und Antifaschisten so sehr deprimieren.

Am 15. Juli 1948 bin ich aus dem KZ Buchenwald endgültig entlassen worden. Mein Bruder 1950 aus Stalinsk…“

Über das Schicksal von Georg Krausz informierte ergänzend Emil Carlebach, 1989 Mitglied des Präsidiums der VVN-BdA:

„…1. Der NKWD-Offizier war offensichtlich verärgert, daß Georg Krausz (zum Unterschied von anderen Deutschen) ihm sehr selbstsicher gegenübertrat. Daß Krausz perfekt russisch sprach (er stammt von der ungarischen Grenze zur UdSSR) machte ihn bei diesem Offizier verdächtig. Dann legte Krausz ihm den Parteiausweis vor, der bestätigte, daß der Inhaber von Anfang an in der illegalen KPD-Organisation des Lagers aktiv tätig war. Darauf der Major: „Das brauchen Sie mir gerade noch erzählen, daß die Amerikaner Euch erlaubt hätten, kommunistische Parteiausweise zu drucken!“ Damit war das Verhör zu Ende – Georg Krausz kam nach Buchenwald.

2. Walter Bartel, der Vorsitzende der KPD-Gruppe im KL Bu, und Wilhelm Pieck, Vorsitzender der KPD, der G. K. Krausz schon lange kannte, versuchten vergeblich, festzustellen, wo der Verschollene geblieben war. Krausz berichtete mir 1948, nach seiner Freilassung, daß er jedesmal, wenn eine Untersuchungskommission ins Lager kam, vortrat, und seinen Fall schilderte. Jedesmal hätten die Offiziere betroffen reagiert und sich seine Akte kommen lassen. Und jedesmal hätte es dann geheißen: „Da können wir nichts machen.“ Schließlich gelang es Krausz, heimlich eine Nachricht nach Berlin an Wilhelm Pieck zu senden. Dieser verlangte sofort von der sowjetischen Militärverwaltung die Freilassung des unschuldig Festgehaltenen. Auch hier zunächst das „da können wir nichts machen“. Aber Wilhelm Pieck konnte einen „Kompromiß“ durchsetzen: Georg Krausz wurde aus Buchenwald in eine Zelle des Zuchthauses Borgau gebracht, dann wurde der Innenminister des ehemaligen Landes Sachsen-Anhalt, Robert Siewert – ebenfalls ein Buchenwaldhäftling – ohne Angabe von Gründen auch dorthin gebracht. Als die beiden sich in der Zelle um den Hals fielen, waren die Russen endlich überzeugt. Georg Krausz wurde entlassen…“

Antifa-Ausschüsse und ihre Zerschlagung in der SBZ/DDR

Unmittelbar vor bzw. nach dem Einmarsch der alliierten Truppen in Deutschland und der Zerschlagung des Dritten Reiches entfalteten antifaschistische Kräfte in Deutschland eine sprunghaft gesteigerte Aktivität.

In nahezu allen Städten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), vor allem in den industriellen Ballungsgebieten im Südteil der Zone und im Berliner Raum, entstanden Antifaschistische Ausschüsse mit einer zum Teil beträchtlichen Mitgliederzahl. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß der Faschismus die Strukturen der ihm feindlich gegenüber stehenden Organisationen, also vor allem KPD, der SPD und der Gewerkschaften, weitgehend zerschlagen hatte, wird verständlich, daß diese Bewegung weitgehend spontanen Charakter hatte. Entsprechend vielfältig waren ihre Ausdrucksformen.

Die Zusammenschlüsse in den einzelnen Städten, die sich als Antifaschistische Ausschüsse, als Volkskomitees, als Gruppen des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ (NKFD) oder unter anderen Bezeichnungen konstituierten, hatten ein durchaus unterschiedliches Verständnis ihres Charakters und ihrer Aufgaben nach der Befreiung. Sie Verstanden sich zum überwiegenden Teil als Volksfront-Komitees, teilweise aber auch als Gewerkschaftsgruppen, als Keimform einer künftigen einheitlichen Arbeiterpartei oder auch als Räte.

Gemeinsam war ihnen vor allem die Tatsache, daß sie sich überwiegend aus Arbeitern zusammensetzten und ihre Wurzeln in der illegalen antifaschistischen Widerstandsarbeit hatten, die in den meisten Fällen von KPD und SPD-Mitgliedern gemeinsam initiiert worden war. Aber auch Parteilose des ehemaligen Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts Bundes (ADGB) und Anarchisten waren in den Ausschüssen zu finden.

Die meisten Antifa-Ausschüsse (oder ähnliche Organisationen) begannen selbständig – also ohne Weisungen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), deren Organe in den betreffenden Orten oft noch gar nicht eingerichtet waren – mit der Säuberung der Verwaltungen und Betriebe von Nazis. Sie übernahmen die für das Überleben notwendigen öffentlichen Funktionen, setzten die Strom- und Wasserversorgung wieder in Gang, organisierten die Lebensmittelversorgung und Aufräumarbeiten usw.

Der Umfang dieser Bewegung ist nicht genau bekannt. In Sachsen wurden mindestens 68, für Thüringen 80 Komitees ermittelt. In Meißen fand die „Gruppe Ackermann“ einen kompletten „Rat der Volkskommissare“ vor. In Sachsen arbeiteten mehrere aktive anarchistische Gruppen im Industriegebiet Zwickau.

Die KPD-Führung betrachtete die spontan entstandenen, von ihr nicht kontrollierten, Antifa-Ausschüsse und -Komitees mit erheblichen Mißtrauen und drängte auf ihre Eliminierung. Bereits im April 1945 waren die Politischen Hauptverwaltungen der Roten Armee und der KPD in erster Linie darauf bedacht gewesen, daß sich in Deutschland neue politische und gesellschaftliche Strukturen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs auf gar keinen Fall spontan entwickelten. Noch während der letzten Kampfhandlungen um Berlin übten einzelne Beauftragte des ZK der KPD und die Frontbeauftragten des Nationalkomitees Freies Deutschland Kontrollfunktionen aus. Gleichzeitig wurden in Moskau Kader auf die Arbeit in Deutschland vorbereitet. Eine Gruppe deutscher Kommunisten unter der Führung von Walter Ulbricht wurde gebildet. Eine ihrer vordringlichen Aufgaben bestand darin, allen spontan entstandenen antifaschistischen Ausschüssen den Boden zu entziehen. Ein Teil dieser Kader übernahm Funktionen in der Stadt für längere Zeit, während andere beauftragt wurden, in den kleinen Städten und Gemeinden des betreffenden Kreises bei der Schaffung der Gemeindeverwaltungen zu helfen bzw. zu kontrollieren, ob die geschaffenen Gemeindeverwaltungen aus zuverlässigen Antifaschisten bestehen und wirklich im Sinne der Richtlinien arbeiten.

Doch die meisten Mitglieder von Antifa-Ausschüssen weigerten sich kategorisch, ihre Organisationen aufzugeben. Von einer Aufhebung ihrer schon in der Illegalität und Halblegalität enstandenen Gruppen konnte für sie keine Rede sein. Für die ablehnende Haltung, die das ZK der KPD gegenüber den Antifa-Ausschüssen insgesamteinnahm, waren wohl vor allem zwei Gründe ausschlaggebend:

-Zwischen dem ZK und den Ausschüssen bestanden zum Teil erhebliche Differenzen über den Charakter der in der SBZ zu vollziehenden sozialen Umwälzung.

– Das vom ZK entwickelte Konzept für den Aufbau neuer Staatsstrukturen stützte sich vor allem auf ein zu schaffendes Bündnis der neu- bzw. wiederentstandenen Parteien, was teilweise im Widerspruch zu den Ausschüssen als einer wesentlich spontanen, überparteilichen Bewegung stand.

Die im Aufruf des ZK niedergelegten Konzeptionen stießen auf erheblichen Widerstand gerade bei vielen Kommunisten in den Antifa-Ausschüssen. Das durch die faschistische Diktatur erzwungene Exil der meisten kommunistischen Parteiführer hatte eine einheitliche Programmatische Linie der gesamten Partei kaum möglich werden lassen und so hatten sich unter den Illegalen teilweise Vorstellungen herausgebildet, die mit denen des ZK nicht übereinstimmten und kollidierten. Diese Parteikader sahen sich unmittelbar nach der Befreiung mit dem Vorwurf des „Sektierertums“ konfrontiert. In einem Bericht von Anton Ackermann heißt es: „Meistens galt es ´linke Überspitzungen´ zu korrigieren. So in der Stadt Meißen, wo wir einen kompletten Rat der Volkskommissare vorfanden. Der Genosse Mücke, der dann längere Zeit als Bürgermeister tätig war (…) wollte zunächst nicht einsehen, was politisch notwendig war. Aber es half nichts. Auch in Meißen mußten die Genossen unsere Argumente anerkennen und sich auf die Linie der Partei begeben.“ /1/

Wie stark diese als „linke Überspitzungen“ bezeichneten Ansichten in großen Teilen der KPD vertreten waren, geht aus einem Brief von Walter Ulbricht hervor, den er im Mai 1945 an Wilhelm Pieck in Moskau schrieb: „Wir müssen uns Rechenschaft ablegen darüber, daß die Mehrheit unserer Genossen sektiererisch eingestellt ist, und daß möglichst bald die Zusammensetzung der Partei geändert werden muß durch die die Hereinnahme aktiver Antifaschisten, die sich in der Arbeit bewähren.“ /2/

Die KPD-Führung drängte verstärkt auf die Umsetzung ihrer Konzepte und somit auf eine rasche Auflösung der Antifa-Ausschüsse. In einem Brief an Georgi Dimitroff schreibt Ulbricht: Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung ´Freies Deutschland´ und die Ausschüsse der Leute des 20.Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben die Büros geschlossen und den Genossen klargemacht, daß jetzt alle Kräfte auf die Arbeit in den Stadtverwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüsse müssen ebenfalls zur Arbeit in die Stadtverwaltungen übergeführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden.“ /3/

Diese Überführung bereitete aber offensichtlich Schwierigkeiten, da viele ihre Arbeit in den Ausschüssen nicht aufgeben wollten. Noch Ende Juni 1945 sah sich Ulbricht bei einer Instruktion der KPD-Führung Berlin/Brandenburg genötigt, die andauernde „Rummurkserei mit der Antifa“ zu kritisieren. Er erklärte: „Wir sind nicht für solche Organe. Wenn die Partei eine richtige Politik betreibt,
dann bleibt für antifaschistische Sekten kein Platz mehr.“ /4/

Der Aufbau erster neuer Verwaltungen und die Konsolidierung der KPD bedeutete dann auch das Ende der Antifa – Ausschüsse. Sie wurden 1948 endgültig zerschlagen.

Die Bildung der Verwaltungsorgane in der SBZ wurde dann im wesentlichen durch die jeweiligen Organisationsebenen der Blockparteien vollzogen. Die Bestätigung der Bürgermeister erfolgte durch den Militärkommandanten bzw. durch die Sowjetische Militäradministration.

Die verschieden antifaschistischen Organisationen, Komitees und Ausschüsse, als direkte Nachfolger der deutschen Widerstandsbewegung verkörperten das Potential, auf das sich eine echte antifaschistische Umwälzung hätte stützen können. Zudem hatte die Bewegung mit dem Einmarsch der alliierten Streitkräfte tatsächlich Massencharakter angenommen. Insofern war die Haltung der KPD-Führung gegenüber den Ausschüssen, die faktisch auf ein Abwürgen dieser Bewegung zielte, nicht geeignet, die selbständige Initiative der Menschen in der SBZ zu fördern und ihr antifaschistisches Potential zu entwickeln.

Quellen:

1 Staat und Recht, Nr. 5/65, S.674

2 W. Ulbricht, Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 2, Berlin (DDR) 1966, S.205

3 W. Ulbricht, Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 2, Berlin (DDR) 1966, S.417

4 W. Ulbricht, Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 2, Berlin (DDR) 1966, S.233

Die Selbstbefreiung von Hohen Neuendorf bei Berlin

– AUS DEN ERINNERUNGEN VON ZEITZEUGEN
VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – SONDERAUSGABE zum 8. Mai 2015 –

Nach der sowjetischen Winteroffensive stand die Rote Armee Ende Januar 1945 entlang von Oder und Neiße rund 80 Kilometer vor Berlin. Der Krieg ging in die letzte Phase. Die Eroberung Berlins und die endgültige Zerschlagung der faschistischen Machtzentrale waren das erklärte Ziel.

Bis Anfang April wurden rund 2,5 Millionen Soldaten, 6.000 Panzer und 7.500 Flugzeuge für den Angriff in Stellung gebracht. Ihnen gegenüber standen rund eine Million deutsche Soldaten, die sich aus Resten von Wehrmachtsarmeen, Einheiten der Waffen-SS und deren Hilfstruppen sowie aus improvisierten Verbänden von Polizei und Volkssturm zusammensetzten. Kaum 800 Panzer konnten die Verteidiger aufbieten, die zudem unter erheblichem Munitions- und Treibstoffmangel litten.

Am 16. April 1945 leitete die Rote Armee mit einem Zangenangriff auf Berlin das nahe Ende der Naziherrschaft ein. Die 1. Ukrainische Front unter Marschall Iwan Konew überrollte die deutschen Verteidigungsstellungen an der Lausitzer Neiße südlich von Berlin, während die 1. Weißrussische Front unter Georgij K. Schukow nach verlustreichen Kämpfen auf den Seelower Höhen die Stadt im Norden umging.1

Die Befreiung von Hohen Neuendorf gehörte zu den Kämpfen im Raum Oranienburg, der mit zum äußeren Verteidigungsring der Hauptstadt gehörte und in dem von deutscher Seite etwa 40.000 Soldaten der „Armeegruppe Steiner“, der „Volkssturmdivision Velten“ und der „SS-Totenkopfdivision Brandenburg“ stationiert waren. Die Einheiten der Roten und der Polnischen Armee im Raum Oranienburg-Sachsenhausen hatten die Aufgabe, die „Armeegruppe Steiner“, die sich befehlsmäßig vom Norden aus nach Berlin durchschlagen sollte, zurückzuwerfen. Die Kämpfe zogen sich bis zum 29. April hin. In diesem Zeitraum wurde neben Hohen Neuendorf auch Glienicke, Gemeinde und KZ Sachsenhausen, Lehnitz, Oranienburg, Birkenwerder und Germendorf befreit.
Am 22. April 1945 ist in Hohen Neuendorf der Krieg zu Ende. Am Abend des 20. April 1945 rückten die ersten Einheiten der Roten und polnischen Armee in den Oranienburger Raum vor. Am 22. April (nach anderer Aussage ist es der 21. April) wurde Hohen Neuendorf durch Einheiten der Roten Armee im Süden und durch die polnische 1. Infanteriedivision „Tadeusz Kościuszko“ im Norden befreit. Zwei polnische Flakstellungen verblieben in der Briesestraße, um den geplanten Durchbruch deutscher Truppen über die Havel zu verhindern. Dabei fielen 11 polnische Soldaten, die zunächst in der Ernastraße bestattet und 1954 auf den Friedhof Hohen Neuendorf umgebettet wurden. Seitdem finden regelmäßig zum polnischen Nationalfeiertag und zum Tag der polnischen Armee Kranzniederlegungen auf dem Friedhof statt (Stand 1978).2

Über den Ablauf der Selbstbefreiung gibt es verschiedene, teils abweichende Berichte und Zeitzeugenerzählungen. Die Sozialdemokratin Ilse Semrau erinnert sich: „Am 20. April 1945 gegen Abend wurde in Hohen Neuendorf ein Treck zusammengestellt, der sich hinter die Havel zurückziehen sollte. Dabei taten sich Lehrer Hornemann (als Parteifunktionär und Volkssturmführer in voller Naziuniform) und Herr Hundeshagen besonders hervor. Hornemann begleitete den Treck mit dem Fahrrad und wollte offensichtlich zurückkehren. Am nächsten Tage wurde er tot auf dem Stolper Feld gefunden. Die Einwohner, die mit dem Treck mitgezogen waren, kehrten erst Wochen später zurück.“3

Die Hitler-Jugend musste zum Appell antreten und wurde zum bewaffneten Kampf gegen die „Russen“ aufgerufen. Während sich eine Gruppe SS im Rathaus verschanzte, errichtete der Volkssturm Panzersperren am Ortsausgang in Richtung Hennigsdorf. Hohen Neuendorf sollte bis zum letzten Blutstropfen gehalten werden. Doch es kam alles anders. Denn es gab im Ort eine aktive Widerstandgruppe aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilosen. Diese Gruppe wagte die Selbstbefreiung. Ein unmittelbar nach der Befreiung abgefaßter Gemeindebericht für den Zeitraum 21. April bis 16. Juni 1945 schildert diese Aktion: „Vor dem Einrücken der Roten Armee, in der Nacht vom 21. zum 22. April 1945, entwaffnete eine antifaschistische Gruppe das von der SS besetzte Rathaus. Nach Beseitigung des Widerstandes wurde das Rathaus in den Verteidigungszustand versetzt. Mit der Entwaffnung der Faschisten im Orte sowie der Waffen-und Munitionssuche wurde zugleich die Verhaftung der Faschisten im Rathause vom politischen Leiter (Bürgermeister) bis zum politischen Leiter des Bezirks vorgenommen. Diese Aktionen laufen auch in Zukunft weiter. Unsere Gruppe hatte die Aufgabe, den Volkssturm zu bewegen, die Waffen niederzulegen und die Panzersperren zu öffnen. Diese Aktion ist restlos geglückt, ein Kampf gegen die Rote Armee fand nicht statt. Die erste Panzerspitze der Roten Armee, die sich von Bernau über Bergfelde nach Hohen Neuendorf bewegte, konnte nach Verständigung zwischen der antifaschistischen Gruppe und dem Panzerkommandanten, daß der Ort von uns gesichert und die weiße Fahne auf dem Rathaus gehißt ist, ihren Vormarsch über Hohen Neuendorf fortsetzen.“4

Was die kampflose Übergabe bzw. Befreiung von Hohen Neuendorf betrifft, unterscheiden sich die Beschreibungen im Gemeindebericht mit den Erinnerungen von Zeitzeugen. Danach hätten sich in der Stolper Straße Hitlerjungen verschanzt, die den sowjetischen Soldaten kurzzeitig Widerstand leisteten. Frau Semrau berichtet: „In der Nacht vom 20. zum 21. April gab es Kämpfe in der Stolper Straße zwischen Hohen Neuendorfer Hitlerjungen und russischen Panzern. Die Panzer sind wahrscheinlich die Stolper Straße entlang aus Richtung Hennigsdorf gekommen. Die Panzersperre, die an der Brücke unter der Bahn in der Berliner Straße errichtet worden war, hatte sie jedenfalls nicht gestört. Den Widerstand der Hitlerjungen hatte Herr Werk angestiftet, vielleicht auch Lebensmittelhändler Wolfert. Wolfert war Nazi und lief oft in brauner Uniform herum. Sein Laden war in der Stolper Straße, Ecke Florastraße; bei ihm war ich früher schon zum Lebensmittelmarkenaufkleben verpflichtet worden. Bei diesen Kämpfen wurden Helwig und noch ein weiterer Hitlerjunge getötet, die Gaststätte Fichtenhain und das Haus von Werk zerstört.“5
Die Beschreibungen von Ilse Semrau werden durch die Erinnerungen von Heinz Becker, ebenfalls aus Hohen Neuendorf, bestätigt. „Am Tag nach der Einnahme Hohen Neuendorfs, verließ ich morgens bei schönem Wetter unser Haus und hatte die erste Begegnung mit einem russischen Soldaten. Ich ging dann durch den Hainweg in Richtung Berliner Straße. Im Hainweg lag ein toter SS-Mann, seine Maschinenpistole hing zerbrochen an einem Baum.

An der Ecke Berliner Straße/Stolper Straße lagen vier tote Hitlerjungen, einer davon war mein HJ-Führer, den ich an der besonderen Färbung seiner Augenbrauen erkannte. In der Stolper Straße waren abgeschossene russische Panzer, über die Anzahl kann ich nichts sagen. Hohen Neuendorf wurde aus der Hennigsdorfer Richtung eingenommen, die Panzer kamen die Stolper Straße entlang und wurden von den Hitlerjungen aus den Häusern heraus bekämpft. Diese Kämpfe hatten offensichtlich in der Nacht zuvor stattgefunden und waren nur kurz. Innerhalb von drei Stunden war in Hohen Neuendorf der Krieg erledigt. Meine Eltern hatten die Situation richtig eingeschätzt und mich so beeinflußt, daß ich den Befehl zum Treffen für den Kampf um Hohen Neuendorf verweigert hatte, zu Hause geblieben war und an diesen Kämpfen nicht teilgenommen hatte. Das rettete mir wahrscheinlich das Leben.

Von der Stolper Straße ging ich zum Rathaus. Dort war ein schweres Maschinengewehr in Stellung mit zwei Zivilisten mit roten Armbinden und solchen Mützen, daß ich sie für deutsche Kommunisten hielt. Auf dem Rathaus wehte eine weiße Fahne, die später von einem deutschen Flugzeug abgeschossen wurde.“6

Nach der Befreiung werden führende Nazis, wie Paul Jacob und Ortsbauernführer Hornemann-Scheider, von der Sowjetarmee in Gefangenschaft genommen. Aus der Ruhwald- und Hubertusstraße werden 75 Familien umquartiert, weil in die dortigen Häuser die Rote Armee einzieht. Später wird nur noch das Gebäude des späteren Kinderheimes „Sonnenhaus“ in der Berliner Straße in Beschlag genommen. In diesem Gebäude bringt man die Kommandantur der sowjetischen Armee unter. Die polnische Armee ist im Mädchenviertel einquartiert.

Der Kommunist Ernst Nowacki wird zum Bürgermeister der Gemeinde ernannt. Es werden ehrenamtliche Ausschüsse gebildet, die die Verwaltung kontrollieren und gleichzeitig die Interessen der Bürger beim Magistrat zur Sprache bringen sollen. In Hohen Neuendorf gründen sich Ortsgruppen der KPD, SPD und der Liberaldemokratischen Partei (LDPD).

Ende Juli/Anfang August 1945 wird der Kommandant der sowjetischen Armee von Hohen Neuendorf abgezogen. Die Bezirkskommandantur befindet sich nach wie vor in Birkenwerder. Als Kommandant ist Major Postowski eingesetzt.

Am 1. August wird eine Kohlenstelle eingerichtet. Da jedoch nicht mit ausreichend Kohle gerechnet wird, organisiert diese Kohlenstelle die Versorgung mit Holz. Die Gemeinde bekommt im Forst Elseneck Holz zum Schlagen – jeder Haushalt erhält bald darauf 1/2 Meter Holz. Die im Dezember gelieferten 170 Zentner Kohlen werden an Gärtnereien, Wäschereien, Schulen und Ärzte verteilt.

Am 14. August 1945 werden auf einer Versammlung alle Lehrer, die Mitglied der
NSDAP waren, entlassen. Für Hohen Neuendorf bedeutet das, daß es plötzlich nur noch zwei männliche und vier weibliche Lehrer gibt. Diese werden aber bereits im September 1945 durch 8 Neulehrer verstärkt. Im Oktober 1945 beginnt, per Befehl der SMAD (Sowjetische MilitärAdministration in Deutschland), der Schulunterricht. Neues Unterrichtsfach ist nun Russisch.
Am 6. September wird eine Verordnung über die Bodenreform erlassen, in deren Folge sich in Hohen Neuendorf die Kommission der Bodenreform bildet. Bis zum 22. Oktober werden sechs Wirtschaften von „Kriegsverbrechern und aktiven Faschisten“ enteignet. Das ist eine Fläche von insgesamt 26,55 ha, davon bestellte Fläche 2,75 ha. 137 Anträge auf Landzuteilung liegen vor, davon 22 von landarmen Bauern und 115 von Landlosen (darunter Landarbeiter und Kleinpächter). Da aber in Hohen Neuendorf keine größeren landwirtschaftlichen Flächen enteignet wurden, werden zunächst 27 Bewerber für Neubauernstellen in Schönfließ angesetzt. Im November 1945 sind es bereits 30 Neubauern aus Hohen Neuendorf. Jeder von ihnen hat ca. 5 ha Land und 2 ha Wald aus der Aufteilung des Gutes Schönfließ erhalten. Bis zum 25. Februar 1946 erhält Hohen Neuendorf insgesamt 38,55 ha. Hiervon werden verteilt: an einen landarmen Bauern 4,1 ha Ackerland, an 130 landlose Industrie- und Landarbeiter 14 ha. Der Rest fällt an die Gemeinde, u. a. für das Schulgelände.

Seit Einzug der Roten Armee verfügen die Gemeinde und die Bürger lediglich über Pferdefuhrwerke (4 Doppelgespanne und 4 Einspänner). Im September 1945 erhält Hohen Neuendorf die erste Hanomag-Zugmaschine, die zweite im Dezember.7

Frau Elfriede Siebert schrieb in dieser Zeit Tagebuch und beschreibt darin die ersten Monate in Hohen Neuendorf nach der Befreiung:

30. April: „Es sollen alle Radios, Schieß- und Stichwaffen, Vervielfältigungsapparate, Fotoapparate abgegeben werden.“
2. Mai: Verteilung von Lebensmittelkarten in Birkenwerder, „doch darauf haben sie noch nichts bekommen. Hier in unserer Straße sind wir noch nicht registriert.“
3. Mai: Suche nach versteckten Soldaten, „es soll eine Truppe SS hier in den Wäldern gewesen sein“; es wurde geschossen.
4. Mai: „Wir bekamen heute Brot auf Marken … Zwei Brote auf neun Mann.“
5. Mai: Die Bevölkerung soll sich um 12.00 Uhr vor dem Rathaus versammeln, der Kommandant will eine Ansprache halten. „Als viele tausend Menschen vorm Rathaus versammelt waren, kam der Kommandant, es wurde ein Schriftstück verlesen, die Verurteilung eines Hohen Neuendorfers, der vorhandene Waffen, Rundfunk- und Fotoapparate nicht abgeliefert hatte. Nach Verlesen des Urteils ist er vor der Bevölkerung erschossen worden.“

6. Mai: Der Erschossene war ein Flüchtling. In dem Haus, wo er untergekommen war, wurde der Koffer des Hausbesitzers mit Uniformstücken und Waffen gefunden. Seiner Erklärung, daß es nicht seine Sachen wären, wurde nicht geglaubt.
13. Mai: „Der Kaufmann Wolfert ist einem Schlaganfall erlegen, man hat ihm die Tochter vergewaltigt.“ Nach einem Bericht hat sich Dr. M. mit Familie erschossen, er war „wohl Volkssturmführer“.

15. Mai: Sammlung einer Rotkreuzschwester für das neue Krankenhaus, das in der Jugendherberge eröffnet werden soll.
20. Mai: „Wir haben heute das erstemal Fleisch bekommen, 159 g seit Wochen, 5 Pfund Kartoffeln und wieder 1050 g Brot, 50 g Zucker, Mehl und sogar 50 g Salz. Der russische Kommandant sagt, daß dieses hier die schlechtversorgteste Gemeinde sei. Berlin ist im Augenblick besser dran.“

9. Juni: „Die Bahn fängt an zu fahren. Morgens und abends geht ein Zug bis Stettiner Bahnhof und zurück bis Lehnitz (?).“
13. Juni: „… seit Mittag finden wieder furchtbare Explosionen statt, das Haus erschüttert bis auf den Grund.“
12. August: „An Nahrungsmitteln gibt es nichts außer Brot, dieses auch nur mit großer Mühe.“
1. September: „Es kommt jetzt Brot von Berliner Großbäckereien, die Bäcker hier haben alle Backverbot, sie sollen zuviel verschoben haben, daher diese Änderung.“
18. Oktober: „Wir müssen uns alle untersuchen lassen, der Gesundheitszustand der Bevölkerung ist miserabel, Oranienburg ist noch gesperrt.“
17. November: „Wir dürfen nur 20 kWh elektrisches Licht im Monat verbrauchen.“
19. November: „Wir haben eine extra große Überraschung bekommen, ich muß noch einmal Gemeindesteuern bezahlen, sie sind einfach verdoppelt worden.“
Weihnachten: „Wieder kommen neue Flüchtlinge nach Hohen Neuendorf.“8

Hohen Neuendorf war mit Beginn der Naziherrschaft ein aktiver Hort sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstands. Die Widerstandsgruppe „Nordbahn“ unter Führung des Sozialdemokraten Otto Scharfschwerdt wirke in der ganzen Region bis in den Norden Berlins. Zur Leitung der Gruppe gehören neben Otto Scharfschwerdt, Hermann Schlimmer (Berlin), Erich Hahn (Birkenwerder), Erich Wienig (Birkenwerder) und Kurt Noack (Hohen Neuendorf).

1937 zerschlagen die Nazis die Widerstandsgruppe. 40 Aktivisten wird der Prozeß gemacht. Kurt Noack erhält eine zweieinhalbjährige Zuchthausstrafe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, die er im Zuchthaus Brandenburg absitzt. Nach seiner Entlassung beteiligt er sich weiter am Widerstand in Hohen Neuendorf und nimmt eine wichtige Rolle bei der Selbstbefreiung seines Heimatortes am 20./21. April 1945 ein.9

Unmittelbar nach der Befreiung von Hohen Neuendorf entsteht dort eine neue SPD-Ortsgruppe, deren Vorsitzender Kurt Noack wird. Er wirkt in Kommissionen wie dem Antifa-Ausschuß oder der Bodenreform-Kommission mit. Doch schon im August 1945, infolge von Querelen zwischen KPD und SPD, gerät Kurt Noack ins Blickfeld der sowjetischen Administration. Als im März 1946 die Vereinigung von KPD und SPD vorbereitet wird, weigert sich Kurt Noack, dieser Vereinigung zuzustimmen.

Am 3. Dezember 1948 wird Kurt Noack, zusammen mit seinem Sohn Ernst Noack, von dem NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) verhaftet und nach Sibirien deportiert. Sein Enkel Heinz Noack erinnert sich: „Leute von der GPU10 sind an jenem Abend gekommen und haben ihn abgeholt mit der Begründung, sie brauchten eine Aussage von ihm. Er solle seine Sachen nehmen, und meiner Großmutter wurde gesagt, er solle etwas Warmes zum Anziehen mitnehmen. Es wurde eine Wohnungsdurchsuchung vorgenommen, und sie wollten auch Papiere, Kassen und alles, was ihnen suspekt war, sehen. An diesem Abend, als die Leute noch im Haus waren, kam der Ernst Noack, der in Reinickendorf wohnte, um seine Eltern zu besuchen. Er hatte unter anderem zufällig ein Exemplar der Westzeitung Telegraf dabei. Allein aus dem Grund, daß er eine solche Zeitung in die damals sowjetische besetzte Zone eingeführt hatte, war das schon eine Straftat. Darüber hinaus wurde ihm gesagt, er solle mitkommen und die Aussagen von meinem Großvater bestätigen, dann könne er wieder nach Hause gehen. Meine Großmutter ist dann auch mitgekommen. Damals war diese Stelle, wo er dann zum Verhör gebracht wurde, gegenüber der Grundschule, ich glaube es war die Berliner Straße. Da war unten ein Büro des Politbüros oder so etwas ähnliches, und da hat er zuerst gesessen. Und da war die Großmutter zuerst auch dabei und hat ihren Kurt aber nicht mehr gesehen. Und da hat ein Beamter dann gesagt, sie solle doch nach Hause gehen, er käme heute nicht mehr wieder.

Kurt und Ernst Noack sind dann nach Sachsenhausen gekommen. Kurt Noack wurde nach Sibirien irgendwo am Baikalsee verschleppt, und Ernst Noack kam nach Bautzen. Nach welchem Zeitraum sie verschleppt wurden und aus welchem Grund sie getrennt wurden, kann ich nicht sagen. Es ist mir auch nicht bekannt, ob ein Gerichtsverfahren oder eine Verurteilung stattgefunden hat. Ernst Noack kam 1956 aus Bautzen zurück.

Später ist ein Herr gekommen, den ich nicht namentlich kenne und auch nicht sagen kann, wann er gekommen ist. Der hatte eine Art Spickzettel dabei, den man sich als Häftling untereinander in den Gefängnissen zusteckte, wenn einer entlassen wurde. Der hatte auf dem Papier den Namen und die Adresse und ist dann nach Hohen Neuendorf zu meiner Großmutter gekommen und hat gesagt, daß Herr Kurt Noack dort verstorben ist. Er ist wahrscheinlich durch die schwere Zwangsarbeit, er war immerhin schon 70 Jahre alt, verstorben. Was das für ein Lager war und welche Zwangsarbeit dort verrichtet wurde, kann ich nicht sagen.“11

1 https://www.dhm.de (Die Schlacht um Berlin 1945)
2 Chronik der Gemeinde Hohen Neuendorf
3 Ilse Semrau, Hohen Neuendorf, Scharfschwerdtstr. 2: Auskünfte zur Ortsgeschichte von Hohen Neuendorf
4 Protokoll über die Parteiarbeiter-Konferenz der Kommunistischen Partei, Ortsgruppe Hohen Neuendorf, am 13. Juli 1945
5 Ilse Semrau, Hohen Neuendorf, Scharfschwerdtstr. 2: Auskünfte zur Ortsgeschichte von Hohen Neuendorf
6 Herr Heinz Becker (Jahrgang 1890): 1945 wohnhaft in Hohen Neuendorf, Elfriedestraße 26 (2. Mai 1995)
7 Chronik der Gemeinde Hohen Neuendorf
8 Die Schweizerin Elfriede Siebert lebt in Hohen Neuendorf und verwaltet ab Februar 1945 das Haus ihres in die Schweiz übergesiedelten Sohnes, des Zahnarztes Gustav von Muralt. In dieser Zeit führt sie Tagebuch, das auszugsweise 1986 in der Schweizer Zeitung Die Weltwoche veröffentlicht wurde (Nr. 51 und 52, 19. und 26. 12. 1986). Die folgenden, einen Überblick über die Ereignisse und Einblicke in die Lebensumstände der unmittelbaren Nachkriegszeit (April bis Dezember 1945) gebenden Schilderungen entstammen (in wörtlicher Rede bzw. sinngemäß) diesen Aufzeichnungen. / Chronik der Gemeinde Hohen Neuendorf
9 Aus dem Leben des Arbeiterfunktionärs Otto Scharfschwerdt (Veröffentlichungen aus der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung des Kreises Nr. 1/1972)
10 Aus der (O)GPU wurde bereits 1934 der NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten). Im deutschen Sprachgebrauch wurde noch Jahre später (erst in Nazi-Deutschland, nach 1945 dann in beiden Teilen Dtl.) von der „GPU“ gesprochen, (OGPU = Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung, 1922-1934, Nachfolgeorganisation der Tscheka, 1917-1922).
11 Bericht von Heinz Noack, Enkel von Kurt Noack, über das Schicksal von Kurt Noack ab dem 21./22. April 1945 (29.12.1997)

Antifaschismus in den Jahren ab 1945

Antifa-Ausschüsse und ihre Zerschlagung in der SBZ/DDR

VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH AUSGABE 3/4 1998

Unmittelbar vor bzw. nach dem Einmarsch der alliierten Truppen in Deutschland und der Zerschlagung des Dritten Reiches entfalteten antifaschistische Kräfte in Deutschland eine sprunghaft gesteigerte Aktivität. In nahezu allen Städten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), vor allem in den industriellen Ballungsgebieten im Südteil der Zone und im Berliner Raum, entstanden Antifaschistische Ausschüsse mit einer zum Teil beträchtlichen Mitgliederzahl.
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Die späte Heimkehr des Robert Zeiler

ERLEBNISBERICHT, ERSCHIENEN IN DER DDR-ZEITSCHRIFT „ANTIFASCHGISTISCHER WIDERSTANDSKÄMPFER“ NR. 12/89

Der Tag der Selbstbefreiung der Häftlinge vom Konzenrationslager Buchenwald (KL BU), am II. April 1945, bleibt jedem unvergessen, der diesen Tag miterlebt hat. Die ersten vom Norden einrückenden Amerikaner, Panzer des Generals Patton, Soldaten der vordersten Linie, hatten weinen müssen, als sie die großen Leichenhaufen von verhungerten Menschen sahen, die vom Tag und Nacht im Einsatz befindlichen Krematorium nicht „verarbeitet“ werden konnten. Ich habe selbst, als Häftling Nr. 19999, viele von kampferprobten Frontsoldaten durch das Lager, speziell zum Krematorium geführt. Der bestialische Leichengeruch und der Geschmack der schwelenden Hügel von altem Schuhwerk verfolgt einen manchmal heute noch.
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Die Selbstbefreiung von Hohen Neuendorf bei Berlin

AUS DEN ERINNERUNGEN VON ZEITZEUGEN
VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – SONDERAUSGABE zum 8. Mai 2015

Nach der sowjetischen Winteroffensive stand die Rote Armee Ende Januar 1945 entlang von Oder und Neiße rund 80 Kilometer vor Berlin. Der Krieg ging in die letzte Phase. Die Eroberung Berlins und die endgültige Zerschlagung der faschistischen Machtzentrale waren das erklärte Ziel. Bis Anfang April wurden rund 2,5 Millionen Soldaten, 6.000 Panzer und 7.500 Flugzeuge für den Angriff in Stellung gebracht. Ihnen gegenüber standen rund eine Million deutsche Soldaten, die sich aus Resten von Wehrmachtsarmeen, Einheiten der Waffen-SS und deren Hilfstruppen sowie aus improvisierten Verbänden von Polizei und Volkssturm zusammensetzten. Kaum 800 Panzer konnten die Verteidiger aufbieten, die zudem unter erheblichem Munitions- und Treibstoffmangel litten.
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Kurt Noack

VOM TOD EINES ANTIFASCHISTEN

Nach der Machtübertragung an die Nazis kommt es unter Leitung der Hohen Neundorfer Sozialdemokraten Otto Scharfscherdt zum Aufbau einer Widerstandsgruppe. Wahrscheinlich Ende 1933/1934 wird Kontakt zur Widerstandsgruppe um den ehemaligen Major der preußischen Schutzpolizei Karl Heinrich aufgenommen, die sich aus Mitgliedern des 1933 verbotenen „Reichsbanners“, einer überparteilichen Republikschutztruppe, zusammensetzte. Damit umfaßt die Widerstandsgruppe „Nordbahn“ u.a. die Ortschaften Hammer, Liebenwalde, Hohen Neuendorf, Bergfelde Birkenwerder, und reicht bis nach Ladeburg bei Bernau und in den Norden Berlins hinein. Zur Leitung der Gruppe gehören neben Otto Scharfschwerdt, Hermann Schlimmer (Berlin), Erich Hahn (Birkenwerder), Erich Wienig (Birkenwerder) und Kurt Noack (Hohen Neuendorf).
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Verordneter Antifaschismus

Antifaschismus als Staatsdoktrin der DDR

ERSCHIENEN IM INTERNET, AUF WIKIPEDIA

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hat sich selber in die Nachfolge des antifaschistischen Kampfes der KPD und des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime gestellt. Wegen dieses auch als Gründungsmythos bezeichneten Anspruchs erhob sie den Antifaschismus früh zur leitenden Staatsdoktrin, die zur Abgrenzung vom Nationalsozialismus, aber auch von der Bundesrepublik Deutschland (BRD) diente. Auf Grundlage einer marxistischen Faschismustheorie verstand man die Bundesrepublik als „postfaschistisch“ und versuchte, ideologische und personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus nachzuweisen.
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„Nationale Traditionen unseres Volkes“

ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT DES DDR-ANTIFASCHISMUS, VON JOACHIM TORNAU, GÖTTINGEN,
ERSCHIENEN AUF FUNDUS – FORUM FÜR GESCHICHTE UND IHRE QUELLEN

Das Verhältnis der Linken zum real-existierenden Sozialismus und zur gewesenen DDR zeichnet sich vor allem durch Unreflektiertheit aus. Das monumentale Buchenwald-Denkmal findet sich als Plakatmotiv, auf Demonstrationen flattert fast immer die eine oder andere DDR-Fahne, und auf Büchertischen lassen sich – in besonders krassen Einzelfällen – gar Schriften über „Stalins Kampf gegen den Tito-Revisionismus“ erwerben. Ob das immer und unbedingt eine Identifikation mit dem Staat DDR bedeuten muß, sei dahingestellt. Sicher aber ist, daß mit Kritik am real-existierenden Sozialismus in solchen Fällen nicht gerechnet werden kann.
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