Eingabe des Infoladen Bandito Rosso, an den Magistrat von Berlin (Ost), zum faschistischen Charakter der NA-Tarnorganisation WOSAN

BesetzerInnenZeitung Nr. 3/90

– aus BesetzerInnen Zeitung, Nr. 3, vom 5. September 1990 –

Infoladen Bandito Rosso
Lottumstraße 10a
Berlin 1054

An den Magistrat von Berlin
Stadtrat für Inneres Herrn Thomas Krüger
Berliner Rathaus Jüdenstraße
Berlin 1020

Berlin am 17.08. 1990

Werter Herr Stadtrat Krüger!

In verschiedenen Verlautbarungen haben Sie in den letzten sechs Wochen erklärt, das ,,Problem Weitlingstraße“ ,,durch Gespräche“ und ,,ohne Polizeieinsatz vom Tisch“ bekommen zu wollen. Zum 16. Juli 1990 sollten, nach Ihrer Aussage, die Bewohner der Weitlingstraße 122 das Haus verlassen haben.
Festzustellen bleibt heute: es hat sich nichts getan, Ihren Ankündigungen sind keine wirklichen Handlungen gefolgt. Dieser Umstand sowie Ihre, über die Presse zu verfolgenden offenbaren Schwierigkeiten, die Situation zu differenzieren und sich eine Meinung zu bilden, nötigen uns zu folgenden Fragen.

1. Wie stellen Sie sich zu der Tatsache, daß die Vereinbarung, die der Rat des Stadtbezirkes Lichtenberg mit den Bewohnern der Weitlingstraße getroffen und unterzeichnet hat, von Ihrem Verhandlungspartner, der ,,Initiative für Wohnraumsanierung“ (WOSAN) durch den nichterfolgten Auszug gebrochen worden ist? Welche Konsequenzen wird dieser Vertragsbruch, haben?

2. Wie stellen Sie sich zu dem Umstand, daß das Haus Weitlingstraße 122 de facto kein besetztes Haus ist, sondern den Bewohnern durch den Rat des Stadtbezirks Lichtenberg als Ausweichobjekt für ein ursprünglich besetztes Haus in der Türschmidtstraße übergeben worden ist? Ist diesem Umstand Ihr zögerliches Vorgehen gegenüber den Bewohnern in der Weitlingstraße geschuldet?

3. Ist Ihnen bzw. einer Ihrer Verwaltung nachgeordneter Behörde bekannt, daß WOSAN noch zwei weitere Häuser in Berlin vertritt? Wenn ja, um welche Häuser handelt es sich und wie ist dort die Rechtslage?

4. Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß es sich bei WOSAN, um eine Tarnorganisation der ,,Nationalen Alternative“ handelt? Mindestens zwei Gründungsmitglieder der ,Nationalen Alternative“, Heiko Baumert und Ingo Hasselbach (vergleiche Eintragung im Parteienregister beim Präsidium der Volkskammer Reg.nr. 39/90 nebst Anlagen), sind identisch mit zwei Gründungsmitgliedern der WOSAN und haben auch die schon erwähnte Vereinbarung unterzeichnet.

5. Ist Ihnen bekannt, daß sich unter den Mitgliedern der WOSAN mit Protokoll ein gewisser Gottfried Küssel befindet der auch Mitglied der neofaschistischen VAPO (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition Österreichs) ist und darüber- hinaus die Funktion eines Organisationsleiters bei der neofaschistischen ,,Deutschen Alternative“ wahrnimmt? Darüber hinaus trägt die Anmeldung der ,,Initiative WOSAN“ beim Vereinsregister des Bezirksgerichtes Berlin die Unterschrift von Oliver Schweigert, der Mitglied der neofaschistischen FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei) in West-Berlin ist.

6. Wie stellen Sie sich, bei dieser Sachlage, zu der Tatsache, daß WOSAN e.V. den Status eines gemeinnützigen Vereins beantragt hat?

7. Ist Ihnen bekannt, daß die erwähnte ,,Nationale Alternative“ auf dem Gebiet der DDR den legalistischen Arm der neofaschistischen ,,Deutschen Alternative“ aus der BRD darstellt, für diese agitiert und Mitglieder wirbt?

8. Ist Ihnen bekannt, daß mehrere Bewohner der Weitlingstraße bzw. Mitglieder des WOSAN e.V. bzw. Mitglieder der
,,Nationalen Alternative“ als Delirierte beim ,,Parteitag“ der ,,Deutschen Alternative“ in Cottbus anwesend waren’ (Vergleiche Filmausnahmen in der ARD-Fernsehsendung ,,Deutschland erwache – Die Wiedervereinigung der Neo-Nazis» vom 9.8.1990, 20 Uhr 15)

Angesichts der in unseren Fragen geschilderten Sachverhalte möchten wir von Ihnen, Herr Stadtrat Krüger, wissen, was si4 in den nächsten Wochen und Monaten gegenüber dem ,,Problem Weitlingstraße“ unternehmen wollen und wie Sie sich zu der Tatsache des sich generell verstärkenden Auftretens neofa¬schistischer, profaschistischer und rechtsradikaler Gruppen ihren Vernetzungen untereinander sowie ihren militanten ‚ sowohl als auch politischen Aktivitäten verhalten wollen.
Wir bitten Sie, dieses Schreiben als Eingabe gemäß der (nach wie vor gültigen) Eingabenordnung der DDR zu behandeln.

Hochachtungsvoll
Infoladen Bandito Rosso