Ob der Rechtsextremismus in den „neuen Ländern “ nur zu verstehen ist, wenn man die Entwicklung vor 1989 mit einbezieht, wie das Bernd Wagner in seiner Studie „Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern“ behauptet und als Kernthese deklariert, ist auf den ersten Blick fraglich. Denoch ist eine Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der DDR unumgänglich im Hinblick auf die Diskussion über eine Wertekontinuität zwischen der Entwicklung in der DDR und der heutigen Stimmung in Ostdeutschland.
Nach der Studie von Bernd Wagner gab es in der DDR vier Entwicklungsstufen für die Entwicklung rechtsradikaler Erscheinungen.
1. Phase 1980/81
Sie war gekennzeichnet durch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Richtungen in der jugendkulturellen Szene. Gewaltausübende und Opfer gehörten in die gleiche jugendkulturelle Szene.
2. Phase 1982/83
Das Gewaltmonopol in der jugenkulturellen Szene ging auf die Skinheads über. Körperliche Gewalt wurde gezielter als Disziplinierungsinstrument und zur Eroberung von Räumen eingesetzt. Die Anhängerschaft der Skinheads wuchs.
3. Phase 1985/86
In dieser Phase tauchten neue Opferstrukturen auf, denen ein zunehmend ideologisiertes Feindbild zugrunde lag: Ausländer, Schwule, Grufties und Punks. 1985 kam es zur Gewalt gegen dunkelhäutige Ausländer in Eberswalde, Dresden, Ostberlin, Cottbus, Görlitz und Königs Wusterhausen. Eine neue Qualität wurde erreicht und die Gewaltanwendung hat sich differenziert.
4. Phase: 1987/89
Das Jahr 1987 markierte eine qualitativ neue Entwicklungsstufe mit einer Ausdifferenzierung der rechten Szene in „Faschos“ (Selbstbezeichnung) und Skinheads. Die Gruppenstruktur und die Aktivität der Gruppe wurde durch Führer, intelligente Führungskadern, die die Gruppenmitglieder befehligten, geprägt. Es kam zu ersten regelmäßigen Kontakten zwischen ostdeutschen Rechtsextremisten und rechten westdeutschen Parteien. Schon 1989 gab es ein DDR-weites funktionierendes kommunikatives Netzwerk. Die Phase der Ablösung von der jugendkulturellen Bewegung setzte ein, es entstanden neonazistische Konglomerate. Die meisten Kreis- und kreisangehörigen Städte der DDR hatten 1989 Nazi-Szenen etwa in der Stärke von 5-50 Personen. Ein Hindernis für die weitere Verbreitung der rechtsextremen Szene waren die Sicherheitsorgane der DDR und die mangelnde Medienpräsenz.
Rassistische, antisemitische und faschistische Äußerungen und Handlungen gab es unter DDR- Jugendlichen schon immer. Aus persönlichen Erlebnissen sind uns aus Mitte der siebziger Jahre Hitlergeburtstagsfeiern, Sammeln von faschistischen Symbolen, Überfall auf Schwulen-Klappen,Harkenkreuz-Schmierereien an sowjetischen Ehrenmalen, wie auch Auseinandersetzungen mit Wolgadeutschen, sowjetischen Soldaten und afrikanischen ArbeiterInnen bekannt. Es waren meistens spontane Überfälle, Möglichkeiten zur Organisation von rechten Jugendlichen waren kaum gegeben. Die Hauptabteilung XX des MfS registrierte in den Jahren 1978/1979 insgesamt 188 Fälle von schriftlicher staatsfeindlicher Hetze mit „faschistischem Charakter.
In den siebziger Jahren waren die Fußballfans und Jugendclubs bunt gemischt. Fußballspiele waren die einzigen Orte, wo eigene Fahnen, Symbole und Sprechchöre ohne Repressionen viele Leute erreichten. Es gab regelmäßig Prügeleien mit der Polizei und dem gegnerischen Fanblock. Anfang der achtziger Jahre wurde der Fanblock des 1. FC Union Berlin vom Ministerium für Staatssicherheit mehrheitlich als von „Assozialen und Chaoten“ unterwandert eingeschätzt. Ab 1981/1982 verstärkte sich der Einfluß faschistischer Ideologie in den Fußballstadien der DDR. Das nötige Propagandamaterial und die jeweiligen Kleidungsstücke kamen aus dem Westen von ausgereisten DDRlern oder Naziorganisationen. Die Nationalistische Front (NF) unterstützte so den Fanblock des Stasi-Fußballclubs BFC Dynamo, die Jungen Nationalen (JN) unterstützten den Fanclub des 1. FC Union Berlin. In den Fußballstadien kam es zu Sprechchören, wie „Wir machen Judenverbrennung“, „Hängt ihn auf, das schwarze Schwein“, „Gib Gas, gib Gas wenn der… durch die Gaskammer rast“, „Fußball in der Mauerstadt, Union spielt jetzt hinter Stacheldraht– was Neues in der DDR der BFC ist jetzt der Herr- Zyklon B für Scheiß Union – in jedem Stadion ein Spion- selbst Ordner sind in der Partei – Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei“ (gesungen nach der Melodie des bekannten Fehlfarben-Songs).
Am 28. 2. 1982 kam es nach dem Fußballspiel Motor Hennigsdorf gegen FC-Union Berlin zu antisowjetischen Ausschreitungen, als auf dem Bahnhofsgelände ein sowjetischer Militärtransport einen Aufenthalt hatte. Nach Buh-Rufen kam es zu Beschimpfungen und Gesängen wie „Ras, dwa, tri, – Russkis werden wir nie“. Es hagelte Steinwürfe auf sowjetische Soldaten und ein Militärfahrzeug wurde zerstört. Solche Aktionen brachten Symphatie bei vielen Jugendlichen, aber auch älteren Menschen.
Nach Erkentnissen der Hauptabteilung Kriminalpolizei lautete es zu der Zeit, Anfang der 80er: ,Seit 1981 treten sichtbare Elemente nationalistischer und neofaschistischer Ideologie in Erscheinung. Den Personen galt als Symbol des Angriffzieles- faule, stinkende, anarchistische Punks, Ausländer, Gruftis, Homosexuelle und Menschen jüdischen Glaubens bzw. ihre Objekte. Im Feld weitestgehenden öffentlichen Schweigens entfalten Skinheadgruppen ein sendungsbewußtes Eigenleben,gekennzeichnet von erfolgreichem Bemühen um Anhangsgewinn in allen Territorien und den Aufbau konspirativer Strukturen.
Gründungen von faschistischen Kadergruppen, wie der „Wehrsportgruppe Bitterfeld“, die sich 1983 gegründet haben soll, wurden nur sporadisch bekannt. 1986 gründeten Lichtenberger rechte BFC-Hooligans die „LICHTENBERGER FRONT“ und 1988 die „BEWEGUNG 30. JANUAR“ – beide hatten engen Kontakt zur FAP. 1988 gründeten ältere Personen, vereinzelt aus staatlichen Organisationen kommend in Wolgast die „SS-DIVISION WALTER KRÜGER“. In Blankenhain ernannte sich eine Gruppe Anfang 1989 zu „GRAUE WÖLFE“, mit der Forderung „Blankenhain muß Negerfrei werden“.
In der Gesellschaft und den Medien wurde das Thema Rechtsradikalismus erst ab dem Überfall auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche 1987 wahrgenommen. Auch das MfS erstellte erst nach dem Überfall eine Übersicht über die in der DDR existierenden Gruppen.
Am 17.10.1987 stürmten 30 organisierte Nazis Skinheads nach dem Konzert der Musikgruppen „Element of Crime“ und „Firma“ die noch halbvolle Zionskirche. Den Überraschungseffekt ausnutzend prügelten sie auf die Leute ein, die gerade aus einer Tür den Raum verlassen wollten. Dabei riefen sie „Sieg heil“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“. Die Polizei beobachtete nur und griff nicht ein. Auf dem „Nachhauseweg“ schlugen die Naziskins mehrere Männer vor einer Schwulenklappe zusammen.
Nachdem die westlichen Medien darüber berichteten, kirchliche Gruppen protestierten, sich eine Antifa-Gruppe bildete und nicht zuletzt als klar wurde, daß sich mehrere Westberliner Faschisten am Überfall beteiligt hatten, reagierten die DDR- Presse und die Volkspolizei.
Beteiligte wurden festgenommen und im Dezember 1987 zu 1,5 bis 4 Jahren Haft verurteilt. Danach wurden in schneller Folge auch andere faschistische Überfalle bekannt:
22.3.1987 Zusammenschlagen eines NVA-Angehörigen durch sechs Skinheads in Berlin-Marzahn,
29.3.1987 Zusammenschlagen von Punks durch Naziskinheads in einem Bungalow in Berlin-Hellersdorf,
11.9.1987 Zusammenschlagen mocambiquanischer Menschen in Dresden,
31.10.1987 Ausschreitungen im Anschluß an einer Tanzveranstaltung in Velten (Potsdam), Besucher wurden verletzt, die Gaststätteneinrichtung wurde zerstört und danach gab es eine Auseinandersetzung mit der Polizei.
Im Zeitraum vom 1.10.1987 bis 20.1.1988 wurden durch das MfS und der Kriminalpolizei insgesamt 40 Strafverfahren gegen 108 rechte Jugendliche eingeleitet, davon gingen 94 Personen in Haft. 1988 wurden 185 faschistische Straftaten registriert und 44 Ermittlungverfahren eingeleitet.
Im Jahre 1989 wurden 300 „rechte“ Straftaten registriert und 144 Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die meisten faschistischen Aktionen wurden aber nicht registriert. Viele Ausländer brachten rassistische Übergriffe gar nicht zur Anzeige. Meistens hieß es von den ,Betreuern“, daß sie sich eben an bestimmten Orten nicht aufhalten sollen. Nur Pech, daß sich in vielen Städten die Ausländerwohnheime in den Neubauvierteln also gerade dort, wo rechte Jugendgruppen am stärksten präsent waren – befanden.
Offiziell wurde als Begründung für die Existenz faschistische Gedankenguts in einem „realsozialistischem – antifaschistischem Staat“ natürlich der negative Einfluß aus dem Westen an erster Stelle genannt. So hieß es bezeichnend in einer Einschätzung der Hauptabteilung XX des MfS vom 2.2. 1988: „Wirkungserscheinungen der politisch-ideologischen Diversionen des Gegners zeigen sich auch nach wie vor in der Herausbildung, Existenz und Profilierung von Zusammenschlüssen negativ-dekadenter Jugendlicher. Kennzeichnend für die politische Entwicklung in der BRD und anderen Ländern Westeuropas, wie auch Westberlins ist, daß sich der Einfluß rechtsextremistischer Kräfte auf Jugendliche verstärkt hat und weiter zunimmt. Rechtsextremistische Vereinigungen der BRD versuchen verstärkt, Skinheads, Rockgruppen und jugendliche Fußballfans auf neonazistische Ziele auszurichten. Diese Aktivitäten der rechtsextremistischen Vereinigungen in der BRD blieben nicht ohne Auswirkungen auf Entwicklungstendenzen unter negativ-dekadenten Jugendlichen in der DDR, insbesondere durch die Reisetätigkeit von Skinheads aus dem Operationsgebiet in die DDR.“
Von dieser rechten Entwicklung waren sowohl die staatlichen Institutionen, als auch die meisten Oppositionsgruppen völlig überfordert. Mit Erklärungsversuchen und Alternativen wurde es sich in den bürgerlich-kritischen Gruppen ziemlich einfach gemacht: Realsozialistische Verhältnisse sind nicht gefeit gegen die Entwicklung faschistischen Gedankengutes und faschistischer Gruppierungen, denn faschistische Ideologie ist flexibel genug, um auch unter spezifisch realsozialistischen kleinbürgerlichen und bürokratischen Bedingungen ihren Nährboden zu finden. Die entscheidende Antwort auf aufkommende faschistische Bewegungen sei darum die Demokratisierung.
1988/89 entstanden in mehreren Städten der DDR Antifa-Gruppen, die zumeist aus Leuten der Offenen Arbeit bestanden. In der kirchlichen Jugendarbeit wurden Versuche der Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen gestartet, was gerade in Berlin mit Konflikten und Prügeleien endete, da Punks und rechte Skinheads die gleichen Räume benutzten.
Die Ursachenforschung des Staates wurde neben dem MfS und der Kripo vom Jugendforschungsinstitut in Leipzig und an der Humboldt-Universität in Berlin durchgeführt Die Ergebnisse und Schlußfolgerungen kamen nie in die Öffentlichkeit. Bei der Kriminalpolizei wurden die Strafverfahren ausgewertet und analytisch aufgearbeitet.
In einer vorliegenden Studie wurden dazu verwendet:
Beschuldigtenvernehmungen, Zeugenvernehmungen, Protokolle von Hausdurchsuchungen, Beurteilungen von Arbeitskollektiven, Leitern von Schulen, Jugendhilfe, Verhandlungsprotokolle von einer Personengesamtheit 596 rechter Personen im Zeitraum Oktober 1987 bis 1989.
Daraus ergaben sich folgende Kommunikationsinhalte informeller rechter Gruppen:
-Ausländer in der DDR
-Geschichte der Teilung Deutschlands in Folge des 2. Weltkrieges
-Alleinvertretungsanspruch der BRD für das deutsche Volk
-Geschichte des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges
-Arbeitsdisziplin und Organisation im Alltag
-Schlamperei und Vergeudung in der Wirtschaft
-Reiseprobleme und Versorgung mit Konsumgütern
-Probleme mit der Währung der DDR
-Antikommunismus
-sozialpsychologische Aspekte der Massenmanipulation
Die Analyse der sozialen Zusammensetzung rechter Gruppen ergab, daß deren Mitglieder 78% Arbeiter oder Lehrlinge waren. Die Klassenzugehörigkeit der Eltern bestand aus 47% Arbeitern und aus 24% Intelligenz (dabei muß berücksichtigt werden, daß in der DDR Mitarbeiter des Staatsapparates und der bewaffneten Organe ebenfalls zur Klasse der Arbeiter gerechnet wurden).
Nach Altersstruktur aufgeschlüsselt: unter 18 Jahren 15%, 18-21jährige – 60%, 22-25jährige – 22%.
Als Gründe für die eigene rassistische Haltung der rechten Gruppen wurden genannt:
„Ausländer nehmen den DDR-Bürgern Wohnraum weg, reduzieren durch spekulative Käufe das Industriewarenangebot, schleppen AIDS in die DDR ein, behandeln jede
Frau wie eine leicht käufliche Prostituierte, spielen mit ihrer konvertierbaren Währung den dicken Max; ohne dafür ein wirkliches Äquivalent erbracht zu haben, sind auf Krawall und Randale aus, ihnen wird in der Öffentlichkeit und in den Arbeitsstätten allerorts Zucker in den Hintern geblasen.“
An dieser rassistischen Argumentation schloß sich sofort die Kritik an der Haltung der DDR-Regierung an, die dieses alles erst möglich gemacht hätte. Da man keinen Einfluß auf diese Politik ausüben könne, müsse man es eben am „Objekt“ selbst versuchen.
Am Ende der Studie hieß es. ‰Wir haben es mit einer DDR-spezifischen Modifikation eines allgemeinen Problems der Auseinandersetzung mit Sozialismus und Demokratie zu tun. Die Sozialstrukturanalyse beweist, daß die tragenden sozialen Kräfte vorerst aus der jungen Arbeiterklasse kommen und durch bisher nicht identifizierte Schichten-Vertreter der Bevölkerung Unterstützung finden.“ Das klingt doch wesentlich anders als es der damalige Mitverfasser der Studie, Bernd Wagner, heute formuliert: “ Dem Ursprung nach handelt es sich um spontane Reaktionen auf die wirtschaftliche und soziale Stagnation in der DDR…“