Dieser Beitrag soll sich mit dem Antizionismus und Antisemitismus in der DDR beschäftigen. Dabei scheinen, gerade wegen der Abwehrreaktionen, die insbesondere Vertreter der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS bei der Behandlung von Tabu-Themen zeigen (z.B. in der Tageszeitung junge welt vom 25. u. 26.09.1998), einige Vorbemerkungen notwendig. Viele von uns erinnern sich ganz bestimmt noch gut an ein Argument der SED-Dogmatiker, mit dem sie versuchten, Kritik zu unterdrücken: Kritik, erst recht veröffentlichte, und Diskussionen arbeiten dem Klassenfeind in die Hände und können deshalb nicht zugelassen werden.
Auf der einen Seite stehen die unermüdlichen Bemühungen des Staates BRD und seiner Beamten, die DDR zu delegitimieren. Das hat verschiedene Gründe, denen jetzt und hier nicht nachgegangen werden soll. Klar ist jedoch, daß die ideologische These vom Totalitarismus eine analytische, folglich differenzierende Auseinandersetzung mit Geschichte verhindert. Wenn beispielsweise die beauftragte Behörde für die Stasiunterlagen neue Erkenntnisse veröffentlicht, so z.B.: „Hunderte rechtsextreme Delikte in der Nationalen Volksarmee“ (Tageszeitung Tagesspiegel vom 24.09.1998), geht es ihr kaum um „Aufklärung“, sondern es geht ihr darum, die Medienmaschine zu festgelegten Zeiten mit vorsortierten Meldungen anzutreiben.
Auf der anderen Seite sind wir sicher, daß es unbedingt notwendig ist, sich mit bestimmten, für den einen oder die andere unangenehmen Themen kritisch auseinanderzusetzen. Wir brauchen diese Auseinandersetzung mit Fehlern und Schwächen der linken Bewegung, um uns letztlich selbst zu stärken.
Neuanfang
1946/47 und in den folgenden Jahren kehrten einige tausend Juden aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland zurück, ein Teil davon aus politischen Motiven in die Sowjetische Besatzungszone.
Z.B. Romy Silbermann: „Wir baten sofort nach Kriegsende darum, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, und zwar bei der sowjetischen Besatzungsmacht, denn für uns kam nur ein sozialistisches Deutschland in Frage … Ich glaubte als Deutsche, als Kommunistin, als Humanistin, daß dort in Berlin mein Platz war. Ich dankte … Palästina und dem jungen Staat Israel, daß sie mir die Möglichkeit zum Überleben gegeben hatten. Ich beschloß, so schnell wie möglich nach Berlin zurückzukehren … Ich kam nicht zurück, weil ich verzeihen wollte … ich wollte meinen Teil dazu beitragen, ein anderes Deutschland erstehen zu lassen. Das Deutschland, für das ich erzogen worden war.“ /1/
1947/48 gab es seitens der „Ordnungskräfte“ widersprüchliche Reaktionen darauf: Teilweise wurde keine Einreise gewährt, teilweise der Arbeitsort und der Wohnort zugewiesen und mit Auflagen versehen. Diese Reaktionen hatten zum überwiegenden Teil keine antisemitische Grundlage, ursächlich war das generelle Mißtrauen gegenüber denen, die im Westen (d.h. alle Länder außer der Sowjetunion) in der Emigration waren.
Am 04.05.1948 wurde der Staat Israel gegründet. Am 14.05. wurde die Unabhängigkeits-Proklamation veröffentlicht (zeitgleich begann der erste Israelisch-Arabische Krieg). Auch in der Jüdischen Gemeinde Dresden fand zur Staatsgründung eine Feierstunde statt, bei der auch Vertreter der Landesleitung der SED zur Gratulation anwesend waren.
Am 12. Juni 1948 gab die Presseabteilung des ZK der SED eine Information heraus, die die damalige pro-israelische Einstellung der sowjetischen Regierung verdeutlicht, unter deren Einfluß sie stand:
Information der Abt. Werbung u. Presse des ZK der SED am 12. Juni 1948:
„Im Kampfe um Palästina stoßen gewaltige Interessen des angloamerikanischen Imperialismus zusammen … Die jüdische werktätige Bevölkerung kämpft um ihre Heimstätte. … Der Kampf der jüdischen Werktätigen in Palästina ist ein fortschrittlicher Kampf. Er richtet sich nicht gegen die werktätigen Massen der Araber, sondern gegen deren Bedrücker. Er findet die Unterstützung der Sowjetunion und der gesamten fortschrittlichen Menschheit.“
Auch am 8. Mai hatte der SED-Pressedienst eine projüdische Meldung zu den militärischen Auseinandersetzungen veröffentlicht:
Meldung des SED-Pressedienstes vom 8. Mai 1948: „Die Jewish Agency und die Haganah (jüdische Selbstverteidigung) ließen sich jedoch von dem hinterhältigen Verhalten der USA-Imperialisten nicht beirren. Seit Monaten waren bereits heftige Kämpfe zwischen den Kräften der Haganah und der Arabischen Legion im Gange, die weitere 2.400 Todesopfer u. 5.100 Verletzte kosteten. Der Jewish Agency und der Haganah blieb infolgedessen keine andere Alternative, als entweder vor der Arabischen Legion, die vorwiegend aus faschistischen Elementen zahlreicher Nationalitäten zusammengesetzt ist und die zum Teil unter der Führung von deutschen SS-Leuten der Rommel-Armee steht, zu kapitulieren oder alles daran zu setzen, um die Teilung Palästinas und damit den Beschluß [der UNO – T.L.] aus eigener Kraft durchzuführen … Es kam nun darauf an, dieses Land auch zu halten.“
Für kurze Zeit hatte die Sowjetunion mit der Rede von Andrej Gromyko im November 1947 vor der UNO die alte antizionistische Kominternlinie aufgegeben. Im Herbst 1948 allerdings schwenkte sie wiederum auf diese alte Linie ein. Dies hatte innen- wie außenpolitische Gründe. Die SED folgte diesem alten Kurs bis 1989: „Unter bewußter Mißachtung der von der UN beschlossenen Regelung des Palästina-Problems wurde 1948 durch einen Gewaltakt das künstliche Staatsgebilde Israel geschaffen.“ /2/
Die SED sah sich in der Tradition der Arbeiterbewegung, in der die Aufhebung des Klassenwiderspruches sozusagen wie von selbst die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus erledigt, da dieser dann „mit der Wurzel ausgerottet“ sei und alle Menschen zu gleichberechtigten Gesellschaftsmitgliedern werden.
Der vorbereitete Prozeß
Bereits 1950 setzten die ersten „Säuberungen“ in der DDR ein, nachdem in ganz Osteuropa eine von Stalin und seinen Getreuen inszenierte Prozeßwelle angelaufen war. Beginnend in Albanien, dann in Bulgarien, anschließend in Ungarn, hatten Schauprozesse gegen „Agenten und Saboteure“ stattgefunden. Von der ersten Welle betroffen waren in der DDR vor allem Juden. Sie wurden aus der SED ausgeschlossen und/oder verloren ihre Arbeit und/oder ihre Funktionen, z.B.: Bruno Goldhammer (früher KPD-Funktionär, Intendant des Berliner Rundfunks), Leo Bauer (Chefredakteur beim Deutschlandsender), Lex Ende (ehemal. Chefredakteur des ND), Rudolf Feistmann (Redakteur Außenpolitik des ND), Alexander Abusch, Wolfgang Langhoff, Jürgen Kuczynski und viele andere jüdische Kommunisten.
Schon im Zusammenhang mit den Überprüfungen der Parteikontrollkommissionen im Frühjahr 1950 wurde bei den Westemigranten gesondert die jüdische Herkunft vermerkt. Im Januar 1952 wurde die SED-Führung durch die Sowjetische Kontrollkommission (SKKD) aufgefordert, alle Juden zu registrieren und Erich Mielke als damaliger Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit angehalten, eine solche Kartei anlegen zu lassen. /3/4/ Der Staat verfügte auch über Gemeindemitgliederlisten. /5/ Diese Unterlagen konnten dann genutzt werden, als es 1952/53 darum ging, Juden und Emigranten, die aus „westlichen“ Ländern zurückgekehrt waren, u.a. mit dem „Kosmopolitismus“-Vorwurf zu Parteifeinden zu erklären.
Meyers Neues Lexikon, VEB Bibliograph. Institut Leipzig, 1963: „Kosmopolit: 1. im 18. Jh. aufgekommener Begriff für „Weltbürger“ im Sinne der Aufklärung; heute unter Bedeutungswandel Anhänger des Kosmopolitismus. – 2. Pflanzen- und Tiergeographie auf der ganzen Erde, an zusagenden Standorten, verbreitete Art; ökologisch sehr anpassungsfähig … Kosmopolitismus: 1. unwissenschaftliche, äußerst reaktionäre Ideologie der imperialistischen Bourgeoisie, die in verschiedenen Spielarten auftritt. Der K. verlangt den Verzicht auf das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, auf staatliche Unabhängigkeit und Souveränität … Er wird bes. vom amerikanischen … Imperialismus propagiert, deren Expansionsbestrebungen er apologetisch mit „allgemein menschlichen Interessen“ zu verschleiern sucht. Der K. ist eine demagogische, historisch unwahre Kritik der angeblich „überlebten“ und „egoistischen“ Ideen der nationalen Souveränität … Die Kehrseite des K. ist der bürgerliche Nationalismus. K. und Nationalismus sind dem proletarisch-sozialistischen Internationalismus und Patriotismus völlig entgegengesetzt … 2. Vorkommen einer Pflanzen- oder Tierart auf der ganzen Erde …“.
Meiner Meinung wurde das Wort „Kosmopolit“ als Synonym für Jude benutzt. So wurde der Kosmopolitismus zur verwerflichen Ideologie, derer sich vor allem Juden bedienten!
Bereits 1948 wurde das im Jahre 1942 gegründete „Jüdische Antifaschistische Komitee“ in der Sowjetunion aufgelöst, seine Mitglieder Anfang 1949 verhaftet und 15 von ihnen im Juli 1952 hingerichtet.
Vom 20. – 27. November 1952 fand in Prag der „Prozeß gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slansky an der Spitze“ statt, von den 14 Angeklagten waren 11 Juden. Sie wurden angeklagt des Hochverrats, der Spionage, Sabotage und des Militärverrats, und wurden „als trotzkistisch-titoistische, zionistische, bürgerlich-nationalistische Verräter“ bezeichnet. Sie gehörten fast alle der Partei- und Staatsführung an. Sie waren bereits 1951 verhaftet worden, drei bekamen lebenslänglich, die anderen wurden hingerichtet. (1963 wurden die Urteile aufgehoben.)
Im Dezember 1952 hielt Klement Gottwald (Rückkehrer aus dem sowjetischen Exil, Vorsitzender der KPC und Staatspräsident) ein Referat zum Slansky-Prozeß. Darin glaubte er noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen zu müssen, daß die „Entlarvung“ und „Ausmerzung“ der „imperialistischen Agentur“ des Zionismus in der CSR nichts mit Antisemitismus oder Rassenwahn gegen Juden zu tun hat. /6/ Es wurde versucht, den Unterschied deutlich zu machen. /7/
Um sich gegen den Antisemitismus-Vorwurf zu schützen, bemühte man sich, auch unterstützende Statements von Juden einzuholen, ein auch in der Bundesrepublik nicht unübliches Verfahren.
Schreiben der Abteilung Propaganda der Leipziger Volkszeitung an Helmut Looser vom 10. Dezember 1952: „Werter Genosse Looser [Helmut Salo Looser war Vorsitzender der Leipziger Gemeinde-T.L.] … Wir halten es im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozeß für wichtig, wenn eine leitende Persönlichkeit der jüdischen Gemeinde zur Frage des angeblichen „Antisemitismus“ in der CSR Stellung nimmt und bitten Dich, für uns einen entsprechenden Artikel zu schreiben. Die Linie des Artikels findest Du in dem beiliegenden Artikel aus dem Pressedienst. … Es kommt vor allem darauf an, die Agenten Israels, die Agenten des internationalen Zionismus und die Lüge vom „Antisemitismus“ in der CSR zu entlarven. Man muß nachweisen, daß die Zerschlagung der Slansky-Bande kein antisemitischer Akt, sondern im Gegenteil ein Schlag gegen die amerikanischen Rasse- und Pogromhetzer war. Ein Sieg der Slansky-Bande hätte die Errichtung des Faschismus in der CSR bedeutet …“ usw. /3/ Looser übrigens zog der Loyalität gegenüber Staat und Partei und seiner möglichen Verhaftung die Flucht in den Westen vor.
Drei Wochen nach dem Prozeß in Prag veröffentlichte das ZK der SED die „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“. (Das Gerichtsprotokoll erschien Anfang 1953 in deutscher Übersetzung in großer Auflage /8/9/.) Eine der Lehren war, Juden als Angestellte von Stadt- und Bezirksverwaltungen zu entlassen, nicht weil sie Juden waren, aber weil sie möglicherweise zionistische Agenten waren.
Zur Vorbereitung von Verhaftungen in der DDR wurden die Kaderunterlagen der „Genossen jüdischer Abstammung“ überprüft. /3/4/ Es fanden Hausdurchsuchungen in den Räumen Jüdischer Gemeinden und bei Personen statt, gegen die offensichtlich die Absicht bestand, Prozesse zu führen. Vorsitzende der Gemeinden wurden verhört und mehrere Juden zur Vorbereitung eines entsprechenden Prozesses in der DDR verhaftet z.B.: Bruno Goldhammer, Hans Schrecker (Vorsitzender der Nationalen Front in Sachsen), Leon Löwenkopf (früher Funktionär in der SPD, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und Präsident der Sächsischen Notenbank).
Zahlreiche Politiker flüchteten nach ersten Verhören, um Verhaftungen vorzukommen, z. B. Leo Zuckermann (zeitweilig als Staatssekretär Chef der Kanzlei des Präsidenten W. Pieck), Julius Meyer (Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden, Volkskammerabgeordneter, VVN-Mitglied) mit ihnen auch die meisten Gemeindevorsitzenden. Sie wurden nachträglich aus der VVN ausgeschlossen und zu zionistischen Agenten und Verrätern erklärt. Paul Merker, Nichtjude, wurde wegen seiner Forderung nach „Wiedergutmachung“ als „Subjekt der US-Finanzoligarchie“ beschimpft. 1918 USPD-, 1920 KPD-Mitglied, 1926 ZK-, 1928 Politbüro-Mitglied, war Merker 1946 aus dem mexikanischen Exil zurückgekehrt, wurde Mitglied des ZK und des Politbüros der SED, 1950 aus der SED ausgeschlossen, 1952 verhaftet und in einem Geheimprozeß erst im März 1955 (!) verurteilt (1956 entlassen und rehabilitiert).
Beschluß des ZK der SED zu Paul Merker: „Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß Merker ein Subjekt der USA-Finanzoligarchie ist, der die Entschädigung jüdischen Vermögens nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. Das ist die wahre Ursache seines Zionismus.“
Merker habe auch die Haltung des kleinbürgerlich-opportunistischen „Bund“ vertreten, der statt der Assimilation der Juden ihre national-kulturelle Autonomie forderte. Auf die Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten, Bundisten u. Zionisten soll hier nicht eingegangen werden.
Unter Zionismus verstanden die DDR-Propagandisten eine national-chauvinistische Ideologie der jüdischen Bourgeoisie. Er sei eine Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung. Er habe die reaktionäre Idee von der jüdischen Gemeinschaft entwickelt, die die Klassenfrage ignorierte, um das jüdische Proletariat vom revolutionärem Klassenkampf abzulenken und die Lösung der sog. Judenfrage in der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates zu sehen. Natürlich konnte eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Strömungen des Zionismus, auch des sozialistischen Zionismus, nicht erfolgen, da es mit Ideologie nicht zu vereinbaren ist, differenzierte Auffassungen über politische Gegenstände zu entwickeln.
Am 13. Januar 1953 meldete die Prawda: „Agenten der internationalen bürgerlich-nationalistischen jüdischen Organisation ‚Joint‘, die vom amerikanischen Nachrichtendienst gegründet worden ist … abscheuliche Spione und Mörder in der Maske von Professoren und Ärzten … hatten sich zum Ziel gesetzt … das Leben aktiver öffentlicher Persönlichkeiten der Sowjetunion zu verkürzen.“ In dem sich anbahnenden neuen Prozeß wurde ein Vorspiel zu neuen massiven Säuberungen gesehen. /10/11/12/
Nicht nur die russischen Juden lebten in Angst. Es lag in der Luft, daß die DDR hinter dem ideologischen Vorbild nicht zurückbleiben wollte. Es gab zahlreiche Verhöre. Es setzte eine große Fluchtbewegung ins Ausland ein, so daß von ungefähr 5.000 Juden (1947) nur ca. 1.500 übrig blieben /13/ (abweichende Zahlenangaben: 900 Juden, von ca. 2.600 Gemeindemitgliedern, verließen die DDR). Juden, die z.T. bei ihrer Rückkehr bewußt die Sowjetische Besatzungszone gewählt hatten.
Im März 1953 starb Stalin und wenig später kam aus Moskau die Weisung zur Einstellung der Repression. Da aber viele Juden die DDR bereits verlassen hatten, sollten die Gemeinden sich davon nicht mehr erholen.
Wie in den anderen Ländern Osteuropas ging es bei den Prozessen darum, eigene Machtpositionen zu festigen und kritische Stimmen einzuschüchtern oder auszuschalten.
Anfang 1956 fand der XX. Parteitag der KPdSU statt, mit Stalin und dem Stalinismus wurde sich zeitweilig kritisch auseinandergesetzt. Im Zusammenhang mit den Prozessen wurde in der Sowjetunion von offizieller Seite von „antijüdischen Handlungen“ gesprochen. /15/
Juden blieben in der DDR unter Beobachtung, da sie offensichtlich einen Unsicherheitsfaktor für den Staat und einige seiner Funktionäre darstellten; die Begründung war, sie seien sozial nicht mit der Arbeiterklasse verbunden, da sie zumeist kleinbürgerlichen Schichten entstammten, sie hätten überall im Westen Verwandte und Bekannte und bildeten daher für den Klassengegner sehr geeignete Ansatzpunkte. /4/
„Schade um jede Mark“ – die Ablehnung von „Wiedergutmachung“
Nur im Land Thüringen wurde im September 1945 ein „Wiedergutmachungsgesetz“ verabschiedet. Die anderen Länder der Sowjetischen Besatzungszone folgten Thüringen nicht. Eine Übernahme in die DDR-Gesetzgebung fand 1949 nicht statt. Selbst Siegbert Kahn, der 1948 eine kleine Schrift veröffentlichte /14/, aus der später immer wieder gern zitiert wurde (sozusagen die Parteirichtlinie, wenn es um Antisemitismus ging), hatte die Wiedergutmachung für die an den Juden begangenen Verbrechen gefordert. Ulbricht dagegen soll gesagt haben: Da die Opfer des Faschismus die entscheidenden Träger dieses Staates sind, wäre es doch lächerlich, wenn sie sich selbst eine Wiedergutmachung zahlen wollten. Und die Juden? Nun, wir waren immer gegen die jüdischen Kapitalisten genauso wie gegen die nichtjüdischen. Und wenn Hitler sie nicht enteignet hätte, so hätten wir es nach der Machtergreifung getan.
Bei der „Wiedergutmachung“ ging es eigentlich um Restitution, Reparation, materielle Entschädigung für geraubtes („arisiertes“) Eigentum. Manche verstanden darunter irrtümlich „Wiedergutmachung“ für Mord und Folter, physisches und psychisches Leid.
Die SED sah die DDR als antifaschistischen Staat nicht in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches, für „Wiedergutmachung“ empfand sie deshalb keine Verpflichtung. Zudem würde den in der DDR lebenden ehemals verfolgten Juden Hilfe und Unterstützung gewährt. In anderem Zusammenhang erklärte sie, die DDR hätte die ihr von den Alliierten auferlegten Reparationen abgeleistet. Natürlich ein Widerspruch: Warum sollte man Reparationen zahlen, wenn die eigene Bevölkerung mit der Vergangenheit, den Verbrechen des NS-Staates nichts zu tun hat? Die Mitläufer und Faschisten hatte man längst alle (ideologisch) nach Westdeutschland geschickt, wenn sie nicht selbst schon geflüchtet waren. Die 16 Millionen in der DDR brauchten sich diesbezüglich keine Fragen mehr zu stellen, sie hatten in der Mehrheit das Identifikationsangebot angenommen und so schon immer zu den Gegnern des faschistischen Systems gehört. Der Faschismus war im DDR-Geschichtsbild das Werk „der reaktionärsten und aggressivsten Teile des deutschen Finanzkapitals“, diese hatten deshalb ausschließlich die Verantwortung zu tragen. Die Arbeiterklasse war unterdrückt und terrorisiert, daß deutsche Volk mißbraucht, verführt, belogen und betrogen worden, sozusagen Opfer des Nationalsozialismus. So war die deutsche Bevölkerung der DDR von Verantwortung für die NS-Verbrechen und der Auseinandersetzung mit dieser ausgenommen.
Im Jahr 1976 wollte das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer bedürftigen US-Bürgern jüdischen Glaubens, die vom Naziregime verfolgt wurden, aus humanitären Gründen eine einmalige finanzielle Unterstützung gewähren. Dabei handelte es sich insgesamt um eine Million Dollar. Die „Conference on Jewish Claims against Germany“ lehnte ab. (Die Bundesrepublik soll bis zu diesem Zeitpunkt ca. 25 Milliarden Dollar gezahlt haben.) Die DDR hatte mit dem Angebot jedoch zum erstenmal auch ihre Verantwortung für eine „Wiedergutmachung“ anerkannt.
In den 50er und 60er Jahren wurde immer gegen die Zahlungen der Bundesrepublik polemisiert, sie wurden als versteckte Militärhilfe für Israel, als Unterstützung für die Aggressoren dargestellt, insbesondere gegenüber den arabischen Staaten.
Mitte der 60er Jahre warb die DDR vehement um die arabischen Staaten und ihre Staatsmänner. Mit deren Hilfe sollte es gelingen, die Hallstein-Doktrin (automatischer Abbruch diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu Staaten, die die DDR anerkennen) zu durchbrechen, um eine wachsende internationale Anerkennung zu erreichen. Ende der 60er Jahre begannen tatsächlich die Anerkennung der DDR und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Gern übernahm die staatliche Nachrichtenagentur ADN Meldungen aus arabischen Quellen. So fanden sich unzählige kommentarlose Meldungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Z.B. forderte im „Horizont“, der außenpolitischen Zeitung der SED, 1969 der Präsident der Republik Irak (Ahmed Hassan Al Bakr) die „Ausrottung des bösartigen zionistischen Tumors mit seinen Wurzeln“. Unkommentierte antizionistische Propaganda nährte so erneut antisemitische Ressentiments und Vorurteile. Den Zionisten und Israel widmete sich der Propagandaapparat dabei intensiver und häufiger, als „anderen imperialistischen Staaten“.
So stellte Nahum Goldmann (1938 bis 1977 Präsident des Jüdischen Weltkongresses) 1976 in einem Gespräch fest: „Von allen kommunistischen Staaten verhält sich die DDR zweifellos am feindseligsten gegenüber Israel, und ihre Presse ist überaus aggressiv.“ /15/
Die Gemeinden und ihre Vertreter haben sich immer geweigert, Israel öffentlich zu verurteilen. Die Antizionisten haben in ihrer Neigung zur Vereinfachung nie begriffen, daß dies nicht einschloß, die Politik Israels gegenüber den Palästinensern unkritisch zu sehen. Wie mit widerständigen Juden umgegangen wurde, die gegen die immer schamlosere antiisraelische Propaganda auftraten, beschreibt Peter Maser am Beispiel von Eugen Gollomb, einem „verdienten Kämpfer gegen den Faschismus“, Auschwitzhäftling, Partisan und Offizier in der polnischen Volksarmee, Vorsitzender der Leipziger Gemeinde von 1967-1988. /16/
Antisemitismus – Ja und Nein
Natürlich fand man auch immer Juden, die die Ansichten von SED und Politbüro praktisch jüdisch bekräftigten und die gleichen Argumentationslinien vertraten. Die Aussage, es gebe keinen Antisemitismus, weil er „in der DDR mit seinen ökonomischen Wurzeln ausgerottet worden“ sei, wurde jedoch nicht dadurch wahrer, daß sie ein Jude aussprach. Mit der Zunahme antisemitischer Vorfälle wurden auch ehemals staatsloyale oder eher zurückhaltende Gemeindemitglieder und Nichtmitglieder in ihrer Kritik in den späten 70er und vor allem in den 80er Jahren immer deutlicher.
Während Peter Kirchner (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Ostberlin) 1974 in einem Interview sagte, daß Juden in der DDR in einer Gesellschaft leben, in der Antisemitismus ausgerottet ist /17/, mußte er 1985 in einem Interview feststellen: „…daß auch wir nicht mehr herum können, die hautnahe Verwandtschaft dieser antiisraelischen Einstellung zum traditionellen Antijudaismus festzustellen. Wenn ein heranwachsender Jugendlicher fast täglich – aus politischen Gründen – mit negativen Daten über die israelischen Juden gefüttert wird, kann er kaum umhin, diese negative Zeichnung auch auf die Juden in seiner Umgebung zu übertragen. Wir haben diese Befürchtungen auch gerade jetzt wieder dem Staatssekretär für Kirchenfragen mit Nachdruck vorgetragen und die Bitte geäußert, den historisch-kulturellen Anteil der Juden an der deutschen Geschichte besser hervorzuheben, um ein objektiveres Bild von den Juden zu vermitteln.“ /18/
Über antisemitische Vorfälle wurde selbstverständlich nicht in den Medien berichtet. Beispielsweise seien hier die gelegentlichen Friedhofsverwüstungen genannt: Zittau 1947, Berlin 1953, Berlin 1971, Dresden 1973, Zittau 1974, Potsdam 1975, Dresden 1977, Berlin 1977, 1978, 1988 – eine mit Sicherheit unvollständige Aufzählung. Allerdings sind diese Beschädigungen und Schmierereien im Vergleich zu der Vielzahl der antisemitischen Ausfälle in der Bundesrepublik in ihrer Zahl fast unbedeutend. Es protestierten jedoch auch hier, wie in der Bundesrepublik, fast immer zuerst die Juden, als sei der Antisemitismus nicht vor allem eine Angelegenheit der Nichtjuden. In der SED-Bezirks-„Berliner Zeitung“ tauchte in Jahresabständen immer mal wieder ein karikierter Jude – im Dezember 1985 ganz in Stürmermanier mit Hakennase – auf, als israelischer Siedler oder Soldat in den besetzten Gebieten. Den Protesten folgten Entschuldigungen. Die Konsequenzen für den Karikaturisten oder Journalisten, den Hakenkreuz- und „Jude verrecke“-Schmierer, waren, wenn sie überhaupt öffentlich wurden und zur Anzeige kamen, meist formal-bürokratischer und repressiver, also auch strafrechtlicher Art. Kam es sogar zu Prozessen, war man in den Urteilen nicht zimperlich. Verharmlosung, Verleugnung und Verdrängung der antisemitischen Potentiale beförderten jedoch nicht die Auseinandersetzung und Veränderungen. Die Unterdrückung von Informationen mußte einfach zu einer falschen Realitätswahrnehmung und zu „falschem Bewußtsein“ führen.
Jochanaan Christoph Trilse-Finkelstein berichtet, wie seit dem 9. November 1978, dem 40. Jahrestag der Pogromnacht, bei seiner Mutter, bis zu ihrem Tode 1985, jedes Jahr in der Nacht zum 9. November die Scheiben ihrer Wohnung in Berlin-Lichtenberg eingeschlagen wurden. /19/
Peter Honigmann schildert, wie er 1979 von der Leitung der Akademie der Wissenschaften vor die Wahl gestellt wurde, seine Stelle an der Akademie zu behalten oder seinen geplanten Vortrag über „Einsteins jüdische Haltung“ vor der Berliner Gemeinde zu halten. /20/ Die
Erscheinungsformen von Antisemitismus waren vielfältig und die Beispiele ließen sich auch durch eine Reihe weiterer persönlicher Erfahrungen fortsetzen.
Die andere Seite: Der Staat finanzierte einen Teil der Gemeindeverwaltungen, da die Gemeinden aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage waren. (Ende 1989 gab es nur noch ca. 300 Gemeindemitglieder – und nach Schätzungen, ca. 3.000 Juden, die nicht Mitglied einer Gemeinde waren.)
Die DDR hatte einige Synagogen instand setzen und ein Drittel der 130 jüdischen Friedhöfe unter Denkmalschutz stellen lassen und als sich Mario Offenberg von der kleinen Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel im Jahr 1985 an Erich Honecker wandte und um Hilfe bat, da auf dem Gemeinde-Friedhof in Berlin-Weißensee von ca. 3.000 Grabsteinen nur noch 100 standen, der Rest umgeworfen und zerschlagen worden war, gab Honecker umgehend die Anweisung ans Staatssekretariat für Kirchenfragen und den Rat des Stadtbezirkes Weißensee, bis 1986 die Rekonstruktion und Aufräumarbeiten durchzuführen.
Noch 1994 wundert sich eine ehemalige Mitarbeiterin für Staatspolitik in Kirchenfragen und ehemaliges SED-Mitglied, warum 1988 plötzlich so viele FDJ’ler auf jüdische Friedhöfe geschickt wurden. Sie kann sich das nicht erklären und glaubt, daß es darauf wohl keine Antwort mehr geben wird. Sie schreibt, daß im staatlichen Sprachgebrauch das Wort „Jude“ vermieden wurde, statt dessen von „jüdischen Mitbürgern“ und „Bürgern jüdischen Glaubens“ die Rede war. Das ist richtig, falsch aber ihre Begründung, das Wort „Jude“ sei ein Schimpfwort und deshalb vermieden worden, um niemanden zu verletzen. Noch weiterer lesenswerter Unsinn findet sich in ihrem Aufsatz /21/.
Nicht jede Kritik an der Politik Israels muß Antisemitismus befördert haben. Allerdings: Um Antisemitismus zu verhindern, wäre eine umfassende und differenzierende Information und Diskussion über Judentum und Israel nötig gewesen. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Israel erschien immer im Negativ-Zusammenhang mit „Zionismus“, „Massenvertreibung der Araber und Palästinenser“, mit „Raub“, „der Annexion arabischer Gebiete“, „der israelischen Soldateska“, „israelischen Aggressoren“, „Israel, als gegen die Rechte des arabischen Volkes und dessen Kampfes für die Befreiung und Fortschritt gerichtete Speerspitze des Imperialismus“ usw. usf.
Genauso blieben auch Unterschiede und Differenzen zwischen den arabischen Staaten in den Medien der DDR fast vollständig ausgeblendet.
Beispiel einer Berichterstattung zur Erinnerung: Berliner Zeitung, Montag 02.05.1988: „Nach vorsichtigen Sondierungen zeichnete sich jetzt im Verhältnis zwischen Syrien und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO eine Wende zum Besseren ab. [Vorher hatten wir durch die Zeitung nicht erfahren, daß es schlecht gestanden hatte – T.L.] … Die PLO und Syrien sind unmittelbare Beteiligte des Nahost-Konflikts. Im Herangehen an seine Lösung besteht ein Teil ihrer Differenzen. Das sind komplizierte Probleme, und noch wurden nicht alle Reibungspunkte aus der Welt geschafft.“
Erst im Februar 1990 schrieb Oskar Fischer, Außenminister der DDR, in einem Brief an Ministerpräsident Hans Modrow: „… daß es auf dem Wege zur Herstellung diplomatischer Beziehungen für die DDR notwendig wird, eine neue Position zur Klärung jüdischer materieller Ansprüche zu erarbeiten“ und „Die
Position der DDR zum Zionismus ist neu zu bestimmen.“ /3/
1953 wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aufgelöst. Aus den Verfolgten wurden einerseits die (aktiven) Antifaschistischen Widerstandskämpfer (mit neu gebildetem Komitee) und andererseits die (passiven Juden als) „Opfer des Faschismus“.
Die Inschrift auf dem Gedenkstein für die Widerstandsgruppe Herbert Baum verweist auf Symptomatisches: Während der Stein, der 1981 auf den Platz vor dem Alten Museum (neben dem Berliner Dom) gestellt wurde, den Hinweis enthält, das es sich um Kommunisten im Widerstand handelte, die hier 1942 einen Anschlag auf die Propaganda- und Hetzausstellung „Das Sowjetparadies“ durchgeführt hatten, und es keinen Hinweis darauf gibt, daß es sich bei der Gruppe auch um eine jüdische Widerstandsgruppe handelte, können die Antikommunisten in der derzeitigen Großen Koalition des Berliner Senats bei der gerade laufenden Umgestaltung des Platzes den Stein gerade deshalb nicht wegbaggern, weil die Mitglieder der Baum-Gruppe Juden waren. Juden hatten auch in der DDR lediglich als beklagenswerte Opfer des Faschismus zu erscheinen, ihr Anteil am Widerstand wurde selten erwähnt. (Übrigens auch eine Gemeinsamkeit beider deutscher Staaten.)
Antizionismus und Antisemitismus in der Linken ist ein Thema, welches eine eigenartige Erscheinungsform entwickelt hat. Es verschwindet für einige Zeit und kehrt dann mit einer Vehemenz und Ignoranz zurück, als hätte sein letztes Auftreten nicht eine sehr hart und emotional geführte politische Diskussion und Auseinandersetzung ausgelöst. Sie beginnt praktisch immer wieder am Ausgangspunkt der letzten Runde, also bei Null und ist deshalb so anstrengend. Tatsächlich erinnert auch dies an das Bild des Sysiphus.
So transportierte sowohl der Golfkrieg Anfang der 90er Jahre als auch die folgenden Debatten um die Positionen der Beteiligten und Unbeteiligten wieder einmal eruptionsartig antisemitische Einstellungen bei einem Teil der Friedensbewegung und der Linken an die Oberfläche. Vom ehemaligen Flottillenadmiral i.R. Elmar Schmähling, 1982/83 Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), als Berufsoffizier einer der Militärexperten der Friedensbewegung der 80er Jahre, 1998 kurzzeitig PDS-Direktkandidat im umkämpften Wahlbezirk Mitte/Prenzlauer Berg (s. telegraph 2/98), stammen aus dieser Zeit folgende Worte: „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg … Für das Recht der USA, ihre ’neue Weltordnung‘ mit alttestamentlicherRücksichtslosigkeit durchzubomben, und die Freiheit der internationalen Rüstungsgeschäftemacher, sich mit Hilfe einer korrumpierten Politik vor, während und nach diesem Krieg eine goldene Nase zu verdienen, lassen sich diese Soldaten nicht verheizen.“ /22/ Der Satz provoziert antisemitische Assoziationen. Der deutsche Militär wendete sich hier nicht gegen deutsche Firmen, die deutsche Soldaten verheizen wollen.
Ich erinnere eine Diskussionsrunde mit Radikalen Linken, in der ein nichtzionistischer Jude aufgrund seiner Kritik am aufgetretenen Antisemitismus während des Golfkrieges im nachhinein als Mossad-Agent diffamiert wurde. Solche paranoiden Vorwürfe wurden ja auch bei den schon beschriebenen Ereignissen der 50er Jahre aufgeboten. Vor allem jedoch liegt beiden Haltungen, der stalinistischen wie der
„undogmatischen“, ein gemeinsamer Fehler zugrunde: die Stellung gegenüber Juden und der „jüdischen Frage“ wird von der Klassenfrage abhängig gemacht. Dies hat eine lange Tradition in der Geschichte der Arbeiterbewegung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann (s. z.B. /23/24/25/26/). Diesbezügliche Ähnlichkeiten zwischen der dogmatisch-stalinistischen und der undogmatisch-Neuen Linken sind deshalb nicht zufällig /z.B. 27/.
In beiden deutschen Staaten wurden die Juden und der Umgang mit ihnen politisch und moralisch instrumentalisiert. In der Bundesrepublik unter anderem, um im Westen als demokratischer Rechtsstaat anerkannt zu werden, in der DDR als Beweis des Antifaschismus. Schließlich war der Antifaschismus ein wesentlicher Teil der politischen Legitimation des sozialistischen deutschen Staates. In der DDR verneigte sich keine Staats- und Parteiführung vor SS-Gräbern, neofaschistische Parteien und Gruppierungen konnten nicht legal agieren. Die Reduzierung aber des Faschismus auf seine sozialökonomischen Grundlagen verhinderte die Auseinandersetzung mit der Frage, warum die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung (inklusive der Arbeiterklasse!) die Nazis willig unterstützt hatte bzw. selbst Nazi geworden war.
Der Antizionismus diente einerseits der Entlastung von historischer Verantwortung und andererseits konnten sich in ihm antisemitische Einstellungen und Verhalten, Vorurteile und Stereotypen ausleben und erhalten.
Quellen:
1 Wegweiser durch das jüdische Berlin. Berlin, 1987.
2 MOHRMANN, Walter: Antisemitismus. Berlin, 1972.
3 TIMM, Angelika: Hammer, Zirkel, Davidstern. Bonn, 1997.
4 GROEHLER, Olaf; KESSLER, Mario: Die SED-Politik, der Antifaschismus und die Juden in der SBZ und der frühen DDR. Hefte zur ddr-geschichte Nr. 26. Berlin 1995.
5 BURGAUER, Erica: Zwischen Erinnerung und Verdrängung – Juden in Deutschland nach 1945. Reinbek, 1993.
6 NEUES DEUTSCHLAND, 18.12.1952.
7 NEUES DEUTSCHLAND, 06.12.1952.
8 Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky. In: Dokumente der SED. Bd. IV. Berlin, 1954.
9 PROZESS gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slánský an der Spitze. Prag, 1953.
10 RAPOPORT, Louis: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin, 1992.
11 HODOS, Georg Hermann: Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948-54. Berlin, 1990.
12 LONDON, Artur: Ich gestehe. Der Prozeß um Rudolf Slansky. Berlin, 1991. vgl. auch verschied. Lebensberichte u. Autobiographien z.B. BRANDT, Heinz: Ein Traum, der nicht entführbar ist. Berlin, 1977. Oder: MAYER, HANS: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen. Bd. II. Frankfurt a.M., 1984. Oder: ESCHWEGE, Helmut: Fremd unter meines
gleichen. Berlin, 1991.
13 DEUTSCHKRON, Inge: Israel und die Deutschen. Köln, 1970.
14 KAHN, Siegbert: Antisemitismus und Rassenhetze. Berlin, 1948.
15 GOLDMANN, Nahum: Das jüdische Paradox: Zionismus u. Judentum nach Hitler. Köln, 1978.
16 MASER, Peter: Juden und Jüdische Gemeinden in der DDR bis in das Jahr 1988. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, 1991.
17 STANDPUNKT. (Ev. Monatszeitschrift) 2 (1974) 2.
18 American Jewish Yearbook, 1984.
19 WROBLEWSKY, Vincent von (Hg.): Zwischen Thora und Trabant. Berlin, 1993.
20. ARNDT, Siegfried Theodor u.a.: Juden in der DDR. Sachsenheim, 1988.
21 LIEBSCH, Heike: Scheidewege um Nahost. In: Renger, Reinhard (Hg.): Die deut. „Linke“ u. der Staat Israel. Leipzig, 1994.
22 DER SPIEGEL. 7/1991.
23 SILBERNER, Edmund: Sozialisten zur Judenfrage. Berlin, 1962.
24 KNÜTTER, Hans-Helmuth: Die Juden und die deutsche Linke in der Weimarer Republik. Düsseldorf ,1971
25 BRUMLIK, Micha u.a. (Hg.): Der Antisemitismus und die Linke. Frankfurt a.M., 1991.
26 KESSLER, Mario: Antisemitismus, Zionismus und Sozialismus. Mainz, 1993.
27 AUTONOME NAHOSTGRUPPE HAMBURG: Zionismus, Faschismus, Kollektivschuld. Bremen, 1989.
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