Kurt Noack

VOM TOD EINES SOZIALDEMOKRATISCHEN ANTIFASCHISTEN

Nach der Machtübertragung an die Nazis kommt es unter Leitung der Hohen Neundorfer Sozialdemokraten Otto Scharfscherdt zum Aufbau einer Widerstandsgruppe. Wahrscheinlich Ende 1933/1934 wird Kontakt zur Widerstandsgruppe um den ehemaligen Major der preußischen Schutzpolizei Karl Heinrich aufgenommen, die sich aus Mitgliedern des 1933 verbotenen „Reichsbanners“, einer überparteilichen Republikschutztruppe, zusammensetzte. Damit umfaßt die Widerstandsgruppe „Nordbahn“ u.a. die Ortschaften Hammer, Liebenwalde, Hohen Neuendorf, Bergfelde Birkenwerder, und reicht bis nach Ladeburg bei Bernau und in den Norden Berlins hinein. Zur Leitung der Gruppe gehören neben Otto Scharfschwerdt, Hermann Schlimmer (Berlin), Erich Hahn (Birkenwerder), Erich Wienig (Birkenwerder) und Kurt Noack (Hohen Neuendorf).

1937 zerschlagen die Nazis die Widerstandsgruppe. 40 Aktivisten wird der Prozeß gemacht. Kurt Noack erhält eine 2 1/2 Jährige Zuchthausstrafe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, die er im Zuchthaus Brandenburg absitzt. Nach seine Entlassung beteiligt er sich weiter am Widerstand in Hohen Neuendorf und nahm eine wichtige Rolle bei der Selbstbefreiung seines Heimatortes am 20./21. April 1945 ein.

Unmittelbar nach der Befreiung durch die Roten Armee gründet sich in Hohen Neuendorf eine neue SPD-Ortsgruppe, deren Vorsitzender Kurt Noack wird. Er wirkt in Kommissionen wie dem im Antifa-Ausschuß oder der Bodenreform-Kommisssion. Doch schon im August 1945, in folge von Querälen zwischen KPD und SPD, gerät Kurt Noack ins Blickfeld der sowjetischen Administration.

Als im März 1946 die Vereinigung von KPD und SPD vorbereitet wird, weigert sich Kurt Noack dieser Vereinigung zuzustimmen.

Am 03. Dezember 1948 tritt Kurt Noack seinen letzten Leidensweg an. Sein Enkel Heinz Noack erinnert sich:
„… Leute von der GPU sind am jenen Abend gekommen und haben ihn abgeholt mit der Begründung, sie brauchten eine Aussage von ihm. Er solle seine Sachen nehmen und meiner Großmutter wurde gesagt er solle etwas warmes zum anziehen mitnehmen. Es wurde eine Wohnungsdurchsuchung vorgenommen und sie wollten auch Papiere, Kassen und alles was ihnen Suspekt war sehen. An diesem Abend, als die Leute noch im Haus waren, kam Ernst Noack (Sohn von Kurt Noack), der in Reinickendorf wohnte, um seine Eltern zu besuchen. Er hatte unter anderem zufällig ein Exemplar der Westzeitung Telegraf dabei. Allein aus dem Grund, daß er eine solche Zeitung in die damals sowjetische besetzte Zone eingeführt hatte, war das schon eine Straftat. Darüber hinaus wurde ihm gesagt, er solle mitkommen und die Aussagen von meinem Großvater bestätigen und dann könne er wieder nach Hause gehen. Meine Großmutter ist dann auch mitgekommen. Damals war diese Stelle, wo er dann zum Verhör gebracht wurde, gegenüber der Grundschule, ich glaube es war die Berliner Straße. Da war unten ein Büro des Politbüro oder so etwas ähnliches und da hat er zuerst gesessen. Und da war die Großmutter zuerst auch dabei und hat ihren Kurt aber nicht mehr gesehen. Und da hat ein Beamter dann gesagt, sie solle doch nach Hause gehen. Er käme Heute nicht mehr wieder.

Kurt und Ernst Noack sind dann nach Sachsenhausen gekommen. Kurt Noack wurde nach Sibirien irgendwo am Baikalsee verschleppt und Ernst Noack kam nach Bautzen. Nach welchem Zeitraum sie verschleppt wurden und aus welchen Grund sie getrennt wurden kann ich nicht sagen. Es ist mir auch nicht bekannt ob ein Gerichtsverfahren oder eine Verurteilung stattgefunden hat. Ernst Noack kam 1956 aus Bautzen zurück.

Später ist ein Herr gekommen, den ich nicht namentlich kenne und auch nicht sagen kann wann er gekommen ist. Der hatte einen Art Spickzettel dabei, den man sich als Häftling untereinander in den Gefängnissen zusteckte, wenn einer Entlassen wurde. Der hatte auf dem Papier den Namen und die Adresse und ist dann nach Hohen Neuendorf zu meiner Großmutter gekommen und hat gesagt das Herr Kurt Noack dort verstorben ist. Er ist wahrscheinlich durch die schwere Zwangsarbeit, er war immerhin schon 70 Jahre (1884 geboren), verstorben. Was das für ein Lager war und welche Zwangsarbeit dort verrichtet wurde kann ich nicht sagen…“

Antifaschismus als Staatsdoktrin der DDR

ZITIERTE AUS WIKIPEDIA

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hat sich selber in die Nachfolge des antifaschistischen Kampfes der KPD und des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime gestellt. Wegen dieses auch als Gründungsmythos bezeichneten Anspruchs erhob sie den Antifaschismus früh zur leitenden Staatsdoktrin, die zur Abgrenzung vom Nationalsozialismus, aber auch von der Bundesrepublik Deutschland (BRD) diente. Auf Grundlage einer marxistischen Faschismustheorie verstand man die Bundesrepublik als „postfaschistisch“ und versuchte, ideologische und personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus nachzuweisen.

Anspruch und Feindbild der DDR-Staatsideologie werden spätestens seit der Wende von 1989 historisch stark kritisiert: Sie hätten eine wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus dort verhindert. Der von oben verordnete Antifaschismus habe eine wirkliche Entnazifizierung und einen Bruch mit autoritären und totalitären Staatsformen blockiert, die Bevölkerung nicht erreicht und sei zur Durchsetzung politischer Selbstbehauptung im Rahmen des Kalten Krieges instrumentalisiert worden.

Generell wurde die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland gemäß der Faschismustheorie als Ausdruck des sich verschärfenden Klassenkampfs betrachtet. Dieses Geschichtsbild bewirkte, dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus besonders auf kommunistische Widerstandskämpfer konzentriert wurde und die ermordeten Juden und andere Opfergruppen nur am Rande thematisiert wurden. Die gesamte Rassenideologie der Nationalsozialisten wurde lediglich als „Instrument zur Täuschung der Arbeiterklasse“ erklärt. Diese Geschichtsverständnis bot der DDR-Führung die Möglichkeit ihre Herrschaft zu legitimieren. Der DDR-Bevölkerung bot sie die Möglichkeit eventuelle Verstrickungen in der Zeit des Nationalsozialismus zu externalisieren, da der Faschismus als Phase des Klassenkampfes quasi historisch zwangsläufig erschien und mit der „antifaschistischen DDR“ endgültig überwunden sei. Jeder DDR-Bürger konnte sich selbst und die DDR als Sieger der Geschichte begreifen.

Der Antifaschismus stellte die zentrale Selbstlegitimationsgrundlage für die Existenz der DDR da. Er sollte das Machtmonopol der SED ebenso wie die Berliner Mauer („Antifaschistischer Schutzwall“) rechtfertigen.

Rassismus, Antisemitismus und altäglischer Faschismus in der DDR

Ausländerinnen und Ausländer und die Staatspolitik der DDR

VON DIRK TESCHNER, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

Die DDR war nie ein offenes Aufnahmeland gewesen. Im Gegensatz zum außenpolitischen Internationalismus wurden Ausländer größtenteils als Arbeitskräfte ins Land geholt. Abgeschirmt lebten sie in Wohnheimen, gezwungen zur Anpassung an die DDR-Gesellschaft.
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Vom Kampf gegen den „Kosmopolitismus“
zum Kampf gegen den „Aggressorstaat“

VON THOMAS LEUSINK, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

Dieser Beitrag soll sich mit dem Antizionismus und Antisemitismus in der DDR beschäftigen. Dabei scheinen, gerade wegen der Abwehrreaktionen, die insbesondere Vertreter der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS bei der Behandlung von Tabu-Themen zeigen (z.B. in der Tageszeitung junge welt vom 25. u. 26.09.1998), einige Vorbemerkungen notwendig. Viele von uns erinnern sich ganz bestimmt noch gut an ein Argument der SED-Dogmatiker, mit dem sie versuchten, Kritik zu unterdrücken: Kritik, erst recht veröffentlichte, und Diskussionen arbeiten dem Klassenfeind in die Hände und können deshalb nicht zugelassen werden.
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Die DDR und die Juden – Neue Literatur und Perspektiven

VON CONSTANTIN GOSCHLER, ERSCHIENEN AUF TREND – ONLINEZEITUNG FÜR DIE ALLTÄGLICHE WUT

Von Ende November 1987 bis Anfang Juli 1988 haben in der DDR mindestens neun Prozesse gegen sogenannte „Skinheads“ vor Kreisgerichten (bzw. in einem Fall in zweiter Instanz vor einem Bezirksgericht) stattgefunden, in denen 49 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren wegen zahlreicher Gewaltakte und auch wegen Handlungen mit rechtsradikalem Hintergrund abgeurteilt wurden. Der erste dieser Prozesse führte am 4. Dezember 1987 zur Verurteilung von vier Skinheads, die sich an den Gewalttätigkeiten gegen Besucher der Zions-Kirche in Ost-Berlin am 17. Oktober 1987 beteiligt hatten, durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte zu Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jähren, die auf den Protest der Staatsanwaltschaft am 22. Dezember vom Stadtgericht Berlin auf zwei bis vier Jahre erhöht wurden. Im Dezember 1987, nach dem ersten Prozeß vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte, kündigte der Generalstaatsanwalt der DDR acht weitere Prozesse gegen Skinheads an.
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Faschistische Vergangenheit in der DDR

VON DIRK TESCHNER, ERSCHIENEN IM TELEGRAPH – OSTDEUTSCHE ZEITUNG NR. 3/4 1998

In der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR gab es nur eine einseitige Faschismusrezeption, die im Kern als Ursachen von Hitler, Holocaust und 2. Weltkrieg „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischsten, am meisten imperialistischsten Elemente des Finanzkapitals“ ausmachte. Aus diesem Grund kann es nicht verwundern, daß es bis heute nie zu einer offenen Diskussion darüber kam, was in einem deutschen sozialistischem Staat nach dem deutschen faschistischen Staat, nach dem Holocaust, mit den in Deutschland lebenden deutschen Menschen passieren sollte. Hinzu kam, daß der sozialistische Staat auf deutschem Boden nicht durch eine Revolution, sondern vielmehr während der Besetzung der Roten Armee der Sowjetunion aufgebaut wurde.Es wäre unumgänglich gewesen, eine offene, demokratische Aufarbeitung und Diskussion zu führen: über die Machtergreifung Hitlers und die Unterstützung durch den Großteil des deutschen Volkes und den Wiederaufbau nach der Befreiung Deuschlands. Aber dem stand Stalin im Weg und das Mißtrauen der Überlebenden, Antifaschisten und Juden, gegenüber einem Großteil des deutschen Volkes. Es bleibt der Eindruck einer schizophrenen SED-Führung, die einerseits dem Volk mißtraute, gleichzeitig aber auch Alt-Nazis in führende Positionen hievte – und deswegen nie eine wirklich die Gesellschaft erfassende antifaschistische Umwälzung in die Wege bringen konnte.

Als im April 1945 der Endkampf um Berlin einsetzte, übten einzelne Beauftragte des ZK der KPD und die Frontbeauftragten des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ Kontrollfunktionen aus. Gleichzeitig wurden in Moskau die Voraussetzungen für die Planung und Vorbereitung des Einsatzes deutscher kommunistischer Funktionäre und anderer bewährter Antifaschisten aus den Reihen der Kriegsgefangene geschaffen. Sowohl in der Schulungsstätte der KPD in Kusnarenkovo als auch in der zentralen Antifa-Schule in Krasnogorsk wurden Kader vorbereitet, so daß bei Kriegsende auf eine Liste von Kommunisten und Antifaschisten zurückgegriffen werden konnte, die auf die Arbeit in Deutschland vorbereitet waren.

Eine führende Gruppe deutscher Kommunisten wurde gebildet, die ihre Aufgaben von der auf Berlin vorstoßende 1. Belorussischen Front Marschall Shukovs aus wahrnehmen sollte. Dieser Führungsgruppe wurden je eine Arbeitsgruppe von drei Kommunisten für die Gebiete Mecklenburg-Pommern/ Gustav Sobottka, Berlin-Brandenburg/ Walter Ulbricht und Sachsen-Halle-Merseburg/ Anton Ackermann nachgeordnet, die entsprechend den Operationsbereichen der sowjetischen Heeresgruppen den jeweiligen Frontstäben der 1. Belorussischen, der 2. Belorussischen und der 1. Ukrainischen Front zugeteilt werden sollten.

Vordringliche Aufgabe dieser Kader war der schnellen Aufbau von Stadt- und Gemeindeverwaltungen. „Ein Teil von ihnen übernimmt Funktionen in der Stadt für längere Zeit, während andere beauftragt werden, in den kleinen Städten und Gemeinden des betreffenden Kreises bei der Schaffung der Gemeindeverwaltungen zu helfen bzw. zu kontrollieren, ob die geschaffenen Gemeindeverwaltungen aus zuverlässigen Antifaschisten bestehen und wirklich im Sinne der Richtlinien arbeiten“, so hieß es in den Richtlinien über den Aufgabenbereich der Gruppenmitglieder. Der Aufbau erster neuer Verwaltungen und die Konsolidierung der KPD bedeutete gleichzeitig das Ende der Antifa-Ausschüsse. Die Auflösung der antifaschistischen Komitees war auch eine Eliminierung erster Ansätze einer selbständigen antifaschistischen Bewegung innerhalb der deutschen Bevölkerung.

Zu der Not und dem Elend des deutschen Zusammenbruchs kamen für die deutschen Kommunisten spezifische Schwierigkeiten dazu: So war es für sie außerordentlich schwierig, Kontakt zur Bevölkerung zu bekommen oder gar ein Vertrauensverhältnis herzustellen.

Am 30. Oktober 1945 verfügte die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) mit dem Befehl Nr. 124 umfangreiche Beschlagnahmen diverser Eigentumskategorien. Der Beschlagnahme verfielen deutsches Staatseigentum, der Besitz faschistischer und militärischer Organisationen, das Eigentum der Verbündeten des „Großdeutschen Reiches“, sowie der Besitz von Amtsleitern der NSDAP, deren führende Mitglieder und einflußreichen Anhängern. Die neuen deut
schen Verwaltungsorgane mußten den sowjetischen Militärkommandanten bis zum 20. November 1945 entsprechende Listen einreichen.

Die Frage welche Betriebe zu enteignen waren, sorgte gut zwei Jahre für Unruhe. Die betroffenen Belegschaften schalteten sich in die Auseinandersetzungen ein. In Sachsen fanden 1947 Streiks und Arbeitsniederlegungen statt, weil die Arbeiter befürchteten, daß eine Anzahl von Betrieben früherer Nazis diesen wieder zurückgegeben werden soll.

Im Jahre 1948 verkündete die SMAD mit dem Befehl Nr. 64 das Ende der Enteignung und mit dem Befehl Nr. 35 das Ende der Entnazifizierung. Nach Einschätzung der Verantwortlichen war der „volkseigene Sektor“ vorerst groß genug, und andauernde Auseinandersetzungen in dieser Frage würden nur Unruhe ins Bürgertum tragen. Im Zeichen des sich entwickelnden Kalten Krieges war das bündnispolitisch unerwünscht.

Gleichzeitig wurden ab Kriegsende Speziallager der SMAD geschaffen, wo vor allem Kriegsgefangene, später auch Naziverbrecher interniert waren. Nach Schätzungen sollen 45 000 Nazis und Kriegsverbrecher von sowjetischen Militärgerichten auf deutschen Boden verurteilt worden sein. Von SBZ/DDR Gerichten wurden zwischen 1945 und 1955 12761 NS- und Kriegsverbrecher verurteilt, darunter 106 Personen zum Tode. In den drei westlichen Besatzungszonen wurden, bei ungleich höherer Bevölkerungszahl und ungleich höherer Zahl alter Nazis, nur 6450 verurteilt, 1949 saßen nur noch 300 Kriegsverbrecher im Gefängnis.

In der Sowjetischen Besatzungszone wurden die von allen Alliierten gemeinsam beschlossene personelle und strukturelle Entnazifizierung sehr viel radikaler durchgeführt. Dies betraf drei Bereiche: 1. Bodenreform (Stichwort „Junkerland in Bauernhand“) 2. Enteignung und Verstaatlichung der großen Industriebetriebe (Stichwort „Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher“) 3. Personelle Säuberung in der staatlichen und kommunalen Verwaltung.

Von 1945 bis 1948 waren 520.000 Mitglieder der NSDAP aus allen Bereichen der Verwaltung und der Industrie der Sowjetischen Besatzungszone entfernt worden. Von den rund 40.000 Lehrern allgemeiner Schulen (rund 70% hatten zum Kriegsende der NSDAP angehört) wurden 20.000 entlassen. In der Justiz waren rund 16.000 beschäftigt, davon ca. 2.500 Richter und Staatsanwälte (zu etwa 80% Mitglieder der NSDAP). Etwa 2.000 (80%) der Richter und Staatsanwälte wurden entlassen. Bei den Rechtsanwälten wurde nicht in gleicher Weise verfahren, noch Ende 1949 befanden sich unter den 999 zugelassenen Rechtsanwälten 224 (22%) ehemalige Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen.

Bei, für den Wiederaufbau benötigtem Fachpersonal, Spezialisten, Technikern, Ärzten, wurde im Konflikt zwischen politischem Entnazifizierungsprinzip und wirtschaftlichem Interesse die Fachkompetenz zuweilen höher bewertet, als die politische Belastung, Beispiel.: Land Sachsen-Anhalt, Stand 31. Januar 1947, NSDAP-Anteil in %: Volksbildung: 0,2; Polizei: 0,8; Gesundheitswesen: 25,0; Industrie: 10,0; Postwesen: 17,1; Justiz/Gerichte/Staatsanwaltschaft: 6,0 usw.

Einfache NSDAP-Mitglieder und Mitläufer erhielten im August 1947 ihr aktives und passives Wahlrecht wieder, nachdem im September 1946 die ersten Gemeindewahlen, im Oktober 1946 die ersten Wahlen zu den Land- und Kreistagen in der Sowjetischen Besatzungszone stattgefunden hatten. „Es lebe die SED, der große Freund der kleinen Nazis“ formulierte damals ein ehemaliges NSDAP-Mitglied anläßlich einer von der SED einberufenen Versammlung . 1953 zählte die SED etwa 150.000 Mitglieder, die ehemalige Wehrmachtsangehörige im Offiziers- bzw. Unteroffiziersrang waren oder der NSDAP bzw. einer ihrer Gliederungen angehört hatten, damaliger Gesamtmitgliederstand: rund 1,2 Millionen. Im Mai 1948 wurde für einen Teil ehemaliger Nazis die NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands) als weitere Blockpartei gegründet, die bis zum Ende der DDR in der Volkskammer mitregierte.

Es ist einzigartig, wie schnell nach Gefangennahme von Nazi-Offizieren und Soldaten „Lehren“ aus der Vergangenheit gezogen wurden und aus Feinden Verbündete wurden. Ein kurzer Aufenthalt in den Antifa-Schulen oder Kriegsgefangenenlagern in der Sowjetunion reichte aus.

Im Jahre 1965 waren so noch 53 Alt-Nazis Abgeordnete der Volkskammer, 12 Mitglieder und Kandidaten des ZK der SED, 2 Mitglieder des Staatsrates der DDR und 5 besaßen Landesministerposten. Etliche Alt-Nazis halfen beim Aufbau der „Volkspolizei“ und der NVA. In den Medien besaßen sie großen Einfluß. Sie bekleideten die Stellungen von Chefredakteuren und bildeten z.B. in den Redaktionen des „Neuen Deutschland“ und der „Deutschen Außenpolitik“ eigene Arbeitsgruppen. In all diesen „roten“ Institutionen ließen sich Nazis finden, dort gab es ehemalige SS-Mitglieder, SA-Führer, Vertrauensleute der Gestapo, Angehörige von Propagandakompanien, Mitarbeiter des NS-Rundfunks, des „Völkischen Beobachters“, des „Schwarzen Korps“, Beamte des Propagandaministeriums, Mitglieder des „SS-Rasse und Siedlungs-Hauptamtes“, Angehörige der „Legion Condor“.

In all den Jahren des 40jährigen Bestehens der DDR wurden die zuständigen DDR-Einrichtungen durch verschiedene Archive und Organisationen – vom Dokumentationszentrum des Bund Jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien bis zu dem Westberliner Verein
„Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ – auf die Arbeit von Alt-Nazis in führenden Gremien der DDR hingewiesen. Es wurden regelmäßig Listen von belasteten Personen überreicht. Die Reaktion war immer gleich Null. Während Hinweise auf Nazis im eigenen Apparat ignoriert wurden, wurde zur Verfolgung und Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen in der BRD eine Extraabteilung geschaffen. Deren Aufgabengebiete wurden mit dem Befehl Nr. 39/67 vom 23.12.1967 des Ministeriums der Staatssicherheit festgelegt: „…1. Mit Wirkung vom 1.2. 1968 wird in der Hauptabteilung IX des Ministeriums für Staatssicherheit die Abteilung 11 gebildet. Sie ist verantwortlich für die einheitliche, systematische Erfassung, Archivierung, politisch-operative Auswertung und Nutzbarmachung aller im Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit vorhandenen und noch zu beschaffenden Materialien des Faschismus aus der Zeit bis 1945, um die in Westdeutschland und auf dem Territorium Westberlin im Staats-, Wirtschafts- und Militärapparat sowie in Parteien und Organisationen tätigen und durch ihre faschistische Vergangenheit belasteten Personen noch zielgerichteter zu entlarven.“

Bis Mitte/Ende der sechziger Jahre sollen in der BRD an Alt-Nazis tätig gewesen sein: 21 Minister und Staatssekretäre, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Botschaften und Konsulate, 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes.

Unter den Alt-Nazis, die in der DDR blieben und beträchtlichen Anteil am Aufbau besaßen und führende Positionen bekleideten gab es immer zwei Seiten. Eine ganze Reihe bereuten schon während des 2. Weltkrieges ihre Teilnahme am faschistischen Verbrechen und zeigten das an aktiven Widerstandsaktionen oder in der Gefangenschaft. Dem anderen Teil war die Ideologie scheinbar zweitrangig. Er arrangierte sich ziemlich schnell mit der neuen politischen Situation nach 1945 und kam sehr schnell wieder an Posten.

Die SchwierigkeitdesUmgangs mit ehemaligen Wehrmachtsangehöriger, die sich nach 1945 in der SBZ/DDR engagierten, zeigt das Beispiel Gustav Just, der in den 50er Jahren stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Sonntag“ war und zur oppositionellen Gruppe innerhalb der SED um Janka und Harich gehörte.

Gustav Just nahm, als Leutnant der Wehrmacht, der Panzerjäger-Abteilung 156, 1.Kompanie, 2. Zug, im Rahmen des Einsatz in der Sowjetunion, in Masikowka in der Nähe von Cholm, am 15. Juli 1941 an der Erschießung von 6 Juden teil. Er erhielt im Laufe des Krieges f. militärische Auszeichnungen: „Eisernes Kreuz I: Klasse“, „Infantrie-Sturmabzeichen“, „Ostmedaille“, „Verwundetenabzeichen in Schwarz“.

Nach 1945 trat Just in die KPD/SED ein. Auf dem Lebenslauffragebogen verschwieg er fast alle Angaben, die seine Tätigkeiten bei der Wehrmacht betrafen. 1957 wurde er wegen oppositioneller Tätigkeit verhaftet. Bei seiner Festnahme durch die Staatssicherheit wurden
seine Kriegstagebücher mit ausführlichen Schilderungen seiner Kriegserlebnisse gefunden. Auf die Frage, warum er auf seinem Fragebogen die Angaben über seine Kriegsteilnahme nicht eintrug, äußerte Just: „Durch die unwahren Angaben über meine Haltung in der Zeit des Faschismus wollte ich ein besseres Bild über mich geben, als es den Tatsachen entsprach. Ich hatte nach meiner Umsiedlung in die damalige Sowjetische Besatzungszone den festen Willen, hier tatkräftig mitzuarbeiten und war mir nicht bewußt, daß der erste Schritt dazu die offene, schonungslose Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit ist. Im Gegenteil, ich wollte die unangenehmen Punkte dieser Vergangenheit zudecken, um später einmal, wenn man mich aus meiner Arbeit kennen würde, darüber zu sprechen. Mit dem Verschweigen obiger Angaben verfolgte ich außerdem das Ziel, Lehrer zu werden.“ Just wurde wegen „staatsfeindlichen, konterrevolutionären Aktivitäten“ 1957 verurteilt. Die Teilnahme an der Erschießung 1941 war für das Gericht unerheblich und wurde nicht geahndet.

Nach dem Herbst 1989 wurde Just als Alt-Oppositioneller gefeiert. Er trat in die SPD ein und wurde Alterspräsident des Landtages Brandenburg. 1990/91 beschäftigten sich verschiedenen Gerichte mit Gustav Just wegen Beihilfe zum Mord. Wegen Verfolgungsverjährung wurde das Verfahren eingestellt.

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