Die Antifaschistische Demonstration in Berlin-Lichtenberg, am 24. Juni 1990, Teil2

Die Antifaschistische Demonstration in Berlin-Lichtenberg, am 24. Juni 1990

– erschienen in der Zeitschrift telegraph, Nr. 13/90, vom 6. August 1990 –

Ein denkwürdiges Dokument

Fraktion der CDU                      Datum der Tagung
der Stadtbezirksversammlung           9. Juli 1990
Berlin-Lichtenberg

Antrag der CDU Fraktion

Betr.: Beschluss zur Einleitung notwendiger Massnahmen gegen den Radika­lismus im Stadtbezirk Berlin-Lichtenberg Die Stadtbezirksversammlung wolle beschliessen: (Auszug)
3. Die Stadtbezirksversammlung ersucht den Stadtrat für Inneres Ermittlungen gegen die Organisationen einzuleiten, die sich hinter der Bezeichnung „Antifa-Info-Telefon 2292912“ verbergen, die mit einer Flugblattaktion (siehe Anlage) die Verantwortung für die Ausschreitungen vom 23. Juni 1990 übernommen hat und zu weiteren terroristischen Aktionen aufruft.
Die zuständigen Stellen beim Magistrat bzw. bei der Volkskammer werden ersucht im Ergebnis der Ermittlungen die notwendigen Schritte gemäss Vereinigungsgesetz 3 Absatz 2 und 21 einzuleiten.

Den Antrag haben PDS und SPD unterstützt!!

Auszug aus dem Antifa-Flugblatt auf den sich der CDU-Antrag bezieht!

In Gesprächen mit Anwohnerinnen und Anwohnern haben wir erfahren, dass die Vermummung der Demonstrationsteilnehmerinnen und –teilnehmer kritisiert wurde. Wir wissen aber, dass die Faschisten „Schwarze Listen“ mit Fotos von aktiven Antifaschistinnen und Antifaschisten anfertigen. Deshalb mussten wir aus Gründen des Selbstschutzes unsere Gesichter verhüllen.

Ein anderer Kritikpunkt waren die Sprühereien an Häuserwänden. Wir finden, dass die Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes nicht oft genug ins Bewusstsein der Menschen gerückt werden kann. Sollte uns allen nicht der Kampf für eine Welt ohne Nazis wichtiger sein als eine saubere Hauswand ?

Anmerkung:

Die CDU hat weiterhin einen Antrag eingebracht, indem die Veranstalter der Antifa-Demo zum Schadenersatz bezüglich der Schäden der Lichten­berg-Demo in Höhe vom 80 000 DM zur Verantwortung gezogen werden sollten. (Unterstützt von PDS/SPD)

Kein Forum für Faschisten

Dialogspiele im Nachfeld der Lichtenberger Demonstration

Nach der umstrittenen Antifa-Demo in Lichtenberg kam es zu Distanzie­rungen und Diffamierungen seitens der meisten Bündnisgruppen und zu einer notwendigen Auseinandersetzung innerhalb der Demoteilnehmerinnen.

Die faschistische Zentrale in der Weitlingstr. 122 besteht trotzdem weiter. Populistisch und bürgernah versucht die „Nationale Alternative“ sich einen Schafspelz anzulegen.

Die nach der Demo vom Innensenator Thomas Krüger so gelobten Verhandlungen mit der NA und WOSAN und ihrer Zusage des freiwilligen Auszugs aus der Weitlingstrasse erscheinen als gutorganisierter Flop. Die jetzigen Bewohnerinnen in der Weitlingstrasse gedenken nicht, freiwillig zu gehen. In dieser Situation kam es darauf an, den Faschisten in Lichtenberg keinen Stich zu lassen, die fasch. Zentrale zu räumen und die begonnenen Kontakte mit den Ausländerinnen zu intensivieren.

In einer Situation, wo nachlassende Wachsamkeit und zurückgehende antifaschistische Organisierung zu solchen Ereignissen führen, wie nach dem WM-Fussballendspiel, als sich nach dem „totalen Sieg“ Hooligans und faschistische Skins viel zu lange im Prenzlauer Berg und den anderen Stadt­teilen rumtreiben und randalieren konnten.

In dieser Situation spukte (spukt?) eine Forderung in den Köpfen von Bündnismenschen und Kultur-„Autonomen“ herum – Dialog mit Faschisten!

Genau dies wollten einige Leute im Podiumsgespräch unter der Überschrift „Antifaschismus und Terrorismus – Eisenstangen und Leuchtgeschosse“ öffentlich vorführen. Die Initiatoren dieser Diskussionsrunde waren Radio P, Leute von Tacheles (Multikulturelles Zentrum), Jugendverband RAJV (der wohl noch 3 Mitglieder hat) und Bärbel Bohley. Die Diskussions-„Kontrahenten“ sollten ein Einsatzleiter der VOPO aus Lichtenberg und zwei Faschisten der Nationalen Alternative (NA) sein.

Einen Tag vor der Veranstaltung, am 12. 7., trafen sich die verschiedenen Antifa-Gruppen und andere unabhängige Menschen zur Koordinierung zur Verhinderung der geplanten Veranstaltung. Es kam zu harten Auseinan­dersetzungen mit Vertretern aus dem Tacheles und von Radio P.

Die Diskussion war gereizt und die Dummheit oder gewollte Taktik der Organisatoren erschreckend.

Ein Kompromissvorschlag der Antifas, das Podium umzustellen, Poli­zei und Faschisten rauszuschmeissen und dann gemeinsam über antifaschistische Selbstorganisierung zu reden wurde von den Organisatoren ignoriert.

Dann nahm Jutta Braband (VL), ihre Zusage zurück – sie wusste nichts von einer Beteiligung von Faschisten am Podium. Bärbel Bohley lehnte die Teilnahme ab, da für sie die „Ausgewogenheit“ der Podiumsbesetzung nicht gegeben war, da die Autonomen nicht mitmachten. Das und der Entzug der Raumerlaubnis in der Akademie der Künste durch den dortigen Vorstand und die angekündigte Blockadeabsicht brachte die Organisatoren nicht zum Einlenken. Sie versuchten weiterhin, an ihrem Konzept festzuhalten.

Am 12. 7., eine Stunde vor Beginn der geplanten Veranstaltung fand vor der Akademie die angekündigte Gegenkundgebung statt. Viele hatten über Medien von der Absage der Veranstaltung gehört, aber 200 Leute kamen noch gut zusammen.

Die Aktion war durch das Nichtstattfinden der Veranstaltung ein Erfolg.

Diese Veranstaltung hätte den Faschisten ein Podium geboten, von dem aus sie ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten hätten können und die NA als akzeptabler Gesprächspartner wäre zu einer gesellschaftlichen Gruppe im „demokratischen Disput“ aufgewertet worden.

Es ist klar, dass sich die Faschisten auf eine menschenverachtende Ideologie berufen. Mit Befürwortern von Massenmord und Angriffskriegen ist ein Dialog nicht möglich. Trotzdem ist die Auffassung, dass mit organisierten Faschisten öffentlich diskutiert werden kann und soll leider weit verbreitet.

Das Thema Faschismus wird zu eine Art Jugendbandenkrieg verfälscht Der Faschismus wird auf ein Randproblem reduziert, Rassismus, Nationalismus und Sexismus damit geschützt und geduldet.

Zur Fussball-WM wurde „Sieg-Sieg-Sieg“ und „Sieg heil“ gegrölt, Ausländerinnen wird der Arbeitsvertrag gekündigt, an der Grenze nach Süden und Osten wird eine neue Mauer errichtet.

Wo Nationalismus Staatspolitik ist, Rassismus Tugend, dort werden die „NA“ und andere faschistische Gruppierungen bald akzeptabler Koalitionspartner sein. Menschen, die sich dagegen wehren, werden kriminalisiert und diffamiert. Praktischer Antifaschismus ist zur Zeit leider aar Abwehrkampf. Das direkte Vorgehen gegen Nazis, da wo sie auftreten, greift nicht gegen gesellschaftliche Tendenzen wie Arbeitslosigkeit. Wollen wir über dieses Verhältnis hinauskommen – wollen wir dem Faschismus jegliche Grundlage entziehen, müssen wir grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen erreichen. Die Diffamierungskampagne, die nach der Lichtenberger Antifa-Demonstration einsetzte und die verschiedenen

Bei einer antifaschistischen Gegendemo zum Aufmarsch der faschistischen. Nationalen Front gingen katholische und evangelische Kirche gemeinsam mit Schwulen, Lesben, Alternativen und Anarchos. Den Demoschutz organisierte ERA-Symphatisanten. Antifas griffen währendessen den Nationalen Front Aufmarsch an. Die gegenseitige Akzeptanz unter­schiedlicher Aktionsformen ohne Diffamierung und Spaltung lässt eine gesellschaftliche breite antifaschistische Aktionsfront entstehen. Sie waren und sind sich in einem wesentlichen Punkt einig und setzen es in Praxis um -keinen Fussbreit den Faschisten – kein Forum für Faschisten.  d.t.