Extreme Rechte in der DDR

– VON FRANK SCHUMANN , ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT, NR. 75, FRÜHJAHR 2007 –

Am Abend des 9. November 1989 hockte ich in Potsdam auf einem Podium. Neben mir saßen ein Vertreter der jüdischen Gemeinde, Heinz Vietze – vormals Jugendfunktionär, seit kurzem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung -, einige aufgeregte Jugendliche sowie Offizielle, an deren Namen und Amt ich mich nicht erinnere.

Anlass der kurzfristig anberaumten Diskussionsrunde, die, wie die meisten in jenen Wochen, in einem überfüllten Saal stattfand, war ein in jeder Hinsicht skandalöser Vorgang: Jugendliche hatten in der Bezirksstadt mit einer Lichterkette an das faschistische Pogrom vor 52 Jahren erinnert. Die Volkspolizei hatte sich etliche Mädchen und Jungen gegriffen und »zugeführt«. Die Begründung war formal-rechtlich korrekt, weshalb man sich ihrer offenkundig bis heute bedient: Die Demonstration war nicht angemeldet worden. Jedoch änderte dies nichts an der beschämenden Tatsache, dass eine eindeutig antifaschistische Bekundung von den Exekutivorganen eines antifaschistischen Staates unterbunden worden war. Das vor allem hatte nicht wenige in Potsdam aufgebracht.

Wie ist so was überhaupt möglich, wurde vornehmlich Vietze immer wieder gefragt, denn zu jener Zeit fühlte sich »die Partei« nicht nur für alles zuständig: Sie war es auch. Der Potsdamer Parteiobere mühte sich ehrlich (was wohl auch erklärt, weshalb er noch immer im Brandenburger Landtag sitzt). Er distanzierte sich von diesen Übergriffen, was seiner inneren Überzeugung zu entsprechen schien, und verwies darauf, dass in jeder Uniform auch nur ein Mensch mit Macken stecke. Mit dem Hinweis auf individuelle Besonderheiten hatte er zwar die Lacher auf seiner Seite, zumal man solch offenherzigen Bekundungen von hochrangigen SED-Funktionären bis dato nicht vernommen hatte. Doch jeder, der über den Tellerrand einer Volkspolizei-Schirmmütze hinausdachte, war sich bewusst, dass Vietzes Auskunft zwar nicht falsch war, jedoch nicht den Kern des Problems berührte.

Wir gingen gleichermaßen ratlos wie ermutigt (»Immerhin kann man jetzt darüber reden!«) auseinander. Ich fuhr mit meinem radiolosen Trabant über Teltow und Schönefeld nach Berlin-Mitte, wo die Redaktion der Jungen Welt ihren Sitz hatte. Als ich am Grenzübergang Oberbaumbrücke vorüberfuhr, nahm ich eine große Ansammlung wahr. Ich sah, wie sich Menschen krumm machten und andere auf ihrem Rücken irgendwelche Papiere ausfüllten. In der Redaktion saß die B-Schicht wie immer in ihrem Abteil und gab Meldungen für die Hauptstadtausgabe in Satz, auf dem Fensterbrett dudelte der Schwarzweiß-Fernseher. Ich fragte den B-Chef (der heute im Bundestag arbeitet), ob es etwas Besonderes gäbe und berichtete von meiner Beobachtung an der Brücke. Und der antwortete lakonisch, als teile er mir die Uhrzeit mit: »Die haben die Grenze aufgemacht.«

24 Stunden später saß ich zwischen 0 und 2 Uhr in einem Rundfunkstudio in der Nalepastraße zwischen den Chefredakteuren des DDR-Jugendfernsehens und von DT 64 und durfte live – dies betonte man immer wieder, was wohl die Erstmaligkeit des Vorgangs unterstreichen sollte – über die Konsequenzen der überraschenden Grenzöffnung meditieren. Unablässig wurden vermeintliche oder tatsächliche Hörerfragen hereingegeben. Ich gefiel mir in einer Außenseiterrolle, denn im Unterschied zu den anderen erklärte ich, dass der Mauerfall erstens das Ende der DDR bedeute und zweitens, dass jetzt auch dieser ganze unterschwellige nazistische Rotz hochkäme. In jeder Gesellschaft gäbe es einen braunen Bodensatz, auch in der unsrigen. Wir würden Zeugen eines Vorgangs werden, der vergleichbar wäre mit dem Zug einer Schleuse: Das angestaute Wasser würde hindurch schießen und den ganzen abgelagerten Dreck aufwirbeln, der schon immer, aber bislang unbemerkt, vor und hinter dem Wehr auf dem Grunde lagerte…

Diese Kassandra-Rufe entsprangen ausschließlich meiner Ratio. Emotional sperrte ich mich dagegen. Ich lief noch bis zum 3. Oktober 1990 zu jeder Demo, die sich für die Eigenständigkeit der DDR aussprach, obgleich doch der Drops längst gelutscht war, wie der Berliner sagt. Und jede Neonazischmiererei, jeder Fascho-Aufzug, jeder Heil-Ruf, jeder Hass- und Hetzbrief, der die Redaktion erreichte, wühlten mich trotzdem unverändert auf. Unter den rund 600 Zuschriften, die die Junge Welt täglich erhielt, gab es zunehmend auch solche. Doch das war nicht neu. Nur die Menge überraschte.

Anpassung und Ausbruch
Wer aufmerksam die DDR-Gesellschaft erlebte, dem konnten die stetigen Veränderungen insbesondere in den 1980er Jahren nicht entgehen. Vor allem unter den Jugendlichen. Das lag zwar in der Natur der Biologie. Aber eben nicht nur. Es hatte auch etwas mit dem normierten Dasein zu tun. Wenn ein junger Enthusiast meinte, er wolle der Weltrevolution voran helfen und darum als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen oder sich einer Befreiungsbewegung in Lateinamerika anschließen, hieß es strafend: Deine Barrikade ist die Drehbank! Die Revolution findet im sozialistischen Wettbewerb statt. Das geregelte, gesicherte Dasein war in diesem Alter nicht nur öde, sondern auch lähmend. Die geforderte Anpassung – ein Vorgang, der sich offenkundig wiederholt – provozierte auch den Wunsch nach auffälligen Ausbruch. Und zweifellos lieferte die Welt draußen dafür auch Anregungen, wie das geschehen konnte. Denn trotz Mauer und eingeschränkter Reisemöglichkeit tauchten auch die DDR-Bürger in den globalen Nachrichtenstrom ein. Diesen Umstand nahmen die DDR-Oberen als ausschließlichen Grund, daß es plötzlich hierzulande auch Punks, Popper, Red-Skins und Glatzen, Faschos und andere bunte Vögel gab. Sie interpretierten dies ausschließlich als Reflex auf auswärtige Entwicklungen, als modische Verirrung Heranwachsender und ungenügende »ideologische Arbeit« des Jugendverbandes. Kurz: als Westimport. Es kam ihnen überhaupt nicht in den Sinn, daß dies sehr wohl auch etwas mit ihrer Politik und der inneren Verfassung der DDR-Gesellschaft zu tun hatte. Die utopische Vision, mit der die Gründergeneration der DDR einst aufgebrochen war – nämlich eine alternative Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Anpassungsdruck, von Bevormundung und Repression zu schaffen – hatte sich spürbar erledigt. Übriggeblieben war eine ums Überleben kämpfende arme Kleinbürgerrepublik, deren Führung glaubte, die reiche kapitalistische Großbürgerrepublik mit deren eigenen Waffen schlagen zu können. Das war nicht nur illusionär und weltfremd. Es verspielte auch Vertrauen in die Fähigkeit der Führungsmannschaft, das Staatsschiff zu steuern. Die Massenloyalität, von der die DDR in ihren ersten beiden Jahrzehnten durchaus getragen wurde, verlor sich bis zum Ende der 1980er Jahre gänzlich. Das ist in allen Untersuchungen des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung (ZU) dokumentiert. (Nicht grundlos schloss Honecker in den 70er Jahren das andere, beim ZK der SED angebundene Meinungsforschungsinstitut der DDR: Mit empirisch belegten Wahrheiten hatte er Probleme.) Zu dieser Wahrheit gehörte auch: Wie der deutsche Zwilling BRD war die DDR mit den Lasten der Vergangenheit geschlagen. Doch diese wurden noch potenziert mit den Belastungen der Gegenwart. Eigentlich führte die DDR von Anfang an einen Zweifrontenkrieg: gegen den Klassenfeind im Westen und gegen den großen Bruder im Osten. Da blieb zwangsläufig vieles liegen, auch manches, was zur geistigen Hygiene notwendig dazugehörte, was nun heute, nachdem die Schlacht geschlagen und verloren ist, billig konstatiert werden kann. Das vielleicht größte Manko war eine fehlende Dynamik auf den meisten Politikfeldern, die den Entwicklungen Rechnung trug. Der Reformstau ist nicht nur ein aktueller Begriff. Hinzu kam: Gesellschaftliche Probleme wurden nicht, wie erforderlich, politisch, sondern zunehmend repressiv gelöst. Diese Neigung scheint jedem politischen System innezuwohnen. Zum Versagen der DDR gehörte auch – und mit dieser Aussage sollen keineswegs etwa die beachtlichen Leistungen bei der künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur ignoriert werden -, nicht angemessen auf die Veränderungen reagiert zu haben, die sich zwangsläufig aus der Generationenfolge ergaben. Einem Heranwachsenden in den 1980er Jahren den Faschismus aus der Perspektive eines eingekerkerten antifaschistischen Widerstandskämpfers zu erklären, war so unwirksam und verhängnisvoll wie das Verschweigen, wie man hierzulande nach 1945 mit den Millionen Mitläufern und Mitmachern umgegangen ist. Denn die ehemaligen NSDAP-Mitglieder lebten nicht nur in Westdeutschland. Zweifellos kamen belastete Nazi- und Kriegsverbrecher in der DDR nicht zu bedeutenden Ämtern und anderen Ehrungen, und jene wenigen, die trotz brauner Vergangenheit eine gesellschaftliche Rolle spielten, räumte man das Recht auf Einkehr und Umkehr, auf eine Änderung der Überzeugung ein. (Diese zweifellos dem Menschen eigene Fähigkeit gestand man scheinbar jedoch nur den in der DDR Lebenden zu.) Antifaschismus als Haltung wurde von Staatswegen gefördert. Es war – anders als in der BRD – Staatsdoktrin und Verfassungsauftrag. Und er wurde von den meisten Menschen in der DDR auch individuell gelebt. Auf der anderen Seite stellte sich die Führung, die mehrheitlich im Widerstand, im KZ, in Zuchthäusern oder im Exil Faschismus und Krieg überlebt hatte, als die Inkarnation des Antifaschismus dar. Zweifellos verdiente die Tatsache, sich der Barbarei widersetzt und für deren Beendigung gekämpft zu haben, eine größere Beachtung und Würdigung als das Duckmäusertum von Millionen Opportunisten. Doch es entschuldigte nicht die Fehler und Irrtümer, die diese Menschen jetzt machten. Sie benutzten den Antifaschismus gleichsam als ihren Schutzschild, als Monstranz. Wer dagegen opponierte, musste mit heftiger Reaktion rechnen. An dieser Stelle reagierten sie besonders empfindsam. Das lud zwangsläufig zur Provokation ein. Und davon machten insbesondere Jugendliche zunehmend Gebrauch. Ich widerspreche darum entschieden der heute kolportierten Auffassung, dass die Ostdeutschen besonders anfällig für Nazi-Ideologie gewesen seien, weil sich im Grundsatz das Hitlerreich nur graduell von der Honeckerdiktatur unterschieden habe. Was jenem tradierten Argumentationsmuster entspricht, Kommunisten seien rotlackierte Faschisten. Wie passt dazu, dass sich unter den in der DDR auffälligen Neonazis auch ausgemachte Antikommunisten mit einem fest umrissenen Weltbild befanden? Der heute von ostdeutschen Neonazis gepflegte positive Bezug auf die DDR bezeugt weniger die Gleichheit der Kappen, sondern dient eher dem gleichen provokativen Zweck wie seinerzeit Hakenkreuz-Schmierereien und Heil-Geschrei. Der repressive Umgang damit offenbart die gleiche Hilflosigkeit und Unfähigkeit der Politik.

Nebulöser Nationalismus
Und wenn es eben nicht bloße Provokation war? Woher rührten Ausländer- und Fremdenhass, dieser nebulöse Nationalismus, diese dumpfe Arroganz, die sich auf nichts gründete als auf die Herkunft? Weshalb waren einige plötzlich »stolz«, Deutsche zu sein, ohne auch nur annähernd die eigene wie die Geschichte der Nachbarvölker zu kennen? War dies nur billiger Reflex auf den propagierten Internationalismus, mit dem elegant die Frage umgangen worden war: Wie kann man die Völker der Welt lieben, aber das eigene nicht? Denn das deutsche Volk war gespalten worden von den Siegermächten. Und das wiederum war die Strafe für den Völkermord, den Nazideutschland begangen hatte. Die deutsche Teilung war, wenngleich keineswegs klaglos, in Ost wie West als Strafe der Welt angenommen worden. Doch anders als in der BRD und der dort betriebenen Westintegration blieb in der DDR mehr als nur ein diffuses Zusammengehörig-keits- und Nationalgefühl bestehen. Zumal man hier bis in die späten 1960er Jahre noch immer in der Nationalhymne sang: »Laß uns dir zum Guten dienen, / Deutschland, einig Vaterland«. Bei allen Abgrenzungsschritten – inklusive des 1961 in Moskau angeordneten Mauerbaus – hielt Berlin an der Option eines Zusammenschlusses, einer Konföderation oder dergleichen, und an der Idee eines Fortbestandes der deutschen Nation fest. Der Bruch erfolgte erst mit Honecker. Der postulierte Mitte der 1970er Jahre die »sozialistische deutsche Nation der DDR«. Doch da hatte bereits die politisch-ideologische Erosion der DDR-Gesellschaft begonnen, die Nummer verpuffte wie so manch andere Propaganda-Blase. Als Journalist bei der Jugendzeitung war ich oft im Lande unterwegs, berichtete von Versammlungen, recherchierte eigene Geschichten, hielt selber Foren ab, ging Anregungen und Beschwerden nach – die damals Eingaben hießen und, vom Gesetz vorgeschrieben, binnen 14 Tagen zu beantworten waren. Und ich nahm auch an Verfahren teil, in denen über Jugendliche zu Gericht gesessen wurde. Sie waren wegen Rowdytum angeklagt, wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens und dergleichen, was soviel bedeutete: Sie tanzten aus der Reihe. Ich saß als Berichterstatter im Saal und fand bestätigt, was sich in manchem Leserbrief bereits angedeutet hatte. Zwischen jugendlichem Leichtsinn und naivem Unwissen wurden Haltungen sichtbar, die den vorherrschenden politischen Intentionen hierzulande fremd waren. Ungestümer Hass blitzte auf, eine Ablehnung jeglicher Spießbürger-Idylle, die über den üblichen Generationenkonflikt hinausging. Wo kam das her? Der Blick auf die Besucherbänke lieferte die Antwort. Dort saß der Mittelstand: Eltern und Verwandte. Der Mittelbau unserer Gesellschaft: Funktionäre, Staatsdiener, Lehrer, die Honoratioren des Städtchens. Geachtet und geehrt. Am 1. Mai standen sie auf der Tribüne und am 7. Oktober in der Zeitung. In der »Aktuellen Kamera« urteilten sie über unsere Errungenschaften und im »Neuen Deutschland« verurteilten sie in scharfen Worten die jüngsten Verbrechen des Imperialismus. Sie wussten, was man von ihnen erwartete. Sie waren schließlich gesellschaftliche Wesen. Doch wenn sie die Wohnungstür hinter sich schlössen, waren sie privat. Da hatten sie eine eigene Meinung. Da redeten sie Klartext. Und das bekamen ihre Kinder mit. Doch im Unterschied zu ihren Eltern beherrschten sie die Klaviatur der Heuchelei, der Anpassung und des Opportunismus (noch) nicht. Sie sprachen und handelten auch vor der Tür so, wie es ihre Alten nur dahinter taten. Der Spruch aus den frühen 1970er Jahren, der im Westen bei den Linken kursierte, erlebte seine Renaissance im Osten: Macht kaputt, was euch kaputt macht! Und damit kamen diese Jugendlichen (und nur um solche handelte es sich) zwangsläufig mit den Gesetzen der DDR in Konflikt. Als Rowdies, als Asoziale, als Gewalttäter und so weiter. Nie als Rechte oder Neonazis. Denn der Faschismus galt als mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Deshalb gab es auch keine rassistisch motivierten Übergriffe, keine antisemitischen Äußerungen, keine politisch motivierten Attacken auf andere Jugendliche. Es gab nur die stereotypen Deutungsmuster. Ein Aufblitzen »des Faschismus« hierzulande hatte es offiziell nur am 17. Juni 1953 gegeben und am 13. August 1961, als man den »antifaschistischen Schutzwall« in Berlin errichtete.

Mangelnde Auseinandersetzung
Faschismus aber war nicht nur laut Dimitroff »die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Er wohnte rudimentär auch in Hirnen und Herzen von Millionen Menschen und überdauerte die Generationen. Noch Jahrzehnte nach Auschwitz arbeitete mancher gedankenlos »bis zur Vergasung« oder »fiel durch den Rost«. Noch immer war »der Iwan« doof und unkultiviert, klaute der »Zigeuner« und der »Itzik« betrog. Die Generalamnestie, mit der Mitläufer und Mittäter hinüber geholt wurden auf die Seite der »Sieger der Geschichte« (die es objektiv zu keiner Zeit geben wird, was aber mancher Westdeutsche noch immer nicht begriffen hat), war einerseits richtig, aber andererseits auch verhängnisvoll. Es verhinderte die fortgesetzt notwendige, aktive und kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in allen Bereichen der Gesellschaft. Dieses Versäumnis sollte sich in der DDR rächen. Und es rächt sich auch heute. Neonazismus ist zu allen Zeiten die Quittung für eine falsche Politik. Es scheint die vermeintliche Alternative, der Ausweg aus einem gesellschaftlichen Dilemma zu sein. Doch der ist eine Sackgasse wie die Losung »Weiter so!«, die die Herrschenden zu allen Zeiten im Munde führen. Egal, welche Fahne auf dem Rathaus weht.

Frank Schumann, Jahrgang 1951, von 1978 bis 1991 bei der Tageszeitung Junge Welt, zuletzt in deren Chefredaktion, seit 1991 Verleger und Publizist.

Neonazis in der DDR – Die Fan-Kurve wird zum Brutkasten der DDR-Neonaziszene

– VON DIETMAR WOLF, ERSCHIENEN IN ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT NR. 75 , FRÜHJAHR 2007 –

Die Anfänge neofaschistischer Organisierung in der DDR werden in der Regel auf die Jahre 1982/83 datiert. Doch schon in den Jahren zuvor kam es immer wieder zu rassistischen und ausländerfeindlichen Vorkommnissen. Die DDR war als Gesellschaft zu keiner Zeit frei von rassistischen Vorurteilen.

Im Gegenteil: Sie schürte sie selbst und bediente sich ihrer, indem sie zum Beispiel Menschen aus Afrika und Asien in die DDR zum arbeiten holte, diese aber ghettoisierte und aus der Gesellschaft fern hielt. Der gern bemühte Internationalismus war eine von vielen inhaltslosen Phrasen, die keinen wirklichen Weg in das Selbstverständnis der Menschen in der DDR fanden.

Unter dem Deckmantel der antiimperialistischen Solidarität mit dem palästinensischen Volk, wurden nicht selten antijüdische Vorurteile geschürt. Besonders in DDR-Medien fand sich immer wieder antiisraelische und antizionistische Propaganda. 1976 stellte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldman fest: »Von allen kommunistischen Staaten verhält sich die DDR zweifellos am feindseligsten gegenüber Israel, und ihre Presse ist überaus aggressiv« 1 und so verwundert es nicht, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in den Jahren 1978 und 1979 188 Fälle von »… schriftlicher staatsfeindlicher Hetze mit faschistischem Charakter…« registrierte. 2

Doch kann man sagen, dass es ab dem Anfang der 1980er Jahre zu einem sprunghaften Anstieg von so genannter rechts motivierter Gewalt im öffentlichen Raum kam. Vor allem in den Fußballstadien setzten Jugendliche ihren Alltagsfrust in Gewalt um. Es wurden immer mehr Polizisten benötigt, die Stadien ruhig zu halten. Zu dieser Zeit tauchten die ersten Skinheads auf. So zum Beispiel beim Ostberliner BFC-Dynamo. Aber auch bei Lok Leipzig und Hansa Rostock. Nicht selten waren es Punks, die sich ihre Irokesen-Kämme abschnitten, weil ihnen diese Ausdrucksform nicht radikal genug erschien. Unbestritten war auch der Einfluss des Westens. Trotz der Mauer pflegten viele Menschen ihre familiären und freundschaftlichen Kontakte in den Westen. Modetrends wurden mit einiger Verspätung übernommen und beeinflussten die Jugend in der DDR. Bomberjacken und DocMartens waren für Ostler schwer zu haben und galten schnell als Statussymbole. Wer keine Westverwandschaft hatte, musste für eine Bomberjacke nicht selten bis zu 800 DDR-Mark berappen. Das waren damals ein bis zwei Monatslöhne. Machten die DDR-Skinheads zunächst durch eine besonders hohe Gewaltbereitschaft auf sich aufmerksam, wurde dies schnell mit faschistischer und rassistischer Ideologie verknüpft. Für die DDR war dies vollkommen neu. Die Gesellschaft und Elternhäuser erwiesen sich schnell als überfordert.

Der Organisationsgrad nimmt zu
Schnell wurden westdeutsche Neonazis auf die neue Szene im Osten aufmerksam. Besonders in Berlin gab es rege Aktivitäten. Zwar lässt sich nicht genau nachvollziehen wie intensiv diese Bemühungen waren, an die Strukturen im Osten heranzukommen. Immerhin gibt es einzelne Beispiele, die belegen, dass dies der Fall ist. So besuchte der damalige Chef der Westberliner nationalistischen Front (NF) Andreas Pohl, zwischen 1983 und 1985 regelmäßig Ostberliner Skinheads. Das MfS war in der gesamten Zeit an Pohl dran und seine umfangreiche Stasi-Akte belegt. dass Pohl intensiv versuchte, Einfluss auf die Ostberliner Neonazi-Strukturen zu bekommen. Im Jahr 1986 schrieb POHL im Informationsblatt der NF »Klartext«, vom »…festen Bündnis der Freundschaft, das sich leider, bedingt durch die Mordmauer, nur in Besuchen unsererseits ausdrückt…«.3 Auch Christian Franke von der Westberliner NF hielt persönliche Kontakte zu BFC-Skinheads. Viele Kontakte liefen über Skinheads die in den Westen übersiedelten. 1986 dann erließ das MfS ein Einreiseverbot für Andreas Pohl.

Laut einer Studie des MfS von 1988 gab es intensivste Kontakte zwischen Skinheads aus der DDR zu Neonazigruppierungen aus Westberlin, Hamburg und Schweden. Diese Kontakte dienten, laut MfS: »dem Informationsaustausch über tätliche Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit sowie Entwicklungen in der „Szene‘, der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen und Bekleidungsstücken für DDR-Skinheads, der Einfuhr faschistischer Literatur, Symbole sowie spezieller Skin-Musik- Kassetten…« Allein im Jahre 1987 wurden 131 Skinheads aus Westberlin registriert, die in die DDR einreisten, um Kontakte zu DDR-Skinheads zu knüpfen und kontinuierliche Verbindungen herzustellen. 4

Ab Mitte der 1980er Jahre nahm der Organisationsgrad der Neonaziszene deutlich zu. Neben straff organisierten und geführten Fußballhooligangruppen, entstanden nun regelrechte Neonaziorganisationen. Bereits 1986 gründeten Ostberliner Skinheads die »Lichtenberger Front«, dann die »Bewegung 30. Januar« (in Anlehnung an die Machtübergabe an die Nazis am 30.Januar 1933). Diese Gruppe orientierte sich an der FAP und blieb in relativer Nähe zu Neonazis aus Westberlin. Sie betrieben intensive Suche nach alten Wehrmachtswaffen. Vorrangig auf dem Gebiet der Ende April 1945 tobenden Kesselschlacht um das brandenburgische Halbe. Diese Gruppe war maßgeblich an der Gründung der Ostberliner Neonazipartei »Nationale Alternative« und an der »Besetzung« des Neonazihauses in der Lichtenberger Weitlingstraße im Jahr 1990 beteiligt. Im Norden Ostberlins organisierte sich ab 1988 eine berüchtigte und straff geführte Schlägertruppe mit dem Namen »Bucher Front«. Sie verlegte sich mehrheitlich auf Überfälle und Gewaltaktionen gegen Ausländer, Punks und Gruftis.

Eine andere Gruppierung nannte sich »Die Vandalen« (eine Neonazigruppierung mit Rockerhabitus, die es noch heute gibt). Anfang Februar 1989 gründete sich im Raum Werder, Glindow, Caputh, im heutigen Land Brandenburg, eine Neonazipartei, die sich »Nationale Sammlung (NS)« nannte, Als Vorbild diente ein gleichnamiges Sammlungs- und Wahlbündnis, unter Führung des westdeutschen Neonazis Michael Kühnen. In der Ostsee- und Kreisstadt Wolgast im Bezirk Rostock wurde im August 1989 eine »SS-Division Walter Krüger« aufgedeckt. Diese widmete sich, nach eigenen Aussagen, intensiv der »Pflege faschistischer Traditionen, insbesondere der SS«. Die Gruppe war straff organisiert. Unter ihnen befanden sich, und das war neu, Lehrer und städtische Beamte. Laut interner Zahlen des MfS und der Volkspolizei wurden im Jahr 1988 185 Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund registriert. Ein Jahr später waren es bereits 300.

Der Überfall auf die Zionskirche
Am 17. Oktober 1987 überfiel eine Gruppe Neonazis ein Rockkonzert in der Ostberliner Zionskirche. Sie grölten Naziparolen und schlugen auf Konzertbesucher und Passanten ein. Dieser Vorfall veränderte die öffentliche Wahrnehmung entscheidend. Waren bis dahin Skinheads in den Medien und öffentlichen Diskussionen quasi nicht vorhanden, änderte sich das nun grundlegend. Erstmals, nach einigen Tagen des Schweigens, las und hörte der erstaunte DDR-Bürger in verschiedensten DDR-Medien von so genannten Skinheads. Da es nicht mehr gelang das Thema wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen und selbst das SED-treue »Komitee der Antifaschisten« zaghaft staatliche Schritte forderte, wurde eine Handvoll, am Überfall beteiligter Neonaziskins eingefangen und vor Gericht gestellt und in zweiter Instanz zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Mehr noch: Es wurde nun versucht, das gesamte Problem mit harter Hand zu bewältigen. In einem Interview im Jahre 1992 berichtet der damalige Ostberliner Kriminalpolizist Bernd Wagner von einer »großen Skinheadjagd in Ostberlin«. 5 Allein zwischen Ende November 1987 und Juli 1988 fanden in der DDR mindestens neun Prozesse gegen so genannte »Skinheads« statt, in denen 49 Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren wegen zahlreicher Gewaltakte und auch wegen Handlungen mit rechtsradikalem Hintergrund abgeurteilt wurden. Das Strafmaß belief sich meist auf Haftstrafen zwischen 5 Monaten und 2 Jahren in einem wenigen extremen Fall auch bis zu 6 Jahren. Jedoch wurde in allen bekannt gewordenen Prozessen ein neonazistischer oder rechtsradikaler Hintergrund verleugnet. Demzufolge kamen lediglich die Paragraphen 212 (Widerstand gegen staatliche Maßnahmen), 215 (Rowdytum) und 220 (öffentliche Herabwürdigung) des StGB zur Anwendung. Über die Wirkung der verhängten Strafen musste man sich jedoch keine Illusionen machen. Die Verurteilten kamen in den normalen DDR-Strafvollzug, wo nahezu nichts für eine erzieherische Beeinflussung und Reintegration der Gefangenen getan wurde. Und nicht selten wurde sich letztendlich dem Problem dadurch entledigt, dass die Neonaziskinheads nach ihrer Haftentlassung kurzerhand in den Westen abgeschoben wurden.

Gleichzeitig verfolgte man intensiv das Ziel, Skinheads aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen wie Jugendclubs, Diskotheken, Kneipen und Kinos erhielten intern die Anweisung, Skinheads und nach Skinhead aussehende Personen den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu verweigern, sie nicht zu bedienen und im Weigerungsfall die Polizei zu verständigen.

Statt sich offen und ehrlich mit den Gründen und Ursachen des auf-kommenden Neofaschismus in der DDR zu befassen, beschränkte man sich mit propagandistischen Plattitüden und ausreden. So behauptete das Zentralorgan der FDJ »Junge Welt«, das vor allem der übermäßige Genuss des Westfernsehens Schuld an diesen Auswüchsen sei.

Neonazis und Skinheads im Visier der Sicherheitsorgane
Für die SED-Regierung waren die Sicherheitsorgane das einzig denkbare Werkzeug zur Zurückdrängung der Skinhead-Erscheinungen. Bis Anfang 1988 hatte man umfangreiches Daten-und Zahlenmaterial über die Skinheadszene angehäuft. Unzählige Berichte über Vorfälle mit Skinheads gesammelt. Jedoch wusste man nicht wirklich, mit wem man es zu tun hatte. Deshalb gab der Leiter der Kriminalpolizei im Ministerium des Innern (Mdl), Generalleutnant Nedwig im April 1988 bei der Sektion für Kriminalistik der Humboldt-Universität einen Forschungsauftrag zur Bestimmung des »politischen Wesens« der Skinheads in Auftrag. Mit dem Leiter der Uni-Sektion, einem Offizier im besonderen Einsatz (OibE), war auch das MfS mit im Spiel. Was diese Studie, die im Februar 1989 fertiggestellt wurde, zu Tage förderte, wollte den Verantwortlichen bei Polizei und MfS so gar nicht gefallen. So gehörten fast alle der erfassten Jugendlichen der Arbeiterschaft an. Die Hälfte davon hatten bereits Facharbeiterstatus. Die meisten waren im Alter zwischen 18 und 26 Jahren. Der soziale Status der Eltern hingegen war ein repräsentativer Querschnitt durch die Gesellschaft: Intelligenzler, Facharbeiter, Handwerker.

Am Ende der Studie hieß es: »…Wir haben es mit einer DDR-spezifischen Modifikation eines allgemeinen Problems der Auseinandersetzung mit Sozialismus und Demokratie zu tun. Die Sozialstrukturanalyse beweist, dass die tragenden sozialen Kräfte vorerst aus der jungen Arbeiterklasse kommen und durch bisher nicht identifizierte Schichten-Vertreter der Bevölkerung Unterstützung finden. Die militante rechtsextreme Szene in der DDR trat nie so offen aggressiv auf wie heute, auch gehörten Brandstiftungen und Morde nicht zum Alltag, aber die Wurzeln des Übergangs von einer rechten Jugendkultur zu einer organisierten rechtsextremen Bewegung lagen in der DDR in Mitte der achtziger Jahre…« 6

Was den Sicherheitsorganen weiter Kopfzerbrechen bereitete, war der Sachverhalt, dass sich diese Jugendlichen der »…moralischen Werte der sozialistischen Gesellschaft als Zielgröße…« bedienten. Eine wirkliche Ursachenanalyse gibt es in dieser Studie jedoch nicht. Hinzu kam, dass man in den Chefetagen kalte Füße bekam und tiefgreifendere Studien nicht wollte. Die Führung der Kriminalpolizei blockte die Studie ab. Der Leiter der Kriminalistiksektion wurde als Gesprächspartner abgelöst. Ihm wurde vorgeworfen, dass er »Im Hinblick auf Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremistische Tendenzen der Skinheads, (übertrieben)…« hätte.

Ersetzt wurde er durch einen Oberst Schmidt, dessen Zuständigkeit »Häufigkeits- und Jugendkriminalität« war. Dieser hielt von dem gesamten Projekt offenbar nicht viel. Im Zusammenhang mit geplanten Interviews mit inhaftierten Rechtsextremen erklärte er in der nächsten Sitzung zwischen Auftraggeber und -nehmer, dass Interviews mit Inhaftierten »nicht erforderlich« seien, »da die Verurteilen ja bereits kriminalistisch vernommen worden sind«. Darüber hinaus seien Untersuchungen seiner Ansicht nach überflüssig, da »bei Skinheads bisher keine politischen Motive nachweisbar gewesen« sind. Das Forschungsprojekt war damit gestorben. Ein letzter Versuch des Sektionsleiters, weitere Forschungen bei seinem Dienstherrn, dem MfS, anzusiedeln scheiterte. Auch der Stasi wurde die Sache offenkundig zu heikel. 7

Mdl und MfS setzten lieber auf Infiltration und eine verstärkte repressive Eindämmung der Symptome. Das geht aus einer Weisung von Mielkes »Stellvertreter Operativ«, Generaloberst Mittig hervor, die zusammen mit dem bereits erwähnten Untersuchungsbericht vom 2. Februar 1988 an die Bezirksverwaltung für Sicherheit geleitet wurde: »Zur weiteren Durchsetzung der Weisung (…) ist die inoffizielle Arbeit unter derartigen Jugendlichen wesentlich zu verstärken. (…) Durch die IM sind rechtzeitig alle Zusammenschlüsse derartiger Jugendlicher, ihre Pläne und Absichten zu öffentlichen, gefährliche Zusammenrottungen und Handlungen (…) derartiger Jugendlicher aufzuklären und jeweils aktive Gegenmaßnahmen (…) einzuleiten«. 8

So waren im Frühjahr 1988 allein in Berlin 33 inoffizielle Mitarbeiter des MfS in der Skinhead-Szene aktiv. Insgesamt waren etwa 10-15 Prozent der vom MfS erfassten Rechtsradikalen gleichzeitig inoffizielle Mitarbeiter. Dabei ging man nach üblichem Muster vor. Die IM wurden nicht eingeschleust, sondern es wurden Personen in der Szene durch Methoden der Erpressung und Versprechungen angeworben. Hinzu kam das übliche Verfahren der Postkontrolle, Telefonüberwachung usw.

Betrachtet man jedoch die Entwicklungstendenzen der DDR-Neonaziszene, wird offensichtlich, dass es der SED-Führung und speziell dem MfS und der Polizei nicht möglich war, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Andere Versuche zur Problemlösung waren die Einberufung zur Nationalen Volksarmee oder die schnelle Genehmigung von Übersiedlungsanträgen in die BRD. Gerade letzteres erwies sich jedoch in fataler Weise als Bumerang: »Einen Schwerpunkt gegnerischer Kontaktpolitik und Tätigkeit, insbesondere hinsichtlich der existierenden Verbindungen zwischen Skinheads in der DDR und denen im Operationsgebiet, hauptsächlich in West-Berlin, üben übergesiedelte ehemalige DDR-Skinheads aus. (…) Diese aktiven Rückverbindungen sind zunehmend und operativ bedeutsam«. Konnten die Sicherheitsorgane in der Zeit bis kurz nach dem Überfall auf die Zionskirche einige Erfolge erzielen, war jedoch spätestens ab 1988 ihre repressive Politik gescheitert. Dies kann man an der stetig ansteigenden Zahl von Neonazis bis Herbst 1989 ablesen.

Ein weiterer erschwerender Aspekt für das MfS war, dass die Deutsche Volkspolizei nicht das zu wünschende Engagement bei der Bekämpfung rechter Gewalt an den Tag legte. Anhand einer internen Information des MfS über einen Vorfall auf dem Berliner Alexanderplatz am 22. August 1988 ist dies gut ersichtlich. Nachdem es mehrere Tage hintereinander an der Gaststätte Alextreff zu Gewaltausbrüchen von Neonaziskinheads gekommen war, weil diesen der Kauf von Alkohol verweigert wurde, kam es an diesem Tag gegen 22.40 Uhr zu einem schweren Handgemenge mit uniformierten Armeeangehörigen. Als das VP-Revier 13 informiert und um Hilfe gebeten wurde, lehnte es diese ab. Die Weigerung wurde mit der Aussage: »Ihr wollt uns wohl verarschen! Wir sind doch nicht Eure Prügelknaben« begründet. Nach dem Überfall auf die Zionskirche wurde vom MfS schnell festgestellt und gerügt, dass die Polizei den Rechtsradikalismus nicht genügend ernst nimmt, dass die Kader ständig ausgewechselt werden, die jedes mal neu eingearbeitet werden müssen und dass bei der VP der notwendige Druck fehle, den das MfS zu mindestens in bestimmten Bereichen als notwendig erkannt hatte.

Auch so genannte gesellschaftliche Organisationen wie die FDJ taten sich schwer und waren nicht bereit sich des Problems der rechten Skinheads anzunehmen. So hatte das MfS im Sommer 1988 der FDJ-Bezirksleitung in Leipzig 83 Namen von Jugendlichen zukommen lassen, die ihrer Meinung nach »gefährdet« waren. Ein Jahr später hatten sie gerade Mal mit 20 dieser Jugendlichen gesprochen. Die FDJ redete sich damit heraus, dass sie keine Zeit gehabt hätten, da sie mit der Vorbereitung von gesellschaftlichen Höhepunkten zu sehr belastet wäre.

Allein der Umstand, dass sich die rechte Szene unter dem Druck der staatlichen Repression ab Mitte/Ende 1988 zu einem großen Teil aus der Öffentlichkeit zurückzog und sich in kleinen Gruppen intern weiter organisierte, reichte den Sicherheitsorganen als Bestätigung ihrer Praxis aus. Doch letztendlich musste sich auch das MfS das Scheitern seiner Praxis eingestehen. Ein leitender Offizier, verantwortlich für die Ermittlungsverfahren gegen die rechte Szene schrieb im Frühjahr 1989: »Es kann nicht alleinige Aufgabe der Untersuchungsorgane sein, sich mit der Bekämpfung dieser Erscheinungen auseinanderzusetzen. Das kann nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, in der alle Erziehungsträger gefordert werden müssen.« 10 ———————————————————————————————————————- 1| Thomas Leusink: Vom Kampf gegen den »Kosmopolitismus«, tetegraph 2/3 1999, bzw. Goldmann, Nahum: Das jüdische Paradox: Zionismus u. Judentum nach Hitler. Köln, 1978
2| Neofaschistische Tendenzen und antifaschistische Selbstorganisation in der DDR, telegraph 1/1997
3| »Vom Skinhead zum Fascho«, Drahtzieher im braunen Netz, Berlin 1992 4| Interne Information der Hauptabteilung XX des MfS, Berlin 02.02
5| Farin / Seidel-Pielen »Rechtsruck – Rassismus im neuen Deutschland«, Berlin 1992
6| Loni Niederländer, Forschungsbericht »Das politische Wesen der Skinheadgruppierungen und ihre Sicherheitsrelevanz«; Humbodt-Universität zu Berlin, Sektion Kriminalistik, 28. Februar 1989
7| Walter Süß, »Zur Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS«, Berlin 1996
8| Weisung vom »Stellvertreter Operativ« des Ministers Generaloberst Mittig vom 7.7.1986 (WS 68/86)
9| Geheime Information der Hauptabteilung XX des MfS vom 10.04.1989
10| Walter Süß. »Zur Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS«, Berlin 1996