– Aus Zeitschrift telegraph, Nr. 11/90, vom 18. Juni 1990 –
Zu Pfingsten waren Faschisten-Aktivitäten in Ostberlin angekündigt. An diesem Wochenende lief das letzte Fußballspiel der Saison, das Pokalendspiel Schwerin-Dresden.
Es waren Gerüchte im Umlauf, die sich auf zwei bestehende Häusergruppen bezogen. Natürlich überhaupt kein Grund für die anderen besetzten Projekte, ruhig abzuwarten. Und dass die Faschisten nicht nur am Fußball-Samstag losschlagen, sollte sich auch herumgesprochen haben. Aber scheinbar sind daraus noch keine Konsequenzen gezogen worden, wie die Vorkommnisse am 1. Juni zeigten. Die Faschisten hatten keine große Mühe, die Café-Tür im Tacheles-Gebäude (ehem. Camara-Kino) aufzubrechen und brutal gegen die BesetzerInnen vorzugehen. Eine Frau wurde von einem Molotow-Cocktail getroffen und liegt derzeit im Krankenhaus. Die Gefahr der Erblindung besteht. Offenbar ist es jetzt bei den Faschisten Doktrin, auch gegen Frauen vorzugehen („feministische lesbische Frauen aufmischen“ – Zitat der NA-Weitlingstrasse).
Die „undurchsichtige“ Strategie der Polizei wurde vor dem Tacheles überdeutlich: zwei Tonis (Polizei-PKW) warteten, ohne einzugreifen, während die Faschistenüberfalls auf Verstärkung, die lange auf sich warten Hess, da angeblich niemand zur Verfügung stand (ein Tag später, Samstag 22.00 Uhr hielt ein voller Polizei-LKW am Kollwitzplatz, um einer Anzeige wegen Ruhestörung nachzugehen).
Wegen des schlampigen Wachdienstes konnten sich in der gleichen Nacht in das besetzte Haus in der Kastanienallee 86 offensichtlich einige Nazis einschleichen, die Gashähne in einer leerstehenden Wohnung aufdrehen und die Wände mit „Juda verrecke)“ beschmieren.
Am Samstag, den 2. Juni, versuchten die Faschisten und Hooligans, scheinbar ermuntert durch die „Erfolge“ in der Nacht, das Straßenfest in der Kreuziger Straße anzugreifen. Als die Besucherinnen des Straßenfestes die Hooligans in die Flucht schlugen, ging die Polizei dazwischen und lud einige Kinder-Hooligans und einige Straßenfestbesucherlnnen aus den besetzten Häusern auf die LKWs und brachte sie zur Personalienfeststellung in eine Schule (denen könnten auch mal neue Orte einfallen).
Und das las sich dann in der Tagespresse als Straßenschlacht zwischen Polizisten und Faschisten.
Am Samstagnachmittag wurde dann eine antifaschistische Demonstration durch Lichtenberg, vorbei an der Weitlingsstraße bis zu den Wohnheimen der Ausländerinnen durchgeführt Beim Plenum vor der Demo war es, wie ein Beitrag in der Westberliner Zeitschrift „Interim“ kritisiert, teilweise zu ’stalinistischen“ Verhaltensformen gekommen, Überbewertung der eigenen Meinung, daraus folgende Geringschätzung anderer, autoritäres Führungsprinzip. Vielen war der Charakter der Demo nicht klar, deshalb gingen auch nicht alle mit nach Lichtenberg.
Die Demonstration war aber als Antwort auf die Faschisten-Überfälle notwendig und wichtig. Die von Nazis besetzten Häuser in der Weitlingstraße und die Parteizentrale der Nationalen Alternative, stellen als Symbolik faschistischer Ideologie und deren Institutionalisierung eine besondere Gefahr dar. Die vielfältigen Aktionen auf der Weitlingstraße,
Flugblätter, Plakate, Sprühereien, Buttersäureanschläge, Demonstrationen, machen klar, dass viele nicht mehr gewillt sind, die faschistischen Überfälle hinzunehmen. Die NA-Zentrale muss Und wird beseitigt werden. Das Wie und Wann setzt politische Diskussionen unter einem größtmöglichen politischen Spektrum voraus. Der Faschismus kann natürlich nicht militärisch beseitigt, sondern höchstens können gewalttätige Überfälle zurückgeschlagen und eingedämmt werden. Neben praktischen Aktivitäten aller Art kann nur eine breite linke und radikaldemokratische Bewegung etwas dauerndes entgegensetzen. d.t.