Der Naziüberfall auf die Zionskirche

Die Ereignisse vom 17. Oktober 1987 waren der erste Schritt zu einer neuen Qualität der Konfrontation. An diesem Tag gelangte die Zionskirche in Berlin Prenzlauer Berg erstmals zu unerwarteter Berühmtheit.

Als gegen Ende eines Rockkonzerts in der Kirche eine große Gruppe Skinheads auftauchten, Naziparolen gröhlend auf Konzertbesucher einschlugen und im Umkreis der Kirche unbescholtene Passanten und Einwohner angriffen, war es plötzlich und unverhofft geschehen. Was staatlicherseits über Jahre hinweg durch Justiz und Polizei, durch Versuchung, Abwiegelei und durch harte Repression unter dem Deckel gehalten wurde war plötzlich nicht mehr zu halten gewesen. Anteil daran hatte auch die hartnäckige Öffentlichkeitsarbeit der Umwelt-Bibliothek, die eine Vertuschung durch die DDR-Oberen von vornherein verhinderte. Nun waren sie in aller Munde. Skinheads, Neaonazis, Faschos. Doch erst einmal versuchte man sich auf seiten der SED in Schadensbegrenzung. Nach einigen Tagen des Schweigens war dann auch in der DDR-Presse in kleinen Meldungen von einem Übergriff von Rowdys zu lesen.

Die Ostberliner Untergrundzeitschrift „Umweltblätter“ berichteten in ihrer Ausgabe vom 1.September 1987 ausführlich über den Überfall. Darüber hinaus werden erstmal unabhängige Versuche zur antifaschistischen Selbstorganisierung in der DDR erwähnt:
„..Als die UmweltBibliothek im Sommer des Jahres in der im Bau befindlichen Zionskirche mit der Veranstaltung von Konzerten begann, konnte keiner die Folgen ahnen. Der Anspruch, nebenbei die Friedens? und Umweltproblematik breiten Schichten zu vermitteln, erwies sich als verfehlt, Stattdessen fühlten sich die Veranstalter in die Rolle gedrängt, das stete Defizit einer Jugendszene an Lebensgefühl und Rausch zu befriedigen. Erschreckend brach in die heile Aufklärungswelt der Öko-Paxer die irrationale Realität des Landes herein, zuletzt beim Überfall der neonazistischen Jugendsekte der Skins während des Konzerts am 17.Oktober (1987; d. Autor). Die Situation war grotesk. Die 3OO bis 400 am Ende des Konzerts noch gebliebenen Zuschauer 1ießen sich von 3O Glatzköpfen terrorisieren. Erst als eine kleine Anzahl von Entschlossenen massiv gegen die Skins vorging, verließen diese fluchtartig die Kirche. Um sich ihre Niederlage zu entschädigen „mischten“ die Skins auf dem Rückweg den Schwulenstrich an der Schönhauser Allee „auf“. (Die sind jedenfalls schön feige und wehren sich nicht ? warum eigentlich nicht?). Tatenlos stand auch die Besatzung von mehreren Polizeiwagen um die Zionskirche herum. Angeblich hatten sie keine Anweisungen, andere wollten „in so einen Haufen nicht reingehen.“ (…)
Der Widerstand gegen die Glatzköpfe ist vorerst vereinzelt und diskontinuierlich. Von der Polizei wurde die Bewegung seit Anfang an bagatellisiert. (…) Verurteilungen der Skins vor Gericht erfolgen in der Regel individuell, nicht wegen faschistischer Propaganda sondern wegen Körperverletzung oder Rowdytum, sodaß die Skins nach einem halben Jahr wieder in Freiheit sind. (…)
Fakten und Zahlen hin und her ? es bleibt der schale Beigeschmack der Provinzposse, der schlechten Immigration, des schlechten Theaters. Gewiß, es ist blutig ernst, aber zugleich in höchstem Grade lächerlich. Aber vielleicht ist gerade das das Gefährliche an diesem Neofaschismus. -r.1.- “

Ein Schauprozeß soll´s richten

Nachdem sich die Gemüter nicht zu beruhigen schienen, es also der Parteipresse nicht gelang das Thema Naziskins wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen und selbst das SED-treue „Komitee der Antifaschisten“ zaghaft staatliche Schritte forderte, ging man in die Offensive. Kurzerhand wurde eine Handvoll, am Überfall beteiligte Nazi-Skins eingefangen und man machte ihnen den Schauprozeß. Ein Augenzeuge schrieb darüber in den Umweltblättern Ausgabe vom 15. Dezember 1987:
„…Vier Tage lang hatte ich die Möglichkeit, den Prozeß gegen 4 Skin-Heads zu beobachten. der Prozeß war eigentlich öffentlich. Entgegen der Praxis in „politischen Prozessen“ die Öffentlichkeit auszuschließen, kam es bei diesem Prozeß gegen „4 Rowdies“ nicht zu einem ausschließenden Beschluß der Kammer des Stadtbezirksgerichts Mitte. Kollektivvertreter, Eltern, Geschwister, eine Verlobte, die DDR-Presse, Vertreter der evangelischen Kirche als auch der jüdischen Gemeinde der Hauptstadt blieben im Gerichtssaal Nr. 385 in der Littenstr. Weitere Besucher hatten kaum die Chance, der Verhandlung beizuwohnen. Es gab halt nur wenige Stühle und die waren immer besetzt. Einigen Zeugen bot Richter Engelmann nach Befragung das Verbleiben im Saal an. Für Zeugen, die der Skin-Szene zuzurechnen sind, galt: Verlassen Sie bitte den Verhandlungsraum, alle Plätze sind besetzt. Vor und im Gerichtsgebäude kontrollierten Mitarbeiter der Staatssicherheit die Besucher des Prozesses. Fragt sich nur, wozu diese Präsenz der Staatssicherheit beim Prozeß? (…)
An drei Verhandlungstagen erschienen 22 Zeugen. Richter Engelmann, die aktivste Person der gesamten Veranstaltung, fragte, wies zurück, faßte nach. Insgesamt eine erstaunliche Leistung zur Aufklärung des Rowdytums. Die ihm zur Linken bzw. Rechten sitzenden Schöffen, zwei Frauen, wirkten eher wie Statisten und ergriffen nur 2-3 mal das Wort. Vielleicht kam ihnen auch mehr die Supervisorfunktion zu.

Staatsanwalt Hecht, deutlich in Fragen und Beiträgen hinter dem Richter zurückstehend, verfolgte demgegenüber ein reduziertes Programm. Seine Fragen zielten insbesondere auf die Beteiligung Westberliner Skinheads beim Überfall auf die Zionskirche. Jeder Zeuge und Beschuldigte hatte die Frage nach Anzahl, besondere Merkmale und Namen zu beantworten. Ihm selbst war lediglich ein Westberliner „Rädelsführer“ namens „Bomber“ alias bürgerlich Bäcker bekannt. Richter Engelmann steuerte erst bei der Urteilsbegründung einen zweiten Namen, „Thomas“, bei. Besondere Aufmerksamkeit galt den Nazi-Rufen der Angeklagten. Sowohl Zeugen als auch die beschuldigten Rowdys wurden dazu systematisch abgefragt.

Nichts blieb davon in der Zeugenvernehmung ausgeblendet. Der Nachweis hingegen fiel Richter und Staatsanwalt außerordentlich schwer. Die Beschuldigten wiesen die Zeugenaussagen, demnach sie das Horst-Wessel-Lied gesungen haben, die Hand zum Hitlergruß erhoben, „Juden raus aus deutschen Kirchen“, „Kommunistenschweine“ u.v.m. brüllten, glattweg zurück. Der Angeklagte Sven Ewert (20) sagte: „Hätte ich gewußt, daß solche Losungen gerufen werden sollten, wäre ich nicht zur Zionskirche gefahren.“ Warum er sich nicht von den Nazis zurückzog, sagte er jedoch nicht.

Lediglich der 17-jährige Frank Brand gestand einen „Heil Hitler“-Ruf und empörte sich über das Strafmaß von 18 Monaten. Der Hauptangeklagte Ronny Busse, mit 195 cm alle überragend und mit seinen affenartig langen Armen Prügelkommandos auf Punks und anderen Konzertbesucher hetzend, hatte selbst nur Rufe wie „Nazis raus“ gehört. Aus dieser Beweisnot behalf sich Richter Engelmann mit dem Grundsatz: `Die objektive Schwere der Gesamttat muß jedem Einzelnen angelastet werden.´

Staatsanwalt Hecht beantragte schließlich Haftstrafen wegen „Rowdytums“ und in drei Fällen, wegen „Öffentlicher Herabwürdigung“ von einmal 2 Jahren, zweimal 18 Monaten und einmal 14 Monaten. In der Urteilsbegründung durch Richter Engelmann wurde insbesondere die Beteiligung Westberliner Skins herausgestellt. Sogar deren Rädelsführer „Bomber“ alias Becker ist bekannt. Er charakterisierte die Straftaten als schwere Vergehen gegen die Würde des Menschen, geeignet Panik und Unruhe in der Bevölkerung hervorzurufen. Der Angriff, so Richter Engelmann, war geplant und organisiert durchgeführt. Als besonders straferschwerend kommen die faschistischen, nazistischen und rassistischen Herabwürdigungen hinzu. In seinem Urteil trug er dieser Einschätzung jedoch kaum Rechnung. In zwei Fällen blieb er unter dem Antrag des Staatsanwalts. Sein Urteil belief sich auf 2 Jahre, 18 Monate, 15 und 12 Monate für die „Rowdys“. Von den unterschiedlichsten Prozeßteilnehmern und ?Interessierten, bis hin zu Antifaschistischen Widerstandskämpfern wird das Urteil als der Schwere des Verbrechen nicht gerecht werdend eingeschätzt. Eine Einordnung der Straftaten unter Rowdytum“ ist sicherlich von vornherein verfehlt. Handelt es sich hier nicht vielmehr um ein Verbrechen gegen Menschlichkeit und Menschenrechte, wenn Personen brutal angegriffen werden, weil unter Ihnen Juden, Kommunisten oder Punks vermutet werden? Eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ? wenn Menschen nur wegen nationaler, weltanschaulicher oder kultureller Besonderheiten, so einer der Angeklagten, „umgehauen“ werden, zudem geplant und organisiert. Sollte in diesem Fall nicht wirklich einmal der berüchtigte § 218 zutreffen? ? c.j. ? “

Das Urteil rief allerorts Proteste hervor. Unter der Überschrift „geringe Freiheitsstrafen für Rowdys“ berichtete die DDR-Presse über das unerwartet milde Urteil. Die Staatsanwalt legte sofort Protest gegen das Urteil ein. In einer ADN-Meldung vom 07. Dezember 1987 heißt es dazu: „Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin? Mitte, durch das vier Rowdys wegen ihrer aktiven Beteiligung an schweren Ausschreitungen am 17. Oktober 1987 vor und in der Zionskirche in Berlin zu Freiheitsstrafen zwischen 1 und 2 Jahren verurteilt worden waren, Protest eingelegt. Im Protest wird hervorgehoben. daß die ausgesprochenen Freiheitsstrafen in keiner Weise der Schwere der begangenen Straftaten entsprechen, insbesondere wegen des brutalen und organisierten Vorgehens, des Brüllens von faschistisch?terroristischen Parolen sowie der schweren Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Wer in dieser Art die Rechtssicherheit beeinträchtigt, muß mit aller Konsequenz zur Verantwortung gezogen werden. Das Stadtgericht Berlin wird über den Protest entscheiden…“.

Durch den unerwarteten Druck der Öffentlichkeit ist man gezwungen, den Prozeß neu aufzurollen. Die Umweltblätter berichteten in ihrer Ausgabe vom 20.01.1988 über die Berufungsverhandlung:
„…Kurz vor Weihnachten eröffnete der 1.Strafsenat des Stadtgerichts Berlin die Verhandlung in der 2. Instanz gegen die vier „Skin?Rowdies“. Maßgebend dürfte der Hinweis auf Artikel 6 unserer Verfassung gewesen sein, demnach „militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen? und Völkerhaß als Verbrechen geahndet“ wird. Also mit Strafen ab 2 Jahren aufwärts. Vielleicht kannte die erste Instanz die Verfassung nicht so genau, aber dies dürfte in Bezug auf unseren „Gesellschaftsvertrag“ kein Einzelfall sein.

Der 2.Instanz war ein Protest der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Stadtbezirksgerichts Mitte vorausgegangen, demzufolge die zu „milden Strafen“ aufgehoben wurden. Die Rechtsanwälte Puvalla und Kossek verwiesen auf eine Besonderheit: Der Protest der Staatsanwaltschaft richtete sich zugleich gegen Strafanträge der Staatsanwaltschaft. Staatsanwalt Boese konnte jedoch „zahlreiche Proteste aus der Bevölkerung“ anführen und erklärte, daß es in der DDR keinerlei Nachsicht für diese Straftaten gibt. Die „Ausschreitungen“ vor und an der Zionskirche wären zwar aus dem Westen beeinflußt, aber dies ist hier kein strafmildernder Grund“. Im Urteil der 2.Instanz sind im wesentlichen keine neuen Tatbestände herangezogen worden. Richter Ziegler bewertete die bereits in erster Instanz aufgenommenen Tatbestände jedoch in zwei Fällen als Verbrechen. Das Stadtbezirkegericht Mitte hatte, so Richter Ziegler „die Schwere der Ausschreitungen nicht richtig gewertet“. Ansonsten bestätigte er jedoch, daß die Ausschließung der Angeklagten bei Zeugenaussagen korrekt war. damit ist keine Einschränkung des Rechts auf Verteidigung gegeben. Unzulässig war jedoch die Verlesung einer Zeugenaussage in Abwesenheit des Zeugen.

Die besondere Schwere der Überfälle charakterisierte der Richter als „völlig neue Form der Kriminalität in der Hauptstadt“.

Dem entsprechen die Urteile: 4 Jahre für Rädelsführer Busse, 2 Jahre 6 Monate für den 17?jährigen Brand, Ewert unter Berücksichtigung seiner „aktiven Rolle bei der Wahrheitsfindung“ 1 Jahr 8 Monate, Brezinski schließlich 1 Jahr 6 Monate.

Die Berufungsanträge von drei Verurteilten sind abgelehnt worden. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Ein weiteres Rechtsmittel ist nicht gegeben. ? c.j. – “

Die, wegen des Zionüberfall verturteilten Sven Ebert, Ronny Busse und Frank Brand waren damals schon keine kleinen Lichter. Sie gehörten, neben dem des Überfalls wegen kurzzeitig festgenommenen aber erstaunlicher Weise trotz Zeugenaussagen nicht angeklagten Jens-Uwe Vogt, zum harten Kern der BFC-Skins. Die Rolle von Vogt war in diesem Zusammenhang für alle Beteiligten und die Prozeßbeobachter äußerst mysteriös. Als er plötzlich von der Bildfläche verschwand, war dies Anlaß für vielerlei Verdächtigungen; von Verrat war besonders unter „Kameraden“ die Rede. Stasi-Gerüchte machten die Runde. Auf die seitdem unbeantworteten Fragen fand die Illustrierte ‚Prinz‘ in ihrer Ausgabe 17/91 eine Antwort: Vogt soll seit 1982 inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sein, hieß es dort. Schlüssige Beweise für Vogt´s Kontakte zur Stasi ist blieb ‚Prinz‘ jedoch schuldig. 1988 reiste Voigt nach westberlin aus. Durch seine Verbindungen zu den NF-Kadern Andreas Pohl und Christian Franke stieg er innerhalb der NF-Berlin schnell zum Kader auf und versuchte schließlich, Pohl den Rang abzujagen. Während dieser Zeit hielt Vogt weiterhin intensive Kontakte zu „seinen“ Fans vom BFC.

Die Hexenjagd beginnt

Unter dem Eindruck der Ereignisse um den Überfall auf die Zionskirche, dem Prozeß und dem großen öffentlichen Interesse im In- und Ausland, befürchtete die SED-Führung ein extremen Imageverlust. Um dem entgegenzuwirken, wurden die Sicherheitsorgane angewiesen ihre repressiven Maßnahmen gegen die Skinheadszene um ein Vielfaches zu intensivieren. Mit Beginn des Jahres 1988 setzte eine regelrechte Hetzjagd ein. Zusätzlich wurde alles unternommen, Skinheads aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen wie Jugendclubs, Diskotheken, Kneipen und Kinos erhielten intern die Anweisung, Skinheads und nach Skinhead aussehenden Personen den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu verweigern, sie nicht zu bedienen und im Weigerungsfall die Polizei zu verständigen. Gleichzeitig ging man dazu über, öffentlichkeitswirksam Flagge zu zeigen. Unmittelbar nach dem Ende des Zionskirchenprozeß kündigte die Generalstaatsanwaltschaft weitere acht Prozesse gegen „Skin?Rowdies“ an. Gleichzeitig stellte der Generalstaatsanwalt der DDR an den Generalstaatsanwalt von Westberlin ein Ersuchen auf Strafverfolgung gegen „….Einwohner von Berlin (West)…“ die am Überfall auf die Kirche beteiligt waren. Der Westberliner Justizsprecher Kehne teilte daraufhin mit, „…daß die Westberliner Staatsanwaltschaft voraussichtlich gegen Westberliner Skins, die bei dem Überfall auf das Konzert in der Zionskirche beteiligt waren, ein Ermittlungsverfahren einleitet…“ Es soll wegen Körperverletzung, Nötigung und Volksverhetzung gegen Unbekannt ermittelt werden, da in einem Schreiben der Zionsgemeinde an den regierenden Bürgermeister Diepgen nur ein Familienname und ein möglicherweise mit diesem nicht zusammenhängender Vorname und ein Spitzname genannt wurde. Laut Kehne wäre die Zuständigkeit der Westberliner Staatsanwaltschaft für die Vorfälle im Stadtbezirk Mitte gegeben, da die Straftaten an Deutschen verübt wurden. Möglicherweise werde ein Rechtehilfeersuchen an die Generalstaatsanwaltschaft in Ostberlin gestellt. Das Ermittlungsverfahren wurde am 5. Januar 1988 aufgenommen. Allerdings verlief dies im Sande. Erst nach der „Deutschen Einheit“ wurde das Verfahren auf Antrag des Pfarrers der Zionsgemeinde erneut aufgenommen und es kam zum Prozeß.

Währenddessen erhielt die hauptstädtische Polizei die Anweisung, skinverdächtige Personen verstärkt zu überprüfen und gegebenenfalls festzunehmen. Das Ergebnis war, daß Kurzhaarige und Glatzköpfige aller Couleur auf den Straßen Berlins nicht mehr sicher waren. Die Umweltblätter vom 20.01.1988 berichteten über aberwitzige Beispiele polizeilichen Übereifers: „…Axel, der kurze blonde, vielleicht ein wenig zu dünne Haare trägt, wurde am 18.Dezember aus einem fahrenden Bus geholt, der zu diesem Zwecke angehalten wurde. Gleich beim Aussteigen bekam er von den Polizisten „eine eingeschenkt“. Während einer vierstündigen Zuführung wurde dann seine Gesinnung überprüft. Pech nur für die behandelnden Polizisten, daß der Vater höherer Kulturfunktionär ist und eine empörte Eingabe machte. So mußte ein hoher Polizeioffizier auf Anweisung des Berliner Polizeipräsidenten sich bei Axel entschuldigen. Er wies dabei auf die kranke Frau und die Kinder des fehlgeleiteten Polizisten mit zu Herzen gehenden Worten hin und gelobte, daß für die Zukunft präzisere Anweisungen dafür sorgen werden, daß dergleichen nicht mehr passiert. Aber schon am 21.Dezember kam Till, 17 und mit einem unvernünftig kurzen Stoppelhaarschnitt (wenn auch im Trenchcoat) an die Reihe. Er wurde mit einem VP?Streifenwagen direkt in den Innenhof des Polizeipräsidiums in der Berliner Keibelstraße transportiert. wo Till aus den Fenstern mit einem vielstimmigen zustimmenden „Oi, Oi, Oi!“ empfangen wurde. Nach mehrstündigem Warten wurde Till vernommen und sollte, nachdem seine Nichtzugehörigkeit zur Kategorie „Skin“ festgestellt wurde, eine Belehrung über die Befolgung der § 95 und folgende unterschreiben. Till unterschrieb nicht ? gegen ihn lief ohnehin wegen angeblichen Druckens in der Umwelt-Bibliothek ein Verfahren nach § 218. Statt nun nach Hause gefahren zu werden, wie angekündigt wurde, begann für Till nun wieder eine Zeit des Wartens. Als er sich dann beschweren wollte, wurde er vom bewachenden Polizisten ins Gesicht geschlagen. Der Vorgesetzte, bei dem er sich darüber beschwerte, kündigte Till an, daß er ihm “auch gleich eins in die Fresse schlägt“. Dann beschimpfte ihn der Bewacher als „Nazi? Drecksau!“. Der später erscheinende Vernehmer ging auf Tills Beschwerde gar nicht ein.

Till der sich als eines der Opfer des Nazi?Uberfalls auf die Zionskirche beleidigt und ungerecht behandelt fühlt, hat vor drei Wochen eine Beschwerde an das Innenministerium und das Polizeipräsidium gerichtet. Bisher ohne Ergebnis…“

Hans-Dieter Schütt sieht einiges anders

Ein Monat nach dem Überfall der Skinheads auf die Zionskirche erfährt die Kirchengemeinde einen weiteren ganz anders gearteten Überfall. Am 18. November 1987 startet das MfS die Aktion Falle gegen die in der Zionsgemeinde ansässige Umwelt-Bibliothek. Räume werden durchsucht, unzähliges Material beschlagnahmt, Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek werden festgenommen. Die politische Opposition reagiert prompt. In der Zionskirche wird eine Mahnwache installiert. Man fordert die Freilassung der Inhaftierten, die Zurückgabe der beschlagnahmten Sachen und die Einführung demokratischer Grundrechte.

Da erscheint in der Jungen Welt unter der Rubrik „So sehe ich das“ ein Kommentar des Chefredakteurs Hans-Dieter Schütt. In einer Meisterleistung propagandistischer Verdrehung gelingt es ihm, rechtsradikale Skinheads und oppositionelle Mahnwächter in einen Topf zu werfen, gut durchzurühren und das ganze als ein und das Gleiche hinzustellen. Die Oppositionellen sind empört. In einem Kommentar gehen die Umweltblätter in ihrer Ausgabe vom 15. Dezember 1987 auf diese Hetzaktion ein:

„…Hexen?Einmaleins in der `Jungen Welt´

“Der Feind“, so dieser Tage der Chefredakteur der“Jungen Welt“ Hans Dieter Schütt, „hat bei uns keine Chance“. Und mit Pathos: „Bei uns stimmen Recht und Gerechtigkeit prinzipiell überein.“ Es ging dem hochdotierten Schreiber um die Verschärfung des Gerichtsurteils gegen die Nazi?Skins, die vor Wochen ein Rockkonzert in der Berliner Zionskirche überfallen hatten. En Passant wurden aber auch andere vom Feind gesteuerte Kreaturen benannt: „Literaten, .die des Talent haben, ein Talent zu verkaufen, das sie gar nicht haben“ und Mahnwächter“, die „stets pünktlich wie auf Bestellung mit Fernsehkamera vor Kirchentore ziehen.“ Das alles unter der Überschrift: „Warum freue ich mich über den Protest gegen ein Gerichtsurteil?“ und: „So sehe ich das.“ Irgendwo las ich neulich, was jemand im vorigen Jahrhundert mit feinem Humor einem solchen regierungsoffiziellen Schreiberling erwiderte: „Es freut mich, daß es ihnen erlaubt wurde, eine Meinung zu äußern!“

Herrn Schütt also wurde es erlaubt, eine Meinung zu äußern. Oder wurde er sogar beauftragt, und von wem? Dient die Meinungsäußerung dazu, die „Junge Welt“ noch stärker zur Speerspitze der kalkrieselnden konservativen Freunde zu machen? Oder wurde hier sogar Regierungsmeinung ausgedrückt und exklusiv in einem auflagenstarken Organ veröffentlicht, das bevorzugt der Aigitationsarbeit unter jungen Leuten dienen soll? Das müßte geklärt werden.

Ist es gleicherweise Zufall, daß Lehrer in der ganzen DDR die Kinder belügen, im Keller der Zionskirche sei faschistische Literatur gedruckt worden, daß unter Erwachsenen systematisch Gerüchte verbreitet werden, die Mahnwache habe nicht für die verhaften Drucker, sondern für die Nazi?Skins stattgefunden? Wem dienen diese Lügen und falschen Gerüchte? Und ist es wirklich Zufall, daß die “Junge Welt“ jetzt schwarz auf weiß wiederholt, was vorher verbreitet wurde?

Mit Pressefreiheit jedenfalls hat diese Art von platter Haßpredigt ebensowenig zu tun wie mit sachlicher Information, differenziertem Denken und Abbau der Feindbilder. Die Gegenaufklärung hat mal wieder Flagge gezeigt.

Ich denke, daß wir uns nicht darüber freuen können, daß das Urteil gegen die Nazi?Skins verschärft wird, wer dort vor Gericht stand, das waren nicht die Hauptfiguren. Ungeklärt blieb, ob tatsächlich eine Frau (… ?) verlor oder sogar das Gerücht über einen Toten zutrifft. Möglicherweise soll das verschwiegen und hinter den Kulissen in dem noch ausstehenden Prozeß gegen weitere Nazis?Skins geklärt werden. Aber eben um eine öffentliche Klärung hätte es gehen müssen.

Eine ganz andere Frage aber ist es, ob die DDR?Haftanstalten in irgendeinem Sinne Resozialisierungshilfe geben können. Alle Erfahrungen besagen das Gegenteil. Bliebe höchstens noch das ganz blutige und primitive Rachebedürfnis einer Gesellschaft oder das Anliegen, das Problem durch „Wegschließen“ für ein paar Jahre zu vertagen, um es dann und noch profilierter auf den Tisch des Hauses zu bekommen. Eine Lösung jedenfalls ist das auf keinen Fall. Schärfer ausgedrückt: Für die Bewältigung von Kriminalität gibt es in unserem Land bis jetzt kein einziges greifendes Konzept.
Aber für Hans?Dieter Schütt? sind das natürlich gar keine Fragen. Auch die erhebliche Ausbreitung von Neonazismus bei jungen Leuten in der DDR kann ihn nicht zum Grübeln bringen: Der Ungeist kommt aus dem Westen , ganz klar. Und vom gleichen Ungeist sind auch oppositionelle Literaten und Mahnwächter erfüllt. Und so ist denn alles geklärt und wir können zum Schluß kommen: Etwa mit der Beschwörungsformel der Hexe in Goethes Faust: Hexe: Du mußt verstehn!
Aus eins mach´ zehn,
Und zwei laß gehn,
Und drei mach´ gleich,
So bist du reich
Verlier die vier!
Aus fünf und sechs,
So sagt die Hex´,
Mach sieben und acht,
so ists vollbracht.
Und neun ist eins
Und zehn ist keins.
Das ist das Hexeneinmaleins
Faust: Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber! – r.1. ?…“